Clarkesworld 187

Neil Clarke (Hrsg.)

Im April kann Herausgeber Neil Clarke nach den ganzen preislichen Rückblicken auf 2021 zum ersten Mal nach vorne schauen und neue Anthologien ankündigen. Julie Novakova untersucht in ihrem Essay, auf welchen Monden im Gegensatz zur Science Fiction wirklich Leben möglich ist. Die Mischung aus aktuellen wissenschaftlichen Bezügen, aber auch einer klassisch zu nennenden Verankerung im Genre machen ihre Artikel besonders lesenswert. Zwei Interviews finden sich ebenfalls in dieser Ausgabe. Einmal spricht Arley Sorg mit Rachel Cordasco, die mehr über ihre Arbeit als Herausgeberin denn ihre Kurzgeschichten und die bevorstehende Romanveröffentlichung spricht. Gord Seller und Jihyun Park schreiben/ sprechen mit dem anonymen Autorenkollektiv Djuna, das nicht nur verschiedene Kolumne in Südkorea hat, sondern auch einige interessante Kurzgeschichten verfasst hat. Allerdings wirkt das Interview ausgesprochen steril. Das liegt nicht unbedingt an der Übersetzung, sondern an den eher konsequent ausweichenden Antworten des Kollektivs. Im Gegensatz zu vielen anderen „Clarkesworld“ Interviews eher eine Enttäuschung.

 

Fünf sehr unterschiedliche Kurzgeschichten und zwei Novelletten bilden aber den Kern der Frühlingsausgabe von „Clarkesworld“.

 

Thoraiya Dyer eröffnet den Bogen mit ihrer Kurzgeschichte „Doc Luckless and the Stationmistress“. Die beiden Protagonisten leben auf einer Wasserwelt unter der tyrannischen Herrschaft von Fanatikern. Sie werden nur ertragen, weil wie nicht selten unter oligarchischen Regimes die Fähigkeiten der beiden so trefflich in der Überschrift titulierten Antihelden unentbehrlich sind. Er ist der einzige Arzt auf dem Planeten, auch wenn der Spitzname nicht Programm ist und sie kümmert sich um die Teleportationstation, die einzige Chance für Unterdrückte wie Unterdrücker, den Planeten zu verlassen. Allerdings handelt es sich um eine Einbahnstraße, denn niemand kann mehr zum Planeten reisen. Nur noch die Abreise ist möglich. Die technischen Details bleiben allerdings entsprechend vage. Trotz dieser technischen Mangelerscheinungen überzeugt die Kurzgeschichte durch eine Reihe von an entwickelten Ideen wie den seltsamen Träumen des Arztes von an Skorpione erinnernden Außerirdischen; die gut gezeichnete nihilistische Atmosphäre und schließlich der überraschende Versuch, aus dieser Situation auszubrechen, ohne Klischees zu bemühen.

 

Der bekannteste Autor dieser Ausgabe ist sicherlich Greg Egan. „Dream Factory“ beschreibt einen Prozess, welcher durch Gehirnimplantate die natürlichen Instinkte der Haustiere unterdrückt und sie damit zu perfekten Spielzeugen ihrer Besitzer macht. Die Protagonisten halten nichts von dieser Technik und versuchen in einer Art Gegenentwurf eine Simulation zu entwickeln, in welcher die Besitzer der Tiere quasi die andere Seite sehen und erkennen, was sie ihren Tieren antun. Greg Egan ist ein Schriftsteller, der nicht selten die Technik sehr behutsam einsetzt, um gegenwärtige soziale Ausbrüche kritisch zu kommentieren und immer zumindest in seinen Romanen auch Alternativen anzubieten. Das ist auch in dieser lesenswerten Kurzgeschichte der Fall. Eine gute Zeichnung der Protagonisten inklusiv einer entsprechend originell ausgestalteten Ausgangsidee machen die Geschichte zu einer der besten Arbeiten, die „Clarkesworld“ in diesem allerdings noch jungen Jahr 2022 präsentiert hat.

