Die Autorin am Randes des Universums

Rainer Schorm | Jörg Weigand | Karla Weigand (Hrsg.)

Zum 70. Geburtstag der Schöpferin nicht nur von Donnas Kaschemme, sondern vielen anderen Geschichten präsentiert der Verlag p. machinery wieder einen Geburtstagsband mit vielen Geschichten und erstaunlich wenigen persönlich gefärbten Artikeln. Auf den ersten Blick wirkt das in Hinblick auf Monika Niehaus als Persönlichkeit, als Mensch ein wenig enttäuschend, aber überdurchschnittlich viele Geschichten setzen sich mit ihren Schöpfungen, aber ihrer Art auseinander, während die nicht mit dem Geburtstagskind verbundenen Texte über eine erstaunlich hohe Qualität verfügen.

Karla und Jörg Weigand eröffnen den Geburtstagsband mit sehr persönlichen Worten. Ein gemeinsamer Beitrag wäre vielleicht passender gewesen, denn dank ihre rumfangreichen und auf einer sehr direkten ERbene durchgeführten Recherche erschlägt Karla Weigand mit ihrer Mischung aus Fakten und persönlichen Erlebnissen im Grunde alle Themen, die ihr Mann Jörg Weigand in seinem kurzen Beitrag nur noch ergänzen, aber nicht mehr erweitern kann. Auch Michael Wink berichtet in „Gigot chez Monique“ von diesen Arbeitstreffen/ Besuchen, bei denen gut gegessen und gut getrunken wird.

 Das Schöne an diesen Geburtstagsanthologien ist auch ein Lerneffekt für den Leser. Bei einer nuancierten Themenauswahl kann er neue Facetten eines Autoren kennenlernen. Rainer Schorm eröffnet diesen Reigen mit einem Blick auf die verschiedenen gegen den Strom schwimmenden Ratgebern aus Monika Niehaus Feder. Zusammen mit verschiedenen Partnern hat sie sich unter anderem mit dem teilweise ins Absurde gesteigerten Thema der gesunden Ernährung auseinandergesetzt.  Passend dazu ist der Wortwitz von Gerald Bosch, der in Naturverwunderliches ein Feuerwerk der deutschen Sprache im Allgemeinen und der humorvoll sarkastischen Bedeutung mancher Begriffe oder in einigen Fällen aus Worthülsen entzündet hat. Es ist eines dieser Essays, das nach einem lauten, sprachgewaltigen Vorlesen förmlich giert.  

Alexander Roeder schreibt bei „Wie Monika erfolgreich kriminell wurde(aber ich leider nicht)“ von den indirekten möglichen Begegnungen wie beim Sheckley Kurzgeschichtenwettbewerb des Bastei Verlages, aber auch der tatsächlichen Begegnung natürlich in der phantastischen Bibliothek von Wetzlar mit der Gründung der Reihe Karl Mays magischer Orient. Nicht nur für den Autoren, sondern auch die Leser ist es eine kleine Zeitreise durch die Publikationsgeschichte der achtziger und neunziger Jahre.  Andreas Schäfer gibt Einblicke in ein weiteres Pseudonym von Monika Niehaus: Yersinia Fogg.  

Karl Ulrich Burgdorf schreibt in „Neue Abenteuer im Dschungel des Gehirns“ nicht nur über zwei exemplarische Sachbücher, an denen Monika Niehaus mitgeschrieben hat, sondern geht über einzelne persönliche Exkurse auch auf Oliver Sacks Fallstudien ein. Der Artikel unterstreicht, dass die Realität faszinierender ist als jegliche Phantasie der Autoren. Hans- Dieter Furrers „Kleiner Kneipenbummel durch mein Bücherregal“ wäre wahrscheinlich der perfekte einleitende Übergang zu Donnas Kaschemmen Geschichten. Der Autor stellt einige bekannte und weniger bekannte Kneipenszenen aus unterschiedlichen Büchern von Autoren wie Douglas G. Adams – keine Überraschung – bis William Ginson – auch Neuromancer wollen gerne in Gesellschaft etwas trinken – vor. Auch Marianne Labisch zeigt in „Wer ist Donna oder Monika Niehaus?“ auf, wie sehr der positiv gesprochen altbackene normale Ton in der genderbesessenen Gesellschaft herausragt und die Leser daran erinnert, dass nicht wirklich jeder Begriff auf eine tönerne und nicht goldene Waage gelegt werden muss.   

