Rettungskreuzer Ikarus 80: An den Horizont

Holger M. Pohl

Mit „An den Horizont“ schließt Holger M. Pohl seine Tetralogie zufriedenstellend ab. Aber wie schon bei der Trilogie um die Clanhändler deutet der Epilog mit dem wieder zurückbleibenden Darkwood und der abfliegenden Ikarus darauf hin, dass noch nicht alles in dieser Serie innerhalb der Serie niedergeschrieben worden ist.

Holger M. Pohl muss während des Finals eine ganze Reihe von Baustellen bearbeiten und abschließen. Darum ist der Roman auch einige Seiten länger, auch wenn an keiner Stelle Hektik aufkommt oder einzelne Spannungsbögen abrupt abgeschlossen werden. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Grundsätzlich ist die Ausgangsprämisse interessanter geworden. Das Volk der Kesawain möchte nur nach Hause zurück. Dazu müssen sie durch ein schwarzes Loch fliegen. Neben den technischen Schwierigkeiten braucht diese Reise auch fleischliche Opfer. Als intelligente Rasse haben die Kesawain zu erst am eigenen verbliebenen Volk experimentiert, aber Menschen eignen sich besser. Diese dramaturgischen Wendungen versucht Holger M. Pohl solide zu erklären, aber es wäre mutiger gewesen, den Schritt in das Lovecraft Universum zu vollziehen und auf Mythen/ Aberglauben zu verweisen. Vor allem wäre das hinsichtlich der Idee des großen alten Feindes auch konsequent.

Die einzige Möglichkeit diese nicht nur technisch überlegenen, sondern auch rücksichtslosen Feinde zu „besiegen“ und damit die gefangene Crew zu befreien ist eine Revolution aus dem Inneren heraus. Dorian Darkwood versucht mit deren geistiger Elite gegen die militärische  Führung vorzugehen und diese quasi auszuspielen. An einer weiteren Front muss sich Darkwood mit der unbekannten Identität auseinandersetzen, die sich in Trooid eingenistet und den Androiden im Grunde komplett aus dem Spiel genommen hat.

Die Grundprämisse – Heimkehr um jeden Preis – widerspricht den eher klassischen Weltbeherrschungsszenarien, die vor allem der Chef der Clanhändler in den ersten beiden Romanen postuliert hat. Anschließend nahm Holger M. Pohl diesen charismatischen wie auch klischeehaften Protagonisten im Grunde mit dem gleichen „Trick“ aus den spiel, mit dem er Trooid von Beginn an ausgeschaltet hat. Dadurch ist es ein schmaler Grat, auf dem sich Dorian Darkwood bewegen muss.

An Bord der Ikarus ist vor allem Sonja DiMersi aktiv. Sie ist die einzige, die nicht direkt dem Boomium verfallen ist. Der Rettungskreuzer droht ebenfalls ins schwarze Loch zu stürzen. Positiv ist, dass die Besatzung der Ikarus dieses Mal bis weit in das Finale weder die Zügel in der Hand hat noch aktiv in das Geschehen per se eingreifen kann. Auf der einen Seite müssen die wenigen Handlungsfähigen die Freunde und Kollegen retten, was gleichzeitig auch bedeutet, dass der Plan der Kesawain in dieser Form nicht umgesetzt werden darf, auf der anderen Seite wollen sie die Fremden auch aus dem eigenen Universum treiben.

Ein großes Problem sind weiterhin die Kesawain. Holger M. Pohl schafft es nicht, sie wirklich fremdartig und bedrohlich erscheinen zu lassen. Ihre Vorgehensweise ist zu vertraut. Selbst Karl May hat ähnliche Ansätze versucht. Andreas Suchanek in seiner „Heliosphere 2265“ Serie hatte ebenfalls große Probleme, die großen Alten aus ihrem Raumzeitgefängnis befreit wirklich überzeugend zu beschreiben. Nicht selten ist die Phantasie der Leser stärker als die Ausdruckskraft einzelner Autoren. Das ist leider auch in der vorliegenden Tetralogie der Fall. Immer wieder verfällt Holger M. Pohl nicht nur bei seinen Beschreibungen, sondern auch deren Handlungen in zu menschliche Muster, bekannt aus einer Reihe von Pulpromanen.

Wenn der Autor schließlich den Plot positiv ambitioniert, negativ ein wenig zu stark konstruiert abschließt, dann bleiben zu viele Fragen offen.  Im Grunde wollte Holger M. Pohl fast zu viel mit den zweifachen Schurken – die Kesawain und lange Zeit auch der Trooid Besetzer -  und deren komplizierten, aber rückblickend nicht mal komplexen Plänen. Weniger und auffälliger wäre deutlich mehr gewesen. Es stellt sich auch die Frage, warum die Clanhändler Darkwood nicht viel früher und effektiver ausgeschaltet haben, damit ihre Rückkehrpläne nicht in Gefahr geraten? Aber wie bei einem James Bond Film, sollte sich der Leser von der stringent erzählten, aber stellenweise zu viele  Nebenebenen bildenden Handlung wenigstens mitziehen, aber angesichts einzelner Längen nicht mitreißen lassen.

Die Tetralogie ist ein solider Beitrag zum „Rettungskreuzer Ikarus“ Universum, aber leider wird das Potential vor allem des ersten Bandes mit dem ansprechenden Titel „Dreißig Minuten“ im Laufe der weiteren drei Romane eher verschenkt. Die Idee, das die Ikarus Besatzung überwiegend passiv den Schicksalen zuschauen muss, ist interessant, wird aber derartig distanziert erzählt, das die Wirkung fast verpufft. Die anfänglich eindimensionale Zeichnung der Schurken wird im Laufe der letzten beiden Romane relativiert und Holger M. Pohl geht zu einer differenzierten Charakterisierung über. Aber das kommt fast zu spät und wirkt auch inhaltlich eher nachgeschoben, so dass das Finale wie ein Hollywood Film viel Feuerwerk, aber wenig notwendige Tiefe enthält.

Rettungskreuzer Ikarus 80: An den Horizont

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (15. März 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 100 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864027624
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864027628