Terra Astra 8- Nova orbit

Ivor Iggensen

Mit “Nova Orbit” erschien eine art Episodenroma um die gigantische Raumstation im Erdorbit. Hinter dem Pseudonym Ivor Iggensen versteckte sich der DDR Science Fiction Schriftsteller Carlos Rasch. Im Gegensatz zu dem 1966 entstandenen Roman „Der Untergang der Meridian“, der als Terra Nova 24 gekürzt in der Bundesrepublik nachgedruckt worden ist, handelt es sich bei „Nova Orbit“ anscheinend um eine Originalveröffentlichung. Die Lektoren haben sich keine Mühe gegeben, den osteuropäischen Charakter mit Bezeichnung wie „Held der...“ durch westliche Begriffe zu ersetzen.

 Die fünf Geschichten sind thematisch nicht miteinander verbunden. Zwar werden relevante Ereignisse aus einer der vorangegangenen Storys erwähnt, sie beeinflussen haben die jeweilige Haupthandlung nicht. Nur die Charaktere – direkt oder indirekt – sowie die moderne Station NOVA ORBIT verbinden die einzelnen Texte. Im Gegensatz zu den utopisch technischen Texten seiner Mitautoren konzentriert sich Carlos Rasch aber auch auf die Menschen, die Besatzungsmitgliedern und lässt es sich in der Admiralität zu Gunsten von Improvisation im Vergleich zu sturem Gehorsam menscheln.

 „Die Anfrage“ verbindet Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. Alexander Peerth ist der Kommandant der Station und erhält von der Erde die Bitte, den Kurs von Eisbergen zu überprüfen, die sich zur Versorgung der Menschen auf dem Weg aus der Antarktis nach Australien befinden. Das erinnert ihn an zwei Kinder, die vor seinem zweiten Flug auf der Erde in seiner Sandkiste eben dieses Szenario schließlich mit seiner Hilfe durchgespielt haben. Sollte es sich um den damaligen Jungen handeln? Carlos Rasch konzentriert sich auf das Thematik Verantwortung und Verantwortlichkeiten. Während die meisten Offiziere diese Anfrage als unter ihrer Würde ablehnen, erinnert sich Peerth an die Träumen des Jungen und macht seinem Personal klar, dass auch Nichtigkeiten wichtig sein können.

 Zwei Geschichten handeln von der Liebe. In „Verlobung im Orbit“ muss ein Astronaut von seinem Koller befreit werden, die Erde nicht mehr betreten zu wollen. Auf der anderen Seite gibt es die Bordpsychologin Nora, die immer wieder die Heiratsanträge der jungen Männer ablehnt, damit sie endlich nach erfolgreichen Missionen in den Tiefen des Alls zur Erde zurückkehren und dort ihr wahres Glück finden. Eine gefährliche Mission bringt die Beiden natürlich zusammen. Der Plot wirkt mechanisch und vorhersehbar. Die neu entdeckte Liebe wieder zur Erde kommt zu schnell auf. Aber die Zeichnung der Protagonisten ist gut, dank der Psychologin werden einige Themen der modernen Raumfahrt und den langen Aufenthalten im All angeschnitten.

 Dagegen besteht „Die Verliebten von Luna Gor“ vor allem aus einer sehr langen Rückblende, in welcher einer der Offiziere an Bord der NOVA ORBIT davon berichtet, wie er dem perfekten Liebespaar kurz vor ihrer Hochzeit stehend nicht nur die Karriere, sondern auch die Liebe gerettet hat. Wie eingangs erwähnt ist es die Geschichte, in welcher Carlos Rasch bewusst das Kastendenken des Militärs und damit auch der Raumfahrtorganisation zu Gunsten ein wenig Frechheit und Wagemut auf den Kopf stellt.  Wie in „Verlobung im Orbit“ dienen die menschlichen Beziehungen eher als eine Art Mittel zum Zweck. „Die Verliebten von Luna Gor“ präsentiert auch den größten militärischen Apparat, während in den anderen Texten der erdnahe Orbit als moderner, aber nicht erdrückender Hintergrund dient, vor dem sich wie bereits ausgeführt in erster Linie menschliche Geschichten, aber keine Tragödien abspielen. Carlos Rasch vertritt weiterhin die Fraktion des nicht unbedingt grenzenlosen, aber konsequenten technischen Fortschritts. Allerdings ohne die Hurrarufe auf die Partei oder gar den großen russischen Bruder. Die Erde scheint eine Gemeinschaft geworden zu sein, in welcher es keine Nationalstaaten mehr gibt. So wird ein Eisberg vor der australischen Küste beobachtet; der Absturz einer Frachtrakete über dem dicht bevölkerten Italien verhindert und nur in „Die Verliebten von Luna Gor“ trägt der oberste Verantwortlich für die Raumflotte zwar einen russischen Namen, verhält sich aber eher wie ein aufgeklärter Amerikaner.     