 

Das Beste kommt meistens zum Schluss. In diesem Fall setzt sich Kai Focke mit den inzwischen vielen Geschichten aus Donnas Kaschemme auseinander. Der Autor gibt einen guten Überblick über die Lokalität; die Gastgeberin, die Gäste und die Schurken. Dazu kommen noch diverse Querverweise auf die zahlreichen Anspielungen. Auch für Fans der Serie ein Artikel, in dem es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.  Wie später Marianne Labisch und Hans- Dieter Furrer konzentriert sich Jörg Weigand in seinem zweiten Beitrag „Geheimnisvolle Gäste“ auf  Donnas Kaschemme.

Eine Reihe der folgenden Geschichten spielen in oder mit der berühmten Kneipe. Dabei reicht das Spektrum von Diane Dirts „Wettsaufen“ – ein Zwerg und ein Mensch landen in der Kaschemme und duellieren sich mit Willi – bis zu Karl- Ulrich Burgsdorf „Der Stammgast“, die weit über die erste in Donnas Kaschemme spielende Geschichte hinaus reicht. Monika Niehaus tritt persönlich auf. Sie wird in die Kaschemme gebeamt und mit ihren Schöpfungen konfrontiert. Die Ursache dieser Versetzung ausgerechnet am 70. Geburtstag ist DER STAMMGAST, eine interessante und ohne Frage auch ausbaufähig Figur. Ein gern gesehener Gast in jeder Kneipe. Vor allem, weil Karl Ulrich Burgdorf noch eine zweite wiederkehrende Figur aus Monika Niehaus umfangreichen Werk nahtlos in die Geschichte einbaut.

Es ist auch die erste von insgesamt vier Geschichten, in denen Monika Niehaus Geburtstag in Kombination mit Donnas Kaschemme eine wichtige Rolle spielt. Thomas LeBlanc verbringt dort „Ein(en) Abend mit Monika“. Zu den Gästen mischen sich sehr viele Freunde und Bekannte aus Monika Niehaus Umfeld. Das macht die Kaschemme etwas voller, aber die Anspielungen machen wahrscheinlich nicht nur der Autorin, sondern vor allem auch dem Leser Spass. Bei Ellen Nortens „Experten unter sich“ öffnet sich erst mit der Veröffentlichung der Geburtstagschrift – Vorbestellungen reichen – die Tür für Monika Niehaus, um in ihr eigenes Universum zu treten. Ein Parasit sucht sie an ihrem Tisch in Donnas Kaschemme auf, wo sie an neuen Geschichten arbeitet. Pointierte Wortspiele zeichnen diese Miniatur aus. Friedhelm Schneidewind geht in „Rückwirkung“ noch einen Schritt weiter. Die Autorin wacht in Donnas Kaschemme auf. Anscheinend sind ihr die Geschichten um die bekannteste Kneipe im Universum nicht alleine eingefallen, sondern dank eines besonderen Gastes und Zeitreisen konnte die gedankliche Tür geöffnet werden. Jetzt wollen die Stammgäste in Donnas Kaschemme die Autorin oder zumindest eine Kopie der Autorin für immer behalten, damit sie ihr leichter Geschichten erzählen können.    

Anja Stürzers „Wie die Ragni das Zaubern verlernten“ ist von der Grundstruktur her eine eher klassische Donnas Kaschemme Geschichte. Gäste erzählen von ihrem persönlichen Schicksal, wobei die Pointe zumindest für den Leser, aber nicht die Protagonisten eine Auflösung enthält. Die Fantasyelemente werden durch das Zaubern bestimmt, wobei die Autorin auf klassische Ansätze verzichtet und die Magie schon von Beginn an relativiert. Esther Geißlingers Geschichte „Ich bin schon einmal dort gewesen, wie Sie“ beginnt in einer anderen Kneipe. Der Besucher Fritz ist ein gern gesehener Stammgast und liest dort die Phantastischen Miniaturen aus Wetzlar. Der Leser ahnt mehr als der Kneipier und als schließlich zwei seltsame Männer nach diesem Fritz fragen, werden die Zusammenhänge klar. Nett geschrieben mit pointierten Dialogen ist Ether Geißlingers Text eine von zwei Arbeiten – Karl Ulrich Burgdorf ist der andere Autor -, die sich mit der literarischen Entstehung der Geschichten aus Donnas Kaschemme auseinandersetzen.      

