Die Hölle ist ewig

Alfred Bester

1993 erschien in der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlags eine Originalzusammenstellung dreier Kurzgeschichten aus Alfred Besters bester Zeit; ein Essay hinsichtlich seines Verhältnisses zur Science Fiction und mit dem Kurzroman „Die Hölle ist ewig“ eine seiner besten Arbeiten der siebziger Jahre.

 

Es lohnt sich allerdings buchstäblich am Ende anzufangen. Das Essay  „Meine Affäre mit der Science-fiction“ erschien 1977 im „Star Light, Star Bright“ Magazin. Der Text muss aber mindestens fünf Jahre älter sein. Auch wenn Alfred Bester in den sechziger Jahren drei der vier gesammelten kürzeren Texte geschrieben hat, kehrte er Anfang der siebziger Jahre mit dem auch im Magazinform publizierten Buch „Der Computer und die Unsterblichkeiten“ auf die Science Fiction Bühne als Romanautor zurück. Am Ende dieses Essays spricht er noch vor einer bevorstehenden Rückkehr.

 

In der Provinz aufgewachsen hat die Science Fiction trotz mancher inhaltlicher Schwächen den jungen Alfred Bester sehr früh eingefangen. Nach dem Studium fing er an Kurzgeschichten zu schreiben und gewann einen Wettbewerb. Bester greift anschließend weit in die Zukunft und zitiert auf einem Interview mit Robert A. Heinlein. Dieser wollte „Life-line“ als seine erste Science Fiction Geschichte im gleichen Wettbewerb präsentieren, entschied sich anschließend allerdings für „Astounding“, weil die zwanzig Dollar mehr bezahlt haben. Es ist bezeichnend für Heinlein, das er selbst einem schreibenden Kollegen gegenüber an den selbst gezimmerten Legenden festhält...“For Us,  the Living“ war seine erste, allerdings von den Verlagen abgelehnte Science Fiction Geschichte bzw. sein erster Science Fiction Roman.

 

Bester berichtet von Treffen mit amerikanischen Science Fiction Autoren wie Kuttner, Wellmann, Hamilton, später Judith Merryl oder Lester Del Rey. Nach seinem ersten Erfolg mit „The Demolished Man“ wurde er zu den Hydras eingeladen, um James Blish, Theordore Sturgeon oder Avram Davidson. Auch während seiner Zeit in England ist er immer wieder auf SF Autoren wie Arthur C. Clarke oder John Wyndham getroffen. Lebhaft, ein wenig brüskierend erzählt Alfred Bester von seinen Begegnungen mit den aus seiner Sicht markanten Eckpfeilern des Genres.

 

Nach fast zwanzig Kurzgeschichten inklusive „Die Hölle ist ewig“ begann Bester in den Bereich des Comics zu wechseln. Die Verdienstmöglichkeiten waren besser und als bequemer Mensch – wie er sich mehrfach selbst bezeichnet – war es leichter, Fuß zu fassen. Später sollte er auf diese Art zum Radio wechseln und Kriminalhörspiele schreiben. In den fünfziger Jahren folgte abschließend der letzte Wechsel in den Bereich der Magazinreportage. Wieder, weil das Geldverdienen schneller und einfacher ist als das Verfassen von komplexen Science Fiction Romanen, die nur bedingt Geld und noch weniger Ehre einbrachten. Diese pragmatische Haltung scheint in einem starker Widerspruch zu der ausführlichen Beschreibung seiner Arbeit an „The Stars My Destination“ zu stehen, den Bester in Italien und Großbritannien verfasst hat. Hier stand ihm nicht wie bei seinem Erstling „The Demolished Men“ mit Horace Gold ein herausragender Lektor und kreativ kritischer Partner zur Verfügung. Dagegen distanziert sich Alfred Bester von John W. Campbell, dem er zwar eine Geschichte verkaufte, der sich zu diesem Zeitpunkt mehr für den Weltfrieden dank Hubbards Dianetik interessierte und im sekundärliterarischen Teil von „Astounding“ zu propagieren begann.    

 

Am Ende charakterisiert sich Alfred Bester augenzwinkernd selbst. Ein humorvoller Mann, der das Leben auch gerne genießt, verheiratet mit einer hübschen Schauspielerin und ein Umarmer/ Küsser... geschlechtsneutral. Diese über dreißig Seiten bringen dem Leser Alfred Bester gleich zu Beginn seiner Karriere näher und lassen „Die Hölle ist ewig“ weniger bizarr aus dessen Gesamtwerk herausstehen. .  

 

Die Novelle erschien zum ersten Mal in der August 1942 Ausgabe von John W. Campbells „Unknown“ Magazine. Sicherlich die größte Überraschung, denn „Unknown“ sammelte viele Geschichten nicht aus dem Bereich der Fantasy, sondern eher übernatürliche, nicht selten humorvolle Storys und Novellen. In der Einleitung schaut Alfred Bester nicht nur auf diese Zeit und vor allem auch die erste Begegnung mit John W. Campbell zurück, sondern beschreibt auch, wie ihm Kopien aus den Archiven des Magazinverlages zur Verfügung gestellt werden mussten, damit er diese ambitionierte frühe Arbeit eines literarisch besessenen Alfred Besters für die siebziger Jahre und die entsprechende Neuveröffentlichung behutsam überarbeiten konnte.

