Kinder von morgen

Alfred Elton van Vogt

Anfang der siebziger Jahre veröffentlichte Alfred Elton van Vogt mit „Children of Tomorrow“ einen für seine Spätphase ungewöhnlichen, weniger aus bestehenden Kurzgeschichten oder Novellen zusammensetzten Text.

Die Ausgangslage ist fast ein Klischee. Die Menschheit hat im All Außerirdische gefunden, welche aus menschlicher Sicht ohne Provokation aggressiv gegen die Menschen vorgehen und sie mit ihrer Flotte bis in das Sonnensystem verfolgen. Dieser Aspekt des Romans gerät im mittleren Abschnitt komplett in den Hintergrund. Wie aber bei vielen seiner in den vierziger und fünfziger Jahren entstandenen Novellen und Kurzgeschichten besteht die Auflösung nicht aus einem militärischen Konflikt, sondern vor allem dem Versuch,  mit den Fremden abschließend zu kommunizieren und eine Lösung zu finden. Der den Konflikt auslösende Katalysator wird allerdings wie manchmal bei van Vogt auch nicht geklärt.  Interessant ist, das die Fremden auch nicht als gesichtslose brutale Aggressoren gelten, sondern sich neben Revancheaktionen auch mit der menschlichen Zivilisation auseinandersetzen.

Aber diesen Konflikt spiegelt Alfred Elton van Vogt aus einer zwischenmenschlichen familiären Ebene.  Kommandant der Raumflotte dort draußen ist Commander Lane. Nach zehn Dienstjahren im All kehrt er zu seiner Frau und seiner inzwischen sechszehn Jahre alten Tochter zurück. Er lebt mit seiner Familie in Spaceport, einer speziellen Siedlung im direkten Umfeld des Raumhafens.

Lane ist auch Autokrat. Ein Mann der alten Schule, der es gewohnt ist, das seine Befehle oder im Familienrat konkreten Wünsche umgesetzt werden. Auch nach einer Abwesenheit von zehn Jahren. Während seine Frau sein Verhalten noch bedingt anerkennt und erst später rebelliert, wird Lane mit einem sozial gesellschaftlichen Phänomen, in das seine Tochter involviert ist.

Der Roman entstand Ende der sechziger/ Anfang der siebziger Jahre. Vietnam als historisches Äquivalent der kriegerischen Auseinandersetzungen sorgte dafür, dass viele Familien ohne ihre Väter/ Ehemänner aufwachsen mussten, die in Übersee Dienst taten. Der 68er Revolution sorgte für einen ganz anderen Blick auf die plötzlich aufmüpfige  Jugend. Van Vogt hat aber nicht abschließend überzeugend eine soziale Komponente eingeführt- Die Jugendlichen definieren ihren Gesetzesspielraum, in dem sie sich bewegen können und wollten. Anstatt archaische und rechtsfreie Räume zu erschaffen, funktionieren diese Gruppen ausgesprochen gut.   Gerichtsbarkeit erfolgt mit einer demokratischen Mehrheitsentscheidung, wobei van Vogt in diesem Buch auch aufzeigt, dass Eifersüchteleien und vor allem fehlende Kompromissbereitschaft dieses von van Vogt entwickelte System auch unterminieren können.

Nach knapp zehn Jahren haben die Gruppe inzwischen so viel auch innere Macht entwickelt, dass sich die Erwachsenen den Gruppen beugen und die positiven Effekte hinnehmen. Zu Lasten ihrer Autorität als Erziehungsberechtigte. Es gibt verschiedene Versuche vor allem von aus van Vogts Sicht starrköpfigen Rückkehrern, die Macht der Gruppen zu brechen und die eigenen Kinder wieder unter die Kontrolle der vor allem patriarchisch geordneten Familie zu bringen. Ohne Rücksicht auf die Folgen für die Kinder.

Im Mittelpunkt steht Lane und seine Familie. Lane ist ein klassischer Anführer, ein Macher, der jeglichen Widerspruch als Angriff auf seine Autorität ansieht.  Es ist der einzige Charakter, der nur bedingt sich verwandelt. Das liegt an den Umständen, dass er sich wegen einer falschen Behauptung in seiner Ehre verletzt fühlt. Bis dahin bleibt er ein unverbesserlicher Macho, der seinen Dienst an den Grenzen des Sonnensystems als wichtiger sieht als seine Familie. Für die gesamte Menschheit ist das ohne Frage auch der Fall, aber er kann nicht erwarten, dass alles auf ihn warten.

Anstatt die Konflikte aber von innerhalb der Familie auf die Gruppe zu übertragen, zeichnet van Vogt bei Langs Frau Ellen, seiner Tochter Susan und schließlich auch dem jungen Captain Sennes ein sehr ambivalentes Bild. Sennes ist ein klassischer Frauentyp, der gerne in jedem Hafen ein Mädchen hat, lockeren Sex, aber keine Bindungen. Er spielt zwar mit den Erwartungen der Mädchen, aber wenn eine junge Frau in die Eheoffensive geht, zieht er schnell zurück.

Ellen ist lange Zeit ein verzweifeltes Heimchen am Herd, das auf ihren Mann gewartet, aber gleichzeitig im positiven Sinne die Restfamilie zusammengehalten hat. Sie akzeptiert die sozialen Veränderungen. Sie kann nicht verstehen, dass ihr Mann gleich wieder in die alten Rollenklischees zurückfällt. Ihrer Ehe inklusiv Sex steht sie ambivalent gegenüber. Sie hat gelernt, ohne ihren Mann zu leben, aber wenn er dominant auftritt, kuscht sie.

