Zerrissene Erde

N.K. Jemisin

„Zerrissene Erde“ ist der erste Band der „Broken Earth“ Trilogie.  Mit dieser Trilogie schaffte die in Iowa City geborene Nora Keita Jemisin ein Novum. Zum ersten und bislang einzigen Mal wurden alle drei Bände ihrer Trilogie jeweils mit einem HUGO als bester Roman ausgezeichnet. Und das drei Jahre nacheinander. Arkady Martine kommt bislang auf zwei HUGOs für die ersten beiden Teile ihrer Trilogie „A Memory Called Empire“ und „A Desolation Called Peace“. Allerdings liegen zwischen den beiden Büchern zwei Jahre. Einen Rekord kann Arkday Martine allerdings noch holen. Sollte der dritte Band ebenfalls mit einem HUGO ausgezeichnet werden, wäre sie die erste Autorin, die mit ihren ersten drei Romanen jeweils den HUGO gewonnen hätte.

N. K. Jemisin veröffentlichte zwischen 2010 und 2012 die „Inheritance“ Trilogie, für welche sie mit dem Locus Award ausgezeichnet worden ist. Ein vierter Hugo reiht sich 2020 für die Novelette „Emergency Skin“ in die Phalanx ein.

„Zerrissene Erde“ erschien unter dem Titel „The Fifth Season“ 2016. Spätestens mit dieser Trilogie hat sie sich als legitime, aber auch sehr originelle Nachfolgerin von Octavia Butler etabliert. Vielleicht sind die Auszeichnungen auch eine Hommage an die große farbige Dame aus New York, die in den achtziger Jahren das ethnische Genre auf eine neue intellektuelle Stufe geführt hat. Kulturelle Konflikte, Unterdrückung bis Sklaverei und vor allem auch die Isolation von Außenseiten zieht sich durch die beiden Werke der Autorinnen. Während Octvia Butler in ihrer „Patternmaster“ Serie an Hand von Unsterblichen mit besonderen Fähigkeiten der Weg aus der Geschichte der Menschheit zu den Sternen beschrieben hat, siedelt N.K. Jemisin ihre Trilogie von Beginn auf einem fremden Planeten an, der aber von „Menschen“ bewohnt wird.

Die Geschichte spielt auf einem Planeten mit einem einzigen Kontinent, soweit es die Autorin offenbart. Der Kontinent heißt im amerikanischen Original „Stillness“, auch wenn er nicht immer seinem Namen gerecht wird. In einer regelmäßigen Abfolge von mehreren Jahrhunderten kommt es zu klimatischen Veränderungen und Erdbeben. Die Einwohner nennen diese Zeit „The Fifth Season“, nach dieser Periode hat die Autorin auch den ersten Band ihrer Serie benannt.

Der Roman beginnt mit der Entdeckung eines Mordes durch die nach Hause zurückkehrende Mutter. Ihr drei Jahre alter Sohn wurde von seinem Vater erschlagen. Essun macht sich auf die Suche nach dem Mörder, um sich an ihm zu rächen. Diese Suche ist gleichzeitig der Auftakt zu einer ausführlichen Beschreibung dieser außerordentlichen Zivilisation.

Essun ist keine gewöhnliche Frau. Sie ist eine Orogene. Sie kann die Erde manipulieren. Sie kann ihre Energie in Form von Hitze hinzufügen oder umleiten. Im Laufe des Romans geht N.K. Jemisin auf den besonderen Status der Orogenen in dieser archaischen Gesellschaft ein. Dabei bedient sie sich klassischer Methoden, in dem sie auf der einen Seite eine für den Leser griffige Handlungsebene um Essun einführt, auf der anderen zweiten Ebene ein junges Mädchen nicht nur mit den eigenen Fähigkeit konfrontiert, sondern aufzeigt, wie die Gesellschaft positiv und negativ mit den Orogenen verfährt. Wie Octavia Butler geht sie allerdings nicht in die Details. Diese Fähigkeiten sind Fluch und Segen zugleich. Wobei die abergläubischen Menschen in diesen Mutanten eher Unglücksbringer sehen. Unkontrollierte Fähigkeiten können zu einer tödlichen Waffe werden.

So können die Orogenen auch den Menschen in ihrer Umgebung die Wärme entziehen und sie in den Boden weiterleiten. Damit können sie töten. Die Orogenen werden wegen dieser Fähigkeiten hasst und gefürchtet. Nicht selten werden die Mutanten im Frühstadion von den Dorfbewohnern getötet, wenn ihre Fähigkeiten offensichtlich werden. Essuns Sohn hat wie ihre Tochter auch diese Fähigkeit gezeigt und wurde deswegen vom Vater erschlagen.

