Evolution

Stephen Baxter

Stephen Baxters umfangreicher Roman Evolution ist vergleichbar mit einem kleinen Strom, der schließlich nach vielen Irrungen und Windungen in den großen Fluss der DNA mündet. Nach einer Reihe von unterhaltsamen Hard-SF-Romanen, der Fortsetzung zuH.G. Wells Zeitmaschine, dem Alternativweltroman Mission Ares und seinem Multiversum-Exkurs ist Baxter endlich da angekommen, wo er sich selbst sieht: als legitimer Nachfolger von Olaf Stapledon. Beschrieb dieser in seinem Werk die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, geht Baxter einen Schritt weiter. Evolution ist die Geschichte des Lebens an sich. Diese Geschichte kann nicht in einem Roman erzählt werden. Und das versucht der Autor auch gar nicht.

Die eigentliche Geschichte beginnt mit dem Einschlag eines Kometen und dem Aussterben der Dinosaurier. Dabei verzichtet Baxter auf Thesen, die behaupten, dass nur das Aussterben der ersten Könige der Erde die Evolution der Proto-Primaten ermöglichte. Ihm geht es in diesen Szenen um den dramatischen Effekt. In diesem Zeitalter beginnt er seine Geschichte mit einem weiblichen Purgatorius, den ersten Primaten, die die Erde mit den Dinosauriern teilen. Dann springt er in jeder der folgenden Geschichten zehn bis zwanzig Millionen Jahre näher an die Gegenwart heran. Er schildert die klimatischen Veränderungen, aus deren Einfluss sich eine neue Spezies entwickelt, die sich auf dem Globus verbreitet.

Auch wenn Baxter eine dramatische Vision vor dem Betrachter ausbreitet, wird er durch die zugrunde liegende Thematik sehr stark eingeschränkt: Das tägliche Leben unserer Vorfahren bestand aus der Jagd nach Nahrung, der Flucht vor Feinden, Sex und dem Bewerfen mit Fäkalien. In einer Episode liest es sich unterhaltsam, doch selten kann Baxter seine detaillierten Beschreibungen mit dramatischen Momenten füllen.

Sein Spektrum wird breiter, als er die Veränderungen der Zivilisation vom Jäger und Sammler zum sesshaften Landwirt schildert. Für Baxter ist Fortschritt gleichzusetzen mit dem Reifen der Intelligenz. Diese kontinuierliche Fortentwicklung birgt immer das Aussterben des Nichtangepassten in sich.

Eine kurze Episode spielt in Rom – die erste Weltmacht, deren Einfluss auf das Christentum einerseits und der innere Zerfall andererseits für Baxter in der menschlichen Geschichte eine Schlüsselposition einnimmt. Selbst losgelöst aus dem Gesamtkontext überzeugt die drastische Schilderung des Kampfes gegen den Fortschritt und des Versuchs, die Menschen dumm zu halten.

Baxter schließt den Kreis des Prologs, in dem er im Jahr 2031 die Menschheit der Natur gegenüberstellt. Inzwischen hat die Wissenschaft die letzten Türen geöffnet. Der Mensch kann sich kraft seines Willens weiterentwickeln und die Evolution beeinflussen. Damit überschreitet er die Brücke vom Opfer zum Täter. Dagegen stehen die Naturgewalten, hier in Form eines Vulkanausbruchs. Über den Horizont hinausgesehen beschreibt Baxter ein Szenario, in welchem sich die Natur die Herrschaft des Menschen nur bis zu einem bestimmten Grad gefallen lässt. Die bewussten Manipulationen an der DNA fordern Mutter Natur heraus und beenden schließlich die Entwicklung der Menschheit und öffnen eine neue Tür im ewigen Kampf ums Überleben.

Stephen Baxters Evolution braucht weder in einem Zug wie ein Roman noch chronologisch gelesen werden. Es ist ohne Probleme möglich, einzelne Kapitel zu überspringen, ohne das das Gesamtkonzept aus den Fugen gerät. Der Leser nimmt wichtige Details aus den vorangegangenen Kapiteln mit auf die Reise durch die Zeit, aber sie erhöhen nur den Reiz des Buches und tragen nicht zum Verständnis des nächsten grundlegenden Zeitabschnitts bei. Bei einem so umfangreichen Thema wie der Beschreibung des Lebens an sich, ist diese dramatische Unterteilung notwendig. Sie birgt auch eine große Gefahr: Jedes Segment hängt von der Qualität der Nachbarkapitel ab. Einige dieser Abschnitte sind hervorragende Unterhaltung. Zu Beginn schildert Baxter den Einschlag des Kometen nicht als tödliche Bedrohung, sondern romantisch verklärt konzentriert er sich auf das Naturschauspiel und den daraus entstehenden Neubeginn. In den folgenden Kapiteln neigt Baxter nicht nur zu Wiederholungen einzelner Ereignisse, stellenweise ist er auch stilistisch überfordert. Aus der Not heraus greift er auf moderne Begriffe zurück und findet keine Möglichkeit, den Sex der Primaten auf die primitive Ebene der Fortpflanzung zu reduzieren.

Baxters Romane haben sich immer mit der Stellung der Menschheit in diesem Universum auseinander gesetzt. Im Rahmen der Multiversum-Trilogie hat er diese eine Dimension, dieses eine Universum durchbrochen und weitere Alternativen geschildert. In den Mammut-Romanen setzte er sich mit dem Thema Intelligenz bei Tieren auseinander, in seinem umfangreichen Xeelee-Zyklus mit außerirdischer Intelligenz. Doch grundsätzlich behandeln alle seine Romane nur eine einzige Frage: Warum ist der Mensch so vermessen, seine Andersartigkeit zu betonen? Wir sind ein Teil des Universums, warum soll es uns besser gehen als den Spezies, die es vor uns gab? Was unterscheidet uns?

Auch wenn viele Leser vor dem Umfang des Buches zurückschrecken werden, ist Baxters Roman der Versuch, sich dem Leben zu nähern. In dieser verrückten Welt, in der ein Menschenleben nichts zählt, führt er den Leser zu den Wurzeln zurück – zum Töten und zur Zusammenarbeit, um zu Überleben. Wahrscheinlich ist das die eigentliche Idee, die in Evolution steckt: alles wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Wie Olaf Stapledon interessiert er sich für das Schicksal der Menschheit und deren Stellung im Universum. Wahrscheinlich hat Baxter in diesem Buch alles Schreibenswerte erzählt.

 

Evolution: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag (9. Dezember 2013)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 992 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453534476
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453534476
  • Originaltitel ‏ : ‎ Evolution