Die Kolonie

Norbert Stöbe

Nach „Projekt Morgenröte“, der im Heyne Verlag allerdings nur als Ebook veröffentlicht worden ist,  ist „Die Kolonie“ der zweite Roman des Übersetzern und Schriftstellers Norbert Stöbe, der nach einer langen Pause veröffentlicht worden ist. Ende der Achtziger/ Anfang der Neunziger hat Norbert Stöbe vier Romane – dreimal im Heyne Verlag, einmal bei Fabylon – publiziert, die thematisch in zwei Blöcken zusammengefasst werden können. Auch „Die Kolonie“ nimmt einen der zahlreichen Fäden aus „Projekt Morgenröte“ wieder auf. Zwar ist die Erde wahrscheinlich nicht unbewohnbar, aber der Drang der Menschen, neue Welten zu besiedeln, ist in beiden Romanen wichtig bzw. in „Projekt Morgenröte“ sogar elementar für das Überleben der Menschen.

Norbert Stöbe bringt eine Reihe von neuen Ideen und interessanten Ansätzen in das in der Science Fiction altbekannte Thema der Kolonisierung einer fremden Welt. Corazon ist vor vielen Jahren von Menschen besiedelt worden. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von ursprünglich vierzig Menschen, welche im Kälteschlaf nach mehr als einhundert Jahren die Welt erreicht haben. Unterstützung sollten sie von Robotern erfahren. Durch einen Softwarefehler haben die Roboter ein Bewusstsein erreicht, das vergleichbar den Menschen ist. Sie erwarten die Ankunft göttlicher Wesen, da sie den Menschen nicht als Krone der Schöpfung anerkennen.

Bislang haben die Menschen und die Maschinen in ihren jeweiligen Enklaven nebenher ohne größere Berührungspunkte gelebt. Der Planet ist nicht extrem umweltfeindlichen, aber herausfordernd.

Das Besiedelungsprojekt ist aber bislang aus einem anderen Grund gescheitert. Die wenigen geborenen Kinder mutieren und werden in einer Art Gefängnis, Kindertrakt genannt, von den Erwachsenen isoliert eher gehalten als erzogen. Die ursprünglich vierzig Kolonisten beginnen zu vergreisen und werden immer wunderlicher.

Auf verschiedenen Handlungsebenen immer einen nicht kompletten Einblick in das Szenario gebend entwickelt Norbert Stöbe die Ausgangsprämisse zufriedenstellend bis teilweise spannend. Die einzelnen nicht selten noch schwelenden Konflikte werden vor allem in den ersten kurzen Kapiteln an entwickelt. Der Leser erhält noch keinen kompletten Überblick. Die Protagonisten werden eher spärlich gezeichnet. Auf dieser Ebene überzeugt die zweite Hälfte des Buches mehr, aber der dreidimensional beschriebene Hintergrund und die für den Leser wirr wirkenden Handlungen der ältlichen Kolonisten entschädigen für Norbert Stöbes Hang, seine Figuren immer nahe am Klischee zu entwickeln.

Vor allem die Bots mit ihrer Kolonie und der Kopie menschlichen Verhaltens erscheinen überzeugender und dreidimensionaler als die eigentlichen Kolonisten. Es ist auch leichter, über ihre Vorgehensweise einen Zugang zu den exzentrisch gezeichneten Menschen zu bekommen. Es ist das erste Mal, dass Norbert Stöbe in seinem Romanwerk auf Roboter bzw. künstliche Intelligenzen zurückgegriffen hat. In dieser Hinsicht geht der Autor eine Art Zwitterweg. Die Bots erkennen noch an, dass die Menschheit sie geschaffen, ihre Grundlagen entwickelt haben, aber sie haben sich emanzipiert. Das heißt nicht, dass sie vollkommen autark leben können. Das kann auf diesem Planeten im Grunde keine Gruppe. Sie versuchen mit den Menschen Kompromisse zu finden, auch wenn diese paranoid und aggressiv reagieren. Das Ertragen die Bots fast mit stoischer Geduld, was zu einigen komischen Szenen führt.

