Deutschland in den Schatten 3- Die graue Eminenz

Hans Joachim Alpers

1995 veröffentlichte Hans Joachim Alpers den monumentalen Abschlussband seiner „Deutschland in den Schatten“ Trilogie. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt erhielt der norddeutsche Autor wie für den ersten Teil auch für das Abschlussabenteuer den Krud Lasswitz Preis als bester Roman.

 Wie das „Shadowrun“ Spiel versucht der Autor konsequent die beiden Genres Fantasy und Science Fiction mit einem Schwerpunkt Cyberpunk miteinander zu verbinden. Das wird vor allem bei der verblüffenden Enttarnung der „Grauen Eminenz“ am Ende des Buches deutlich. Bis zum furiosen, aber teilweise kapitalistisch auch ein wenig pragmatischen beschriebenen Finales ist es ein weiter Weg. Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass neue Leser mit diesem dritten Band erst in die Trilogie einsteigen, hat Hans Joachim Alpers augenzwinkernd eine Zusammenfassung der Ereignisse im Köcher. Zielgruppe dieser wirklich geballt bis teilweise verwirrend präsentierten Informationen ist allerdings nicht im Kern der Leser, sondern es ist Thor Walez, dem ordentlich vor dem Showdown der Kopf zurecht gerückt wird.

 Der Reigen der Handlungsorte ist eine bunte Mischung aus von Hans Joachim Alpers entwickelten dekadenten Technologiehochburgen und magisch mystischen Orten. Die Reise beginnt in Berlin. Das Titelbild des ersten Buches und in der Neuauflage auch des Sammelbandes deutet darauf hin, dass die ehemalige Bundeshauptstadt hinsichtlich des Erscheinen der mystischen Figuren eine Art Wendepunkt gewesen ist. Auch wenn die einleitenden fiktiven sekundärliterarischen Zitate sich zu Beginn mit der Hauptstadt beschäftigen, erweitert Alpers das Spektrum im Laufe des Romans. Der zweite Band der Trilogie „Die Augen des Riggers“ konzentrierte sich in dieser Hinsicht ausschließlich auf Hamburg.

 Von Berlin geht die Reise nach Rügen. Auf der Ostseehalbinsel findet eine Art Rollenspiel statt, bei dem sich Jessi und Thor Walez einigen Aufgaben hinsichtlich ihrer Zukunft stellen müssen. Wahrscheinlich wollte Hans Joachim Alpers der Tradition des zugrunde liegenden Spieles folgen. Natürlich sind die einzelnen Herausforderungen und damit auch die ihnen verbal gestellten Fragen in dieser Form nicht wirklich zu beantworten. Die Passage wirkt gedehnt und hinterlässt im ansonsten unglaublich temporeichen Roman auch seine Schleifspuren. Das Ergebnis dieser Herausforderung und damit der Bitte um Asyl ist weniger konsequent als fatalistisch.

 Ein weiterer mystischer Platz sind die Externsteine im Teuteburger Wald. Die Verbindung zwischen Magie und Aberglauben im Gegensatz zu der sterilen Welt der Rigger überzeugt mehr. Hinzu kommt, dass Alpers die Szene mit einem von mehreren Actionfeuerwerken enden lässt. Ab diesem Moment befinden sich Thor und Jessi wieder auf der Flucht und der ursprüngliche Plan, gegen das Establishment und ihre betrügerischen Auftraggeber zurückzuschlagen muss relativiert werden.

 Der dritte bekannte mystische Ort ist der Harz nicht nur mit dem Brocken natürlich zur Walpurgisnacht. Die Nacht der Hexen.  Auch die Nacht, in welcher die Hexenkraft und damit die Magie am kräftigsten ist. Wie bei den Externsteinen verbindet Alpers alte Traditionen mit einer modernen Handlung.

 Die Reise findet ihren Abschluss auf Helgoland. Ein Ort, der erstaunlich nahe liegt und trotzdem fern abseits der Betrachtung des Lesers, aber auch der Protagonisten ist. Gut gesichert, abgeschirmt von der sonstigen Welt und gleichzeitig ein zukünftiges Machtzentrum. Auch auf Helgoland verbindet der Autor nicht nur in der Gestalt des hintergründig agierenden Protagonisten Vergangenheit und eine perfide Zukunft miteinander.

 Dazwischen findet sich allerdings auch zwei klassische High Tech Passagen. Neben Berlin geht es kurzzeitig zurück nach Hamburg, wobei Hans Joachim Alpers diese Rückkehr wie eingangs erwähnt nutzt., um Thor den Kopf zu waschen und die Leser auf den neusten Stand hinsichtlich der ganzen Trilogie aus einer sehr pragmatisch realistischen Perspektive zu bringen.

