Das Alien tanzt im Schlaraffenland

Ellen Norton (Hrsg.)

Nach drei Anthologiuen mit bestimmten Tänzen erweitern Ellen Norton und ihre Mitstreiter das Thema und lassen nach der Bewegung eine schmackhafte Mahlzeit zu. Insgesamt zweiundzwanzig Humoresken aus mehr als einem hungrigen Universum finden sich in dieser Storysammlung. 

 Es gibt eine Reihe von Kneipengeschichten. First Contact spielt eine wichtige Rolle, wobei die Autoren auch noch das Subgenre mit den Aliens auf der guten alten vertrauten Erde eingebracht haben.

 Kristina Baumgartens „Sternenküche“ ist eine Mischung aus schmieriger Kneipe, Film Noir und der Suche nach dem Genuss der Zeit, um die Sterne vor dem Lokal behalten zu können. Die Film Noir Atmosphäre inklusive des geheimnisvollen Auftrags dienen in erster Linie dazu, um den Leser abzulenken, sein stereotypes Denken inklusiv der ihm bekannten Klischees in eine bestimmte Richtung zu lenken, während die Pointe aus einer anderen Perspektive betrachtet werden sollte. Ein solider, interessanter und vor allem verführerisch schmeckender Auftakt.

 Auch Nob Shepherds „Galadinner“ versucht sich an einigen kriminalistischen Elementen. Der Erzähler ist Detektiv und wurde von den Dons angeheuert, die Gäste auf einem besonderen „Galadinner“ – der Titel ist das wichtigste Programm der Geschichte – zu bewachen. Die exotische Speiseabfolge inklusiv einiger Warnhinweise hält die einzelnen Teile zusammen, während der „Mord“ ans Ende der Story verbannt worden ist und im Grunde zu spät kommt.

In Claudia  Aristovs „Omega und die verschwundene Taverne“ suchen zwei fast zum Klischee charakterisierte Typen nach einer besonderen Kneipe, dem Bumms. An seinem angestammten Platz ist es seit vielen Jahren nicht mehr, ersetzt durch einen sterilen Neubau mit einer besonders langweiligen Küche. Wie gut, dass es in diesem Universum Mittel und verbotene Wege gibt, um durch die Dimensionen zu brechen und kurze Zeit „heimisch“ zu sein. Viele überdrehte Ideen, ein hohes Tempo, aber auch eindimensionale Charaktere zeichnen diese Geschichte aus.

 Aus dem zumindest in der Theorie Bereich der Jugend SF stammt Marcel Michaelsens „Trihlogigh“. Drei Jugendlich schleichen sich in einen besonders schmierigen Imbiss. Ihr Freund Klonk mit seinem Hartholzraumschiff will sie retten, weil dreifache Gerichte in dieser seltsamen Kaschemme sehr beliebt sind. Und es handelt sich dann um drei Menschen. Die Dialoge wirken teilweise überzogen- auch der laufende Gag mit den Ninja Filmen bzw. es kann keine Filme ohne Ninjas geben schleift sich schnell ab. Das Ende wirkt wie bei einigen anderen Geschichten hektisch. Der Autor versucht, den Hintergrund seiner Geschichte exzentrischer darzustellen als es der Plot aushält.    

 „Wild Red No. 42” von Johann Seidl verbindet in der Kneipe Rusty Outpost Shakespeare mit Philip K. Dick, aber vor allem auch Rutger Hauers so berühmten Monolog aus „The Blade Runner“. Die Ausgangsbasis mit dem fremden Besucher, der eeine Geschichte gegen alkoholische Grundversorgung erzählen will, ist fast schon absichtlich klischeehaft angelegt. Der Autor beginnt dann vor einer Handvoll faszinierter Zuhörer nicht nur einen klassischen Shakespeare Texte zu erzählen, sondern verbindet Raum und Zeit wie eingangs erwähnt miteinander. Auch wenn das Tempo der Geschichte durch die verschiedenen Rahmen nicht sonderlich hoch ist, lebt sie von der ideentechnischen Exzentrik und hebt sich deswegen auch der Masse der anderen manchmal stark auf Humor getrimmten Texte positiv hervor.  

