Clay´s Ark

Octavia Butler

„Clay´s Ark“ ist der einzige der fünf „Patternist“ Romane, der nicht ins Deutsche übersetzt worden ist. Octavia Butler hat diesen Wendepunkt 1984 als letzten Roman geschrieben. Der Plot beinhaltet den Übergang aus der Vergangenheit „Wilde Saat“ und Gegenwart der siebziger Jahre („Der Seelenplan“) in die Zukunft, in welcher sich die Clayarks Mutanten entwickeln und die Menschheit bedrohen.

Auf den ersten Blick beinhaltet der Roman nicht nur als erster Teil der ganzen Serie klassische Science Fiction Elemente wie ein Raumschiff, das von einer  bemannten Expedition zu einem anderen Planeten zurückkehrt. In den chronologisch ersten beiden Büchern hat sich Octavia Butler zwar mit einer Reihe von übernatürlichen Fähigkeiten wie Telepathie, Telekinese und schließlich auch die Fähigkeit, den Körper bedingt zu verformen oder zu verändern auseinandergesetzt, aber es gab keinen Katalysator wie zum Beispiel atomare Verstrahlung. Doro selbst war ein Unsterblicher, aber seine Fähigkeit, gegen ihren Willen andere Menschen zu übernehmen und ihr Bewusstsein zu verändern, erinnert eher an einen besonderen Vampir als einen Außerirdischen oder eine gezüchtete Natur.

Octavia Butlers „Clay´s Ark“ wirkt dagegen wie eine interessante Mischung aus Michael Crichtons „Andromeda“ – fremde Mikroorganismen – und George Millers „Mad Max“ Serie oder David Brins „The Postman“ mit einer zusammengebrochenen Zivilisation und einem kontinuierlichen Kampf ums Überleben im amerikanischen Hinterland, aber nicht den Städten.

Die Geschichte beginnt in einer nahen unbestimmten Zukunft, in welcher viele Familie abgeschieden in den Wüsten in kleinen Kommunen leben. Dazwischen überfallen die „Car Families“ Reisende, rauben sie aus und vergewaltigen die Frauen. Der Arzt Blake Maslin reist mit seinen beiden Töchtern, von denen eine an Leukämie leidet, durch die Mojave Wüste. Sie werden überfallen und entführt. Einer der Entführer ist Eli Doyle, der letzte Überlebende der „Claýs Ark“, einem bemannten Raumschiff, das zum benachbarten Sonnensystem unterwegs gewesen ist. Bei der Landung haben sich die Astronauten mit Mikroorganismen angesteckt. Über der Erde stürzt das Raumschiff ab.

Die Prämisse ist anfänglich ein wenig wackelig. Sie impliziert, dass die Verantwortlichen das Wrack des Raumschiffs nicht untersucht haben und es anscheinend auch keinen Kontakt zwischen der Besatzung und der Erde während des Rückflugs gegeben hat. Sonst wüssten die Behörden selbst in einem von Bürgerkriegen verwüsteten Land, das ein Astronaut überlebt und sich versteckt hat.

In Rückblicken erfährt der Leser, dass Eli eine kleine Familie auf ihrer abgeschieden gelegenen Farm anscheinend absichtlich mit dem Mikroorganismus angesteckt hat. Auf der einen Seite verleiht dieser Organismus seinem Wirt größere körperliche Kräfte, aber auch eine höhere Nutzungsbandbreite der Sinne. Diesen Punkt arbeitet die Autorin allerdings eher ambivalent aus.  Auf der anderen Seite werden nicht nur die Überlebensinstinkte geschärft, der Wirt braucht mehr Nahrung und die Befallenen schwitzen zumindest zu Beginn des Buches überdurchschnittlich stark.

Auf den ersten Blick wirkt der Plot wie eine Spiegelung der Ereignisse aus den ersten beiden Romanen mit einer Science Fiction Prämisse. Der hier beschriebene außerirdische Mikroorganismus könnte mit Doro gleichgesetzt werden. Doro zeugt seine Mutanten; der Mikroorganismus verwandelt sie.

