Clarkesworld 168

Neil Clarke (Hrsg)

In seinem Vorwort geht Neil Clarke auch auf die konkreten Schwierigkeiten ein, selbst „Year´s Best“ Anthologien noch pünktlich zu veröffentlichen. Carrie Sessarego greift in „The Moon´s a Balloon“ auf die wenigen utopischen Texte mit Heißluftballons und Zeppelinen zurück, vergisst aber zum Beispiel Bob Shaws wunderbare Trilogie um die „Heißluftatsronauten“ oder vergisst John Brosnans „War Lords“ Bücher.

Die beiden Interviews von Arley Sorg mit Sheila Williams und Scott H. Andrews geben einen Einblick in die herausfordernde Redakteurstätigkeit bei zwei sehr populären Printmagazinen, wobei Sheila Williams im Steuer von „Isaac Asimov´s Science Fiction Magazine“ ja schon ein alter Hase ist, der das Magazin durch einige Krisen  gesteuert hat. Der Optimismus der beiden Gesprächspartner ist aber vor allem in diesen dunklen Zeiten auch ansteckend.

Literarisch präsentiert die Ausgabe insgesamt sieben Kurzgeschichten, von denen nur eine für diese Ausgabe übersetzt worden ist. Der Gesamttenor der Storys ist aber dunkler als die Interviews.  Dabei eröffnet Lavie Tidhar die Ausgabe sehr exzentrisch: „Blue and Blue and Blue and Pink“ ist eine Postdoomsday Variation von „Catch22“. Anscheinend gibt es eine verseuchte Zone, in welcher die Folgen Halluzinationen sind. Eine Gruppe von gut bezahlten Freiwilligen fliegt mit ihren alten Flugzeugen in die Zone, bringt alles Notwendige und kommt mit Edelsteinen oder Gold zurück. Der Job ist lebensgefährlich. Zu den rühren Szenen gehört ein Lied, das die überlebenden Piloten einem im Sterben liegenden Kameraden singen. Die Atmosphäre ist stimmig, der Erzählstil irgendwo zwischen Zynismus und Opportunismus angesiedelt, die Faktenlage eher spärlich. Es ist eine grundsätzlich gute und originelle Kurzgeschichte, aber der Plot würde als Novelle und vor allem mit einer besseren Charakterisierung der Protagonisten besser funktionieren.

G.D. Angiers „What Remains of Maya Sankovy“ wirkt auch eher wie ein Expose als eine ausgereifte Geschichte. Androiden mit Erinnerungen an Menschen besiedeln einen fremden Planeten.  An Bord des Schiffes befinden sich nur wenige Menschen, aber Embryonen. Sobald der Planet freigegeben worden ist, sollen diese gezüchtet werden. Es sind vor allem der exotischen Hintergrund des Planeten sowie der allerdings aufgesetzt wirkende emotionale Konflikt zwischen den Androiden sowie den nicht in Befehlspositionen befindlichen Menschen, welche den Text rudimentär aus der Masse ähnlicher Storys herausheben.

Der Titel von Arula Ratnakars „Lone Puppeteer of a Sleeping City“ wird dem Leser wahrscheinlich länger im Gedächtnis bleiben als der Plot.  Das Bewusstsein von vielen Menschen wird von Maschinen in eine virtuelle Realität übertragen.  Die Maschinen wollen die Menschen aber nicht unterdrücken, sondern die Welt nicht von den Menschen reinigen, sondern deren Spuren in der Ökologie beseitigen, während sie nicht weiter schaden können. Das Problem ist wie bei G.D. Angiers Geschichte, das die gute Grundidee nicht abgeschlossen genug erscheint und viele Fragen absichtlich nicht beantwortet werden.

Isabel Lees „Certainty“  ignoriert jegliche Wissenschaft. Im Mittelpunkt steht eine im Grunde allwissende Maschine, welche alle Ereignisse der Vergangenheit beobachten/ analysieren kann und dadurch alleine dank der Beobachtung der Quantenteile im Grunde auch die Zukunft „vorhersagen“ kann.  Die wissenschaftlichen Erklärungen sind nicht schlüssig, die Maschine wird zu einer „Deus Ex Machina“ Variation. Die Charaktere sind eher rudimentär entwickelt und vor allem wirft die Autorin ausschließlich Fragen auf, ohne eine einzige Antwort zu liefern.

R.P. Sands „Ask the Fireflies“ lebt von den emotionalen Szenen. Die Technik ist eher rudimentär entwickelt. Wie in „Certainty“ geht es um die „Macht“ oder „Ohnmacht“ künstlicher Intelligenzen.  Eine künstliche Intelligenz muss sich mit der Idee der Sterblichkeit intensiv und im Grunde wie ein Mensch auseinandersetzen. Der Fokus liegt alleine auf der K.I.,  was die Geschichte intensiver, emotional packender und inhaltlich zufriedenstellender macht, auch wenn ihr die grundlegend guten Ideen fehlen.

Nin Harris „Every Plumage, every Beak“  spielt wie die letzte Story „The Bookreader“   in einer postapokalyptischen Gesellschaft, die in weiteren Texten ohne Frage auch ausbaufähig ist.   Keishi Kajifunes „The Book Reader“ geht im direkten Vergleich noch einen Schritt weiter. Bücher sind wertvoll, die meisten Menschen können in dieser Zukunft auch nicht mehr richtig lesen. Für die mindestens oligarchische Regierung sind sie auch subversiv, da die Gedanken nicht kontrolliert werden. Es ist ein junges Mädchen, das liest und damit wird ein weiteres Klischee umschifft. Nin Harris beschreibt er kurzweilig die ungewöhnlichen Überlebenskampf in ihrer Zeit.

Beide Geschichten verfügen über solide, aber auch aufgrund der Kürze eher pragmatisch entwickelte Protagonisten, denen an entscheidenden Punkte ein wenig die Tiefe fehlt. Die Autoren konzentrieren sich fast ausschließlich auf Stimmungen und zu wenig auf den eher rudimentären Plot.

Zusammengefasst erreichen die Geschichten nicht das Niveau des wunderbaren und eindrucksvollen Titelbilds. Viele Ideen wirken zu wenig extrapoliert und bleiben trotz der emotional interessanten Themen oberflächlich. Damit wird ausgesprochen viel Potential verschenkt.  „Clarkesworld“ 168 ist eine fast typisch zu nennende Sommerausgabe, die positiv viel versucht, aber negativ zu wenig erreicht.