Die Liebesmaschine

Gabriele Behrend

„Humanoid“ präsentiert in den beiden Auflagen das Kurzgeschichtenfrühwerk Gabriele Behrends. Der zeitgleich veröffentliche Band „Die Liebesmaschine“ besteht aus insgesamt zwölf Kurzgeschichten inklusive zweier Erstveröffentlichungen der Jahre 2014 bis 2021. Zusammengefasst wirken die Texte unabhängig vom thematisch die beiden Bücher verbindenden Faden „Menschsein“ in „Die Liebesmaschine“ inhaltlich und auch stilistischer reifer und gleichzeitig auch emotional mehr unter die Haut gehend. In „Humanoid 2.0“ finden sich einige Texte, die auf eine besondere Art und Weise Reaktionen im Leser provozieren wollen, wobei diese Art der Vorgehensweise niemals um ihrer selbst willen, sondern hinsichtlich der dreidimensional entwickelten Protagonisten und ihrer Unfähigkeit, auf bestimmte Situationen zu reagieren, zu verstehen ist. „Die Liebesmaschine“ geht von Beginn an einen Schritt weiter, wobei in einer Reihe von Geschichten die Ausgangsprämisse nicht in einer näheren oder fernen Zukunft spielen muss, sondern Alltägliches, aber niemals Profanes geschickt extrapoliert wird.

 „Die Liebesmaschine“ ist dafür exemplarisch. Eine künstliche Intelligenz arbeitet mit der Facility Managerin sehr gut zusammen. Die beiden verstehen sich, wobei die künstliche Intelligenz einige Phänomene wie Liebe oder Emotionen zu verstehen sucht. Sie trennt ihre neue Freundin von deren sie misshandelnden Freund. Später beginnen sie eine Art Pärchenvermittlung aus der Überwachungszentrale des Wohnkomplexes heraus. Gabriele Behrend entwickelt beginnend mit Katja überzeugende Figuren. Die Emotionen wirken echt, die Aktionen, aber auch die Reaktionen kann der Leser nachvollziehen. Die künstliche Intelligenz entwickelt eine Art Eigenleben, ohne generell bedrohlich zu wirken. Kontrolle ist für sie etwas Alltägliches, zum Wohle der ihr anvertrauten Menschen. Am Ende trifft sie eine pragmatische Entscheidung, die es Katja ermöglicht, emotional wieder ein Gleichgewicht zu finden.

 Auch die zweite Geschichte Tremolo“ ist eine Dreiecksgeschichte. Eine Tänzerin arbeitet mit einem alten Meister zusammen. Sie erschafft im Grunde auf der Bühne emotionale Illusionen. Als der alte Meister einen jungen Künstler bittet, zukünftig in die Rolle des Maestros zu schlüpfen, beginnt dessen dominante Art des Gleichgewicht zu verschieben. Auch in dieser Geschichte muss sich die junge Frau überwinden. Anfänglich werden noch Entscheidungen für sie getroffen, bis sie schließlich teilweise auf einem dornigen Weg erkennt, dass sie nur selbst ihr Leben bestimmen kann.

 Genau wie bei „Die Liebesmaschine“ sind die utopischen Elemente eher ein Mittel zum Zweck. Während die künstliche Intelligenz mit ihrer bestechenden Logik, aber auch verzweifelten Suche, die Menschen besser zu verstehen, als Science Fiction Element notwendig ist, lässt sich diese besondere Präsentation auch durch jede Art des Tanzes ersetzen. Sie ist nicht unmittelbar wichtig, aber gibt der Geschichte eine besondere Note. Wichtig ist, dass Gabriele Behrend auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Liebe als Triebfeder, aber auch als zerstörerisches Element die richtigen Töne trifft und der Leser die Handlungen der Protagonisten jederzeit nachvollziehen, vor allem aber auch verstehen kann.

 „Das Kind des Steuermanns“ setzt sich mit Verlusten auseinander. Dabei stellt sich die Frage, ob der wegen des Geldes auf dem Titan mit seinem „Schiff“ Rohstoffe abschöpfenden Steuermann die richtige oder die falsche Entscheidung getroffen hat. Wie immer ist es eine Frage der Perspektive. Der Leser kann den einsamen Mann auf einer im Grunde verzweifelten, wie abschließend sinnlosen, das Schicksal höchstens herauszögernden Mission genauso verstehen wie die zurückgelassene Ehefrau, die sich in mehrfacher Hinsicht im Stich gelassen fühlt. Eine gibt keine zufrieden stellenden Antworten und Gabriele Behrend sucht diese auch gar nicht. Es ist eine stimmungsvolle, im Vergleich zu den ersten beiden Arbeiten eher innere Momente betonende Geschichte, die aber wie alle drei Texte die phantastischen Elemente pragmatisch nutzt, aber sie nicht als Ausrede für emotionalen Kitsch oder Ballast missbraucht.

