Rettungskreuzer Ikarus 77: Dreißig Minuten

Holger M. Pohl

Mit einem Vierteiler kehrt Holger M. Pohl nicht nur zum „Rettungskreuzer Ikarus“ zurück, sondern er nimmt die Fäden aus seiner Clanhändler Trilogie – Rettungskreuzer Ikarus 68 bis 70- wieder auf. Es ist nicht notwendig, die ersten drei Romane gelesen zu haben. Routiniert und den Handlungsfluss nicht eindämmend nutzt Holger M. Pohl den allgemeinen Gedächtnisverlust von 30 Minuten bei den Protagonisten inklusiv Trooid als Ausgangsbasis, um dem Titel folgend die Handlung zu beginnen. Im Grunde fängt der 77. „Rettungskreuzer Ikarus“ Roman mit dem Abflug des Kreuzer von der Welt der Clanhändler an.
Anschließend teilt Holger M. Pohl den Handlungsbogen auf zwei Ebenen auf, die während des Finals inklusiv des entsprechenden Cliffhangers wieder zusammengeführt werden. Auf der einen Handlungsebene agiert Der Geheimagent Dorian Darkwood gegen alle Verbote im Untergrund auf der Clanhändlerwelt und versucht nicht nur eine Erklärung für seine im Gedächtnis fehlenden 30 Minuten zu finden, sondern vor allem das Boomiumgeheimnis aufzudecken.
Auf der zweiten Handlungsebene beschäftigt sich Arthur Trooid ebenfalls mit den ihm fehlenden dreißíg Minuten. Technisch ist es unmöglich, dass er von sich aus als Android etwas vergisst. Ein Löschen ist schwierig und konnte nicht erkennt werden. Nur Dinge, die bewusst oder unbewusst seiner Aufmerksamkeit entgangen sind, ließe sich im übertragenen Sinne als „vergessen“ abstempeln. Das ist aber hier nicht der Fall. Trooid macht sich gegen die grundsätzliche Anweisung seiner Vorgesetzten und vor allem auch gegen die Befehle des neuen Clanherrschers ebenfalls auf den Weg zu den Clanhändlerwelt.
Auch wenn es handlungstechnisch keinen Bruch zwischen der angesprochenen vorher veröffentlichten Trilogie und diesem klassischen Auftaktband gibt, versucht Holger M. Pohl ein neues Szenario zu etablieren. Dabei konzentriert er sich vor allem auf Dorian Darkwood, eine Figur der Serie mit noch sehr viel Ausbaupotential. Als Agent auch hinter den Fronten weiß er nicht nur sich entsprechend zu bewegen, mit der Clanhändlerwelt vertraut kennt er sein erstes Ziel. Die Boomium Mienen, in denen Menschen versklavt und wie Tiere gehalten werden, um das natürlich seltene, hier aber in reichhaltigem Maße vorkommende Boomium zu bergen.
Der Weg ist quasi das Ziel der Reise, auch wenn Holger M. Pohl während des Cliffhangers nicht umhin kommt, manches Klischee vor allem auch der James Bond Filmserie zu spielen und die geheime Mission abschließend in ein anderes Licht zu rücken.
„Dreißig Minuten“ soll das Szenario etablieren und dieser Aufgabe wird der Autor mit dem kurzweilig zu lesenden Roman gerecht. Es geht ihm darum, entsprechende Fragen aufzuwerfen und bis zum Ende die beiden Helden, aber auch die momentan noch einen kleinen Vorsprung besitzenden Antagonisten für den ersten Showdown zu positionieren.
Die Handlungseben um Trooid wirkt ein wenig gedehnt. Trooid ist ja nicht der einzige, dem 30 Minuten im Gedächtnis fehlen. Daher wirkt die Reaktion seiner Crewmitglieder genauso distanziert und unglaubwürdig wie die Tatsache, dass sie ja gegen alle Anweisungen und mit gebundenen Händen Darkwood auf dem Planeten zurückgelassen haben. Und der Agent möchte dort bestimmt nicht das ungesunde Klima genießen. Die Passivität der Crew angesichts der Ausgangssituation und vor allem auch ihrer Erfahrung, das Kleinigkeiten wie Dominosteine schließen zu die Galaxis bedrohenden Katastrophen führen können erschließt sich dem Leser bislang nicht. Sollte sie echt sein, dann wirkt sie konstruiert. Sollte sie aber Teil eines größeren Plans der „Rettungskreuzer Ikarus“ Crew sein, dann hat Holger M. Pohl auch die Leser zu diesem frühen Zeitpunkt der Tetralogie hinters plottechnische Licht geführt.
Wie die Clanhändler Trilogie mit einem noch entwicklungsfähigen Volk setzt Holger M. Pohl in den ersten Bänden auf Dynamik, ein wenig Action und vor allem berechtigtes Misstrauen bis an die Grenze der Paranoia auf beiden Seiten. Ein guter Auftakt eines Vierteilers.

Rettungskreuzer Ikarus 77: Dreißig Minuten

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (15. November 2019)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 96 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864026911
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864026911