Clarkesworld 189

Neil Clarke (Hrsg.)

Neben einige Gedanken zum Verfassen von Vorwörtern dominieren die guten Interviews mit J. Sam Miller und Samit Basu diese Aufgabe. Vor allem ausländische Autoren wie Samit Basu geben nicht nur einen Einblick in die eigene Kultur, aber auch die deutlich schwierigeren Arbeitsbedingungen, sondern zeigen einen anderen Blickwinkel aufs Genre auf. J. Sam Miller dagegen ist inzwischen ein etablierter Autor, der eine Reihe von exzentrischen Kurzgeschichten, aber auch thematisch provozierenden Romanen geschrieben hat. Paulne Barmby geht noch auf die ersten interstellaren Objekte, aber nicht unbedingt fremde Raumschiffe ein, die nach Äonen den Weg in unser Sonnensystem gefunden haben.

 

Der Storyanteil besteht wieder aus fünf Kurzgeschichten und zwei kurzen Novellen, von denen es sich bei einer um eine Übersetzung handelt. Das thematische Spektrum ist in der Juniausgabe erstaunlich breit.

 

Aimee Ogden eröffnet mit „Company Town“ den Kurzgeschichtenreigen. Zwei Frauen leben zwar zusammen, haben aber unterschiedliche eigenständige Leben. Die eine Frau arbeitet in der Unterschicht, unterbezahlt und ausgebeutet in einer klassisch von Konglomeraten beherrschten Zukunft. Zusammen mit ihren Kolleginnen plant sie einen Streik, das Unterfangen wird aber relativ radikal von der Führungsetage unterdrückt. Die andere Frau hält sich eher in virtuellen Fantasywelten auf, in denen sie gegen imaginäre Feinde kämpft und natürlich meistens siegreich ist. Die Aspekte der heroischen, aber stilisierten Fantasy vermischen sich mehr und mehr mit der bekannten, aber auch markanten antiutopischen Haupthandlung.

 

Die Zusammenführung der beiden Handlungsstränge abseits der Diskussionen um die Kampfstärke von Goblins im Kontrast zu den harschen Arbeitsbedingungen ist allerdings nicht überzeugend. Die Protagonisten sind eher eindimensional schematisch gezeichnet und die Auflösung des Plots überzeugt zu wenig, als das „Company Town“ mehr als ein solides Bemühen darstellt.

 

Anna Martinos „Manjar dos Deuses“ ist seltsame. Der Protagonist kann aus den Haarsträhnen seiner Klienten ihre stärksten Erinnerungen – natürlich positiv – an das goutierte Essen auslesen und kreiert auf diese Weise neue Gerichte. Allerdings nicht real, sondern in deren Vorstellungen. Den im Hospiz liegenden Menschen schenkt er auf diese Art und Weise eine Art letztes Mahl. Er will ein solches Essen auch seiner im Sterben liegenden Mutter zu bereiten,  die in seiner Jugend nicht über die Möglichkeiten verfügte, ein teures Essen zu kochen. Der Titel wird abschließend sehr gut in diese sich immer am Rande des emotionalen Kitsches bewegende, aber respektvoll diese Grenze nicht überschreitende Geschichte eingebaut. Natürlich ist die Ausgangsbasis reine Fiktion, aber die Autorin nimmt diese Idee auf und entwickelt ihren Plot auf einer ernsthaften Basis weiter. Das macht neben den gut gezeichneten Protagonisten den Reiz der Story aus.

 

Aus dem Chinesen übersetzt ist „Inhuman Lovers“ von Chen Qian. Zwei Polizisten arbeiten heimlich in der nahen Zukunft auch als Detektive gegen Barzahlung. Sie sollen einen sehr menschlichen verschwundenen Androiden suchen. Dabei hat ihr Auftraggeber ebenfalls ein Geheimnis zu verstecken. Die Auflösung der Geschichte ist zu simpel und Chen Qian greift eher auf Gewalt denn eine nachvollziehbare logische Vorgehensweise des „Täters“ zurück. Dadurch verliert die anfänglich sehr interessant aufgebaute, von ihren Dialogen getriebene Geschichte an deutlich an Reiz. Zwar werden Elemente des Cyberpunks vor dem Hintergrund einer „Blade Runner“ Atmosphäre effektiv mit den klassischen Hardboiled Elementen verbunden, aber nicht alle Puzzleteile fallen wirklich zufrieden stellend ineinander. Natürlich ist es lesenswert, wenn ein Asiate bzw. Chinese sich diesen klassischen amerikanischen Genres zuwendet, aber Chen Qian versucht daraus nichts Eigenständiges zu machen, sondern kopiert die Vorlagen ein wenig modernisiert lieber.   

 

Adele Gardners „Mars Bodies“ ist im Kern eine Verbindung zwischen „Inhuman Lovers“ – die Idee, neue Persönlichkeiten in künstliche Körper zu versetzen – und „Company Town“ – das Schicksal des Einzelnen interessiert die Konglomerate nicht . Die Astronauten bleiben im künstlichen Tiefschlaf, während ihre Bewusstsein in künstliche Körper kopiert werden, um den Mars zu erkunden. Eine Krise bei der Untersuchung des roten Planeten erzwingt eine im Grunde wenig überraschende Entscheidung der Astronauten. Sollen sie in ihre normalen Körper zurückkehren oder  nicht? Ihre menschlichen Körper gelten im Grunde als „verstorben“, in ihren künstlichen Behältnissen können sie allerdings auf dem Mars und  nicht mehr auf der Erde deutlich länger Leben und die Mission weiter fortführen als ursprünglich gedacht. Die Autorin macht allerdings nicht deutlich, ob es sich um die Originalbewusstseine handelt oder vielleicht Kopien gemacht worden sind. Die technischen Erklärungen sind vage und teilweise irritierend oberflächlich. Auch kann sich der Leser nicht mit den einzelnen Protagonisten wirklich nachhaltig identifizieren. Da hilft auch nicht die einseitige platonische Liebes eines Astronauten zu seiner Kameradin.

