Double Feature

Donald Westlake

In seinem Vorwort schreibt Hard Case Crime Herausgeber Charles Ardai über die Schwierigkeiten, diesem ursprünglich in den siebziger Jahren aus zwei nur durch die Filmwelt verbundenden Texten bestehenden Buch einen neuen passenden Titel zu geben. „Double Feature“ passt in mehrfacher Hinsicht. Ein Hauptfilm, in diesem Fall ein Kurzroman mit dem Titel „A Travesty“, der in den neunziger Jahren als „A slight case of Murder“ verfilmt worden ist. Dazu eine Novelle mit dem Titel “Odor“, im 21. Jahrhundert als europäische Koproduktion auf die Leinwand gekommen. Quasi ein A und ein B Film, wobei qualitativ die unterschiedlichen Texte gleichberechtigt sind.

„A Travesty“ ist eine Hommage und gleichzeitig auch augenzwinkernde Parodie auf das Detektivgenre, während „Oder“ eine Art Reise in die eigene Vergangenheit des Protagonisten ist.

Die Verbindung ist wie eingangs erwähnt die Filmwelt. Einmal in Form eines Buchautoren und Kritikers, einmal hinsichtlich der Vergangenheit einer populären Schauspielerin und damit eines Sexsymbols.

Im Affekt schlägt ein Filmkritiker in „A Travesty“ seine Freundin. Die fällt unglücklich und stirbt an den Folgen in der Wohnung. Faktisch hat der Protagonist mindestens einen Todschlag begangen. Zusätzlich ist die Tat von einem Privatdetektiv bveobachtet worden, der die Tote im Auftrag ihres noch Ehegatten beschattet. Dieser will 10.000 Dollar für sein Schweigen haben, das der findige Protagonist sich unter anderem mit einem improvisierten Banküberfall besorgt. Nur denkt er gar nicht daran, den Erpresser zu bezahlen, sondern den einzigen Beweis zu vernichten.

Damit beginnt eine ganze Kette von Verbrechen, wobei sich der Protagonist im Grunde keiner Schuld bewusst ist. Donald Westlake hat sichtlich Spaß, den von sich selbst eingenommenen Kritiker in Schwierigkeiten zu bringen. Das Tempo der Geschichte ist zu Beginn unglaublich hoch. Er kann nach dem angesprochenen Schlag zu reagieren.

Mit der Vernichtung des einzigen Beweises – natürlich nur seiner Meinung nach – dreht sich das Blatt. Er freundet sich mit dem die Tat untersuchenden Polizisten an und hilft ihm bei insgesamt drei anderen Taten. Dabei macht sich der Autor einen Spaß, in dem er die Polizisten hilflos und den cineastisch erfahrenen Kritiker als eine Art Sherlock Holmes/ Hercule Poirot und schließlich auch Miss Mapple agieren lässt. Jeder der potentielle Fälle streift einen besonderen Bereich. Ein Mord quasi unter Zeugen in einem Vorführsaal eines Filmmoguls; ein Mord in einem von innen abgeschlossenen Büro und schließlich der Fenstersturz einer betruneken Ehefrau anscheinend ohne äußeres Zutun.    

In allen drei Fällen deduziert der Amateur an der Seite des Polizisten richtig. Nur in dem Mord an seiner Freundin kommt die Polizei nicht wirklich weiter, auch wenn der Täter gezwungen ist, weitere Spuren und Augenzeugen zu beseitigen.

Es ist die finale Ironie dieser temporeichen und humorvoll erzählten Geschichte, das die Tat im Grunde unaufgeklärt bleiben müsste, auch wenn die Polizei zu einem fiesen Trick greift. Nicht, weil sie keine andere Möglichkeit sieht, sondern weil es eine Form der Rache ist, als der Kritiker eine persönliche Grenze überschreitet und den ermittelnden Detektiv in seiner männlichen Ehre trifft. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.

Mit dieser abschließenden Wende wirkt „A Travesty“ – der Titel ist tatsächlich Programm – abschließend wie eine Hommage an die Film Noir Klassiker, aber auch Streifen wie „Diabolique“, in denen die Täter schließlich an der eigenen Arroganz  scheitern, aber nicht durch echte Fakten an den Tatorten überführt werden können.

 Das Verhalten des Protagonisten erinnert aber auch an den ersten der populären „Ripley“ Romane aus Patricia Highsmits Feder. Ohne echtes Schuldbewusstsein nimmt der Protagonist zwar keine fremde Identität an, sondern agiert mit einer Selbstverständlichkeit in fremden Wassern und versucht die Menschen zu manipulieren. Insbesondere gegenüber der Polizei kann er diese Rolle durchhalten. Sein einziger großer Versprecher führt interessanterweise nicht zu seinem Untergang, aber bringt ihm dem Wahnsinn einen Schritt näher. Die Verzerrung seiner Wahrnehmung ist von Beginn der humoresken Tragödie an erkennbar, aber sie wird kontinuierlich schlimmer.