 

Die „Unknown“ Geschichten leben von ihren Pointen. Nicht selten doppeldeutig und subversiv. Auch Alfred Bester präsentiert am Ende seiner Novelle eine Auflösung, welche die gegenwärtige Lesergeneration in erster Linie einem Briten zutraut: Neil Gaiman. Wie weit Alfred Bester auch in dieser auf den ersten Blick mechanischen Story seinen Epigonen voraus gewesen ist, zeigt weniger ein Blick auf die subtilen Details, welche auch heute noch den Reiz der Geschichte ausmachen, sondern das subversive ganze Bild. Es gibt nur wenige Storys, in denen Satan auf eine derartige Art und Weise dargestellt worden ist. Und keine Geschichte, in welcher Satan im Grunde den Menschen ebenbürtig ist. Aus Sicht des kosmischen Schicksals. Diese Episode ist mitten in die Novelle eingebettet und stellt den Höhepunkt der ganzen Geschichte dar.

Am Anfang gibt es eine Art britischen „Hellfire“ Club. Sechs Menschen – vier Männer, zwei Frauen -, welche der britischen Oberschicht angehören oder finanziell unabhängig sind. Sie treffen sich, um die Langeweile zu durchbrechen. In einer Bombennacht fliehen sie aus der Londoner Villa Lady Suttons in einen Luftschutzbunker. Hier vollziehen sie ein satanisches Beschwörungsritual mit einem überraschenden Ausgang. Eine siebente Gestalt sucht sie im Bunker auf. Aber sie zeigt sich erst, als einer der Teilnehmer seine Clubmitglieder mittels einer Marionette und Schattenspielen an der Nase herumgeführt hat.

 

Der Besucher ermöglicht jedem dieser sechs Menschen, durch ein Tor in eine andere, neue Welt zu treten und dort seine Wünsche auszuleben. Aber die Rückreise ist nicht möglich. Die Idee wirkt auch für eine Geschichte aus den vierziger Jahren antiquiert, aber Alfred Bester zündet ein Feuerwerk von Ideen, um diese Welten bizarr erscheinen und die Erkenntnisse der jeweiligen Menschen bitterböse werden zu lassen.

 

Dabei reicht der Reigen vom natürlich arroganten Künstler über die reiche, verwöhnte Lady und ihren Liebhaber oder dem passiven Schriftsteller bis zu dem Mann, der mit sich selbst zufrieden ist und keine Änderungen plant. Nur sieht es seine Umgebung anders und er wird eines Mordes bezichtigt, den er technisch begangen haben kann, aber dessen Opfer zumindest aus seiner subjektiven Perspektive noch lebt. Diese klassische Kriminalhandlung beschließt auch den Handlungsbogen und schließt den teuflischen Kreis. In mehrfacher Hinsicht zeigen die abschließenden Erkenntnisse den Protagonisten auf, das es immer eine weitere Ebene über ihnen gibt; andere Personen, die gelangweilt sind und die „Hölle tatsächlich ewig“ ist.

 

Alfred Bester legt beginnend mit dem notwendigen Rahmen ein hohes Tempo vor. Die Geschichte lebt weniger von den arroganten, selbst verliebten und vom alltäglichen Leben selbst in Kriegszeiten gelangweilten Protagonisten, sondern ihren Begegnungen teilweise mit sich selbst. Lange Zeit ist Lady Sutton das verbindende Element, auch wenn sie selbst hinter ihrem persönlichen Tor kein einfaches Schicksal hat. Aber auf den letzten Seiten verschiebt Alfred Bester nach einer literarischen. Historischen Exkursion selbst bis in die Bibel die Perspektive und präsentiert die Erklärung erstaunlich pragmatisch. Nicht nur den Protagonisten bleibt das letzte Wort im Hals stecken.

 

Die Geschichte erreicht noch nicht die literarische Qualität, welche Bester in den fünfziger Jahren vor allem im Bereich der Science Fiction auszeichnete. Aber schon in dieser Novelle erweist er sich als Schöpfer bizarrer Welten und legt seinen Figuren (handlungstechnisch zu spät) viele alltägliche Weisheiten in den Mund. Nicht umsonst liegt die Wahrheit ausschließlich im Auge des Betrachters. Die Wiederveröffentlichung dieser lesenswerten Novelle zeigt die literarische Entwicklung Alfred Besters allerdings an Hand eines ungewöhnlichen Stoffes gut auf. Vielleicht will der junge Autor seinen Lesern ein wenig zu penetrant seine Bildung aufzeigen und verfängt sich teilweise in den literarischen Anspielungen, aber das macht auch den Reiz dieser Novelle voller dekadenter, lebensuntüchtiger und vor allem gelangweilt unsympathischer Charaktere aus, die ihr Schicksal selbst heraufbeschworen haben und es deswegen auch bis in die Ewigkeit verdienen.    

