The Magazine of Fantasy & Science Fiction 03/04 2022

Sheree Renee Thomas

 

Beginnend mit dem ungewöhnlichen, provokanten, aber auch interessanten Titel ist der Frühling in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ eingezogen. Es ist eine besser ausbalancierte Mischung zwischen bestehenden Autoren und ihren eher klassischen Texten sowie  dem New Weird, das die Editorin Sheree Renee Thomas mit einer Vielzahl von Debütanten im ersten Jahr ihrer Arbeit eingeführt hat. Auch in dieser März/ April Ausgabe debütieren erstaunlich viele Autoren und Autorinnen. Sie treiben den Kontext der Ausgaben weiter in den Bereich der Exzentrik. Es bleibt abzuwarten, ob  diese Vorgehensweise von der Lesergenerationen nachhaltig akzeptiert und angenommen wird.

Die klassischen Kolumnen wie Buchrezensionen (Charles de Lint oder Elizabeth Hand) zeigen auch wie Arley Sorgs Auseinandersetzung mit Zahlen oder Davon J. Skals Vorstellung einer weiteren Streaming Serie die momentane Bandbreite, aber auch die fehlende Tiefe. Alleine bei den Kuriositäten findet der Leser mit „Der Blinde und der Elefant“ einen Titel, der vor einigen Jahrzehnten auch im Heyne Verlag auf deutsch publiziert worden ist.

Bei den Geschichten wird Sheree Renee Thomas weiter internationaler. Wie „Clarkesworld“ streift sie dabei neben amerikanischen oder englischen Autoren auch drei andere Regionen: Afrika, Lateinamerika und schließlich Asien. Diese internationale Ausrichtung hebt „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ stärkt von den Hard Science Magazinen wie „Analog“ oder „Isaac Asimov´s“ zusätzlich ab.

Die Titelgeschichte ist Megan Beadles „Dancing Little Marionettes“. Marionetten führen neben den Aufführungen eine Art Eigenleben. Als eine Marionette bei einer Aufführung kaputt geht, fühlt ihre „Schwester“ deren Schmerz. Eine männliche Marionette versucht ihr auf eine einzigartige Art und Weise zu helfen. Am Ende steht neben einer Liebesgeschichte ein bedingtes Happy End. Der interessanteste Aspekt neben einer abschließenden Exkursion in die übernatürliche Geschichte Prags ist die Tatsache, das sich die Marionetten ihrer hölzernen Existenz durchaus bewusst sind und aus dieser emotionalen Nische heraus agieren.

Am Ende der Ausgabe präsentiert Yefim Zozulya in einer Übersetzung von Alex Shvartsman mit “The Living Furniture” nicht nur eine Geschichte basierend auf einer alten Sage, sondern dreht Megan Beadles Prämisse auf den Kopf. Ein Mann stellt aus ehemals lebendigen Menschen Möbel her. Ihr Geist bleibt in den Möbeln, so das sie sich an eine neue Art der Existenz gewöhnen müssen. Zu kurz um wirklich zu überzeugen ist die bizarre Idee zumindest eine interessante Gegenposition zu Megan Beadles romantischer Liebesgeschichte. 

Klassische Science Fiction – zumindest auf den ersten Blick – präsentiert „Void“ von Rajeev Prasad.  Der Plot spielt in einem militärischen Hospital auf dem Mars, dessen Bevölkerung sich von der Erde abgewandt haben. Der Doktor steht vor einer schwierigen Entscheidung. Der Patient kann nicht mehr auf der Station versorgt werden. Er kann aber auch nicht zur Erde transportiert werden. Anscheinend gibt es eine Art Void, der die jeweiligen Bewusstseine der Menschen aufnimmt. Die nächste Entscheidung betrifft einen marsianischen General  und seinen Sohn, die im Void dem eigenen Soldaten gleichgestellt wären. Die zusätzliche inhaltliche Dynamik kommt von einem eher unerklärten außerirdischen Arzt, dessen moralisch- ethische Entscheidungen logischer sind. Gut gezeichnete Charaktere, ein interessantes Ausgangsproblem und vor allem eine sehr zufriedenstellende Auflösung mit dem entsprechenden dunklen Unterton runden die Geschichte ab.

