Die Denkmaschine

Alfred Elton van Vogt

Alfred Elton van Vogt veröffentlichte 1948 eine fünf Seiten umfassende Kurzgeschichte „The Great Judge“. Neun Jahre später erweiterte er die Kurzgeschichte zu einem eigenständigen Roman, ohne andere kürzere Texte einfließen zu lassen. Das Buch erschien unter dem Titel „The MindCage“ in den USA, einige Jahre später publizierte der Goldmann Verlag unter dem Titel „Die Denkmaschine“ eine deutsche Übersetzung.

Wenn ein Leser Einflüsse auf Philip K. Dicks Werk sucht, braucht er nicht weiter als zu Alfred Elton van Vogt im Allgemeinen und diesem Roman im Besonderen zu schauen. Es ist eine politische Fabel über Machtmissbrauch und Diktaturen; es ist eine Geschichte über Identitätsdiebstahl und schließlich der Idee, gegnerische Länder zu infiltrieren und deren politische Ordnung zu destabilisieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich wie in diesem Fall um eine offensichtlich kommunistische Regierungsform handelt, die allerdings von einer Monarchin angeführt wird oder Spuren einer demokratischen Bewegung in einem Land vorhanden sind.

Das Buch beginnt mit einem zu vollstreckenden Todesurteil, dessen Auswirkungen erst am Ende der Geschichte erkennbar sind.

Wade Task ist ein brillanter Wissenschaftler, der mit seinen Forschungen die bisherige Struktur dieser dystopischen Gesellschaft mit einem großen Richter als allgegenwärtige Ordnungsmacht zu hinterfragen beginnt. Vordergründig sind diese Forschungen verboten. Es wird aber keine Begründung gegeben. Die Menschen haben nach Empfang des Todesurteils noch zwei Wochen, bis sie sich zu einem festen Termin an den Konvertern melden müssen. Der große Richter schickt mit David Marin quasi seinen „besten“ Mann am Vorabend einer wichtigen Mission zu Task. Anschließend soll er in eine Art „russische“ Provinz mit einer Namensähnlichkeit zu Georgien aufbrechen, um dort die nicht unbedingt hübsche Monarchin zu verführen und quasi zur Aufgabe zu zwingen, während die Truppen des großen Richters gleichzeitig eine Art Putsch durchführen sollen.

Marin ahnt aber nicht, dass Task ihn quasi erwartet. Mit einer Maschine kann der Wissenschaftler das Bewusstsein der beiden Männer tauschen. Nur wacht Marin früher in Tasks Körper wieder auf als der Wissenschaftler.

Anfänglich ein wenig geschockt tarnt sich Marin in Tasks Körper wieder als Marin und setzt seine Mission fort, während der Wissenschaftler im Körper Marins außer Gefecht gesetzt ist. Lange Zeit fällt auch niemanden in dieser anscheinend von van Vogt aus dem Stehgreif perfektionierten Welt auf, dass Marin äußerlich Task ist. Später wird diese bizarre Idee relativiert.

Die Idee des freidenkenden Wissenschaftlers wird anschließend in den Hintergrund gedrängt. Marin sucht auch sehr spät Erklärungen für die technischen Hintergründe. Vor allem geht es ihm um seine Mission. Dabei muss er als Erstes eine Art Gespielin oder von Staatswegen angeheuerte, natürlich perfekte Prostituierte überzeugen. Am Ende der Geschichte fügt van Vogt eine Art Happy End der Geschichte hinzu, die mit Irrungen und Wirrungen an einen Inzest oder doch nicht erinnert.

Diese Hektik durchzieht immer wieder van Vogts Werk. Bei Kurzgeschichten fällt die Sprunghaftigkeit vor allem im Vergleich zu vielen guten Ideen weniger auf als in einem stringenten Roman.  Der Leser sollte sich wenig Gedanken über die einzelnen Charaktere und die entsprechenden Gemütszustände machen. Philip K. Dick ist in dieser Hinsicht ein sehr viel besserer Autor, der vor allem die typischen durchschnittlichen Amerikaner in extrem paranoide Situation getrieben hat. Dabei zerstörte Dick vor allem ihre typische Vorstadtwelt und zeigte den Leser eine verstörende dominierende und vor allem politische „Fratze“.