Donald Westlakes Mut wird belohnt, einen auf der einen Seite im Grunde unsympathischen und egoistischen Charakter zu entwickeln, der auf der anderen Seite weniger hinterhältig als Ripley ist, sondern in erster Linie von der Affekthandlung aus seinen Status Quo zu vwerteidigen sucht. Und Offensive ist die beste Art der Verteidigung, in dem er sich bei der Polizei einschmeichelt. Dabei macht er den Fehler, Sympathie mit Freundschaft oder verbundeheit zu verwechseln, was schließlich pragmatisch effektiv zu seinem Fall führt. Und zu einer Bestrafung für ein Verbrechen, das er zwar begangen hat, aber nicht auf die Art und Weise, wie es jetzt beweisbar ist.

Auf dieser ironischen Note schließt Donald Westlake einen temporeichen, kurzweiligen, durch die zahllosen Anspielungen auf klassische Detektive und ihre Methoden gespieckten Kurzroman, der durch die Fokussierung und den humorvollen, aber auch respektvoll zurückhaltenden Stil tatsächlich zu Donald Westlakes besten und empfehlenswertesten Soloarbeiten gehört.

„Orly“ verbindet mit „A Travesty“ der Blick auf Hollywood. Es ist die einzige Gemeinsamkeit der beiden Geschichten. Im Grunde ist „Orly“ auch kein Krimi, sondern ein melancholischer Blick in die eigene Vergangenheit und die abschließende Erkenntnis, dass man im hier und jetzt in die Zukunft schauen muss. Es ist natürlich auch eine Geschichte über Ruhm und Geld; die Illusion, ein Star und damit ein jemand zu sein. Aber Donald Westlake gibt auf diese einzelnen Aspekte keine zufriedenstellenden Antworten, sondern lässt die beiden Protagonisten selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen.

Orly ist ein gestandener Seemann, der vor vielen Jahren ein sechzehn Jahre altes Mädchen geheiratet hat, Drei Jahre später haben sie sich scheiden lassen. Inzwischen ist diese junge Frau eine bekannte Schauspielerin, ein Sexsymbol. Seine Kameraden machen ihn auf einen Artikel aufmerksam, in dem sie Hochzeit mit Orly inklusiv eines alten Fotos erwähnt wird.

In seinem Urlaub fliegt Orly nach Hollywood. Nicht weil er Geld will, wie ihm unterstellt wird. Nicht, weil er im ruhmreichen Schatten eines Sexsymbols wandeln will. Sondern weil er einfach nur wissen will, ob und wie sich ein Mensch derartig verändert oder verändern lässt.

Orly bleibt im Grunde stoisch der gleiche Mann. Er ist bodenständig, fast naiv. Stolz auf seinen Beruf, aber nicht eitel. Er hat einfache Träume, baut keine Wunschschlösser. Er ist in der vorliegenden Beschreibung fast absichtlich eindimensional langweilig.

 Er trifft auf seine ehemalige Frau. Im Traumpalast verbringen sie inklusiv des Alltags am Set und abends mit den Schauspielerkollegen eine kurze Woche voller Sex, aber im Grunde ohne echte Gefühle. Das Ende ist abrupt. Es gibt keinen herzzerreißenden Abschnitt, keine dramatische Situation. Orly wird quasi auf der Welt der Reichen durch Ignoranz verbannt. Der Leser erwartet lange Zeit eine zynische oder wenigstens ironische Pointe, sie kommt nicht. Alles muss sich ändern, damit es bleibt, wie es ist. Orlys Umfeld nimmt ihn wieder als Mann, als Freund und Kameraden wahr, aber nicht mehr als der erste Ehemann einer inzwischen weltberühmten Frau, die Orly in dieser Form ja bis auf die eine Woche Besuch niemals kennengelernt hat. Sein Umfeld blickt auf diese in der fernsten Vergangenheit liegende Beziehung quasi aus der Gegenwart.  Diese Zwischentöne machen die Geschichte so anders.

Es ist eine kurze Novellette, im Grunde eine Art Stillleben, das Donald Westlake mit seiner ganzen Routine als Schriftsteller aber konsequent zurückhaltend entwickelt und das länger im Gedächtnis bleibt als der clever konstruierte, ein wenig überdrehte erste Teil dieses Doppelbandes.

„Double Feature“ ist wie der Herausgeber der Reihe erwähnt eine von Donald Westlakes besten Arbeiten und verdient diese Neuauflage auf jeden Fall. Westlake Anhängern wird Bekanntes – A Travesty- und eher Ungewöhnliches – Orly – angeboten, aber wer einen ersten Blick auf den populären Amerikaner werfen möchte, erfährt sein ganzes literarisches Spektrum auf weniger als dreihundert Seiten.

Double Feature (Hard Case Crime, Band 143)

  • Herausgeber : Hard Case Crime (4. Februar 2020)
  • Sprache : Englisch
  • Taschenbuch : 256 Seiten
  • ISBN-10 : 1785657208
  • ISBN-13 : 978-1785657207

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