Brennender Fels

N.K. Jemisin

„Brennender Fels“ – im Amerikanischen Original „The Obelisk Gate“ – ist der mittlere Teil der „Die große Stille“ Trilogie N.K. Jemisins. Der 2016 in den USA und 2020 in der deutschen Übersetzung veröffentlichte Roman ist wie die anderen beiden Teile der Serie jeweils mit einem HUGO als bester Roman ausgezeichnet worden. Bislang ein Novum in der langjährigen Geschichte aller wichtiger Science Fiction und Fantasy Preise. Es ist wichtig, die Trilogie mit dem Auftaktband „Zerrissene Erde“ anzufangen. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien sieht N.K. Jemisin die Trilogie eher als eine Art zusammenhängender Roman. So endete „Die zerrissene Erde“ mit einem Cliffhanger. Auch entwickelt die Autorin sowohl den Hintergrund ihrer Welt als auch die verschiedenen Kulturen im mittleren Band weiter. Einzelne Aspekte werden immer aus der subjektiven Perspektive der handelnden Personen, aber keines übergeordneten Erzählers noch einmal sehr stark komprimiert rekapituliert, aber die reichhaltige Exotik dieser herausfordernden Welt erschließt sich nur bei einer Lektüre in der chronologischen Reihenfolge.

Ein roter Faden des ersten Buches war die Suche Essuns nach dem Mörder ihres Sohnes, der gleichzeitig auch ihr Mann und damit der Vater des Ermordeten gewesen ist. Neben ihrer Rache wollte sie ihre Tochter finden, die mit den gleichen außerordentlichen Fähigkeiten ausgestattet ist, wie ihre Mutter.

Auch wenn Essuns Suche nach ihrer Tochter im Mittelpunkt von „Brennender Fels“ steht, geht N.K. Jemisin auf zwei auch in „Die zerrissene Erde“ relevante, aber auch ambivalent beschriebene Charaktere ein. Essuns früherer Wächter Schaffa wurde im Zuge von Essuns „Angriff“ in das den Kontinent umgebende Meer geschleudert. Er droht zu Ertrinken, kann sich aber mit einer besonderen Fähigkeit retten, welche die Wächter nur im Notfall anwenden können und dürfen. Mit diesen kleinen literarischen Tricks hält N.K. Jemisin auf der einen Seite ohne Frage relevante Figuren am Leben, sie unterminiert mit dieser Vorgehensweise und vor allem für den Leser aus dem Nichts entstehenden neuen oder erweiterten Fähigkeiten aber auch die klassische Spannungskurve und findet literarisch einige zu passende Hintertüren. Auch sein vorläufiger Gedächtnisverlust inklusiv der Rettung durch eine Fischerfamilie wirkt eher wie ein Klischee. Als Protagonist wird Schaffa im Vergleich zum ersten Buch, in dem er durch seinen neuen Schützling auch ein erklärendes Bindeglied zum Leser darstellte, deutlich mehr in den Hintergrund gedrängt und  verliert an Persönlichkeit.

Welchen Einfluss ein guter Wächter auf die ihm anvertrauten und notfalls auch zu tötenden Schüler und Schülerinnen hat, zeigt die zweite Handlungsebene. Am Ende begegnet Nassun Schaffa auf einer verschobenen Zeitebene. Dieser Wechsel zwischen den Zeiten, aber auch den Handlungsebenen ist vor allem zu Beginn der Trilogie in „Die zerrissene Erde“ nicht immer sauber vollzogen worden. Auf den Leser schlägt ja nicht nur eine neue andere, neue Welt, sondern eine gänzlich exotische Kultur ein. N.K. Jemisin versucht in diesem Handlungsabschnitt zu viel auf einmal zu verwirklichen. Im vorliegenden zweiten Band „Brennender Fels“ tritt sie im übertragenen Sinne einen Schritt zurück, nimmt den Fuß vom Gaspedal und entwickelt vor allem aus der Nassun Handlungsebene den Plot intensiver weiter.

Nassuns Bruder wurde von ihrem Vater getötet, weil er in ihm die gefürchtete Fähigkeit der Orogenen entdeckt hat. Gemeinsam mit seiner Tochter flieht der Vater in seine Heimatstadt Tirimo. Aus der Perspektive Esssuns sind diese Ereignisse schon bekannt, wobei Essun hinsichtlich der Motive nur spekulieren kann. Essun hat heimlich ihre Tochter schon in ihren Fähigkeiten unterrichtet, wobei Essun nicht über die ausreichenden Fähigkeiten verfügt, diese Ausbildung auch zu beenden.