In diese schon schwierige Ausgangslage tritt eine dritte Gruppe. Norbert Stöbe macht sich einen literarischen Spaß daraus, die mit moderner Technik eintreffende zweite Welle im Grunde genau zwischen die beiden „Gruppen“ zu platzieren. Gegenüber den bisherigen Kolonisten handelt es sich um junge, hoch intelligente und vor allem motivierte Menschen. Gegenüber den Bots sind diese Neuankömmlinge über die implantierten Synapsen mit der Schiffsintelligenz jederzeit verbunden, was nicht nur Auswirkungen auf die Privatsphäre hat, sondern sie auch viel schneller auf Gefahren oder neue Situationen reagieren lässt. Zumindest in der Theorie.   

Mit dem Eintreffen der neuen Kolonisten erweitert Norbert Stöbe noch mal die Perspektive.  Er versucht eine Dreikonfliktsituation zu erschaffen und die einzelnen Parteien agieren vor allem in der zweiten, deutlich dynamischeren Hälfte eher aus Eigeninteresse. Auch haben sich die Fronten inzwischen so verhärtet, dass eine Auflösung potentieller und inzwischen auch existentieller Konflikte nicht mehr möglich erscheint. Das liegt aber in erster Linie an der Starrköpfigkeit der einzelnen Parteien, wobei Norbert Stöbe hinsichtlich der logisch agierenden Bots einige Kompromisse machen muss. Die Idee der Ankunft göttlicher und den bisherigen Kolonisten überlegener Wesen wird in der ersten Hälfte des Buches mehrfach betont, beim Eintreffen dieser „Vision“ dann allerdings ein wenig zur Seite geschoben und wie einige der interessant an entwickelten Konflikte viel zu schnell „gelöst“ werden.

Dabei verfügt der Roman neben den drei Gruppen auch mit den mutierten Kindern, der ersten auf dem Planeten geborenen Generation von Menschen noch über eine vierte interessante Baustelle. In einer Art Gefängnis gehalten nehmen sie die exotische Schönheit der fremden Welt besser auf als die auf der Erde geborenen und inzwischen vergreisten, vielleicht sogar wieder kindisch werdenden Erwachsenen.

So sehen sie vor ihren Gefängnisfenstern die wandernden Bäume dieser fremden Welt. Ein symbolischer Ausdruck der Widersprüche, welche „die Kolonie“ auf der einen Seite ohne Frage auszeichnen, auf der anderen Seite aber auch hinsichtlich der schon angesprochenen nicht zufriedenstellenden Auflösung auch belasten.

Trotzdem hat sich Norbert Stöbe sehr viel Mühe gegeben, einen realistischen wie exotischen Hintergrund für seine kleinen Dramen zu erschaffen. In „Projekt Morgenröte“ hatte die Menschheit keine andere Wahl, als zu den Sternen aufzubrechen. In „Die Kolonie“ ist es eher eine Frage des Willens, den fremden Planeten urbarer zu machen.

Am Ende  schlägt Norbert Stöbe noch einen Bogen zu den Szenarien, die er vor allem in seinen früheren Büchern wie „Spielzeit“ und „Namenlos“ angegangen ist. Menschen im Brennglas von anderen Wesen. Auch hier konzentriert sich der Autor allerdings mehr auf Stimmungen als auf eine abschließend zufriedenstellende Auflösung, aber zwischen den Zeilen könnte Norbert Stöbe auch einen Blick zurück auf das „Projekt Morgenröte“ und die Hinterbliebenen geworfen haben.

„Die Kolonie“ ist stilistisch deutlich zugänglicher als seine sprachlich überfrachteten ersten vier Romane, in denen Norbert Stöbe auch interessante Ausgangsszenarien basierend teilweise aber auf alten Pulpideen des Genres entwickelt hat. Die Zeichnung der Protagonisten ist manchmal noch sehr pragmatisch, in dieser Hinsicht wird sein nächster Roman „Kleiner Drache“ eine deutliche Weiterentwicklung aufzeigen. Weiterhin positiv ist, dass Norbert Stöbe ein altbekanntes Science Fiction Szenario genommen und durch eine Art emotional sozialen Konfliktfleischwolf gedreht hat. Herausgekommen ist ein über weite Strecken interessant zu lesender, aber wie erwähnt auch teilweise oberflächlich zu Ende gedachter Science Fiction Roman, der Potential in den wandernden Wäldern des Kolonialplaneten förmlich liegen lässt. 

Kolonie: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Originalausgabe Edition (13. Februar 2017)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 368 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453318005
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453318007