Die Tochter Susan wird im Grunde an allen Fronten zermahlen. Sie ist ein klassisches Papakind, das in ihren Übervater einen Beschützer, einen Wegweiser und im Grunde auch das Abziehbild ihres zukünftigen Mannes sieht. Kein Wunder, dass sie trotz anfänglicher Abscheu in Captain Sennes abschließend dass kleinere Übel sieht. Susan wird nicht nur von dem Machogehabe Captain Sennes beeindruckt und verstört. Auch die Gruppe zerfällt aufgrund von Eifersüchteleien, mit denen die Jugendlichen noch überfordert sind.

Interessant ist, wie sich die Gruppe gegen Lane als im Grunde gefährliches wie antiquiertes Element zur Wehr setzt. Der Einfluss der Gruppe oder jeder Art von Gruppe in diesem Buch wird von van Vogt als selbstbestimmt, aber demokratisch angesehen. Die Gruppenbildung hat die Kriminalität bis auf einen verschwindend kleinen Rest zurückgetrieben, da auch die Justiz in den Gruppen liegt. Wie weit der Einfluss reicht, zeigt die Bestrafung von Lane. Er wird quasi aus dem gesellschaftlichen Leben eliminiert. Er kann seine Tochter zu einer auswärtigen Schule bringen, aber nicht mehr zurück. Die Alternative wäre es noch, sich Passierscheine auszustellen. Damit würde Lane aber im Grunde sich selbst anlügen, da er keine militärischen Aufträge außerhalb von Spacetown hat.

Van Vogt fügt aber seinem Buch noch eine weitere Wendung hinzu. Dabei verbindet er die Gruppen, die Eltern- Jugendliche Konflikte und vor allem auch den außerirdischen Handlungsbogen miteinander. Auf der Erde mehren sich Zeichen, dass Captain Lane eine ungewöhnliche „Signatur“ mit sich trägt. Sie scheint ihm zu folgen. Später stellt sich heraus, dass diese Signatur nicht nur mit den Fremden in einem engen Zusammenhang steht, sondern es quasi eine Art Beobachter auf der Erde gibt. Van Vogt überspannt in einer der schwächeren Wendungen den Bogen hinsichtlich einer weiteren „Vater- Sohn“ Kommunikation, die unvorbereitet und uninspiriert erscheint.

Aber in einem Punkt bleibt er sich treu. In diesem Buch sind es vor allem die Jugendlichen, welche den bornierten und engköpfigen „Alten“ auf beiden Seiten des Universums den Rang ablaufen. Die neue soziale Ordnung und ein entsprechender Blick von außen darauf zeigt die Verantwortung, welche die Jugendlichen von den aus ihrer Perspektive nicht selten infantil und emotional agierenden Erwachsenen übernommen haben.    Van Vogt argumentiert, dass die Jugendlichen durch die Herausforderungen sehr früh ihr vor allem geistiges Potential besser nutzen. Diese Idee zieht sich angesichts der Übermenschen – egal ob außerirdischer oder menschlicher Herkunft – durch die meisten seiner Geschichten. Hier geht er ein wenig weiter, in dem die den Jugendlichen sogar die Macht, aber auch die Verantwortung gibt, direkt sich im familiären Umfeld der Gruppe befindliche Menschen sogar zu bestrafen. Aber nur in diesem engen Umkreis. Es ist keine generelle Gerichtsbarkeit und keine ausschließlich die Jugendbewegung hervorhebende Geschichte.  Dazu sind die militärischen Klischees und damit auch die Überpotenz der Soldaten zu stark in den Plot eingewoben.  

 Neben der teilweise pragmatischen Zeichnung der Charaktere leidet der Roman unter der für van Vogt so typischen Sprunghaftigkeit. Nicht jeder rote Faden wird zu Ende gedacht. Viel mehr wechselt der Autor eine Reihe von Pferden. Auf der anderen Seite nehmen die familiären Konflikte im mittleren Abschnitt des Buches einen breiten, aber vor allem auch sehr vielschichtigen und reifen Platz ein. Dieser Aspekt hält „Kinder von Morgen“ sehr viel besser zusammen als viele zur gleichen Zeit entstandenen Bücher. Auch wenn sich van Vogt schließlich bei den Frauen/ Mädchen als Schreibtischmacho mit einem gesteigerten Interesse an willigen wie jungen Frauen entpuppt, verfügt der Roman über viele interessante wie zeitlose Ideen basierend weniger auf der Baby Boomer Generation, sondern eher der Diskussion Ende der sechziger Jahre mit dem Aufbegehren der Jugend. Als Gegenentwurf mit dem Hinweis, den Jugendlichen Verantwortung zu überschreiben und sie dadurch reifen zu lassen, ist der Roman allerdings eher eine Diskussionsgrundlage als eine vollendete Präsentation. Lesenswert ist er auch mit einigen in Ehren ergrauten Klischees auch heute noch.       

 

Kinder Von Morgen,

  • ASIN : B0027TYAPS
  • Herausgeber : Wilhelm Heyne,, (1. Januar 1972)
  • Umfang: 224 Seiten