Das Wunschgesicht

Philippe Curval

Nach „Ist da jemand?“ veröffentlichte der Heyne Verlag mit „Das Wunschgesicht“ einen zweiten Roman des französischen Science Fiction Autoren Philippe Curval. Schon in „Ist da jemand“ hat der Autor basierend auf einer sozialkritischen Suche durch das Paris Ende der siebziger Jahre ein klassisches Science Fiction Sujet verfremdet.

Auch „Das Wunschgesicht“ nimmt sich eines typischen Science Fiction Themas an: nicht unbedingt dem First Contact, sondern wie der die Ereignisse in Romanform zusammenfassende Erzähler zugibt, dem zweiten Kontakt, der für die Menschheit notwendig geworden ist, weil der Planet Chula über seltene Rohstoffe verfügt, welche die Menschheit ausbeuten möchte.

Philippe Curval beginnt seine Geschichte auf der fremden Welt. Erst am Ende des ersten langen Abschnitts tritt der angesprochene Erzähler auf und versucht die Ereignisse zu relativieren, in dem er die Chronik nicht nur einordnet, sondern zugibt, dass die Menschheit einen ersten desaströsen Versuch unternommen hat, den Aliens quasi die eigenen in diesem Fall kapitalistischen Wertvorstellungen inklusiv Geld als Zahlungsmittel aufzudrücken, was der Kultur der Fremden widerspricht.  Dieser Versuch musste abgebrochen werden.

Der mittlere Abschnitt zeigt, dass die Menschen nicht unbedingt intelligenter geworden sind. Beim zweiten Versuch, die Kultur der Fremden zu öffnen und die menschliche Vorstellung in deren Realität einfließen zu lassen, wollen sie eine Art Jesus Christus erschaffen, welche die Einheimischen bekehrt und eine neue Religion begründet, die als Schlüssel für die Menschheit dienen könnte.

Der Gedanke mag angesichts der fremdartigen Kultur absurd erscheinen, zeigt aber die kurzsichtig Denkweise der Menschen auf eine zynisch entlarvende Art und Weise. Curval etabliert die Position durch eine Reihe von pointierten Dialogen. So wollen die Menschen ihren ausgewählten Einheimischen direkt an die Küste fliegen lassen, wo die meiste Opposition gegen ihre Bergbauvorhaben besteht. Die Antwort ist bestechend simpel. Entweder geht man zu Fuß oder benutzt die von den Lasttieren gezogenen Karren. Aber man fliegt auf dem Planeten nicht. 

Im Gegensatz zu einigen anderen First Contact Science Fiction Romanen wie James Blish „Der Gewissenfall“ oder Russels „Sparrow“, selbst den postnuklearen Romanen Walter Miller jrs basiert die Religion nicht auf dem Sendungsbewusstsein, etwas „Gutes“ zu machen oder die Ungläubigen zum wahren Glauben zu bekehren, sonst ist ein geplanter Teil einer rein wirtschaftlich ausgelegten Strategie, zu den Einheimischen durchzudringen.

Phillipe Curval zeigt im Folgen auf, warum diese Strategie scheitern muss. Zwar entwickelt sich eine neue Religion auf dem Planeten, aber sie basiert nicht auf dem christlichen Glauben oder einer verzerrten Inkarnation menschlicher Vorstellung, sondern ist wie vieles auf Chula positiv gesprochen anders.

Der Klappentext der deutschen Ausgabe stellt ein Phänomen in der Vordergrund, das dem Leser während der Lektüre nicht so auffällt. Vielleicht handelt es sich auch um eine fehlerhafte Interpretation der angesprochenen Ereignisse.

Der Titel „Das Wunschgesicht“ bezieht sich auf die Fähigkeit der Einheimischen, quasi in eine andere, nicht unbedingt virtuelle, sondern geistige Realität zu wechseln und dort eine Art „perfektes“ Leben für sich zu gestalten. Dabei sind sie nicht auf ihre Umwelt angewiesen. Im perfekten zustand müsste sich der Leser die Bewohner als eine Ansammlung von geistigen „Inseln“ vorstellen, auf denen jeder für sich selbst ist.

