Time for Sherlock Holmes

David Dvorkin

David Dvorkins Roman „Time for Sherlock Holmes“ ist neben Manly Wade Wellmans “Sherlock Holmes War of the Worlds” wahrscheinlich die einzige längere Sherlock Holmes Geschichte, die enge Verbindungen zu H.G. Wells aufweisen kann. Im Gegensatz zu Wellmans ursprünglich in der Sammlung „The further Adventure of Sherlock Holmes“ veröffentlichter und aus dem Jahr 1975 stammender Novelle mit Sherlock Holmes, aber auch Professor Challenger im Vordergrund, spannt David Dvorkin mit der Nutzung der Zeitmaschine durch Moriarty  seinen Bogen sehr viel weiter und erzählt eine Geschichte, die mehr als dreihundert Jahre dauert.

„Time for Sherlock Holmes“ ist die einzige Kanonarbeit des 1943 in den Staaten geborenen Science Fiction und Horrorautoren. Neben drei Romanen zur „Star Trek“ Serie und einer Handvoll Horror Romanen ist in Deutschland auch sein Debüt „Die Kinder der leuchtenden Berge“ im Goldmann Verlag veröffentlicht worden.

Seine Kanon Geschichte lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten.  Dabei mischen sich Elemente des Science Fiction Genres  auch im klassischen Detektivteil. Sherlock Holmes hat in seinem Exil in Essex das Geheimnis des ewigen Lebens im Honig seiner Bienen entdeckt. Er teilt dieses Geheimnis mit seinem Bruder Mycroft, Mrs. Hudson und natürlich dank einer Einladung auch Doktor Watson. Doktor Watson wird nachher Holmes Formel ohne dessen Bienen in Pillenform umwandeln. Damit unterminiert der Autor die faszinierende, aber ambivalent beschriebene Ausgangsidee der Langlebigkeit in  Form von einem besonderen Honig.

Professor Moriarty hat durch einen Zufall die Zeitmaschine entdeckt. Anscheinend stimmte H.G. Wells Geschichte bis zum erneuten Aufbruch in die ferne Zukunft. Der Napoleon des Verbrechens stiehlt die Zeitmaschine und beginnt seine Welteroberungspläne umzusetzen, in dem er den britischen Premier in einem von innen abgeschlossenen Büro ermordet.  Nur hat der Zeitreisende vergessen, das nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr Großbritannien, sondern die USA die mächtigste Nation der Welt ist. Also muss Moriarty nachlegen.

Auch wenn die Geschichte gegen Ende immer phantastischer wird und das Spektrum weit über die Erde hinaus reicht mit Sherlock Holmes, Doktor Watson, Mycroft und Watsons neuer sehr junger Frau Lily als Zeitzeugen, bleibt David Dvorkin charakterlich den Kanon Geschichten treu. Doktor Watson agiert in üblicher Manier impulsiv und vor allem naiv. Das wiederholt sich mehrmals im Laufe des Romans. Sherlock Holmes ist derartig von Moriarty besessen, dass er seinem Erzfeind schließlich sogar einen „Berg“ baut, zu dem der Prophet des Bösen „laufen“ muss.

Die Dialoge zwischen Holmes und Watson verändern sich über die Jahrhunderte nicht. Es ist eine innige, aber auch herausfordernde Freundschaft, die durch Watsons Ehe mit der unabhängig und nach Abstand von Sherlock Holmes gierigen Lily auch belastet wird. Mehrmals spielt Holmes Watson dank seiner perfekten Verkleidungen Streiche. Und wenn Watson der Meinung ist, Holmes Handschrift zu erkennen, dann ist es jemand anders.

Wie mehrmals erwähnt umfasst der Zeitrahmen des Buches mehrere hundert Jahre. Es gibt immer wieder Phasen, in denen Holmes/Watson/Lily wenig bis gar nichts machen. Anfänglich noch zusammen von der Öffentlichkeit abgeschottet auf der kleinen idyllischen Insel in England, später räumlich getrennt.  Dann folgen Abschnitte, in denen Holmes direkt Jagd auf Moriarty macht. Höhepunkt und quasi Bruch dieses Buch ist der Anschlag auf den amerikanischen Präsidenten, der für Watson in der Planung vielleicht verblüffend ist, isoliert vom Kanon aber eher an einen waghalsigen Tom Clancy Roman erinnert.

Anschließend beginnt die zweite Hälfte des Science Fiction Teils, in welchem David Dvorkin eine selten genutzte Idee des durch die Zeit Treibenden nutzt. Van Vogt hat mit einem ähnlichen Schaukelkonzept in einer früheren Kurzgeschichte gespielt, wobei David Dvorkin das Konzept von Raum und Zeit derartig ambivalent und konstruiert nutzt, das die zugrundeliegende Idee fast verloren geht. Holmes hat zwar eine Art Reißbrett mit möglichen Zielen, aber der logische Zusammenhang erschließt sich nur dem Detektiv. Auch wenn in der Theorie dessen Vorgehensweise nicht von ihm  gesteuert werden kann und vor allem die Idee, das wenige Sekunden in Moriartys Gegenwart reichen, um aus einem entschlossenen Mann schließlich doch einen Mörder zu machen, überzogen wird.