 Klara Weigands „Das Geheimnis der alten Tasche“ folgt der vertrauten Konstruktion der frühen Geschichten aus Donnas Kaschemme. Ein Gast tritt ein. Er hat eine besondere Geschichte zu erzählen. In diesem Fall trägt er sein angebliches Geheimnis in der alten Tasche bei sich. Der Gast stammt aus Afrika. Klara Weigand hat eine Reihe von Querverweisen nicht nur auf den Kontinent, sondern auch ein besonderes Tier eingebaut. A, Ende ist es Willi, der zusammen mit Quox hinter das Geheimnis der Tasche kommt. Es ist die Vertrautheit der Kaschemme und der Versuch, alle Gäste inklusiv Donna im wahrsten Sinne des Wortes zu leimen, was den Reiz dieser Story ausmacht.  

Auf Monika Niehaus Leidenschaft des Kochens geht Alexander Roeder in seiner Kurzgeschichte "Duell der Schlemmersekten" ein. In seinen Storys hat sich der Autor als geschickter positiv gesprochen Manipulator der Leser erwiesen, in dem er historische Fakten in seinen Geschichten im Grunde durch den Fleischwolf dreht, um daraus dann ein interessantes, aber auch exzentrisch bizarres Garn zu weben, dessen Pointe nicht erkennbar ist und den bisherigen Plot wie bei einem guten Krimi auf den Kopf stellt.

 Am Ende seiner Miniatur verweist Kai Riedemann zwar in "Das Kreuz mit den Neuroparasiten bei der Bundestagswahl 2025" auf Monika Niehaus, aber seine bitterböse Satire auf gegenwärtige politische wie soziale Strömungen hätte wahrscheinlich auch ohne diesen für die Anthologie notwendigen Querverweis funktioniert. Auf zwei Seiten findet der Autort zwar eine interessante Antwort auf die verschiedenen Fragen von den Querdenkern bis zu Trump, aber leider ist die Wirklichkeit bitterer als es der Autor in seiner satire ausdrücken kann.   

 Andere Kurzgeschichten wirken nicht für die Anthologie geschrieben, sind aber unterhaltsam. Frank G. Gerigks chinesische Sage "Der Drachenkrug des O- Tse" könnte auch in einem Band zu Ehren Körg Weigands stehen. Es ist die Geschichte eines Töpfers und seiner Tochter, sowie die besondere Bedeutung eines Kruges. Sprachlich wunderschön gestaltet und inhaltich abgerundet. Gisbert Haefs präsentiert mit "Die Zwerge von Zülpich" einen bizarren Kurzkrimi um einen möglichen Mord nicht eines Zwerges oder Gartenzwerges, der sich abschließend als menschliche Tragödie herausstellt. Anfänglich ein wenig schwerfällig und langatmig rundet der Autor die Geschichte aber hinsichtlich der Auflösung zufriedenstellend ab.  Bernd Schuh dankt in seinem Nachwort Monika Niehaus für die Unterstützung seiner "Crazy Dreams" Miniaturen. Mit "Candy and Sugar" fügt er gleich eine hinzu. Sabine Frambrach gratuliert wie Bernd Schuh am Ende ihrer Geschichte "Der Kristallkönig" und verweist auf die bizarren Ideen, welche die Frauen hinsichtlich ihrer Geschichten austauschen. So präsentiert sich "Der Kristallkönig" auch als Märchen in einem modernen Gewand voller interessanter Momente, deren abschließende Pointe dann in eine etwas andere Richtung deutet. Die Mischung aus modernem Märchen und Allegorien findet sich auch in Jan Osterlohs "Besuch bei den Waldmännchen", in welcher der Autor neben einigen sexuellen Anspielungen mit der Idee einer märchenhaften Parallelgesellschaft bekannter Figuren spielt. Allerdings wirkt der Text abschließend zu sehr auf die Pointe hin konstruiert.  Claudia Raterings "Brocken im Weltall" dagegen ist eher eine Beschreibung als eine abgerundete Geschichte. Zwar interessant geschrieben, aber auch oberflächlich.  Auch  Kai Fockes „Ärger mit der „Neuen““ ist eine geradlinige warmherzige Geschichte mit einer eher klassischen Pointe. Auf einem Golfplatz hat auch die Technik Einzug gehalten. Die Maschinen führen aber auch eine Art Eigenleben. Pointierte Dialoge, putzige kleine Ideen, aber grundsätzlich keine wirklich im Kern originelle Geschichte.

„Ein neuer Schnitt“ von Kim Skott ist eine der wenigen klassischen Science Fiction Geschichten mit einer tragischen Komponente. Körperliche Veränderung ist Trumpf und am Ende setzt sich die Tochter gegen die Eltern durch. Die Welt ist so interessant, wird aber aufgrund der Kürze des Textes nur skizziert, das man sich eine umfangreichere Ausarbeitung vielleicht auch in Form einer Novelle wünschen würde.    