 Aus „Exodus“ Nummer 35 stammt „Suicide Rooms“.  2017 ist Gabriele Behrend für diese Kurzgeschichte mit dem Kurd Lasswitz Preis als beste deutschsprachige Science Fiction Geschichte ausgezeichnet worden. 

 In nicht ferner Zukunft hat sich eine Firma etabliert, die legitimierten Selbstmord anbietet. Der Protagonist Günther Schmidt – vielleicht um seine perfekte Durchschnittlichkeit noch einmal zu betonen – entschließt sich sein gelangweiltes Leben zu verlassen und mit seiner professionellen Selbstmordbegleiterin Manuela seine letzten Tage inklusiv des perfekten Anzuges und des letzten Abendmahls zu planen. Auch wenn es ein „ernstes“ Thema ist, baut die Autorin es absichtlich zur satirischen Groteske aus, die beginnend mit Jules Vernes „Die Leiden eines Chinesen in China“ den vorgegebenen Mustern eines Mannes folgt, der plötzlich erkennt, dass er doch noch nur anders leben möchte. Allerdings verzichtet die Autorin auf die Konstruktionen des Franzosen und führt ihre Idee mit einer geschickten, aber nicht gebuchten Variation zu einem konsequenten wie zynischen Ende. Der Wunsch des Kunden ist sein abschließendes Himmelreich. Gut geschrieben mit doppeldeutigen Dialogen, Querverweisen auf das langweilig wie geordnete Leben und einem soliden zufrieden stellend Abschluss ist „Suicide Rooms“ einer der besten Geschichten dieser Anthologie und zurecht prämiert worden.   

Zwei  Geschichten stammen Anthologie „Spliff 85555“ und zeigen gleichzeitig Gabriele Behrends Bandbreite.  In „Hugo“ treibt ein Mann im Wasser. Er ist an Bord einer Vergnügungsplattform gewesen, die wegen der steigenden Meeresspiegel inzwischen vor die Küsten quasi ausgelagert und damit den regionalen Gesetzen entzogen worden sind. Gabriele Behrend entwickelt mittels Rückblenden sowie einer Zwillingsschwester das Zerrbild einer kleinen Enklave, in welcher es vor allem um das persönliche Vergnügen in dieser wahrlich verkosten Welt geht.  Erinnerungen werden an Kathryn Bigelows „Strange Days“ wach, der seiner Zeit damals auch voraus gewesen ist.

 Die zweite Geschichte aus der Feder Gabriele Behrends aus dieser Anthologie „Küss mich noch mal heut´Nacht“ ist die Liebesgeschichte zweier Frauen, die auf unterschiedlichen Positionen in der Raumwacht arbeiten. Die Erzählerin hat sich schließlich auf einen Außenposten versetzen lassen, wo sie das Eindringen unbekannter Raumschiffe bemerkt und das Feuer eröffnet. In Rückblenden erfährt der Leser ihren Weg über die Ausbildung zum Transporter und eine tragische Liebesgeschichte mit Jessie zu dieser isolierten Station. Die Geschichte ist gut geschrieben und die Atmosphäre mit ihrer Mischung aus Melancholie und distanzierter Technik, aus provokanten Machogarn und schließlich der ultimativen Aufgabe überzeugend. Nur wirkt das Ende ein wenig zu stark konstruiert und hinterlässt zu viele offene Fragen als das abschließend Antworten geliefert werden.

 Gabriele Behrends »Der Smaragdwald« passt sehr gut zu Andreas Schwietzkes surrealistischer Komposition. Daher wäre es für diesen Nachdruck sinnvoll gewesen, die visuelle Vorlage mit in den Storyband zu integrieren.

 Die von der Erde stammenden Farmer auf dem Planeten Demeter werden mit seltsamen Naturphänomenen konfrontiert. Durch die wechselseitige Perspektive ist der Leser den Protagonisten einen Schritt voraus. Die Atmosphäre ist stimmig, das Zurückschlagen der Natur zufriedenstellend und die Gedankengänge der fremden Intelligenz überzeugend. Allerdings hätte die Autorin auf den Holzhammer im Epilog verzichten können.

Möglicher Wahnsinn spielt in einer Reihe der Texte eine wichtige Rolle. Besonders bei  „Pas de Deux“ zeigt sie exemplarisch den schmalen Grat zwischen noch akzeptablen Verhalten und wahnhaften Vorstellungen bis zur von Krankheit initiierten Verrücktheit auf. Gabriele Behrend beschreibt einen Macho, der neben einem One Night Stand auch eine Einleitung zu einer besonderen Ausstellung erhält, die ihn nicht mehr loslässt. Emotional überzeugend ohne zu pathetisch oder zu auffällig zu agieren beschreibt die Autoren dieses Abgleiten in einen für den Leser eher bizarren Zwischenraum. In der ursprünglichen Anthologie Veröffentlichung „Bilder einer Ausstellung“ war Gabriele Behrend eine der wenigen Autorin, die in ihrer Geschichte abschließend den Bogen zur Musik schlagen, welche von Hartmanns Werken ja inspiriert worden ist. Musik spielt aber nicht nur in dieser Geschichte eine relevante Rolle.  

