Clarkesworld 183

Neil Clarke (Hrsg.)

In der letzten Ausgabe des Jahres 2021 blickt Herausgeber Neil Clarke auf zwei Cons zurück, die er in den letzten Monaten besucht hat. Das wirkt schon fast bizarr, zumal Neil Clarke nach seiner Herzoperation auf jeden Fall in die Risikogruppe gehört.

Julie Novokova schreibt über rote Zwerge. Nach einer wissenschaftlichen Exkursion geht die Autorin auch auf einige wenige Bücher ein, die um rote Zwerge in unserem Universum kreisen.

Arley Sorg führt zwei sehr unterschiedliche Interviews. Diana M. Pho hat eine Anthologie mit südasiatischer Science Fiction zusammengestellt und schreibt nicht nur über deren Kulturkreis, sondern vor allem auch über die Schwierigkeit, neben einem Herausgeber vor allem auch einen Markt zu finden, während Tarun K. Saint noch ein relativ unbeschriebenes Blatt innerhalb des Genres ist, aber mit seinen Kurzgeschichten wunde Punkte berührt. Da Clarkesworld generell ja aus amerikanischer Sicht international ausgerichtet ist, runden diese ausführlichen und vor allem auch sehr gut geführten Interviews den entsprechenden Rahmen ab.

Zwei  Novellen und fünf Kurzgeschichten inklusiv einer Übersetzung bilden den inzwischen strukturell vertrauten Rahmen dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.  Aimee Ogden eröffnet die Ausgabe mit „the Cold Calculations“. Es handelt sich um eine direkte Antwort auf die vor einigen Ausgaben veröffentlichte Story „The Cold Equations“ von Tom Godwin. Es ist nicht notwendig, die erste Kurzgeschichte zu erkennen, aber es erhöht den Reiz. In beiden Storys geht es um eine junge Frau, die sich an Bord eines Raumschiffs geschlichen hat. Damit das Raumschiff erfolgreich sein Ziel erreicht, muss der Flüchtling wegen des zusätzlichen Gewichts eigentlich über Bord geworfen werden. Die Autorin spannt den Bogen weiter und geht auf die lebensgefährlichen Sparmaßnahmen der Konzerne hinsichtlich des Gewichts ein. Lebensgefährlich natürlich nur für die Besatzungen, niemals die Führungsebene. Neben der politischen Agitation, das Menschenleben immer über Profit stehen müssen, präsentiert die Autorin eine pragmatische Lösung. Es ist allerdings ein schmaler Grat, auf dem sich die Autorin bewegt. Das Ausgangselement ist im Grunde ein Verbrechen. Einbruch. Die Flüchtlinge stehlen sich an Bord der Schiffe, deren für diese Lasten nicht berechnet worden ist. An sich ist es für die Crew anscheinend „sicher“. Muss eine Gesellschaft immer mit diesem zusätzlichen Ballast leben, damit alles funktioniert?

Auch in „Vegvisir“ geht es um Menschen in Extremsituationen. Der Protagonist wird auf dem Mars von seinem Fahrzeug im Stich gelassen. Der Mars befindet sich in einem Frühstadion des Terraforming. Die einzige Chance, bis zum Eintreffen von Hilfe zu überleben, ist eine verlassene Station. Wieder ein Rennen mit der Zeit um den schwindenden Sauerstoff, aber Hilfe kommt aus einer nicht nur für den Protagonisten, sondern auch den Leser ungewöhnlichen Ecke.  Während der Plot eher durchschnittlich ist und die Rettung wie eine „Deus Ex Machina“ Auflösung erscheint, sind die Bezüge zur isländischen Kultur und ihrer Naturverbundenheit das einzige originelle Element dieser kurzweilig zu lesenden, aber nicht sonderlich packenden Geschichte.

Aus dem Chinesen ist die Novelle „Other Stories“ übersetzt worden. Wang Yung setzt sich auf einem Handlungsbogen mit einem an Krebs sterbenden Science Fiction Autoren auseinander. Dazwischen finden sich Auszüge aus ihrem Werk, die in einem engen Zusammenhang mit wichtigen Abschnitten des eigenen Lebens stehen. Auf einer weiteren Handlungsebene geht es um ihren Sohn, der sich mit Zeitreisetheorien an einem Forschungsinstitut auseinandersetzt.  Nur ein sehr kurzer Sprung in die Vergangenheit ist möglich. Veränderungen sind möglich. Der Sohn nutzt die Technik anscheinend auf eigene Faust, um in der Vergangenheit das Zusammenleben mit seiner Mutter zu verändern und ihr Verhältnis enger wachsen zu lassen.  Während die wissenschaftlichen Aspekte eher bemüht und vor allem konstruiert erscheinen, überzeugt der familiäre Hintergrund der sterbenden Protagonisten deutlich mehr. Wang Yung schafft es allerdings nicht, die Geschichte auf einer zufriedenstellenden Note enden zu lassen und lässt nicht nur die Leser, sondern auch einige der Figuren abschließend im Regen stehen.