 

„Der Pi-Mann“ aus dem Jahr 1964 ist von den drei Kurzgeschichten der wahrscheinlich experimentellste Text. Wie in „The Demolished Men“ etabliert Alfred Bester eine Art Übermensch. Der Leser weiß nicht, ob der selbst ernannte Kompensator wahnsinnig ist oder die Menschen dessen kosmopolitische Stellung nicht wirklich anerkennen können. Bester spielt auch in der ohne Frage schwierigen deutschen Übersetzung von Michael Koseler mit der Sprache. Nicht selten baut er „Bilder“ aus Worten, um expressiv symbolisch einzelne Positionen zu vertreten. Das Tempo der Geschichte aus ausgesprochen hoch. Absichtlich etabliert Alfred Bester einen leidenden Antihelden, der sich einem ihm aufgebürdeten Schicksal unterwirft, fatalistisch für Ordnung im Zahlenchaos des Kosmos sorgt und alleine zurückbleibt.

 

Bei den beiden anderen Geschichten „Die Zeit ist der Verräter“ und „Die Männer, die Mohammed ermordeten“ gibt es eine gemeinsame Botschaft. Zeit ist immer subjektiv. Sie kann nur nach vorne gedacht, aber rückwärts eingeordnet werden. In der zweiten Geschichte geht Alfred Bester noch einen Schritt weiter, in dem er ein besonderen kulinarischen Vergleich wird. Ein Besuch beim Stammitaliener wird nach dieser Story nicht mehr das Gleiche sein. In der ersten Geschichte steht ein Mann im Mittelpunkt, der ENTSCHEIDUNGEN treffen kann. Es ist keine außergewöhnliche Fähigkeit. Der geheimnisvolle Protagonist benutzt dabei nur seinen Verstand. Ironische Seitenhiebe auf die Wirtschaftsbosse mit ihrem Aberglauben inbegriffen. Allerdings gibt es besondere Regeln, wenn man ihn anheuern möchte. Diese Regeln stehen in einem engen Zusammenhang mit seiner eigenen Vergangenheit. In „Die Männer, die Mohammed ermordeten“ ist eine Zeitreisefarce beginnend mit einem Genie, das von seine Frauen betrogen wird. Er erfindet eine Zeitmaschine und beginnt die Vergangenheit zu verändern. Für ihn mit frustrierenden Auswirkungen. Wahrscheinlich hat diese Geschichte aus David Gerrold zu „Zeitmaschinen gehen anders“ inspiriert. Einige Aspekte sind aus Alfred Besters temporeicher, immer absurder werdenden Geschichte übernommen und von David Gerrold auf eine persönlichere, selbst reflektierende Art und Weise extrapoliert worden. Dabei legt Gerrold mehr Wert auf die Zwischentöne, während Bester mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs durch die Geschichte eilt und seine Farce mit der obligatorischen Begegnung zweier Inkarnationen des Protagonisten enden lässt. Bei David Gerrold haben diese Protagonisten miteinander Sex , bei Bester müssen sie erkennen, das sie nur Ratten in einem gigantischen Labyrinth sind, die an einem metaphorischen Strang hin und her eilen können, ohne wirklich Einfluss auf da Universum, die Zeit oder die persönliche Katastrophe zu haben.

Alle drei Geschichten zeichnen die pointierten Dialoge aus. Während die Zeichnung der Protagonisten ein wenig schematisch erscheint, treibt Bester die Handlung wie beim Schreiben von Comics perfektioniert immer wieder durch absurder werdende Gespräche zwischen den Protagonisten voran. Bester verzichtet auf übergeordnete Erzähler und vermittelt fast alles immer auf Augenhöhe der Leser, die an den surrealistischen Geschehnissen staunend „teilnehmen“ und wie die handelnden Personen nichts wirklich ändern können. Alles ist bestimmt, aber keine Bestimmung. Das macht den Reiz dieser originellen, absichtlich mit den Versatzstücken des Genres beginnend mit den verhutzelten Wissenschaftlern und endend bei den cholerischen Antihelden und Garagenerfindern versetzten Storys aus.

 

Wer sich näher mit Alfred Bester und seinem relativ schmalen, aber für das Genre sehr wichtigen Werk beschäftigen möchte, wird in diesem kleinen Bändchen alleine durch das empfehlenswerte Essay einen idealen Einstieg finden. Die vier Geschichten sind auch nicht zu verachten und zeigen den Amerikaner der vierziger und sechziger Jahre in Erzähllaune. Oder wie er selbst sagt, nach einem erfolgreichen geistigen Diebeszug. 

Die Hölle ist ewig

  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3518386573
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3518386576
  • Suhrkamp Verlag
  • Taschenbuch, 225 Seiten