 Die längste und beste Geschichte ist „Raumschlepper Herkules“. Dabei steht nicht dieser alte aber zuverlässige Bolide im Mittelpunkt der Handlung, sondern ein junger Kommandant, der das Raumschiff interimistisch für eine Rettungsmission übernehmen soll, während im All aufgrund eines ankommenden Asteroidenschwarms alle anderen Raumschiffe aus der Gefahrenzone bzw. die NOVA Orbit bis auf die absolute Sollstärke evakuiert werden. Carlos Rasch führt gleich zu Beginn eine Idee ein, welche er in „Hotel für Fabrikate“ zum Abschluss noch extrapolieren sollte. Mehr und mehr haben Androiden oder Roboter wichtige Positionen übernommen. So wird in dieser kritischen Phase jedes Besatzungsmitglied von einem Roboter begleitet, der bei Gefahr eingreifen kann. Natürlich nur bei eingreifbaren Gefahren. Aber sowohl ein in Raumnot geratenes Raumschiff wie auch die Kolonisten auf dem Mars müssen in einer waghalsigen Rettungsaktion unterstützt werden, welche nur der Raumschlepper HERKULES übernehmen kann. Allerdings verfügt das Raumschiff über keinen Kommandanten und der einzige Freiwillige lehnt diese Mission anfänglich ab. Erst hat er Angst, nicht rechtzeitig zum Start des eigenen Raumschiffs zurück zu sein, später spricht er von einer gewissen Raummüdigkeit. Alles keine Attribute, die osteuropäische Helden des Volkes auszeichnen könnten. Aber die Rettung eines Freundes steht über allem und der größte Teil der Geschichte besteht aus Rechtfertigkeit, das die von ihm aus Freiwilligen rekrutierte Crew eben nicht den Ansichten der Raumbehörde entspricht, aber mutig und zuverlässig ist, aus Fehlern und Arroganzanfällen gelernt hat und sich rehabilitieren möchte. Die Argumente fliegen hin und her, wobei Carlos Rasch den mutigen jungen Kommandanten abschließend gewinnen lässt. Die eigentliche Mission findet anschließend im Off statt.

 In „Hotel für Fabrikate“ spielt Carlos Rasch schließlich mit den drei Robotergesetzen, welche die inzwischen auf einem Außenstützpunkt autark agierenden Roboter, sich selbst Fabrikate nennend umgedichtet haben. Ein Expeditionsmitglied strandet in diesem besonderen Hotel und muss sich vor einer Reparatur schützen. Die Geschichte ist voller bizarrer Ideen und ragt durch die ausgesprochen selbstständigen Fabrikate im Gegensatz zu den bisherigen klassischen Robotermodellen der ersten vier Storys aus der Masse heraus. Carlos Rasch spielt mit den drei Robotergesetzen, nennt aber nicht deren geistigen Vater. Auch „Hotel der Fabrikate“ zeichnet allerdings ein sehr abruptes Ende aus. Aber wie bei einigen anderen Texten dieser Sammlung ist der Weg auch heute amüsanter und vor allem stilistisch ansprechender geschrieben als viele andere utopisch technische Stoffe aus dem damals anderen Deutschland.

 Es gibt eine Reihe von Geschichte, die auf gigantischen Orbitalstationen spielen und aufeinander aufbauen. Auch wenn Carlos Raschs Schöpfung ein wenig gigantischer, aber auch sehr viel ambivalenter ist ragt sie nicht aus der Masse heraus. Für einen Roman der siebziger Jahre geht der Autor allerdings schon sehr vorsichtig mit Atomkraft um. Sie darf in der Nähe der Erdatmosphäre nicht mehr verwandt werden. Die Charaktere sind solide bis überzeugend gezeichnet, auch wenn vor allem die Frauen abschließend wieder den weiblichen Klischees des Genres entsprechend. Heldentaten werden entweder direkt vor den Augen der potentiell zukünftigen Frau begangen oder im Off. Aber ihnen gehen immer eine Reihe von menschlichen Entscheidungen voraus. Auch wenn Disziplin und Mut wichtig sind, dominieren sie nicht ausschließlich die Handlung und werden durch menschliche Bauchentscheidungen perfekt ergänzt. Die Plots sind in Ehren gealtert, spiegeln aber nicht das kommunistisch sozialistische Sendungsbewusstsein der DDR Literatur wieder, sondern lassen sich mit ein wenig Patina und dem Flair der sechziger Jahre auch heute noch solide lesen. Zumal wenn man weiß, dass Igor in Wirklichkeit ein Carlos ist.   

Moewig Terra Astra Nr.: 8 - Iggensen, Igor: Nova Orbit Z(1-2)

Terra Astra Heftromnan 8

66 Seiten