Das Absolutum

Alfred Elton van Vogt

Der Gebrüder Zimmermann Verlag legte 1961 drei kürzere Texte Alfred Elton van Vogt in einer sorgfältigen Übersetzung Jesco von Puttkamers als handlichen Hardcover auf. Das Buch ist noch antiquarisch zu erhalten. Die zwei Kurzgeschichten und die Novelle sind als Terra utopische Romane und als Terra Astra Hefte gekürzt und bearbeitet neu aufgelegt worden.  Jesco von Puttkamer hat in seinem ausführlichen Nachwort den Stellenwert van Vogts für die amerikanische Science Fiction, aber auch seine erstaunliche Marktdurchdringung bei den deutschen Veröffentlichungen ausführlich herausgearbeitet.

Die  besondere Faszination van Vogts erkennt der Leser schon an der ersten der beiden Kurzgeschichten. „Das Gewölbe des Ungeheuers“ erschien im August 1940 im Magazin Astounding.  Es handelt sich um van Vogts ersten professionellen Verkauf, aber nicht seine erste Veröffentlichung. Diese Ehre ging an die erste von insgesamt vier Space Beagle Geschichten "Black Destroyer". 

Bislang ist ja bekannt gewesen, dass James Cameron seinen „Terminator“ Plot auf ein „Outer Limits“ Fernsehfolge von Harlan Ellison bezogen hat. Wer die Kurzgeschichte liest, wird automatisch an den T2 aus dem zweiten Teil der Serie denken. Die Ähnlichkeiten sind verblüffend, auch wenn es sich bei van Vogt um eine außerirdische, teilweise an einen Blob erinnernde Kreatur mit einem perfekten flüssigen "Metallmantel" handelt, die aber jede Form annehmen und dabei auch das Bewusstsein des Betroffenen übernehmen kann. Letzteres ist eine klassische Idee van Vogts, auf die er gerne und immer wieder zurückgegriffen hat.

Die Grundprämisse zeigt aber auch Van Vogts bizarre Phantasie, die sich mehr um Stimmungen als komplett durchdachte Ideen kümmert. Ein insbesondere zu Beginn aus einer subjektiven Perspektive beschriebener Außerirdischer reist als eine Art flüssiges Metall – siehe auch hier Terminator 2 – zur Erde, um den besten Mathematiker des Planeten quasi zwangs zu verpflichten.  Auf dem Mars wird ein Außerirdischer aus einer anderen Dimension in einer Art Zeitgefängnis gesichert durch die ultimative Primzahl von den vor Jahrtausenden verschollenen Marsianern festgehalten. Der Klappentext impliziert, das sich das Schloss öffnen und wie Lovecraft große Alte eine nicht mehr zu kontrollierende Gefahr auf die Menschen zuläuft. Diese Prämisse wird aber falsch wiedergegeben. Eher soll der Handlanger den Mathematiker überzeugen, dass er das unendlich alte Wesen aus der anderen Dimension befreit und ihm die Rückkehr in seine Heimat ermöglicht.    

Van Vogt greift auf eine wechselnde Perspektive zurück. Der Mathematiker ist anfänglich skeptisch, wird seines Reichtums beraubt und quasi gezwungen, an Bord eines Raumschiffs zu arbeiten. Die Befreiung des Wesens und damit die Entdeckung einer legendären Stadt unter dem roten Sand des Mars könnte ihn wieder reicher als je zuvor machen. Das Wesen agiert ambivalent, aber entschlossen.  Dabei scheint es nur auf Bedrohungen zu reagieren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Pulpgeschichten dieser Ära handelt es sich um kein plumpes Monster, sondern um einen hochintelligenten, teilweise allerdings auch rücksichtslos agierenden verlängerten Arm einer Überzivilisation, die alles im Grunde kann, bis auf höhere Mathematik. Auch die Auflösung der Geschichte ist perfekt inszeniert, in dem eine weitere bislang auch vom irdischen Mathematiker außer Acht gelassene Komponente ins Spiel kommt.

