Clarkesworld 185

Neil Clarke (Hrsg.)

In seinem Vorwort weist Herausgeber Neil Clarke auf die bevorstehenden Abstimmungen hinsichtlich der besten Kurzgeschichten und Titelbilder des vergangenen Jahres hin. Douglas F, Dluzen geht auf die Auswirkungen von Covid 19 auf die vor allem mentale Gesundheit der Menschen ein.

 

Arles Sorg interviewt mit Zoralda Cordova und Max Gladstone zwei junge Autoren, die ihre ersten Romane veröffentlicht haben. Sie gehen auf die Schwierigkeiten ein, nicht nur in dieser Zeit Verlage zu finden, sondern sich auf der einen Seite als literarische Stimmen aus der Masse abzuheben, auf der anderen Seite aber auch nicht zu exzentrisch zu schreiben.

 

Isabel J. Kim eröffnet die 185. Clarkesworld Ausgabe mit „The Massage Lady at Munjeong Road Bathhouse“. Es ist eine seltsame Geschichte mit allerdings dreidimensionalen Charakteren und vor allem der Schwierigkeit der einzelnen Charaktere, Entscheidungen über das eigene Leben hinaus zu treffen. Die Protagonistin ist verwitwet, hat eine kleine Tochter und arbeitet seit vielen Jahren fleißig in dem Massagesalons des Titels. Es handelt sich auch wirklich „nur“ um einen Massagesalon. Sie entdeckt eine besondere Fähigkeit. Sie findet unsichtbaren Schalen auf der Haut ihrer Klienten. Sie bemüht sich, diese zu entfernen.  Dadurch können ihre Klienten die eigene Zukunft nicht unbedingt Ziel führend und entschlossen, aber erkennbar verändern, in dem sie vor allem Entscheidungen treffen, die sich selbst überraschen. Wenn sie auf der Haut bleiben, verhärten sie und formen quasi die zukünftigen Wege der Klienten. Als die junge Frau einen Vorschlag von einem Mann bekommt, der nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch die Besonderheiten dieser Schalen erkennt, steht sie vor einer eigenen sehr schwierigen Entscheidung.

 

Die Schalen wirken eher wie Metaphern hinsichtlich der Vorbestimmung, aber auch des Scheuklappendenkens der Menschen. Die Massage im Allgemeinen öffnet ihren Geist und ermöglicht es ihnen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Es sind keine großen Entscheidungen, es sind aber andere Überlegungen welche diese gut geschriebene nicht unbedingt grundlegend phantastische Geschichte auszeichnen.

 

„You´re not the Only One” aus der Feder Octavia Cades geht es auch weniger um phantastische Elemente, sondern die Akzeptanz und das Verarbeiten von schlechten Nachrichten. Ein Astronaut erfährt, dass sein Raumflug auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Eine schwangere Frau muss verarbeiten, dass ihr Kind nicht lange die Geburt überleben wird. Für den Leser stellt sich die Frage, ob das Verschieben eines Flugs oder der unabänderliche Tod eines Neugeborenen die gleiche Relevanz haben. Dieser Punkt ist auch nicht wichtig. Für die betroffene Person bricht eine Welt zusammen. Das phantastische Element ist die Kombination aus Besiedelung des Mondes und der weiteren Vernichtung der Umwelt. Wie bei Isabel J. Kim sind es vor allem die Protagonisten, welche die Geschichte vorantreiben und weniger die klassische Science Fiction Elemente.

 

Eine deutlich reinere Science Fiction Geschichte ist „The Old Moon“ von John McNeil. Auf einer Raumstation befinden sich ein Roboter und eine intelligente Pflanze. Die Story besteht vor allem auch den Konversationen zwischen diesen beiden „Lebewesen“ . Im Laufe der Gespräche zeichnet sich ein weiterer, im Grunde zutiefst menschlicher Konflikt ab. Die außerirdische Pflanze wirkt teilweise zu irdisch, der Roboter scheint aus einer Art Hippie Kommune entkommen zu sein. Die Standpunkte sind konträr, die Diskussionen wirken wie die Quadratur des Kreises. Das große Problem dieser Kurzgeschichte liegt in dem fehlenden Plot. Dieser wird nicht durch tiefgründige Gespräche, sondern Versuche ersetzt, eine existentielle Botschaft zu formulieren.

 

Arula Ratnakers „Babirusa“ besteht aus zwei Handlungsbögen. Im ersten Spannungsbogen finden sich drei Lebewesen in einer seltsamen Welt bestehend aus sechsseitigen Kammern wieder, die sie untersuchen, während sie selbst eine gemeinsame Basis finden. Auf der zweiten Handlungsebene versucht ein junger Mann seiner Schwester zu helfen, deren Geist nach einer Verurteilung manipuliert worden ist. Am Ende werden die beiden Handlungsebenen miteinander verbunden.