Auch Claudia Raterings „Laika“ um den berühmten Hund im All ist eine der emotional überzeugenden Geschichten, die vor allem Tierfreunden und im Besonderen Hundebesitzern ans Herz gehen. Auch wenn die Autorin einzelne Aspekte ein wenig abgemildert hat, geht die Geschichte unangenehm unter die Haut.   

In die gleiche nachdenklich stimmende Kerbe fällt Ruben Wickenhäusers „Kindergeburtstag“. Zwei unterschiedliche Familie, jede wird am nächsten Tag den zehnten Geburtstag ihres Kindes feiern. Unterschiedliche Vorbereitungen und ein tragisches, leider zu realistisches Ende. Die Geschichte verfügt über keine phantastischen Elemente, aber wie Claudia Raterings Text bringt sie den Leser zum Nachdenken.

Das gutes Essen und meistens auch das entsprechende Zubereiten zu Monika Niehaus Spezialitäten gehört, haben schon die Weigangs in ihren einleitenden Worten klar gemacht. Auch einige der Kurzgeschichten setzen sich mit diesem Thema auseinander. Tim Piepenburgs „Der Arm aus dem Meer und dem Kochtopf“ konzentriert sich auf die bizarre Zubereitung mit sehr sympathisch gezeichneten Protagonisten, während Maike Braun versucht, in „Der Reiher und der Froschkönig“ die natürlich kriminelle Hochfinanz mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, in dem die Protagonistin einen der Macher mit Vergleichen zur Natur erst verwirrt und schließlich indirekt auflaufen lässt. Wen manches nur so einfach wäre, wie die Autorin allerdings in pointierten Dialogen dargestellt hat.  Frank Strickstrocks „Digitale Demenz“ endet auch auf einer kulinarischen Frage. Wie einige andere Miniaturen ist die Reise allerdings unterhaltsamer als die Ankunft. Auch „P oder Die WurmlochPassage kurz vor der MittagsPause“ aus der Feder Ernst- Eberhard Manskis konzentriert sich auf die Pointe, wobei der Weg durch dieses besondere „Wurmloch“ deutlich interessanter beschrieben worden ist.  

Barbara Büchner präsentiert in Form einer Gruselgeschichte „Die Mittagsfrau“ eine alte osteuropäische Geschichte. Stimmungsvoll beginnend beim Rahmen mit den erzählten Geschichten in einer Gastwirt, die unter einem Stromauslauf leidet endet die Story auf keiner überraschenden Note, aber flüssig erzählt mit einem guten Gespür für das richtige Tempo und vor allem die entsprechende Atmosphäre.

 Es gibt auch Nachdrucke. „Gefressen!" von Hans Jürgen Kugler stammt aus dem Exodus Magazin 27 und ist eine weitere Variation bekannter Ideen. Die virtuelle Realität als Ausdruck einer neuen „Freiheit". Anfängliche Dinosaurierspiele führen schließlich zu erotischen Irrealitäten, aus denen der Protagonist sich fast nicht mehr alleine befreien kann. Stilistisch solide, aber unauffällig offeriert Kugler dem Leser keine neuen Ideen und folgt den Prämissen, welche der Cyberpunk vor fast einer Generation aufgestellt hat. Auf den ersten Blick lesen sich die Dialoge unterhaltsam und peppig, aber generell passen sie sich dem wollig vertrauten, aber wie schon erwähnt auch nicht unbedingt originellen Niveau der Geschichte an. 

Wie verschiedene andere Geburtstagsbände ist „Die Autorin am Rande des Universums“ eine gelungene Mischung aus Gratulation – vor allem die in Donnas Kaschemme spielenden Geburtstagsgeschichten ragen hier positiv heraus – und Information für die Menschen, die Monika Niehaus in erster Linie aus ihren Geschichten und Romanen sowie den Sachbüchern kennen. Es ist ein guter Einstieg in ihr umfangreiches Werk oder für die Monika Niehaus Fans ein perfekter Begleiter an einem schmierigen Tisch vor einem vollen Krug Bier eben in Donnas Kaschemme oder nur der kleinen Kneipe an der Ecke.

 

Monika Niehaus zum 70. Geburtstag
AndroSF 147
p.machinery, Winnert, 05. September 2021, 280 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 255 3 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 842 5 – EUR 3,99 (DE)