Wenn die Mutanten nicht von einem Mob  umgebracht werden, besteht die Möglichkeit, sie in die Obhut der Wächter zu geben. Diese bringen sie nach Fulcrum in der Stadt Yumenes, wo sie ausgebildet werden. Nach einer erfolgreichen Ausbildung – Fehlverhalten wird mit dem Tod bestraft -  müssen sie eine schwarze Uniform tragen. Ringe an den Händen zeigen ihren Rang. Interessanterweise werden auch die uniformierten Orogenen nur toleriert, vielleicht aus Angst oder Respekt weniger oft erschlagen. Dabei unterdrücken die Orogenen die Bevölkerung nicht.

Die Gesellschaft auf Stillness ist in verschiedene Kasten eingeteilt. Das macht die Lektüre des Buches bzw. der Trilogie auch zu Beginn eher zu einer Herausforderung. Zwar erklärt N.K. Jemisin jede Kaste und deren soziale Funktionen dem Leser durch eine Stellvertretung im Roman, aber zu Lasten des Plots prasseln sehr viele Informationen auf den außenstehenden Betrachter ein. Octavia Butler hat in ihrer „Patternmastern“ Serie dieses Problem ein wenig geschickter gelöst, in dem sie sich lange auf eine Protagonistin und einen Konflikt konzentrierte. Die meisten Informationen wurden dem Leser direkt in „Wild Seed“ durch die Erzählerin vermittelt.

Die Beschreibungen der einzelnen Kasten sind dabei relativ simpel. Ihre Funktionalitäten lassen sich aus den Bezeichnungen wie „Strongback“ – für die Arbeiter – oder „Resistants“ für die angeblich Immunen; die „Breeder“ mit der Aufgabe, die Bevölkerungsanzahl zu kontrollieren oder den „Innovaters“ als geistige Elite zuordnen. Das wirkt auf der einen Seite sehr geordnet, vielleicht ein wenig einfallslos. Hinzu kommt mit der „Leadership“ Kaste die Autoritätsebene. Hier weicht N.K. Jemisin allerdings von den bekannten Verhaltensmustern ab, in dem Menschen auch zwangsrekrutiert werden können.

„Zerrissene Erde“ endet mit einem Cliffhanger. Im Mittelpunkt steht mit Alabaster ein zwiespältiger Charakter. Zu Beginn des Buches interagiert Alabaster nur mit Syenite, einer der fähigsten Orogenen, die in Fulcrum ausgebildet worden ist. Sie soll mit Alabaster auf einer Mission an  die Küste ein Kind zeigen, damit die nächste Generationen der Orogenen noch mächtiger wird. Die Idee der Züchtung von neuen „Mutanten“ hat Octavia Butler in ihrer „Patternmaster“ Serie ebenfalls extrapoliert. Da hat der Protagonist ganze Dörfer mit seinen Frauen und Nachkommen versteckt, um das Muster zu erschaffen und mit seinen Mutantenkindern schließlich die Welt zu beherrschen. Auch in „Wilde Saat“ ist es die Absicht des Protagonisten und nicht wie bei N.K. Jemisin einer ganzen Gemeinschaft, mit einer gentechnisch perfekten Frau die neuen perfekten Mutanten zu erschaffen, die ihre Fähigkeiten besser kontrollieren und willige Werkzeuge sind.

Die meisten Informationen über die Orogenen, die fünfte Jahreszeit, aber auch die angeblichen Schutzanlagen an den Rändern des Kontinents, die geheimnisvollen Oblisken und schließlich auch die Steinfresser erhält der Leser auf dieser Handlungsebene. Dabei scheut die Autorin auch nicht vor Brutalität zurück. Sie macht deutlich, dass nichts in dieser geordneten Gesellschaft dem öffentlichen Bild entspricht und das die Wächter/ Guardians im Grunde die Tyrannen sind, welche schlimmer agieren können als die leichtgläubigen Dorfbewohner.