 Bei Achim Stoessers „Schlaraffenland – die Suppenküche am Ende des Universums“ erhält ein selbstständiger, aber durch Reparatur seines Raumschiffs monetär auch stark eingeschränkter Raumfahrer das Angebot, für den Rest der Pachtzeit ein Restaurant zu übernehmen. Alleine durch den Namen und die Geschichte des Schlaraffenlandes stößt er einige Gäste vor den Kopf. Achim Stoesser beginnt seine Story mit hohem Tempo und einigen schönen Dialogen, bevor die Idee leider in der Umständlichkeit versandet. 

 „Eierlauf“ von Marcel Streit ist die utopische Indiana Jones Variation dieser Anthologie. Zwei Freunde, in monetären Dingen eher naive Pechvögel, agieren auf einem exotischen, in der Theorie friedfertigen Planeten, wo sie natürlich einen wertvollen Schatz stellen wollen. Die Geschichte zeichnet ein hohes Tempo aus, wobei der Happy End ein wenig gewollt erscheint. Die letzte Story dieser Anthologie aus der Feder Thomas Neus „Ein Pudding im All führt zu raschem Verfall“ beginnt gut mit der frischen Beziehung zwischen zwei Besatzungsmitgliedern und dem nach Pudding ausschauenden, auf einem besuchten Planeten gefundenen Wesen. Auch seine Nahrungsgrundlage ist noch unterhaltsam, aber wie einige andere Texte kann Thomas Neu seinen Plot nicht mit einer überzeugenden Pointe abschließen. 

 Die Begegnung mit den Fremden findet nicht nur im All oder auf der Erde, sondern manchmal auch in deren Gärten statt. Jol Rosenberg eröffnet diesen Handlungsbogen mit „Frischer Exquisit- Rasen mit Bolvan an Trak und Upsen“. Manches erinnert ein wenig an die Ausgangslage in Douglas Adams weltberühmten Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“. Da die Wurmlochstraße eine Panne hat, ist sie eigentlich gesperrt und soll eben nicht im Garten des Protagonisten enden. Natürlich landen immer wieder die Verkehrszeichen ignorierende Rüpel oder wie in dieser Geschichte zwei Menschen in dessen Garten. Der Versuch der Kommunikation ist schwierig, die Möglichkeit der Rettung eher konstruiert und doch findet der Leser am Ende eine Art Happy End vor. Die Ausgangslage der Geschichte ist interessant, die bedauernswerte Situation des Protagonisten nachvollziehbar. Aber je länger sich die Geschichte hinzieht, desto konstruierter erscheint sie.

 Bei Andres Friedbergs „Durch den Magen“ ist fast alles wieder am Platz. Eine weitere First Contact Geschichte, dieses Mal im All. Der Kontakt kann nur auf olfaktorischer Basis stattfinden, was zumindest den Menschen Schwierigkeiten macht. Eine klassische Pointengeschichten, die vor allem durch die absichtlich als Kalauer angelegten Dialoge aus der Masse der hier versammelten Humoresken positiv herausragt. Kai Riedemanns „Mein letzter Rettungseinsatz“ ist eher eine Miniatur. Der Titel ist Programm. Eine Dame wird als einzige Überlebende auf einem paradiesischen Planeten sogar mit Ureinwohnern gefunden. Warum es ihr so gut geht, erschließt sich dem Rettungssanitäter natürlich erst zu spät. Die Pointe ist ein wenig konstruiert, aber durch die Kürze des Textes und vor allem die pointierten  Nebenbemerkungen eine kurzweilige Miniatur.

