Clarkesworld 188

Neil Clarke (Hrsg.)

Der Mai ist gekommen und Neil Clarke findet in seinem Vorwort den Raum und die Zeit, auch einmal in die Zukunft zu schauen und neue Projekte vorzustellen. Galen T. Pickett nimmt sich in “Time and Travel” altbekannten Aspekten des Genres zur Brust, kann aber auch keine Quadratur des Kreises finden. Die literarischen Hinweise sind zwar Neueinsteigern im Genre ans Herz zu legen, aber alte Hasen werden keine neuen Informationen finden. Arley Sorg interviewt mit Dennard Dayle und Alan Schwartman & Tarryn Thomas junge Autoren/ Autorinnen, die nicht nur über ihre ersten Veröffentlichungen berichten, sondern darstellen, wie sie sich aus der Masse anderer Autoren abzuheben suchen. Die Antworten sind sehr ausführlich und lesenswert, vor allem weil Arley Sorg immer wieder nachfragt und wie bisher aus den Interviews Gespräche macht. 

Bei den Storys ist die Ausgabe deutlich internationaler.  Neben Übersetzungen sind auch Europa und Afrika vertreten. Damit nähert sich Neil Clarke wieder seinem Ziel, über die Grenzen des Landes hinauszuschauen. Vielleicht auch eine Notwendigkeit angesichts der Tatsache, dass “The Magazine of Fantasy & Science Fiction” inzwischen auch andere Schwerpunkte setzt. 

Rich Larson eröffnet mit “Wants Pawn Term” die 188. “Clarkesworld”. Im Mittelpunkt steht eine künstliche Intelligenz, die von einer ihm intellektuell überlegenen weiteren künstlichen Intelligenz erschaffen  worden ist. Sie ist auf einem Kolonialplaneten gestrandet. Als Menschen auf dem Planeten landet, wird die Intention des Autoren deutlicher. Basierend auf einem bekannten Märchen müssen sich Mensch und künstliche Intelligenz nicht nur mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, sondern vor allem auch das gegenseitige Misstrauen überwinden. Die Hommage an das bekannte Märchen bringt aber nicht nur Vorteile, da einzelne Hinweise von der zugrundeliegenden Handlung  ablenken und technisch unnötig sind. Zu den Stärken Rich Larsons gehört, das er gerne auch andere Perspektiven einnimmt und dieses Mal aus Sicht der Maschinenintelligenz eine gute Story entwickelt. 

Wie Rich Larson gehört Bo Balder zu den Stammautoren “Clarkesworld”s. Wieder spielt eine künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. Die Protagonisten verliert ihre Job in einem Drei-Personenteam an Bord eines Raumschiffes, weil sie zu komplexe Beziehungen zu den anderen Crewmitgliedern aufbaut und damit zumindest aus Sicht der Reederei die Effektivität unterminiert. An Bord eines neuen Raumschiffe trifft sie auf eine frühere Geliebte und gemeinsam brechen sie zusammen mit einer künstlichen Intelligenz auf eine besondere Mission auf. Die emotionale Ebene ist überzeugender als die Argumentationskette, welche Bo Balder aufbauen muss, damit der Plot funktioniert.  Es ist wenig überzeugend, dass Raumschiffbesatzungen sich Therapien stellen müssen, in denen ihre emotionale Basis gesenkt wird, die gleichen Personen dann aber in einer neuen Konstellation arbeiten sollen, welche diese besondere Emotionalität irgendwie auch bedingt. Auf der Gefühlsebene eine überzeugende Story, deren Schwächen allerdings eher in der Logik liegen. 

Die erste übersetzte Geschichte ist “The Possibly Brief Life of Guang Hansheng” von Liang Qingsan. Der Erzähler entdeckt Teile einer Science Fiction Geschichten eines nicht nur ihm unbekannten Autoren aus dem 20. Jahrhundert. Die Beschreibungen vor allem der Mondoberfläche sind für den damaligen Stand der Technik ausgesprochen genau und detailliert. Der Erzähler macht sich auf die Suche nach dem Autoren, kann aber nur rudimentäre Informationen finden. Der phantastische Gehalt der Story bezieht sich vor allem auf die Zitate aus dem fiktiven Roman. Abschließende Erklärungen finden sich nicht. Dadurch wirkt die ganze Kurzgeschichte nicht abgeschlossen, viele rote Fäden bleiben in der Luft hängen. Allerdings sind die Passagen des fiktiven Romans lesenswert und man wünscht sich, mehr darüber zu erfahren. 