Auf wenigen Seiten entwickelt van Vogt beginnend mit dem angesprochenen ungewöhnlichen Monster und in einer legendären Stadt unter dem Sand des Mars endend so viele Ideen und präsentiert höhere Mathematik auf eine fast belehrende Art und Weise.  

Auch „Erfüllung“ steckt voller teilweise bizarrer Ideen. Van Vogt setzt sich mit dem Thema Maschinenintelligenz als Vorläufer der heute so populären künstlichen Intelligenzen allerdings noch auf eine Analogbasis auseinander. Dabei spant van Vogt einen sehr weiten Bogen. Eine künstliche Intelligenz aus einer fernen Zukunft kommt durch eine nicht weiter erklärte Zeitreise in Kontakt mit einer der ersten Computer, die Menschen nahe der Gegenwart der Veröffentlichung der Geschichte entwerfen. Ein verantwortlicher Techniker muss sich dabei auch mit der Initiatorin auseinandersetzen, die weniger kommerzielle als persönliche Absichten hat.

Van Vogt beschreibt eindrucksvoll eine künstliche Intelligenz, die über Äonen ihre eigentliche Mission, vielleicht auch das eigene künstliche Wesen vergessen hat. Auf der anderen Seite versucht es mit Gedankenkontrolle, mit der Manipulation von Menschen eine Art Weg zurück auf die altbekannte Existenzebene zu finden. In dieser Hinsicht bleibt die Kurzgeschichte schwammig. Auch die emotionale Ebene wirkt ein wenig bieder, zu stark konstruiert und nicht in Ehren gealtert. Interessant ist, dass van Vogt für diese im Grunde klassische Pulpgeschichte mit der bösen Maschinenintelligenz einen kosmopolitischen Rahmen wählt, den er im Laufe der Erzählung aber immer mehr eindampfte.

Die längste Geschichte der Sammlung ist „Asyl“ (Astounding 1942). Van Vogt hat sie in seinen späteren Fixed Up Roman „Intelligenzquotient 10.000“ eingebaut. Auch inspirierte die Novelle Colin Wilson zu seinem verfilmten Roman „Vampire aus dem Weltall“.   

Sowohl in „Intelligenzquotient 10.000“ wie auch der zugrundeliegenden Novelle machen nicht alle Aspekte wirklich Sinn. Aber van Vogt spricht eine Reihe von Themen an, die im Laufe der Jahrzehnte zu zeitlosen Elementen des Genres werden.

Die Menschen stehen noch auf einer eher primitiven Entwicklungsstufe. Eine Art Schild warnt die intergalaktische Gemeinschaft vor einem Kontakt mit den gerade das Weltall erobernden Menschen. Ein galaktischer Wächter passt quasi auf das Einhalten der Regeln auf.  Dazu hat er sich mit seiner Tochter unter den Menschen versteckt und kann autark agieren.  Allerdings nutzt er sein überdurchschnittliches Wissen, um sich als führender Wissenschaftler zu etablieren und damit die Kontaktregeln höflich gesprochen ein wenig zu sehr zu dehnen.

Zwei Dreeghs dringen in das Sonnensystem ein. Sie leben vom Blut, aber auch der Essenz anderer intelligenter Wesen. Allerdings ist das Dreegh Volk nicht von Beginn an vampirisch, sondern braucht das Blut/ die Essenz in Folge eines „Unfalls“ als Lebensgrundlage. Anfänglich war die intergalaktische Gemeinschaft bereit, sie in dieser Hinsicht zu unterstützen, vor einiger Zeit wurden sie aber fallen gelassen.

Die Dreegh wollen den intergalaktischen Beobachter ausschalten und damit der Invasionsflotte Tür und Tor zu Erde öffnen.  Das ist aber nur der zweite Teil des Plans, da die beiden Dreeghs quasi über der Erde mit ihrem Raumschiff abstürzen und einen Reporter zwangsverpflichten, ihnen gegen dessen Willen die wichtigen Informationen entweder direkt zu geben oder zu beschaffen.