Auch in „Just One Step, and Then the Next” von E.N. Diaz geht es um den Kontakt zwischen Mutter und Sohn. In einer lateinamerikanischen Militärdiktatur verlieren sich Mutter und Sohn aufgrund der immer stärker werdenden Unruhen und vor allem auch der entsprechenden Unterdrückung aus den Augen. Die Mutter versucht den Sohn zu finden und muss schließlich einen hohen Preis dafür zahlen. Als politisches Manifest ohne einen phantastischen Inhalt überzeugt die Geschichte deutlich mehr denn als Drama. Atmosphärisch nihilistisch überzeugend mit gut gezeichneten Figuren, aber leider einem aufgrund der inhaltlichen Kürze zu konstruiert wirkenden Plot.

Auch Amal Singh setzt sich in „A Series of Endings“ mit verschiedenen „Leben“ auseinander. Alle Variation beginnen am gleichen Punkt im Leben des Protagonisten. In seiner Jugend.  Das Spektrum der zukünftigen Lebensabschnitte wirkt allerdings verwirrend. Es reicht von klassischen Science Fiction Motiven inklusiv des ersten Kontakts mit Außerirdischen über Sword & Sorcery Episoden bis zum Alltäglichen. Amal Singh mischt das zwar alles gut durch, aber der Leser kann sich weder mit dem Protagonisten noch mit den einzelnen Episoden wirklich anfreunden. Nur die Jugenderlebnisse bleiben dem Leser länger im Gedächtnis.

Megan Feldmans „Beneath the Earth Where the Nymhs Sleep“ ist eine der schönsten Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe. Die Protagonistin entflieht einem Forschungslabor, in dem die menschliche Genomsequenzen manipuliert werden. Das Ziel ist es, den Alterungsprozess zu stoppen. Allerdings verlangt die Methode sehr viel von den Probanten, so dass die Protagonistin feststellen muss, ein Leben ohne diese Manipulation ist ergiebiger und vielleicht trotzdem länger als sich dem von der Autorin allerdings auch technisch eher ambivalent beschriebenen Prozess zu unterwerfen. Die Figuren sind mit all ihren Stärken und Schwächen überzeugend dreidimensional geschrieben worden, der Handlungsbogen ist deutlich stringenter als bei den anderen Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe und vor allem hat Megan Feldman eine zufriedenstellende und nachdenklich stimmende Pointe parat.

Die zweite längere Geschichte stammt aus der Feder Rich Larsons. „You Are Born Exploding“  lässt sich sehr viel Zeit, den Plot zu entwickelnden. Rich Larson ist inzwischen ein routinierter Autor, der genau weiß, wie er kontinuierlich die Spannungskurve anziehen kann und vor allem auch muss. Es geht zwar um eine Seuche, die aus dem All auf die Erde gekommen ist, aber diese Ausgangsidee wirkt eher wie eine Art Macguffin, um den eigentlichen Handlungsbogen am Laufen zu halten. Der Sohn einer jungen Frau wird infiziert und Rich Larson beschreibt die Folgen ausführlich.

Auch hier wirkt die phantastische Idee eher wie eine Art Schlüssel, um die sozialen Veränderungen zu beschreiben, welche die ambivalent beschriebene und nicht leicht einzudämmende Seuche in der vor allem armen Bevölkerung hervorruft. Rich Larson gelingt es, die Protagonisten in ihrem alltäglichen Leben und Überleben sehr gut zu beschreiben. Angesichts der Corona Pandemie wirkt der Text deutlich aktueller als es vielleicht der Autor im Sinn gehabt hat. Es ist natürlich ein sehr schmaler Grat, überzeugend eine fremde Bedrohung angesichts der gegenwärtigen Zustände zu entwickeln, aber wie eingangs erwähnt dienen die phantastischen Elemente eher als Rechtfertigung, die Geschichte in einem Genremagazin zu veröffentlichen denn als Notwendigkeit.

Die Pointe ist vorhersehbar, aber Hand aufs Herz, angesichts der wenigen der Mutter zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ist es auch schwer, sich anders zu entscheiden. Im Gegensatz zu anderen Storys bemüht sich Rich Larson in dieser längsten „Novelle der Dezember „Clarkesworld“ Ausgabe  zumindest um einen Abschluss und schenkt seinen gebeutelten Protagonisten einen Moment der Hoffnung.

Generell handelt es sich bei der Dezember 2021 Ausgabe von „Clarkesworld“ um eine solide Mischung aus guten Texten, aber auch einigen Storys, die eine bessere Überarbeitung benötigt hätten. Das Titelbild wird den vor allem auch im All spielenden Storys zu wenig gerecht. 

E Book, 122 Seiten

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