 Die Außerirdischen kommen aber auch zur Erde. Volker Adams „Die Sachen mit den Mucken“ ist eine lange Rückblende. Der Erzähler erinnert sich an die glücklichen Tage auf dem Weingut seiner Oma und deren bester Freundin. Diese erzählt den Kindern abends immer sonderbare Geschichten. Dabei spielen auch die Mucken eine Rolle. Der Leser ahnt schneller als die Protagonisten, das die Tante nicht aus dem Erdboden gewachsen ist. Auch wenn neben dem Insektensterben der Text vor allem nostalgische „Kindheitserinnerungen“ enthält und stilistisch erstaunlich sachlich, distanziert und deswegen auch stimmungsvoll erzählt worden ist, ist die mögliche Vertrautheit mit der grundlegenden Idee nicht einmal störend. Rainer Schorms „Gugelmüre“ ist deutlich exzentrischer, auch wenn die beiden Geschichten von Volker Adam und Rainer Schorm gemeinsame sehr weitläufige Wurzeln haben. Die Außerirdischen landen auf der Erde. Erst nach und nach erkennt der Protagonist mit dem Leser an der Seite, das die Fremden nicht gelogen und doch irgendwie auch nicht die Wahrheit gesagt haben. Innerhalb von wenigen Wochen werden die Menschen erkennen, das sie einen neuen Status erreicht haben. Gegen den eigenen Willen und vor allem auch nicht unbedingt gerne. Rainer Schorm überspannt den Bogen mit seiner Geschichte absichtlich. Ein wenig zu exzentrisch, mehr als paranoider Alptraum angelegt ist es eine der ersten Geschichte, in denen es nicht mehr um exotische Gerichte geht, sondern um ein genretechnisch noch älteres Merkmal.

 Auch Jörg Weigands „Das galaktische Desaster“ ist eine klassische Pointenminiatur mit dem Besuch der Außerirdischen in Bayern und vor allem dem Wunsch nach deftigen bayerischen Essen mit den entsprechenden Folgen. In dieser Sammlung ein eher schwacher, auch von der Grundidee mechanischer Beitrag.  Seine Frau Klara Weigand präsentiert in „De gustibus...“ eine Variation des Themas. Wieder soll es zu einem kulturellen, aber auch kulinarischen Austausch zwischen den Außerirdischen und den Menschen kommen. Aber nicht so einseitig wie bei Jörg Weigand und die Fremden sind besser darauf vorbereitet. Die Autorin spart nicht mit Seitenhieben auf Veganer und Vegetarier, während die Außerirdischen den Exzessen der so genannten „gehobenen“ Gesellschaft frönen. Ein Schelm, der unwillkürlich an die Perlen vor den Säuen denken muss.    

 Ellen Nortons „Ilona und der Apfel“ ist natürlich eine Nacherzählung von Schneewittchen. as Schneewittchen landet auf einem abgeschiedenen Planeten bei den sieben Zwergen. Ellen Norton Schneewittchen verfügt über Tentakel, während die sieben Zwerge in ihrem Bergwelt eigentlich sehr zufrieden   vor sich hinleben. Neben dem obligatorischen Apfel und natürlich auch der bösen Stiefmutter mit ebenfalls Tentakeln kann der Leser dem bekannten Plot mit einigen wenigen exzentrischen Ideen sehr gut folgen. Alleine das inhaltliche Überraschungsmoment fehlt.

 Stoks „Schwarze Seele“ mit einem Bäcker voller Wahnvorstellungen ist eine absurde Farce, die inhaltlich sehr viel sein möchte, aber abschließend nicht fokussiert genug erscheint. Die langen Monologe lesen sich isoliert von der Handlung amüsant, aber der Funke will nicht wirklich überspringen.  Auch Diane Dirt alias Marienne Labischs „Zoff im Schlaraffenland“  besteht vor allem aus dem Ruhrpotslang und einen Braunfell, der sich wahrscheinlich eher im eigenen Paradies als dem langweiligen, vom Überfluss strotzenden Schlaraffenland bewegen möchte. 