 

Beth Goder ist eine von mehreren Autoren dieser Ausgabe, die absichtlich eine andere Sichtweise präsentiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob es wie bei Greg Egan eben Haustiere sind oder wie in anderen Texten die Perspektiven Außerirdischer. Ein Raumfahrer trifft auf einen Außerirdischen, der aus verschiedenen Identitäten besteht. Das ist grundsätzlich keine neue oder originelle Idee, aber die Autorin macht aus dieser Geschichte relativ viel. „An Expression of Silence“ ist auch ein perfekter Titel. Der Außerirdische versucht dem Menschen einen Teil seines Bewusstseins quasi im Tausch anzubieten, er ahnt aber nicht, dass der Mensch ein Individuum ist. Beth Goder setzt sich dabei nicht mit einer klassischen First Contact Situation auseinander, sondern dem Thema Verlust; der Möglichkeit des Scheiterns. Vielleicht ist der Schlüssel zur Auflösung der Geschichte die Tatsache, dass es sich bei der menschlichen Raumfahrerin um eine Frau handelt, die mehr Verständnis dem Fremden entgegenbringt und vor allem eine interessante Lösung findet, um als Person weiterhin zu existieren, aber auch dem fremden Begehren zu entsprechen.

 

Wie bei einigen Geschichten nicht nur dieser „Clarkesworld“ Ausgabe werden die technischen Kompromisse – von naturwissenschaftlichen Absurditäten ganz zu schweigen – zu Gunsten der dreidimensionalen Charaktere und vor allem der emotional überzeugenden Auflösungen der jeweiligen Situation – an den Rand gedrängt und wirken nicht so störend wie bei anderen Magazinen, in denen weder Inhalt noch Technik harmonieren.     

 

Parker Raglands „The Carrion Droid, Zoe, and a Small Flame“ hat zumindest den originellsten Titel dieser Ausgabe inne. Ein Roboter züchtet Bäume, als Dünger dienen ihm die verstorbenen und begrabenen Menschen. Er trifft auf eine Frau, die in ihm eine Art menschliches Wesen und keine emotionslose Maschine sieht.  Die Frau schenkt ihm im übertragenen Sinne eine Zugang zu den Menschen. Hilfreich ist, das der Roboter sowieso auf Emotionen programmiert worden ist.  Parker Ragland drückt in seiner Kurzgeschichte auf die passenden emotionalen Tasten und konzentriert sich eher auf ein eine Aneinanderreihung von Stimmungen als eine klassische Handlungsstruktur. Die zum wiederholten Male in dieser Ausgabe von „Clarkesworld“ gut gezeichneten Protagonisten gleichen die strukturellen erzählerischen Schwächen aus.

 

„Two Spacesuits“ von Leonard Richardson verfügt über einen übergeordneten Erzähler. Dieser beobachtet seine Eltern und stellt ein absonderliches Verhalten fest. Sein Vater baut eine Art unterirdischen Bunker, seine Mutter sucht bestimmte YouTube Videos und benutzt dabei Symbole, welche die Internetseite nicht wirklich kennt. Jedes Elternteil möchte, das ihr Sohn das seltsame Verhalten des Ehepartners natürlich unauffällig und heimlich untersucht. Anschließend soll Bericht erstattet werden.  Leonard Richardson hat seine Geschichte als eine Art Comedy of Errors aufgebaut. Die Hintergründe wie die einzelnen Videos sind klar zu erkennen. Das Happy End rundet aber die Geschichte passend ab.

 

Pan Haitians „Hanuman, the Monkey King“ ist die einzige Übersetzung aus dem Chinesischen. Sie spielt in einer Stadt nahe eines Raumschifflughafens. Die sozialen Unterschied zwischen arm und reich sind natürlich gravierend und die Strafen insbesondere für die Armen drakonisch. Die Außerirdischen erinnern an Affen und werden dementsprechend auch von den Menschen behandelt. Ein Bandenmitglied nimmt einen der Fremden bei sich auf. Der Hintergrund der Geschichte könnte auch in den sozialen Brennpunkten in China oder Hongkong/ Shanghai spielen. Am Ende greift der Autor allerdings auf einige Klischees des Genres zurück und der überfällige Aufstand der Massen wirkt zu mechanisch beschrieben. Das reicht soweit, dass wie in einem B Western auch eine Art von Kavallerie in letzter Sekunde rechtzeitig erscheint.

 

Martin Cahills „An Urge to Create Honey“  wird aus der Perspektive einer Außerirdischen beschrieben. Sie erinnert nicht nur an eine Biene, ihre Kultur ist vergleichbar aufgebaut. Auch hier versuchen die Fremden mit den Menschen das Bewusstsein zu teilen, um den aggressiven Humanoiden die andere Seite zu vermitteln. Die Ausgangsbasis ist wie bei vielen Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe ausgesprochen überzeugend, aber das ambitionierte Konzept wird zu statisch und vor allem auch zu melodramatisch mit einem emotional nicht befriedigenden Subplot umgesetzt.

 

Zusammengefasst präsentiert der April eine Reihe von interessanten, aber auch nicht gänzlich befriedigenden Geschichten, deren verbindendes Element das Verständnis insbesondere für die Außerirdischen, die Fremden ist.