 

Die Novelle besteht aus sehr vielen Elementen, welche immer wieder die Aufmerksamkeit der Leser herausfordern. Auch das Zusammenlaufen der auf den ersten Blick konträren Spannungsbögen kommt für die Leser nicht unbedingt überraschend, aber die wechselseitigen Erklärungen unterstreichen die Komplexität, welche die Autorin angestrebt hat. Vieles basiert auf mathematischen Formeln und die Autorin hat auch das Problem, den Hintergrund der Geschichte mittels an Monologe erinnernde Abschnitte zu erläutern. Wer sich nicht unbedingt für höhere Mathematik interessiert, wird diese langen Passagen eher quer lesen. Damit verliert die Story nicht unbedingt an Reiz, aber der intellektuelle Elfenbeinturm wird ein wenig zu sehr in den Vordergrund gestellt und die beiden Handlungsbögen schleppen sich an einigen Stellen fast mechanisch daher.

 

Auch in „The Plasticity of Youth“ von Marissa Lingen geht es um eine schwangere Frau. Eines Morgen entdeckt sie einen Raben, der die Reifen an ihrem Wagen anpickt. Ihr geborenes Baby kann Moos essen und sondert einen plastikartigen Stoff ab. Die Autorin wollte wahrscheinlich vor der allgegenwärtigen Präsenz des Mikroplastik warnen. Eine berechtigte Warnung an die gegenwärtigen Generation, nicht die Zukunft ihrer Kinder leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Die Ausgangsbasis ist auf den ersten Blick interessant, aber durch den Verzicht auf nachvollziehbare Erklärungen oder eine weitere Exposition verliert die sehr kurze Geschichte auch sehr schnell an Reiz.

 

Sarah Paulings „Informed Consent Logs from the Soul Swap Clinic“ besteht wie „The Old Moon” vor allem aus Konversationen. Dieses Mal zwischen zwei Frauen, welche ihre Körper wechseln wollen. Der Dritte im Bunde ist der Techniker, welcher dieses anscheinend nicht mehr neue Verfahren überwachen soll. Eine der Frauen ist eine bekannte Persönlichkeit, die andere Frau eine Wissenschaftlerin, die nach ihrer Ehe ihre Karriere aufgegeben hat. Die Charaktere werden sehr gut durch ihre Aussagen charakterisiert. Auch der Technik hat aus seiner persönlichen Warte ein Interesse an diesem Verfahren. Am Ende bleibt der Leser allerdings über die Motive der Frauen hinaus im Dunkeln, was die weitere Entwicklung des Plots angeht.

 

Jess Levines „The Direction of Clocks“ handelt auch von einer Frau, die ihrer allerdings schmerzvollen Vergangenheit entkommen möchte. Sie akzeptiert eine Ein-Frau-Mission zu den Sternen. Das Raumschiff fliegt nahe der Lichtgeschwindigkeit. Dadurch vergehen an Bord nur drei Jahre, während auf der Erde natürlich mehr als ein Jahrhundert vergeht und die Frau quasi nach ihrer Rückkehr nicht nur niemanden mehr kennt, sondern an Bord des Raumschiffs bleiben soll. In diesem Punkt argumentiert der Autor unlogisch, da sie keine Krankheiten mitbringt und eine Weiterentwicklung der Technik nicht unbedingt zu einer Isolation bei der Rückkehr führen sollte. Zwar sucht der Autor eine Brücke zwischen Flucht aus dem bisherigen Leben und Zeitverschiebung zu ziehen, aber die Protagonistin wirkt über die ganze Novelette zu egoistisch gezeichnet und verliert abschließend an Dreidimensionalität, als sie einen quasi von außen aufgedrückten eigenen Entschluss fatalistisch umsetzt.

 

Die Februar 2022 Ausgabe von „Clarkesworld“ ist eine solide Nummer. Wie Neil Clarke schon vor einigen Ausgaben angekündigt hat, schleichen sich mehr und mehr Covid relevante Themen wie Isolation und Einsamkeit, fatalistische Entscheidungen und über die bestehenden Themen hinausgehende Zukunftsängste in die Texte seiner Autoren. Es sind vor allem die überwiegend dreidimensionalen Charakterzeichnungen, welche die Texte aus der Masse hervorheben, auch wenn erstens nicht immer Science Fiction oder auch nur phantastische Themen gewählt worden sind und zweitens nicht alle Plots wirklich funktionieren.

 

   

 

   

Clarkesworld Magazine Issue 185 eBook by Neil Clarke,Arula Ratnakar,Octavia Cade,Sarah Pauling,Marissa Lingen,Isabel J. Kim,John McNeil,Jess Levine

E Book, 112 Seiten

www.clarkesworldmagazin.com