 Bei Monika Niehaus „Fragen Sie Dr. Proctor“  ist der Titel Programm. Drei Fragen werden dem Doktor Erwin Markus der Zukunft gestellt. Die Fragen bzw. Antworten basieren auf den Grundlagen der Biologie, was vielleicht den Reiz dieser Miniatur ausmacht.

 Bei Jasmin Mrugowski ist der Titel der Geschichte „Arme Ritter“ auch Programm. Die Autorin mischt wunderbar die Klischees mit dem Piratenerzschurken und seiner verzweifelten Suche nach einem bestimmten Rezept mit einer überdrehten Handlung und schließlich einer improvisierten Auflösung. Die Stärke der Geschichte liegt in der Tatsache begründet, das sich die Autorin zwar dieser Klischees durchaus bewusst ist, aber sie wie die angeblich um die Ecke gebrachten Köche auch positiv nutzt, um die humorvolle Note zu erhalten. Der Leser muss nur akzeptieren, das die armen Ritter durch einen Zufall während eines intergalaktischen Dinners kredenzt worden sind. Dann funktioniert der Plot ausgesprochen gut.

Nadine Opitz verfügt in „Bella Italia“ über zwei sehr markante Protagonisten. Sie landen trotz eines Verbots, die Erde zu betreten, in Italien, weil sie unbedingt echt italienisch essen wollen. Natürlich erwecken sie Aufsehen und neben der Ordnungspolizei ist es ein Sektkorken, der blutige Spuren hinterlässt. Alleine die beiden wichtigsten Protagonisten und ihre jeweiligen Geschichten machen die Geschichte lesenswert.

 Zu den besten Texten der Sammlung gehört Wolfgang Moers „Kusters Kuttelsuppe“. Nicht, weil sie besonders lustig ist. Das Gegenteil ist der Fall. Dem Autoren gelingt es, aktuelle Zeitthemen mit einer melancholischen, aber auch lesenswerten Suche nach einem besonderen Rezept mit türkischen, aber auch irgendwie österreichischen Wurzeln miteinander zu verbinden. Die Aliens müssen nicht unbedingt sein, im Grunde stören sie auch. Alleine der sprechende Hund mit seinen Weisheiten reicht als phantastisches Element aus, um nicht nur den Leser, sondern auch den Protagonisten zu faszinieren.

 Einige der Geschichten sind farblich von Lothar Bauer illustriert worden. Lothar Bauer ist auch für das auffällige, den Tenor einzelner Geschichten gut treffende Titelbild zuständig. Ob alle Gerichte schmackhaft sind, muss der Leser selbst entscheiden. Humor ist immer aus dem Auge des Betrachters zu bewerten und manche Storys verfügen eher über humoreske Elemente als das sie als lustige Geschichte überzeugen können. Trotz einzelner Schwerpunkte wie Restaurants/ Kaschemmen/ ehemalige Pizarien oder  normale Kneipen in allen Teilen des Universums oder dem klassischen von Missverständnissen geprägten First Contact ragen einzelne Texte durch eine effektive Nutzung der Vorgabe aus der Masse der Storys positiv heraus. Eine interessante, vielleicht manchmal zu oberflächlich von den Autoren hinsichtlich ihrer Pointen gestaltete Sammlung, welche nicht die Qualität der ersten Musikanthologie erreicht, aber wie die beiden Epigonen in dieser hektischen und nicht immer freudigen Zeit zumindest unterhält.    

Ellen Norten (Hrsg.)
DAS ALIEN TANZT IM SCHLARAFFENLAND
Schmackhafte SF und Fantastik aus einem hungrigen Universum
AndroSF 148
p.machinery, Winnert, Januar 2022, 272 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 269 0 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 829 6 – EUR 4,99 (DE)