Aus Schweden stammt “Gamma”. Oskar Källners Story beschreibt eine dunkle, weit entfernt liegende Zukunft, in welcher das Universum alt geworden ist. Anscheinend gibt es nur noch künstliche erschaffene Kreaturen - die Beschreibung bleibt seltsam vage -, deren Väter/ Mütter Zivilisationen ebenfalls vor vielen Jahren verschwunden sind. Energie beziehen sie aus einem schwarzen Loch. Trotz ihres Alters, ihrer intellektuellen Überlegenheit zeigen sie aber auch menschliche Schwächen. Oskar Källner hat vor allem interessante, überdimensionale Charaktere erschaffen,  die unwirklich und menschlich zu gleich erscheinen. Vieles bleibt vage, am Ende greift der Autor auf einfache Mittel zurück, aber die Extrapolation des Plots ist interessant und der seltene Blick nach Schweden und deren SF ist die Lektüre mehr als wert.     

Aus Rumänien stammt “Tea Parties around Nebula -55” von Adriana C. Grigore. Ein Roboter kümmert sich weiterhin an Bord eines Raumschiffs um Kinder, obwohl das Schiff mehr und mehr auseinanderfällt. Wie auf der “Titantic” versucht der Roboter die Kinder vom bevorstehenden Tod abzulenken. Am Ende dreht Adriana C. Grigore einen wichtigen Teil der Handlung noch einmal um. Wie einige andere Geschichten dieser Sammlung leidet der Text vor allem unter dem komplett fehlenden Hintergrund. Der Leser wird in das Szenario geworfen und muss quasi schwimmen. Kommen dann noch eher eindimensionale Protagonisten hinzu oder Versatzstücke, dann haben es die Storys schwer, sich einen Platz im Herzen der Leser zu erobern. Unabhängig von der Tatsache, dass rumänische Science Fiction bis auf den einen, in den achtziger Jahren des letzten Jahrtausend veröffentlichten Sammelbandes noch seltener ist als schwedische SF in Deutschland oder auf Englisch.   

Aus den Staaten kommt mit David D. Levines “Korea is Life” eine exotische Geschichte. Der Erzähler ist der erste Mensch, der an einer Art Flugwettbewerb teilnehmen darf, den die Außerirdischen seit Jahrtausenden abhalten. Ausführlich, aber nicht unbedingt originell beschreibt der Autor die Voraussetzungen nicht nur der Teilnahme, sondern auch den Wettbewerb an sich. Vieles ist aber aus anderen Geschichten nicht unbedingt mit utopischen Hintergrund schon bekannt. 

Der Mensch ist aber aus einem bestimmten Grund eingeladen worden. Die Flugszenen und die entsprechenden Auseinandersetzungen sind spannend beschrieben worden und David D. Levine zeichnet auch dreidimensionale manchmal ein wenig klischeehafte Abzüge von Überprotagonisten, welche der Leser unter anderem aus einigen Pulpgeschichten kennt. Die Dialoge sind pointiert und dank des hohen Tempos sowie des exotischen Hintergrunds hat der Leser sehr viel Spaß an dem Text. 

Aus Afrika stammt “A Manual on Different Options of How to Bring a Loved One to Life”. Oyedotun Damilola Muees hat eine Cyberpunk Geschichte verfasst, die aus der Hochphase dieses Subgenres stammen könnte. Die Protagonistin versucht für ihre schwerkranke Schwester einen Körper zu finden. Ihr Bewusstsein musste in einer Datenbank zwischengelagert werden. Neben den Schwarzmärkten führt die Spur schließlich in einer Art militärisches Sicherheitslager, mit dem die Protagonistin der Körper quasi eintauschen soll. 

Auch wenn sich der Text inklusiv einiger Hinweise auf die afrikanische Kultur ausgesprochen gut liest und der zynische Unterton passend erscheint, kann die Autorin ihrer Geschichte nur wenige neue Ideen hinzufügen. Strukturell greift sie auf zu viele Versatzstücke zurück und die abschließende “überraschende” Pointe ist zu vertraut.  

 Afrikanische Science Fiction sollte wie Arbeiten aus anderen Ländern vor allem auf die eigenen kulturellen Stärken zurückgreifen. Kopien amerikanischer Muster helfen weder den Autoren noch den Lesern wirklich weiter. Der “Wiedererkennungseffekt” mit besseren anderen Arbeiten des Genres überdeckt in diesen Fällen jegliche Originalität. Aber generell handelt es sich um eine gute Geschichte, die sich fließend als Hommage des Genres lesen lässt, auch wenn vieles vertraut erscheint. Im Gegensatz zu anderen Autoren dieser eher durchschnittlichen “Clarkesworld” Ausgabe mit einem wieder auffälligen, optisch schönen Titelbild hat sich die Autorin aber bemüht, den Hintergrund ihrer Geschichte zufriedenstellend zu entwickeln und dann einen von hohen Tempo geprägten Plot ablaufen zu lassen.