Auch Ethan Smestads “Lillith” spielt auf dem Mars. Zwei Zoologen wachen über die Tiere, welche irgendwann auf dem terraformten Planeten ausgesetzt werden sollen. Dabei stellt sich heraus, das die Veränderungen auf dem Mars nicht für alle Tiere perfekt sind. Auch wenn Ethan Smestad mit einer interessanten Prämisse beginnt, ist der Plot zu weitreichend, um auf wenigen Seiten aus allen Blickwinkeln zufriedenstellend abgehandelt zu werden.   

Auch „These Brilliant Forms“ von Phoenix Alexander beginnt mit einer klassischen Science Fiction Prämisse. Ein Strandräuberraumschiff mit einer exzentrischen Crew findet im All ein treibendes verlassenes Raumschiff. Die Crew wird an Bord gefangen. Eines der Crewmitglieder ist außerirdischer Herkunft und die Rettung der ihn distanziert behandelnden Kameraden beruht auf einer waghalsigen, im Grunde auch unlogischen, aber auch wieder zutiefst menschlichen Aktion. Die Charaktere sind gut gezeichnet, der Handlungsverlauf allerdings auch ein wenig dem Zufall untergeordnet.

Matthews Hughes ist eine der Autoren, die mehr als regelmäßig ihre klassischen Fantasy Geschichten in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ präsentieren. Positiv haben sie einen sehr hohen Wiedererkennungswert, negativ wirken sie teilweise auch angesichts ihrer Vielzahl ein wenig stereotyp. „The Mule“ fällt leider in die zweite Kategorie. Ein ehemaliger Ermittler nicht unbedingt im polizeilichen Sinne, sondern eher eine Art Privatdetektiv erhält einen neuen Auftrag. Er soll im Namen eines der vielen Götter aus einer anderen Ebene dessen Namen quasi zurückbringen. Das hört sich absurder an als es Matthew Hughes schließlich präsentiert. Der Gott braucht eine Person ohne jegliche magische Fähigkeiten, um seine Aufgaben durchzuführen. Auch wenn die Mission am Ende erfolgreich erscheint, baut der Autor gerne wie regelmäßig eine weitere Pointe ein, an deren Ende die Verlierer eher die Sieger sind und andersherum.

Sarah A. Macklins “Maker of Chains” nutzt ebenfalls eine fast klassisch zu nennende Fantasyausgangsbasis. Ein Laden wird überfallen, Juwelen gestohlen. Der Shopinhaber kennt sich mit Magie aus und kann alleine seine Schmuckstücke vom diebischen Drachen zurückholen. In einem ironischen Ton geschrieben überzeugt die Ausgangsbasis, auch wenn die finale Konfrontation zwischen Drache und Magier immer wieder sehr nahe an den Klischees entlang schleift.

Mensch und “Bestie” spielen auch eine wichtige Rolle in Amanda Diers “Woven”. Ein Junge will einer verwundeten Kreatur helfen, die anschließend eine Art Kreis aus den vorhandenen Pflanzen webt. Das letzte Ingredient muss allerdings vom Jungen kommen, dessen Aufgabe es eigentlich ist, diese Pflanze zu schützen. Was wie die Quadratur des Kreises erscheint wird durch die allwissende Großmutter seitentechnisch in letzter Sekunde und sehr überstürzt aufgelöst.  

