Clarkesworld 180

Neil Clarke (Hrsg.)

Die Vorabendausgabe zum 15. Geburtstag des Online Magazins präsentiert sich mit einem bunten Reigen ausgesprochen interessanter und vor allem thematisch vielschichtiger Kurzgeschichten. In seinem Vorwort blickt Herausgeber Neil Clarke in die Vergangenheit und gleichzeitig auch in die Zukunft. Julie Novakova schreibt in „Under Pressure“ über das in den Tiefen der Meere aufgefundene Leben, aber weniger über Science Fiction, die unter Wasser spielt.

Die beiden Interviews mit Cat Rambo und Nina Allan konzentrieren sich auf den Kurzgeschichtenmarkt und die jeweilige Entwicklung der Autorinnen in den letzten Jahren. Arley Sorg achtet sorgfältig auf die Antworten und baut dementsprechend die nächste Frage darauf auf. Das unterscheidet diese Interviews von den zahllosen distanzierten Frage- und Antwortspielen verschiedener Online- Redaktionen.

Insgesamt sieben Kurzgeschichten werden präsentiert. Dabei handelt es sich um zwei Übersetzungen. „Yesterday´s Wolf“ von Ray Nayler eröffnet die Ausgabe. Die Welt ist nach einem nicht näher beschriebenen Krieg auf ein primitives Niveau zurückgefallen. Die Nomadenvölker kehren an ihre alten Lagerplätze und Yurten zurück. Elmira lebt in einer dieser kleinen Familien, allerdings reißen die Wölfe immer wieder Schafe. Durch Zufall findet sie in einem Graben einen alten Wardog, einen mechanischen Kampfhund, dessen Batterien sich entladen haben. Sie programmiert und repariert die Kampfmaschine, um ihre Familie gegen die Wölfe zu schützen. Eine weitere Gefahr droht der Familie von marodierenden Nachbarn, die gerne Frauen entführen, um ihre Population konstant zu halten.

Ray Nayler hat eine interessante Post Doomsday Geschichte geschrieben, die sich allerdings auch an einigen Klischees entlanghangelt. Elmiras Fähigkeiten sind viel zu pragmatisch passend, als das wirklich Spannung aufkommen kann. Alle sozialen Konflikte verlaufen am Ende nicht unbedingt im Sande, aber auf dem harten Boden des alltäglichen Überlebenskampfes. Für eine Kurzgeschichte ist der Plot zu umfangreich, so dass die Spannungsbögen darunter leiden. Aber sollte sich der Autor entscheiden, daraus eine Novelle zu machen, verfügt der Plot über einiges an Potential.

D.A. Xiaolin Spires „Xiaolongbao“  beschreibt auch das Schicksal eines jungen Mädchens, das kurz nach der Landung auf einem neuen zu kolonisierenden Planeten seine Mutter verloren hat. Ihre Mutter hat aber nicht nur ihr, sondern einer Freundin Traditionen hinterlassen, damit sie an die Toten Gedenken können. An einem dieser Todestage droht vom Himmel Unheil. Die beiden jungen Mädchen versuchen aber die Zeremonie durchzuziehen. Das Ende der Geschichte ist zu offen und wenig inspiriert. Die Idee, das die vor allem chinesischen Traditionen auf einem anderen Planeten weitergeführt werden können, wird vielschichtig beschrieben, treibt allerdings den eher rudimentären Plot zu wenig an.

Zu den längeren Beiträgen gehört „The Winter Garden“ von Regina Kanya Wang. Interessant ist, dass auch die Protagonistin Wang heißt. Im Gegensatz zu den verschiedenen anderen Heldinnen dieser „Clarkesworld“ Ausgabe gehört diese Wang zu den Frauen, die ein Leben lang anscheinend immer die falschen Entscheidungen treffen.  Sie arbeitet schließlich wegen dieser vielen nicht getroffenen Entscheidungen im Grunde an dem einzigen Ort, an dem ein Protagonist in einer Science Fiction Geschichte sein Leben entscheidend verändern kann. In einem Labor, das sich mit einem ambivalent beschriebenen, wissenschaftlich schwer zu erklärenden zwischendimensionalen Reiseprozess beschäftigt.

Ein Mitstudent hat tatsächlich sein anderes Ich aus einer anderen Dimension getroffen.  Die Geschichte krankt an zwei Punkten. Wie ein altes Sprichwort sagt, man nimmt sich immer selbst mit auf jede Reise. Da hilft es auch nicht, einmal eine richtige Entscheidung zu treffen oder schnell zu sein. Auch die Idee der zwischendimensionalen Reise wird zu wenig nachhaltig erklärt und dient im Grunde als eine Art moralischen MacGuffin. Es ist schade, dass die Autorin das durchaus vorhandene emotionale Potential der Geschichte zu wenig extrapoliert und abschließend belehrend den Leser zurücklässt. 