Der Auftakt der Geschichte widerspricht allerdings  dieser These. Die Planetenoberfläche ist unwirtlich. Temperaturschwankungen machen das Leben vor allem in den Eiswüsten schwer. Die Menschen leben in der Nähe ihrer Tiere, die nicht nur Transportmittel, sondern auch Öfen/ Wärmespeicher sind. Die Alien leben in kleinen Familienverbünden. Curval beschreibt, wie die Familie gegen einen weiteren Temperatursturz sich mit einer Tierwagenburg schützt, die Felle die kalte Luft von oben abhalten sollen und sie so die Nacht zu überstehen suchen.

Über die anderen Wirklichkeiten erfährt der Leser den ganzen Roman betrachtend allerdings zu wenig. Im Auftaktkapital führt Curval nicht nur die fremde Kultur mit einer guten Mischung aus Hintergrundinformationen, aber auch einem fortlaufenden Plot ohne die Erwähnung der Menschen ein. Im mittleren Abschnitt geht es vor allem um den neuen Propheten. Hier agieren die Menschen am meisten offensiv, während das finale Drittel die Fehlplanungen und vor allem die Folgen dieses Eingriffs zeigt.

Das Tempo des Buches ist nicht sonderlich hoch. Während „Ist da jemand?“ durch die Suche nach der verschwundenen Ehefrau angetrieben worden ist,  versucht Curval ein globales Szenario zu entwickeln und die Wechselwirkung zwischen menschlicher Ambition und der eher kommunistisch sozialistischen Grundhaltung der Ureinwohner.

Während das Paris der siebziger Jahre ohne Frage für den Leser griffiger ist, entwickelt Curval auf dem Planeten eine teilweise klischeehafte, wie eine Parodie auf die Pulpgeschichten wirkende Gesellschaft sogar mit Sexsklaven; eine Art Eigenbestäubung; den Traumvisionen und einem Vater, der anscheinend bedingt in die Zukunft schauen kann, um seinen Stamm vor dem schon angesprochenen Unwetter zu warnen und dadurch das Überleben zu sichern. Weitere Entwicklungen lassen sich aber in dieser möglicherweise auch nur subjektiven Zukunft weder erahnen noch ablesen.

Die Kultur ist archaisch, aber auch funktional. Sie verstehen, das die Menschen aus dem All von einem anderen Planeten kommen. Im Grunde ist ihnen anderes Leben egal. Sie sind nicht neugierig. Sie leben in Einklang mit der exotischen Flora/ Fauna ihrer Welt. Selbst das Heben von Bodenschätzen ist ihnen fremd. Sie verstehen den Sinn nicht. Sie empfinden aber die Ausbeutung ihrer Welt als verstörend. Geld kennen sie nicht, macht in ihrer Kultur auch keinen wirklichen Sinn, da die Wesen alle Selbstversorger sind.

Das Ende dieses vor allem im mittleren Abschnitt sehr unterhaltsamen und einige religiöse Themen oberflächlicher als Blish oder Russel streifenden Romans ist dann allerdings pragmatisch. Die Menschheit selbst scheint ihren eigenen Höhepunkt überschritten zu haben und bricht quasi die Expansion ins All bis auf wenige Welten ab. Die veränderte Kultur auf Chula bleibt „zurück“, wieder auf sich alleine gestellt. Der Erzähler beendet seinen Bericht in Romanform auf einer offenen Note. Zwar dient er als Mittler zwischen den Lesern und den Außerirdischen auf Chula, technisch gesehen kann er aber alle hier präsentierten Fakten weder selbst erlebt haben noch sind sie ihm übermittelt worden. Dieser Widerspruch zeigt sich vor allem rückblickend und unterminiert die guten Ansätze des Buches.

„Das Wunschgesicht“ ist eine Second Contact Story mit sehr viel intellektuellem Potential, einem exotisch überzeugenden dreidimensionalen und vor allem an die ökologisch orientierten französischen Science Fiction Comics erinnernden Hintergrund, die handlungstechnisch stellenweise aber auch zu distanziert und zu bemüht erscheint. 

  • SIN : B002741WLS
  • Herausgeber : Heyne Verlag (1. Januar 1983)
  • Sprache : Deutsch
  • Umfang: 190 Seiten
  • ISBN-10 : 3453309650
  • ISBN-13 : 978-3453309654
  • Philippe Curval: Das Wunschgesicht.