Die Großmutter spielt auch in Carl Wamsleys “Nana” eine wichtige Rolle. Mit einer ambivalent beschriebenen Technologie kann man die Bewusstseine von kürzlich verstorbenen Menschen simulieren. Während die Tochter damit ein wenig über den schmerzlichen Verlust hinwegkommt, werden die Verwandten mit schmerzlichen Entscheidungen konfrontiert. Auch wenn der Autor am Ende eine Art doppeldeutige Pointe einbaut, wirken die Charaktere zu stereotyp gezeichnet und die Technik eher oberflächlich konzipiert, als das dieses Konzept wirklich überzeugen kann.  

„Done in the Mire“ ist eine der New Weird Geschichten, die sich durch diese Ausgabe ziehen. Eine Frau ist sein langer Zeit auf dem Boden einer Quelle gefangen. Dort befindet sich ein Schatz, der von einem gefährlichen Wächter gehütet wird. Schatzsucher werden immer wieder getötet, bevor sie die Frau oder den Schatz retten bzw. bergen können. Natürlich kommt irgendwann ein Held mit einer ungewöhnlichen Lösung und rettet zumindest eine der Beiden. Auch wenn die Charaktere gut gezeichnet worden sind, präsentiert der Plot eine Reihe von konstruierten Prämissen, ohne welche die Handlung nicht funktionieren könnte. Auch die Auflösung wirkt angesichts der anfänglich beschriebenen Herausforderungen fast zu simpel.  

Yvette Lisa Ndlovus “From this Side of the Rock” ist eine dieser nachdenklich stimmenden Geschichten, die auch ohne bizarre oder phantastische Elemente auskommen könnten. Menschen können nur “eingebürgert” werden, wenn sie bereit sind, etwas für die neue namenlose Nation zu opfern. Ein Künstler muss seine Augen opfern. Aber die Autorin stellt die Frage, was ein Geschichtenerzähler aufgeben müsste. Eine gute Ausgangsbasis, vor allem auch eine aktuelle Prämisse, die keine stereotypen Antworten liefern möchte, sondern die Leser auf eine absichtlich provokante Art und Weise zum Nachdenken anzuregen sucht.   

Um Vorurteile geht es zum Beispiel in Anna Zumbors “Spirit to Spirit, Dust to Dust”. Eine junge Frau kann in einer unwirtlichen, von Dürre bedrohten Landschaft quasi Wasser aus dem Boden hervorzaubern. Viele Menschen freut es, aber natürlich gibt es auch die Gruppen, die von der Wasserknappheit profitieren und ihr Geschäft in Gefahr sehen. In Frank Oretos “Where God Grows Wild” entstehen die Begierden in den Menschen durch Pollen. Das kann auch zu einem allergischen Schock führen, als ein junger Mann sich in einem Feld voller Pollen verirrt. Beide Texte sind für ihre Prämissen zu kurz. Die Ambitionen der Autoren sind viel zu groß, als dass sie in einer Kurzgeschichte eingefangen werden könnten. Auf der anderen Seite sind es die Ausgangsbasen, welche überzeugen. Zwar kann sich der Leser schwer eine Welt vorstellen, in welcher Pollen quasi für Emotionen verantwortlich sind, aber Frank Oreto nimmt die Ausgangsbasis buchstäblich unter den Arm und rennt einfach mal los.   

 Tobi Ogundiran versucht eine ganze Lebensgeschichte in sein Epos “The Epic of Qu Shittu” zu pressen. Der Versuch muss scheitern, da sich der Leser weder dem Barden noch dem Killer Qu Shittu auf seinem Boot nachhaltig nähern kann. Es ist die Geschichte eines Mannes, der seine ihn liebende Familie verlässt, um Rache zu nehmen und schließlich die Weisheit im Wissen findet. Vieles bleibt ambivalent und wirkt angesichts der Kürze des Textes eher schematisch zusammengestellt denn epochal erzählt.  

Verschiedene moderne Gedichte runden diese herausfordernde, nicht gänzlich befriedigende, aber zumindest thematisch wieder breitere March/ April Ausgabe des “The Magazine of Fantasy & Science Fiction” ab. 



Paperback, Din A 5, 256 Seiten

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