 

Nika Murphy präsentiert mit „The Art of Navigating an Affair in a Time Rift“ eine Variation bekannter Versatzstücke des Genres. Eine Frau durchlebt verschiedene Versionen ihres bisherigen Lebens, während sie passiv durch die Zeit oder vielleicht parallele Welten driftet. Manchmal sind die Veränderungen vernachlässigbar klein, haben aber große Auswirkungen. An anderen Stellen ist vieles von Beginn an „anders“, auch wenn die grundlegende Handlung vergleichbar ist und vergleichbar sein muss. So hat sie eine heiße Romanze mit dem attraktiven Nachbarn im Gegensatz zu ihrem langweiligen Leben zu Hause mit Mann und zwei Kindern. Es gibt auch in dieser Geschichte kaum nachhaltige Erklärungen für dieses seltsame Phänomen und die Auflösung der Geschichte ist nicht zufrieden stellend. Die Szenen auf dem Mars stehen in einem zu starken Kontrast zu den ansonsten romantischen, sich allerdings auf dem Niveau einer Soap Opera abspielenden Szenen und die finale Auflösung wirkt leider stark konstruiert.

 

Der Erzähler aus „The Odyssey Problem“ (Chris Willrich) wird von einer Raumschiffcrew befreit. Anscheinend hat man ihn als eine Art Spaßbremse isoliert und schließlich eingesperrt, damit die anderen Bewohner des Planeten ohne schlechtes Gewissen die außerirdische Technologie ausprobieren können. Die Geschichte sollte wahrscheinlich eine vielschichtige Hommage an die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise sein. Die Crew Mitglieder haben keine Ähnlichkeit, aber die moralischen Dilemma aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt sind klassische Star Trek Szenarien. Auch wenn die Crew moralisch richtig handelt, sind die Folgen ihrer Aktion fatal und lassen die fragile Balance zwischen den Außerirdischen – sie scheinen mit den Menschen eher als Götter spielen zu wollen – und den Menschen zerbrechen. Das wirkt ein wenig zu stark aufgetragen und Chris Willrich scheut sich auch nicht, der Pointe eine moralisierende Botschaft hinzuzufügen, aber der Versuch, eine philosophisch intellektuelle Space Opera zu konzipieren führt zu einem zumindest lesenswerten, wenn auch nicht nachdenklich stimmenden Text.

 

Marie Vibbert beschließt den Juni mit „“We built this City“. Die Ähnlich zu „Company Town“ sind interessant und runden die „Clarkesworld“ 189 zufriedenstellend ab. Wieder steht der Konflikt zwischen der Arbeiterschicht und den Konglomeraten im Mittelpunkt der Story. Die Arbeiter erhalten den Dom, unter dem die Stadt in der Atmosphäre der ansonsten lebensfeindlichen Venus verankert ist. Als die Führungsebene aus Kostengründen die Zahl der Arbeiter pro Schicht halbiert, muss sich die Protagonistin entscheiden, ob sie mit ihren Kollegen die Arbeit niederlegt und dadurch die Stadt im Grunde zum Untergang verdammt oder lieber den monetären Spatz in der Hand weiter behält. Arbeitslosigkeit würde zu einer Verbannung aus der Stadt führen. Die Szenen außerhalb des Doms bei den Wartungsarbeiten sind ausgesprochen gut geschrieben worden und geben einen Eindruck von der gefährlichen Arbeit. Die Ausgangsprämisse ist der schwierigste Punkt. Natürlich sucht jedes Management Konstenminimierung, aber in diesem Fall bedeutet das eine existentielle Bedrohung, wenn etwas bei den Schichten schief geht. Ohne die Arbeiter kann die Fabrik nicht existieren und nicht selten wird in diesen Fällen den Spezialisten eher mehr als weniger bezahlt. Daher ist die Ausgangsbasis der Geschichte nur bedingt überzeugend und die finale Auflösung wirkt ein wenig zu heroisch konzipiert. Aber wie „Company Town“ ist die Atmosphäre beeindruckend, die Figuren gut gezeichnet und keine Entscheidung auf Seiten der Arbeiter einfach. Das macht den Reiz dieser beiden Storys aus.

 

Das Titelbild ist eindrucksvoller als die meisten Geschichten. Wie öfter steht eine überzeugend beschriebene Technik den Plots im Wege und wird eher ignoriert als extrapoliert. Das Spektrum von klassischer Cyberpunk Geschichte über Sozialkritik bis letzt endlich dem Terraforming des roten Planeten und der Arbeit auf der Venus ist entsprechend breit. Zusammenfassend ist der Juni 2022 eher leichte Kost aus dem „Clarkesworld“ Universum mit nur zwei wirklich guten Geschichten.         

cover for issue 189

E Book, 112 Seiten

www.clarkesworld.com