 Der zweite Ort ist Bremerhaven. Die Stadt ist von den Hochwasser begraben worden. Aber es gibt dort ein Labor mit den Beweisen, von denen Thor bei seinem Run im zweiten Buch Spuren in den Servern der AG Chemie gefunden hat. Wie in „Die Augen des Riggers“ überzeugen die „Deutschland in den Schatten“ Romane noch mehr, wenn Hans Joachim Alpers eine klaustrophobische Atmosphäre mit einer dem amerikanischen Action Kino entlehnten Mission der Verzweifelten verbindet. Die Unterwasserattacke in Hamburg im zweiten Roman der Trilogie war vielleicht noch intensiver, noch überrascher und vor allem auch noch detaillierter, aber am Ende dieses zweiten Manöver steht Thor Walez beweistechnisch weiterhin mit leeren Händen dar, aber er kennt wie der Leser inzwischen einen relevanten Teil der Konzernmotive, welche mit menschlichen Experimenten die zweite Ebene zu erreichen suchen. Die Verbindung nicht nur von Mensch und Technik, sondern Magie und Technik. Eine Art magische virtuelle Welt, in welcher sich die begabten Wesen mit unglaublicher Macht wie die Deker oder auch Rigger bewegen können.

 Neben den verschiedenen, wie bei allen drei Büchern detailliert und vor allem mit vielen kleinen interessanten Ideen gespickten zahllosen Handlungsorten führt Hans Joachim Alpers auch in Form der neu und wieder auftretenden Personen im Grunde alle Handlungsstränge seiner umfangreichen, sehr komplexen Trilogie nach und nach zusammen. Alleine der Aufbau des dritten Buches zeigt, wie besessen Hans Joachim Alpers die Serie geplant hat und das es ihm nicht nur um ein reines Actionabenteuer vor dem Hintergrund des Spieluniversums gegangen ist.    

 Von den Protagonisten her ist Dreh- und Angelpunkt Thor Walez. Wie bei William Gibson sind die männlichen Protagonisten aus ihrer eigenen Perspektive wahrscheinlich cool, aber unter der rauen Schale auch sehr verletzlich. Lange Zeit kann Thor Walez nur reagieren. Ein Run nach dem Anderen geht aus unterschiedlichen Gründen schief. Nicht, weil er seine Auftraggeber betrügt, obwohl er zu Lebensversicherungen greift, sondern weil das Spielniveau mindestens einen Schritt über seinem bisherigen Erfahrungshorizont Liegt. Hans Joachim Alpers liebt Doppelungen; Deja Vu Situationen, mit denen er vor allem Thor konfrontiert. Zweimal verliert er die „Liebe“ des Augenblicks, aber nicht seines Lebens. Am Ende muss er erkennen, dass Gefühle und Liebe zwei unterschiedliche Schuhe sind. Allerdings schenkt ihm Hans Joachim Alpers in einer der emotionalen Wendungen auch ein persönliches Happy End, das eine Reihe von potentiellen Missverständnissen den zweiten Roman dominierend überzeugend auflöst.

 Im Gegensatz zu vielen anderen Science Fiction Serien ist Thor Walez nur im Team brauchbar. Wie bei den frühen Cyberpunks legt Hans Joachim Alpers drauf wert, dass Erfolge nur als echte Teamwork erzielt werden können. Ironisch erscheint, dass diese Herangehensweise auch für die Schurken gilt.

Aus „Das zerrissene Land“ greift der Autor auf den Zwerg Rem zurück. Den Lenker des Wuppertaler Zombietowns. Rem ist deutlich mehr als er vorgibt. Er ist eine der wenigen erfolgreichen Verbindungen zwischen Magie – passiv – und Technik – ebenfalls eher passiv-, der hinter die Kulissen schauen kann und immer an der richtigen Stellen die entscheidenden Leute kennt. Während Rem im ersten Roman nur einen Kurzauftritt von allerdings entscheidender Bedeutung gehabt hat, wirkt er dreidimensionaler und pro aktiver im abschließenden Roman der Serie.

 Mit Druse und Jessi lässt Hans Joachim Alpers zwei Figuren aus dem zweiten Buch an Thor Walez Seite. Jessi ist eine interessante Protagonistin. Im Gegensatz zu Natali aus „Das zerrissene Band“ mit ihrer absolute klassischen Cyberpunk Haltung inklusiv der allgegenwärtigen Spiegelbrillen. Am Ende entpuppt sich Natali als eine junge Frau, die nicht nur ihrem Ehemann, sondern ihrem ehemaligen Leben entflohen ist. Jessi scheint sensibler, aber nicht wenig fähig zu sein. Die letzte Liebesgeschichte der Trilogie endet auf einer süßsauren Note, wobei Hans Joachim Alpers in einer der konstruiert erscheinenden Wendungen relativ schnell für „Ersatz“ sorgt.