In beiden Fällen erhalten die Opfer oder bei Doro dessen Kinder übernatürliche Fähigkeiten.  Hinzu kommt, dass die normalen Beziehungen zwischen Blutsverwandten ambivalent beschrieben worden sind. Doro durchbrach alle Konventionen, aber mit seiner arroganten unsterblichen Art sah sich der Nubier als alleiniger Richter.  Neben dem kontinuierlichen Hunger „verspüren“ die Infizierten ein sehr viel höheres, fast tierisches Interesse an Sex, obwohl die Zuchtfamilien Doros in dieser Hinsicht nicht hinter dem Berg halten.

Sowohl Doro legte Wert auf seine Zuchtdörfer, in „Clay´s Ark“ erwartet Eli, dass Blake mit seinen Töchtern sich freiwillig dem Reproduktionsprojekt der Kommune unterwerfen. Im Gegensatz allerdings zu den Autofamilien üben sie eher psychologischen Druck, aber keine Gewalt aus.   

 In „Clay`s Ark“ bereitet Octavia Butler mit einer zweiten Art von Homo Superior den Konflikt der letzten beiden, deutlich früher geschriebenen Romane vor. Daher wirkt das Buch wie eine Variation von „Wilde Saat“, in dem die Autorin ja die Vorgeschichte von Doro erzählt hat. Die beiden Bücher gegenüber stellend ist „Wilde Saat“ allerdings auch aufgrund der charismatischen Charaktere und dem überzeugender ausgearbeiteten historischen Hintergrund der elegantere Roman. Bei „Clay´s Ark“ nutzt Octavia Butler eine Reihe der Post Doomsday Versatzstücke wie die gepanzerten Fahrzeuge, mit denen die „Car Families“  einsame Versorgungsposten in der Wüste überfallen und Frauen entführen/ vergewaltigen. Im Gegensatz zu Elis  Familie, die wie mehrfach erwähnt auf sanfte Überzeugung und schließlich auch die entsprechende Infektion durch das außerirdische Virus setzt.

Das Überleben in den kleinen autarken Siedlungen abseits von jeglicher vielleicht noch vorhandener Zivilisation wird ausführlich beschrieben. Auf Beschreibungen des globalen Szenarios verzichtet Octavia Butler gänzlich. Dadurch wirkt der Roman auf der einen Seite fokussierter, auf der anderen Seite hat der Leser allerdings auch das Gefühl, als habe es sich die Autorin bei diesem nachträglich entstandenen Bindeglied zwischen den beiden Handlungsteilen auch ein wenig zu einfach gemacht.

So konzentriert sich die Handlung zwar auf einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum, die Autorin konzentriert sich auf einige Schlüsselszenen. Das Ende der Geschichte ist pragmatisch. Beginnend mit dem jetzt ersten Band „Wilde Saat“ erzählt die Autorin ihr Epos konsequent weiter und vor allem der zweite sowie der dritte Teil enden mit Pyrrhussiegen.

Die Charaktere sind nicht ganz so überzeugend gezeichnet wie in ihren anderen Büchern. Eli Doyle ist der zur Erde zurückgekehrte Astronaut. Er war als Geologe an Bord des Raumschiffs und hat dort seine Freundin verloren. Während Doro ein getriebener Mann ist, der töten muss, um zu überleben, erscheint Elis Motivation ambivalenter. Die Autorin macht nicht ganz klar, welche bewusste Steuerung die Mikroorganismen wirklich übernehmen und warum Elis absichtlich andere Menschen in Gefahr bringt und zu einer bedingten Metamorphose zwingt. Er ist sich der Gefahr einer globalen Verseuchung bewusst, die wegen der erhöhten Nahrungsbedürfnisse unweigerlich in dieser Post Doomsday Gesellschaft zu einem neuen existentiellen Kampf über die hier beschriebene kleinste Mann-gegen-Mann-Ebene hinausführen muss.