Essun macht sich dagegen auf die Suche nach ihrem Mann, dem Mörder ihres Sohns und dem potentiellen Entführer ihrer ebenfalls begabten Tochter. Bei der Flucht muss sie sich gegen den Mob im Dorf wehren und tötet viele Menschen. Auf dem Weg über den Kontinent sehen sie die beginnende Zerstörung durch die fünfte Jahreszeit. Essun begegnet dabei einer Reihe von seltsamen, exzentrischen Charakteren mit besonderen Fähigkeiten, von denen sich einige ihrer Suche anschließen.

Damaya ist ein junges Mädchen aus dem Norden, deren Eltern ihre Fähigkeiten erkennen. Sie holen den Wächter Schaffa, der sie nach Fulcrum bringen soll. Dabei testet Schaffa sie. Hätte Damaya diesen Test nicht bestanden, wäre sie getötet worden. An Hand von Damaya zeigt N.K. Jemisin die Ausbildung der Orogenen. Natürlich ist Damaya besonders begabt, natürlich schafft sie Herausforderungen zu meistern, an denen andere noch nicht so weit ausgebildete Mutanten scheitern müssen. Am Ende dieses Spannungsbogen darf sie sich ihren eigenen Namen aussuchen.  

Erst gegen Ende des Buches fließen die beiden Handlungsebenen zusammen. Vielleicht versucht N.K. Jemisin am Schluss zu viel auf einmal in die Handlung zu pressen. Essun, Damaya und Syenite sind faszinierende besondere Frauenfiguren, die jeweils vor individuelle unangenehme Herausforderungen gestellt werden. Sie versuchen sie auf ihre Art und Weise zu meistern, wobei sich insbesondere bei Syenite besondere Fähigkeiten manifestieren.   Damaya ist dagegen von Geburt an besonders begabt und Essun wird mit einem existentiellen Verlust konfrontiert. Am Ende von „Zerrissene Erde“ lässt sich noch nicht beurteilen, ob die Autorin vielleicht den Bogen zu sehr überspannt hat und zu viele Dinge plötzlich wie leider nicht weiter erklärt zusammenfließen lassen wollte.

Als Auftakt der Trilogie strebt die Handlung immer weiter nach außen. Aus verschiedenen Augen lernt der Leser vor allem diese faszinierende Welt kennen. Die Mischung aus Science Fiction- ein fremder Planet, Mutanten – und Fantasy mit der archaischen Gesellschaft stimmt. Soziale wie ökologische Probleme werden aufgeworfen, einfache Lösungen gibt es nicht. Im Gegensatz zu den gegenwärtigen Klimaveränderungen scheint die fünfte Jahreszeit nicht aufgrund der industriellen Entwicklung hausgemacht, sondern eine geologische Besonderheit dieser Welt zu sein. Zu viele Hintergrundinformationen werden nicht präsentiert und einige etablierte Eckpfeiler dieser Kultur wie die Orogenenwächter an den Küstenrändern relativ schnell und brutal relativiert und als Teil einer perfiden Unterdrückung entlarvt.

In diesem ersten Band fordert die Autorin die Aufmerksamkeit der Leser heraus. Sehr viele Informationen stürmen auf den drei angesprochenen, am Ende aber zusammenlaufenden Handlungsebenen buchstäblich auf den Leser ein. Dabei muss er sich nicht nur mit zahlreichen Charakteren, sondern einer auf den ersten Blick simplen, aber hintergründig auch überzeugend komplexen Kastenkultur auseinandersetzen. Viele bekannte Handlungsstränge dreht die Autorin auf den letzten Seiten ohne bislang erfolgte Erklärungen um und wenn die wahre Identität aller drei Frauen offenbart, ist es für den Leser schon eine Überraschung. Rückblickend lassen sich vielleicht Ansätze erkennen, aber eben nur quasi im literarischen Rückspiegel.

„Zerrissene Erde“ ist wie Octavia Butlers beste Werke unterhaltsam mit einem realistisch bitteren und sozialkritischen Unterton vor dem Hintergrund einer wirklich exotischen, aber nicht bis in die Spitzen fremdartigen Welt, bevölkert von nicht unbedingt immer sympathischen, aber vor allem dreidimensionalen Charakteren.         

Zerrissene Erde: Roman | Die außergewöhnliche Fantasy-Trilogie der »berühmtesten Science-Fiction- und Fantasy-Autorin ihre...

  • Publisher ‏ : ‎ Knaur TB; 3. edition (1 Aug. 2018)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Perfect Paperback ‏ : ‎ 496 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3426521784
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426521786
  • Original title ‏ : ‎ The Fifth Season
  • Dimensions ‏ : ‎ 13.4 x 3.37 x 21 cm
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