 Die Idee der Weltraumvampire und ihre das eigene Leben verlängernde Jagd nach Blut und menschlicher Essenz bildet auch den Kern von Colin Wilsons Pulpgeschichte „Vampire aus dem Weltraum“. Van Vogt nimmt es aber nur als Aufhänger für eine fast hektisch hin und her springende Geschichte. Die Zeichnung der beiden Dreeghs ist dabei pragmatisch, aber dreidimensionaler als von allen Menschen zusammen. Sie wissen, dass sie Intelligenzen töten müssen, um zu überleben. Aber im Grunde sind sie auch Opfer einer Katastrophe und werden ausgegrenzt, isoliert und möglichst ignoriert. Dabei stellt sich die Frage, warum die galaktische Gemeinschaft die anscheinend überschaubare Zahl von Dreeghs nicht quasi weiter füttert.

Eine weitere Idee findet sich in zahlreichen anderen Arbeiten van Vogts ebenfalls wieder. Das Manipulieren des in erster Linie menschlichen Geistes entweder durch Außerirdische oder Maschinenintelligenzen. Das führt zu einer Reduktion der Menschen auf das Niveau einer hilflosen Marionette. Interessant ist, dass diese Hilflosigkeit teil eines nicht unbedingt komplexen, sondern vor allem unnötig komplizierten Plans ist, um die Dreeghs quasi aus ihren Verstecken zu treiben. Dabei haben die galaktischen Beobachter relativ früh die Absturzstelle und das Versteck des Raumschiffs lokalisieren können.

Der dritte Handlungsstrang bezieht sich quasi auf die kosmischen Überzivilisationen, die sich weit vor allem intellektuell von den Menschen entfernt haben. Van Vogt wendet erstaunlich viel handlungstechnischen Raum auf, um ihre Komplexität zu erläutern, ohne wirklich etwas zu sagen. Vieles bleibt vage, aber imposant. Durch den Wissenschaftler und seine anfänglich sehr unterkühlt wirkende Tochter verfügt der Autor über die entsprechenden Medien, den Protagonisten, aber auch die Leser zu belehren und aufzuzeigen, dass ein überlegener Intelligenzquotient viele Probleme auch der menschlichen Existenz lösen kann. Pragmatische Beweise bleibt der Autor schuldig.

Das Ende der Geschichte haben in nur leicht veränderter Form sowohl Colin Wilson für seinen Romane wie auch Tobe Hopper für „Lifeforce“   übernommen. In den vierziger Jahren muss es für die Leser überraschend gewesen sein. Mit der abrupten Lösung in einer im Grunde aussichtslosen Situation – im Versteck isoliert, die Dreeghs Flotter direkt vor den äußeren Planeten stehend – unterstreicht van Vogt seine damals fast einzigartige schriftstellerische Fähigkeit, viele konträre Ideen und Handlungsstränge auch gegen alle Logik am Ende zu verknüpfen und rasant abzuschließen.

Vor allem die erste Hälfte der Novelle zeigt aber, wie innovativ und originell van Vogt zu Beginn seiner Karriere gewesen ist und vor allem nur die späteren Fixed Up Bücher seinem Ruf als exzentrischer wie individueller Golden Age Autor schadeten.

Die Sammlung aus zwei Kurzgeschichten und der angesprochenen Novelle gibt einen glänzenden Einblick in Van Vogts frühe Phase. In den Terra Taschenbüchern sind weitere Kurzgeschichtensammlungen vor allem aus dieser wichtigen Phase erschienen, die sich eher lohnen, als das romantechnische Spätwerk, das eher die absoluten van Vogts Fans wegen der Wiedererkennungswerte ansprechen könnte.    

Alfred E. van Vogt - deutsche Cover

Hardcover, 

252 Seiten