In „Partition“ beschreibt die Autorin exotisch und faszinierend wie eine Art Fiebertraum eine wirklich eine fremde Lebensform, wobei die Autorin wert darauf legt, im Zug dieser im Grunde handlungslosen, aber stimmungsvollen Geschichte den schmalen Grat zwischen Vertrautheit für den Leser und wirklich Fremdartigkeit bis zur Entfremdung nicht in die falsche Richtung zu überschreiten.

 In jeder anderen Anthologie wäre „Alles eine Frage der Einstellung“ durch die Parodie menschlichen Verhaltens in Form einer Handvoll angestellter Androiden eine überdurchschnittliche Geschichte gewesen. In „Die Liebesmaschine“ fällt der Text ein wenig ab. Das liegt nicht an der Zeichnung der Androiden, die in Abwesenheit ihrer menschlichen Familie plötzlich außerhalb der Norm zu agieren beginnen. Das liegt nicht einmal an der pragmatischen, aber auch nachvollziehbaren Lösung. Gabriele Behrend bewegt sich auf einem sehr schmalen Grat zwischen Slapstick und der Imitation menschlichen Verhaltens, eine Reihe von Klischees inklusiv des Poolboys für die gelangweilt Ehefrau. Trotzdem will der Funke nicht abschließend übersprungen. Zu bemüht wird der Plot zwar konsequent, aber auch zu einfach abgeschlossen.

 Die beiden exklusiven Veröffentlichungen stehen am Ende der Sammlung. Inhaltlich könnten sie nicht unterschiedlicher sein. „Ne ma gagana“ ist dabei die Schwächere der beiden Geschichten. Die Siegerin eines Gesangwettbewerbs wird auf eine idyllische Insel eingeladen. Die Bewohner sind von Geburt an stumm. Trotzdem hat sich eine interessante industrielle Gesellschaft gebildet. Die Sängerin genießt das Leben, muss aber auch erkennen, dass sie außerdem der Insel in einer art Scheinwelt gelebt hat. Es sind vor allem die kleinen Details, mit denen Gabriele Behrend die Geschichte ausschmückt und eine zugängliche, aber auch andere Gesellschaft beschreibt, die dem Leser im Gedächtnis bleiben.

 „Fanny nimmt sich Zeit“ ist auf der emotionalen Ebene die beste Geschichte dieser Anthologie. Wie andere Texte benötigt sie nur bedingt die phantastische Elemente. Fanny ist eine ältere Dame, die auf ihr Leben zurückblickt. Ob in ihrem Geist oder in der Realität beginnt ihr älteres Ich ihren jüngeren Inkarnationen quasi durch die Zeit Ratschläge zu geben, die ihr Leben bis in die Gegenwart verändern. Das nicht kitschige, aber auch vorhersehbare Ende schließt einen reifen, erstaunlich altersweisen Text ab. Manchmal erinnert an „Der Leopard“ mit dem berühmten Spruch, dass sich ja alles ändern muss, damit es bleibt, wie es ist. Gabriele Behrend zeigt auf, dass ein langes Leben eben nicht eine gerade Straße ist. Sie ist kurvig, voller Schlaglöcher, manchmal auch gesperrt. Aber am Ende ist es nicht selten schöner, wieder an dem emotionalen Ausgangspunkt sein Glück zu finden. Die Charaktere sind mit einer feinen Feder entwickelt worden. Sie wirken wie in vielen Geschichten dieser Anthologie absolut natürlich und sie in ihren Handlungen, aber auch Reaktionen zugänglich. Vielleicht muss ein aufmerksamer Leser ein gewisses Alter erreicht haben, um die feinen Zwischentöne zu verstehen, aber mancher wird lächelnd zusammen mit Fanny auf die Entscheidungen zurückblicken, die ganze Lawinen ins Rollen gebracht haben.

 “Die Liebesmaschine“ ist wie „Humanoid 2.0“ eine überdurchschnittliche empfehlenswerte Anthologie von thematisch indirekt miteinander verbundenen Kurzgeschichten. Gabriele Behrends Texte zeichnet eben eine grundsätzliche Menschlichkeit aus. Auf dieser Basis extrapoliert sie teilweise phantastische, manchmal auch nur vorgeschobene utopische Ideen, um sich mit dem Menschen an sich auseinanderzusetzen.

 Jede der Geschichten wird von einer kleinen Illustration Gabriele Behrends eingeleitet. Auch das Titelbild stammt von ihr.

DIE LIEBESMASCHINE
und andere SF-Geschichten
AndroSF 142
p.machinery, Winnert, April 2021, 228 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 239 3 – EUR 16,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 856 2 – EUR 3,99 (DE)