 Ricul ist Natalis Halbbruder und jagt Thor Walez. Dieser kann es sich nicht erklären, denn schließlich ist er an Natalis Schicksal unschuldig. Die Zusammenhänge werden erst gegen Ende der Trilogie zusammen mit der einzigen aus dem Nichts erscheinenden Überraschung aufgeklärt. Ricul als Verbündeter der Killerelfen ist ein interessanter, stoischer Charakter, der jemanden zu rächen sucht, der sich seinen Weg absichtlich und weit vorausschauend ausgesucht hat.

 Pedersen ist Natalis ehemaliger Ehemann, ein Sadist und Mitglieder oberen Leitungsebene der AG Chemie. Hans Joachim Alpers beschreibt ihn relativ einseitig, greift absichtlich auf die Klischees zurück. Für den Autoren handelt es sich um einen klassischen wie klischeehaften Kapitalisten, der mit jeder Fraktion ins Bett geht, wenn es ihm hilft. Die finale, allerdings nur kurzzeitige Wendung wirkt nicht nur für Thor Walez überraschend, für den Leser macht sich angesichts der herrschenden Verhältnisse keinen Sinn. Aber da Pedersen Thor Walez beginnend ab der Mitte des ersten Romans durch vor allem das mittlere und nördliche Deutschland hetzt, kann an die Ausarbeitung eines derartigen Antagonisten nicht viel Platz verschwendet werden.

 Die graue Eminenz ist final eine Überraschung. Während die Cyberpunks sich immer gen Japan orientiert und den technologisch den Amerikanern überlegenden Fortschritts des Reiches Nippon glorifiziert haben, konzentriert sich Hans Joachim Alpers allerdings als eine Art Allegorie auf China. Der Charakter, der buchstäblich die Puppen tanzen lässt, ist eine interessante Gestalt, die einen viel zu kurzen Auftritt in der Trilogie hat.

 Zusammenfassend ist „Die graue Eminenz“ nicht nur ein sehr zufrieden stellender Abschluss der ganzen Serie, sondern fasst viele Stärken und nur ganze wenige Schwächen mit einem kontinuierlich durchgetretenen Handlungsgaspedal manchmal zu Lasten der Übersichtlichkeit, aber auch Glaubwürdigkeit gut zusammen.

 Hans Joachim Alpers setzt Magie pragmatisch ein und sieht in ihr eine Alternative, aber keine „Deus Ex Machina“ Rettung für die immer technokratischer und damit auch perfider werdende Welt des Cyberpunks. Im Gegensatz zu vielen späten stereotypen Cyberpunk Geschichten nutzt er die markanten Merkmale des Subgenres effektiv, an einigen Stellen auch augenzwinkernd vor einem deutlich erkennbaren deutschen Hintergrund. Das soll nicht nationalistisch oder patriotisch erscheinen. Dazu ist sein Deutschland zu sehr durch Eigenverschulden, aber auch fremde Einflüsse vor die Hunde gegangen und hat sich im Grunde in isoliert zueinander stehende Bestandteile aufgelöst. Aber neben den angesprochenen bekannten Orten und Plätzen überträgt der Autor die regionale Mentalität wie aus dem Kohlenpott im ersten Roman der Trilogie in einer „Blade Runner“ Zukunft, in einen von den Konzernen und Konglomeraten, aber nicht mehr der Politik beherrschten Überwachungsstaat, in welchem sich jeder selbst der Nächste ist. Diese differenziert entwickelte, in den Details immer überzeugende Hintergrund lenkt positiv von den kontinuierlichen Verfolgsjagden, Schusswechseln und den wenigen, dann aber wenig erotisch beschriebenen Sexszenen positiv ab.

 „Deutschland in den Schatten“ ist Hans Joachim Alpers Magnum Epos.  Der Beweis, dass er nicht nur ein überdurchschnittlicher Herausgeber und feiner Kommentator im Rahmen der „Moewig“ Science Fiction gewesen ist, sondern auch als Autor mehr als überzeugen konnte.

Die Verbindung zwischen Literatur und Spiel ist perfekt. Auch wer nicht gerne spielt, wird in diesen drei umfangreichen Romanen so viel zu entdecken finden, das die Lektüre auch mehr als fünfundzwanzig Jahre nicht nur Spaß macht, sondern unterstreicht, das einige Klassiker des Cyberpunk Subgenres in Ehren gealtert sind und heute moderner und realistischer erscheinen als es die Autoren in den achtziger und neunziger Jahren sich je haben erträumen können.            

Die graue Eminenz: 12. Roman. Pandur-Trilogie 3 (Heyne Bibliothek der Science Fiction-Literatur (06))

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne (1. Januar 1995)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 508 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 345307971X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453079717