Meda Boyd ist Elis erste Geliebte und spätere Mutter seiner Kinder, nachdem er auf ihrem Hof quasi aus der Wüste kommend gestrandet ist. Sie agiert eher unauffällig, wobei der Leser genau wie Blake Maslin nicht weiß, ob sie nicht vorher schon durch die Durchdringung mit dem Mikroorganismus ihren Verstand verloren hat.

Blake Maslin ist der Vater der beiden Zwillige Keira und Rane. Er versucht in dieser harten Welt zu überleben. Er wehrt sich am längsten gegen den fremden Einfluss und versucht auch die Flucht. Dabei ist er bereit, auch Opfer zu bringen. Er ist kein Mann der Gewalt und wird in dieser Geschichte auch nicht zu Überhelden, was einzelne Abschnitte des Buches zugänglicher macht. Aber ihm fehlt auch die charismatische Ausstrahlung eines Doros.

Im Grunde kommt es auch zu keinem echten Konflikt zwischen Eli Doyle und Blake Maslin. Beide sind keine klassischen Alphatiere. Beide haben ihre Positionen und mit Einschränkungen haben sie auch Verständnis für ihren Gegenüber.

Der eigentliche Konflikt findet auch auf einer höheren Ebene statt, wobei hier die Ziele gleich sind. Eli will die Seuche zwar nicht in die Welt tragen, sieht aber evolutionäre Vorteile für die eigene stetig wachsende Familie. Blake Maslin will die Seuche auch nicht in die Welt tragen, aber auf jeden Fall die rudimentär noch operierenden Behörden informieren. Auch wenn es ihn sein eigenes Leben kosten kann.

Durch den eher vertrauten Hintergrund und „schwächere!“ Protagonisten wirkt „Clay´s Ark“ weniger dynamisch und vor allem auch weniger originell mit Versatzstücken des Genres spielend als die ersten beiden Bücher. Aber zwischen den Zeilen spielt die Autorin mit dem Klischee der Seuche von den Sternen und sieht sie wie Doros Zuchtprogramm als einen vielleicht zu opportunistisch beschriebenen Bausteinen auf dem Weg nicht nur zu einem oder mehreren neuen Menschengeschlechtern, sondern als Sprungbrett für eine gänzlich andere, aber nicht unbedingt gleich bessere Gesellschaft.

Aber ihre Gesellschaften werden immer in Schmerzen geboren. Der intensivste Part ist die Verwandlung der Maslin Familie in diese neue, vom Mikroorganismus gesteuerte Lebensform mit sehr vielen tierischen Aspekten. Octavia Butler beschreibt diese Transformation in andere, überlebensfähigere Lebensform ausführlich und teilweise aus der intimen Ich- Perspektive. Dabei sind sich die einzelnen Menschen ihren neuen Fähigkeiten instinktiv bewusst und beginnen sie während des Überfalls einer weiteren Autofamilie und der brutalen Gefangenschaft einzusetzen. Vor allem da zeigt sich ihre immer stärker werdende Überlegenheit den Menschen gegenüber.

Befremdlich ist für die chronologische Lektüre, dass Octavia Butler alle Bezüge auf die ersten beiden Teile ignoriert und eine gänzlich andere, neue Geschichte erzählt. Vielleicht ist das der Grund, warum dieser ausgesprochen kompakte, manchmal fragmentarisch erscheinende Roman nicht in Deutschland erschienen ist, obwohl er ein wichtiges Bindeglied für den weiteren Fortlauf der Serie darstellt.     

Aus heutiger Sicht mit dem nihilistischen, zumindest für einen sehr kleinen Teil der Menschheit auch optimistischen Ende sind die Bezüge zu einer weltweiten Pandemie aktueller denn je. Hinzu kommt, das Terry Gilliams „12 Monkeys“ vielleicht nur unbewusst auch Octavia Butlers Vision auf die Leinwand gebannt hat.

   

 

Clay's Ark

  • ISBN-10 : 0446603708
  • ISBN-13 : 978-0446603706
  • Taschenbuch : 224 Seiten
  • Abmessungen : 12.7 x 1.45 x 20.32 cm
  • Herausgeber : Aspect (1. Dezember 1996)
  • Sprache: : Englisch