Erlebte Vergangenheit und Gestaltete Zukunft

Heinz J. Galle

Zum 85. Geburtstag Heinz J. Galles legt Dieter von Reeken den ursprünglich schon vor mehr als zwölf Jahren veröffentlichten „Doppelband“ „Erlebte Vergangenheit und gestaltete Zukunft“ erweitert neu auf. Neben einigen neuen Fotos findet sich eine weitere Kurzgeschichte aus dem Jahr 1961 sowie das Schlusskapitel des nur noch antiquarisch zu erhaltenden Buches „Zwischen Tecumseh und Doktor Fu Man Chu“ aus dem Jahre 2007, das als Ganzes eine Neuauflage verdient hätte.
Der Titel des Buches ist Programm. Erlebte Vergangenheit sind die eigenen Memoiren Galles weit über den Beginn der Lese und Sammelleidenschaft hinausgehend. Schon in seinen anderen Publikationen wie den „Volksbücher und Heftromanen“ hat Heinz J. Galle immer persönliche Erinnerungen einfließen lassen. Diese standen aber meistens in einem engeren Zusammenhang mit dem phantastischen Stoff, um den es in den beiden Standardwerken gegangen ist.
Die Erinnerungen beginnen in der Berliner Wrangelstraße. 1936 geboren wuchs Heinz J. Galle zwar unter dem NS Regime auf, aber lange Zeit isolierte sich das alltägliche Berliner Leben noch von der Politik. Es sind auch eher Impressionen als fortlaufende Erinnerungen, die Heinz J. Galle präsentieren kann. Vielleicht ergänzt durch seine lebenslange intensive Beschäftigung nicht nur mit der Literaturgattung, sondern auch der eigenen wie familiären Vergangenheit. Insbesondere die Großeltern und vielleicht noch Elterngeneration der gegenwärtigen Leser und Käufer dieses Buches wird sich mit Schrecken an die Zeit der immer stärker werdenden Luftangriffe, dem Vorrücken des Ostfront gegen die Hauptstadt und vor allem auch dem Verschicken der Kinder auf das „sichere Land“ erinnern. Begleitet von einer Reihe von Fotos lässt Heinz J. Galle diese schreckliche Zeit aus seiner Sicht Revue passieren. Wie andere Autoren – siehe auch Konrad Hansens „Der wilde Sommer“ – gelingt es dem Autoren, die Zeit aus der kindlich naiven Perspektive nachzuerzählen und mit erstaunlicher wie stoischer Widerstandskraft auch in der Katastrophe für einen Moment noch etwas Gutes zu betrachten.
Schon in seinen zahlreichen Sekundärwerken hat sich Heinz J. Galle als lebhaft erzählender Chronist erwiesen, dem es vor allem um eine neutrale, aber nicht manipulierende Perspektive gegangen ist. Diesem Vorsatz bleibt sich der Autor in einem seiner stärksten Teilwerke auch treu. Viele schon in seinen anderen Büchern angerissene Themen werden fokussiert und konzentriert präsentiert.
Jeder Lebensabschnitt ist auch mit einem Ort verbunden. Berlin, Spremberg und Bahrdorf stehen für Ende und Anfang , während sich in Helmstedt mit den Leihbüchereien, aber auch dem Kino endgültig die phantastische Welt auftut. Es folgen schließlich Braunschweig und der langjährige und auch gegenwärtige Lebensmittelpunkt Leverkusen.
Mit dem letzten Kapitel aus „Zwischen Tecumseh und Doktor Fu Man Chu“ stammend schließt sich mit einem klassischen „hätte, wenn und aber“ der Kreis. Aber wie lautet ein populäres Lied… „Die Zeit vergeht im Rückspiegel so schnell“ . Heinz J. Galle hat aus seiner Perspektive das Optimum aus seinem nicht immer einfachen Leben gemacht und ist trotzdem noch voller Tatenkraft.
Im zweiten Abschnitt finden sich „Kurzgeschichten aus sechs Jahrzehnten“. Die erste Veröffentlichung „Er fiel vom Himmel“ stammt aus dem Jahr 1959; die letzte Geschichte aus dem Jahr 2009. Zusammen mit „Theorie und Praxis“ handelte es sich bei „Ultima Ratio“ um eine Erstveröffentlichung in der Erstauflage. Das Spektrum der Veröffentlichungen reicht von heute nicht mehr zugänglichen Fanzines im berühmt berüchtigten Spiritus Umdruckverfahren bis zu professionellen Veröffentlichungen unter anderem in Thomas le Blancs „Sternenanthologien“ des Goldmann Verlages.
Als Autor ist Heinz J. Galle wie sein literarisches Mentor Paul Alfred Müller eher ein Arbeiter am Wort. Er legt sehr viel Wert auf eine kraftvolle Pointe und in einigen Fällen ist der Weg zu diesem schlagkräftigen Ende sehr viel interessanter als der eigentliche Plot. Viele der Texte sind in Ehren gealtert und die jeweiligen Vorbilder sind klar zu erkennen. Vor allem die Texte aus den sechziger Jahre – die erste sehr kreative Phase des auch im Fandom aktiven Galles – sind höflich gesprochen in Ehren gealtert und wirken auch stilistisch eher handwerklich bieder als herausfordernd. Aber zwischen den mehr als zwanzig Geschichten finden sich auch eine Reihe von zeitlosen Texten. Dabei handelt es sich meistens um die professionelleren Veröffentlichungen. Auch bei ihnen lässt sich die Phase ihrer Entstehung ablesen, aber neben besseren Dialogen und vor allem einer dreidimensionalen Entwicklung des Hintergrunds gelingt es Heinz J. Galle, die Protagonisten zugänglich und menschlich – das gilt auch für Außerirdische – zu beschreiben. Dadurch funktionieren die Plots besser und die weiterhin guten Pointen fügen sich harmonischer in das Gesamtbild ein.
Wie schon die Erstausgabe ist das Buch reichhaltig bebildert. Neben sehr vielen Fotos aus Heinz J. Galles Archiv sind es auch zahlreiche Abbildungen und Filmaushangfotos, die begleitend von den historischen Fotos eines untergegangenen Berlins den Leser für diese Essay und Kurzgeschichtensammlung in Stimmung bringen.
Die Neuauflage zu Heinz J. Galles 85. Geburtstag ist wie die Erstveröffentlichung eine Fleißarbeit vom Autoren, aber auch dem Verleger. Wer die Erstauflage besitzt, kann sich fragen, ob die eher umfangtechnisch als inhaltlich geringe Erweiterung einen Neukauf lohnt, wer das Buch aber noch gar nicht hat, lernt auf diese sympathische Art und Weise einen der Experten der phantastischen Literatur auf eine sehr emotionale Art und Weise in doppelter Hinsicht kennen.

Erlebte Vergangenheit und gestaltete Zukunft: Erinnerungen eines Freundes der populären Literatur aus acht Jahrzehnten neb...

  • Herausgeber ‏ : ‎ Reeken, Dieter von; 2., durchgesehene und erweiterte Edition (13. September 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 245 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3945807611
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3945807613
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