Die schrägste Geschichte ist mit dem längsten Titel Timons Esaias „Excerpts from the Text of an Explanatory Stele Erected for Our Edification by the Scholars of the Outer Orion Tendril”. Natürlich hat der Titel wirklichg gar nichts mit dem in Pennsylvania spielenden Plot zu tun. Aus einer Erdpalte kommt eine pinke zähflüssige Masse, die scheinbar intelligent ist. Bestimmte Geschäfte und Bars werden bedroht. Mehr und mehr quillt dieses Zeug aus dem Inneren der Erde. Anstatt die bizarre Idee als eine Metapher auf die fortschreitende Umweltkatastrophe zu nutzen, beginnt sich der Autor in diesem grundsätzlich wirklich kurzen Text zu wiederholen und führt Argumente ins Feld, die proklamatisch in dem bizarren Schleim untergehen. 

Ziggy Schutz macht es in ihrer sehr rührseligen Geschichte besser. Nirah- 89 ist ein Kommunikationssatellit, dessen Aufgabe den Titel der Geschichte „It Is A Pleasure to Receive you“ gut wiedergibt. Der einzige Mensch an Bord Simon nimmt Radiotransmissionen auf, sortiert sie nach Wichtigkeit und archiviert sie.  Die Aufgabe ist langweilig, aber der Einzelgänger Simon hat auch keine Lust, auf den Planeten zurückzukehren. Er reagiert gegen seine Anweisungen auf eine Botschaft und antwortet direkt. Mit Lyric lernt er ein junges Mädchen kennen, das wie er soziale Anpassungsprobleme hat. Zwei Monate später treffen sie anruftechnisch auf Nova und formen einen sozial emotionalen Schmelztiegel der Menschheit, egal ob auf der Erde und einem Kolonialplaneten. Am Ende müssen sie natürlich ihre Körperpanzer im metaphorischen Sinne durchbrechen, um zusammenzukommen.

Der Plot entwickelt sich langsam, aber im Gegensatz zu einigen anderen Autoren konzentriert sich Ziggy Schultz auf die wirklich dreidimensionalen Charaktere und kommt sogar mit einem leicht kitschigen Happy End weg, das dieses lange Zeit konsequente Kammerspiel emotionaler Widerstände positiv durchbricht.

Robert Jeschoneks „Dog and Pony Show” ist eine zweite Geschichte, in welcher Tiere und Roboter eine wichtige Rolle spielen.  Beneathy ist ein Junge, der mit seinem Hund Wazoo spielt. Aber Wazoo entspricht nicht den menschlichen Vorstellungen eines Hundes. Es ist ein stacheliges Biest, das fliegen kann. Alle Tiere sind auf diesem Planeten verfremdet. Im Wald trifft der Junger auf weitere bizarre Figuren.  Anscheinend ähneln diese eher den menschlichen Vorstellungen.  Der Plot ist geradlinig und wenig überraschend, allerdings präsentiert Robert Jeschonek am Ende der Story eine wirklich gute Pointe. Der seltsame Hintergrund der Geschichte wird erläutert und viele Fakten klarer.  

Gregory Feeleys „In a Net I Seek to Hold the Wind” besteht aus einem interessanten und für das Genre einzigartigen Projekt. Einer der Neptunmonde soll in die Atmosphäre des Planeten an einer Art Kabel heruntergelassen werden. Die für das Projekt verantwortlichen Ingenieure und ihre Familien leben in ausgehöhlten anderen Monden des Neptuns.

Die Charaktere wirken nicht unbedingt sympathisch und die Idee des Generationenprojekts und vor allem der über die Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte veränderten technologischen Perspektive werden zu langsam herausgearbeitet, als das der Leser wirklich überzeugt werden kann. Auch ist die grundlegende Forschungsidee fast zu absurd,   um trotz ihrer technischen Originalität überzeugen zu können.

Am Ende bleiben wie eingangs erwähnt einige interessante und thematisch sehr unterschiedliche Kurzgeschichten im Gedächtnis. Nicht alle Themen sind überzeugend umgesetzt, aber Neil Clarke bemüht sich immer, abseits des Spektrums zu fischen und das bürgt natürlich auch ein höheres Risiko, nicht alle Lesererwartungen erfüllen zu können.

cover

E Book, 122 Seiten

www.wyrmpublishing.com