Bei van Vogt sind die handelnden Personen vor allem eng mit der Regierung vertraute Männer, niemals Frauen. Bis in die siebziger Jahre hinein ist van Vogt Frauenbild höflich gesprochen konservativ. Nicht selten waren es entweder Geliebte oder die angesprochenen Prostituierten. Alle ein wenig dumm, aber fast außerirdisch schön.

Ann gibt es die Wissenschaftler, die vor allem in den früheren Büchern bis ca. 1955 intelligente, beschauliche Männer sind, deren Wissen immer eine Gefahr für die meistens undemokratischen Herrscher darstellt. Auch Task ist ein solcher Fall. Allerdings ist er deutlich jünger. Mit seiner Bewusstseinsmaschine, deren Auswirkungen allerdings nach dem Erkennen der Gefahr schnell beseitigt werden können, agiert er gegen einen totalitären Überwachungsstaat, in dem er Kontrolle durch den großen Richter und das ambivalent beschriebene mechanische Gehirn dahinter einschränkt. Interessant ist, dass das Gehirn sich wie ein roter Faden lange durch den Roman zieht, ohne dass dessen Hintergrund wirklich aufgelöst wird. Es könnte von außerirdischer Herkunft und in einem Raumschiff auf die Erde gekommen sein. Viele Legenden sprechen von dessen Ankunft und schließlich dem Versteck unter der Erde.

Viel wahrscheinlicher ist, dass van Vogt den Klischees des Pulpgenres mit seiner „Erklärung“ entkommen und etwas Faszinierendes wie Unrealistisches produziert hat. Den Kern seines Plots sowie das Zusammenspiel zwischen Richter und Maschine ignorierend.

David Marin ist ein klassischer van Vogt Charakter, aber kein Philip K. Dick Protagonist.  Er weiß, dass er die schmutzige Arbeit für den Staat, den Richter macht. Im Grunde ist er eine Art männliche Prostituierte, welche der nicht unbedingt hübsche Königin verführen und emotional an sich binden soll.  Im Körper von Task beginnt er zu erwachen, auch wenn er trotz oder vielleicht auch gerade wegen aller Hindernisse seine Mission erfüllt. Van Vogt argumentiert, dass auf diese Art Millionen von Menschenleben im Fall des drohenden Kriegs gerettet werden, aber außer Geltungsbedürfnis und Machterweiterung kann der Autor keine Argumente für den Einmarsch liefern, welche den Bewohnern des kleinen Staates zu Gute kommen. Die Opposition wird eingesperrt, Listen mit hinzurichtenden Menschen erstellt.

Der Plot ist wie angedeutet sprunghaft und in sich nicht logisch. Wie in einem surrealistischen Alptraum wird der Handlungsbogen kontinuierlich und konsequent immer weiter vorangetrieben. Diese Handlungsführung gipfelt schließlich in der Verhaftung Tasks mit Marin in dessen Körper. Ab diesem Moment beginnt der Autor sich inhaltlich zu drehen und zu winden, in dem er eine Art Gegenrevolution ausruft, den großen Richter in seinem eigenen Bereich angreift und schließlich sogar die Verbindung Richter/Gehirn offenlegt.   

Bei vielen anderen Autoren wirkt diese Hektik gegen Ende eines Buches aufgesetzt und konstruiert. Da van Vogt seine ganzen Romane im Grunde während des Schreibens improvisierend bis planlos aus verschiedenen starken Szenen bestehend förmlich zusammenbaut, fällt es bei „Die Denkmaschine“ nicht auf. Es gibt auch nicht für alle roten Fäden eine Erklärung. Manche Handlungsstränge enden einfach im Nichts.

Wer Logik erwartet, muss bei anderen Autoren des Genres schauen. „Die Denkmaschine“ ist wie viele Romane van Vogt eine Art Fiebertraum, surreal und unerklärlich. Viele auch genretypische Ideen werden verfremdet und eher benutzt als genutzt. Das Tempo ist immer hoch, die Figuren eindimensional. Eine zweite Lektüre wird wahrscheinlich gänzlich andere Eindrücke hinterlassen, aber klar erkennbar ist, dass Philip K. Dick sich vom Werk des Kanadiers hat inspirieren lassen, um dessen Stärken zu extrapolieren und dessen offensichtlich und vielschichtige Schwächen zu ignorieren.    

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  • ASIN : B0000BTZP1
  • Herausgeber : Goldmann, (1. Januar 1966)
  • Hardcover, 185 Seiten