Eine weitere Schwäche ist die Idee einer Zeitschleife und das sich Menschen in unterschiedlichen Zeitebenen tatsächlich selbst begegnen könnten. Moriarty nutzt dieses Instrument effektiv und macht sich quasi selbst zum Napoleon des Verbrechens. In Lillys Fall wirkt die Moebiusschleife stark konstruiert. Entweder hat Lilly bei ihrer ersten Begegnung wie in Connie Willis Romanen eine Art  Timelag, so dass sie sich nicht an alles erinnern können oder der Autor hat in Person Lillys nicht nur Doktor Watson, sondern auch dem Leser einzelne Fakten vorenthalten. Die Idee, quasi zu seinem eigenen Vorfahren zu werden, ist ein heikles Thema in der Science Fiction und Dvorkin nutzt es für den Leser klar erkennbar, aber zu pragmatisch.

Noch eine andere, für das Finale entscheidende Idee doppelt David Dvorkin. Rückblickend offenbart sich das potentielle Ende des Buches natürlich verklausuliert schon bei Holmes/ Watsons erstem Flug in die Staaten. Diese Doppelungen sind wahrscheinlich unbewusst gesetzt, aber wie Watsons durchlaufende Naivität stören sie auch und unterminieren zahlreiche originelle und isoliert dastehende Aspekte des kompakten Plots.

Die Science Fiction Ideen erdrücken aber manchmal auch den dank der Jahrzehnte/ Jahrhunderte des Wartens Konflikt Sherlock Holmes/ Moriarty, der insbesondere auch hinsichtlich der Reichenbachfälle aus einer interessanten neuen Perspektive betrachtet und in einem wahrlich feurigen Finale enden wird.

Lily treibt Doktor Watson ins All. Erst in den Orbit, dann schließlich zum Mars. Auf beiden Stationen wird der ewige Doktor Watson mit einem jungen Körper – es gibt keine Antwort, dass die Bienen nicht nur Langlebigkeit schenken die Menschen bis zu einem bestimmten Grad/ Alter körperlich verjüngen – als Arzt mit gefälschten Dokumenten, aber einer neu abgelegten Prüfung arbeiten. Aber wie Mycroft, der Großbritannien nach der Machtübernahme durch eine extreme Partei verlassen hat, strebt Watson im Grunde auch nach neuen Herausforderungen. Sherlock Holmes beendet die Geschichte schließlich mit einem Ausblick, der „Star Trek“ würdig ist und unterstreicht, das Sherlock Holmes deduzierend im Universum gebraucht wird.

Die Beschreibungen der Lebensbedingungen sowohl im All wie auch auf dem Mars sind für die siebziger Jahre in technischer Hinsicht überzeugend. Zwar scheut sich David Dvorkin, an den sozialen Strukturen zu rütteln, aber in einer weiteren Hommage an H.G. Wells „Things to Come“ und „War of the Worlds“ sind es die Marsianer, welche der zerrütteten Erde ihren Frieden und Wohlstand zurückbringen.

Auf dem Weg in die Zukunft kommt es zu einer Reihe von kuriosen Szenen. So kann Sherlock Holmes trotz seines mit Watson verbrachten Exils Auto fahren, Flüge buchen und steht dem technischen Fortschritt inklusive Fernsehen offen gegenüber, während Watson den Aufenthalt auf der Insel mit Verzicht gleichsetzt.   An einer anderen Stelle rät Watson Sherlock Holmes, bei der Recherche einen Computer, das Internet zu nutzen, was Holmes brüskiert ablehnt. Das Lesen in Büchern, das Streicheln des Papiers regt seinen Denkprozess zu Höchstleistungen an. Später erinnert sein Hotelzimmer an ein „Elementary“ Set.          

„Time for Sherlock Holmes“ ist weder eine perfekte Kanon Geschichte noch ein in sich logischer Science Fiction Roman. So viele Elemente verbinden sich nicht immer konsequent genug miteinander. Aber David Dvorkin hat gute Elemente aus dem Holmes/ Moriarty Konflikt, aber auch der ewigen Freundschaft zwischen Holmes und Watson in eine ambitionierte, manchmal vorhersehbare Zukunftssaga übertragen. Das macht den besonderen Reiz dieses ungewöhnlichen Büchleins aus.

Time for Sherlock Holmes

  • Herausgeber : LIGHTNING SOURCE INC (1. Februar 2020)
  • Sprache : Englisch
  • Gebundene Ausgabe : 284 Seiten
  • ISBN-10 : 1734563605
  • ISBN-13 : 978-1734563603
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