Wie bei Essun dient die Reise von Nassun und ihrem Vater in erster Linie dazu, um die Veränderungen auf der zerrissenen Erde vor dem fatalen Eintreffen der fünften Jahreszeit ausführlich zu beschreiben. N.K. Jemisin fügt einige weitere Szenen ihrer Trilogie hinzu, aber die abschließend überraschenden Elemente fehlen. Inzwischen in der Leser mit einigen wichtigen Aspekten dieses einzigen Kontinents auf einem fremden Planeten voraus. In „Die zerrissene Erde“ deckte die Autorin unter anderem mit den Wächtern an den Rändern des Kontinents deutlich mehr dunkle Geheimnisse auf als in „Brennender Fels“. Daher wirken einzelne Passagen des Buches eher wie eine klassische Brücke zwischen dem ersten und letzten Band einer Trilogie. Als Erzählerin ist N.K. Jemisin zwar in der Lage, mit kleinen Ideen diese zumindest subjektiv gefühlte Leere zu füllen, aber die Nassun Handlung bleibt lange Zeit distanziert. Erst mit einer weiteren Siedlung der Wächter – sie trägt im Stadttitel die Bezeichnung „Mond“, womit sich das Ende von „Die zerrissene Erde“ besser einordnen lässt- lebt dieser Spannungsbogen auf, weil Nassun stellvertretend für die Leser mit der mysteriösen silbernen Energie mehr und sehr viel fundierter über die Kräfte der Orogenen erfährt.

Am Ende dieses Handlungsabschnitts kommt es zu einer weiteren innerfamiliären Konfrontation. Es ist erstaunlich, dass Nassun auf der einen Seite den Tod ihres Bruders unabhängig von der Liebe zu ihrem Vater so klaglos akzeptiert und ihre Mutter zwar vermisst, aber die Sehnsucht sich in Grenzen hält. Sehr viel intensiver und besser hat N.K. Jemisin die Verlust und die Sprachlosigkeit beschrieben, die Essun nach der Entdeckung des Leichnams ihres Sohns erschüttern. Daher wirkt der finale Katalysator fast aufgesetzt. Nassuns Vater muss sehr viel früher klar gewesen sein, dass es für seine Tochter im Schoß der Wächter kein zurück gibt. Alles andere wäre eine Illusion gewesen. Daher wirkt seine Reaktion aufgesetzt und kommt zu spät. Viel mehr braucht die Autorin Nassuns Aktion als Reaktion auf die Taten ihres Vaters, um eine weitere Frauenfigur in der Serie vor weitreichende und unangenehme Entscheidungen zu stellen, in denen die Zukunft der Gesellschaft und des zerrissenen Kontinents wichtiger sind als persönliche Beziehungen.

Einen wichtigen Teil der Handlung nimmt weiterhin Essun ein. Auch wenn sie nicht auf allen drei Handlungsbögen präsent ist, beeinflussen entweder ihre Entscheidungen Schaffas Schicksal oder es ist der Rest von Essuns Familie, welche die Zukunft dieser Welt mit prägt.  

Essun lebt inzwischen in einer Art Kommune, wo Orogenen frei und geschützt vor Verfolgung sind.  In dieser Kommune funktioniert Technik. Während N.K. Jemisin bislang zwar angedeutet hat, das es vorher eine deutlich technisch hoch stehendere Kultur auf dem einzigen Kontinent wahrscheinlich vor der letzten fünften Jahreszeit gegeben hat, extrapoliert sie diesen Gedanken. Klimakontrolle und Ventilatoren funktionieren aber nur durch die wieder magischen und unerklärten Kräfte der Orogenen.

Essun wird wieder zur wichtigen Identifikationsfigur der Leser. Ihr ehemaliger Liebhaber Alabaster hat die augenblickliche fünfte Jahreszeit ausgelöst. Inzwischen verwandelt er sich langsam zu Stein. Bei Alabaster ist es ein fortlaufender Prozess, der in einem engen Zusammenhang mit seinen im Grunde ausgebrannten Fähigkeiten steht. An einer anderen Stelle macht Jemisin deutlich, dass die Versteinerung von Menschen /Orogenen auch Teil der übernatürlichen, magischen, aber auch ambivalenten Fähigkeiten ist. Der Begriff von Magie fließt mehr und mehr in die Serie an. Während N.K. Jemisin sich noch im ersten Buch der Trilogie auf das Erbe Octavia Butlers berief und mit den Orogenen frei nach Butlers „Patternmaster“ Serie besondere Paria unter den „Menschen“ etablierte, rückt sie jetzt den Fokus mehr auf klassischere Fantasyelemente. Damit unterminiert sie allerdings auch die Zivilisation, die sie im ersten Buch entwickelt hat. Die Konflikte zwischen abergläubischen, vielleicht sogar naiven Menschen und den mächtigen, aber ihre Fähigkeiten zum Wohle Aller auch versteckenden Orogenen waren der interessanteste soziale Aspekt in „Die zerrissene Erde“.

Auf allen drei Handlungsebenen im zweiten Buch geht es ausschließlich um Konflikte zwischen den noch in der Ausbildung befindlichen oder sich ihrer Fähigkeiten bewussten Orogenen und den manchmal fehlgeleiteten Wächtern. In dieser Hinsicht agiert die Autorin deutlich sicherer, vorhersehbarer und weniger kantig, auch der Fokus ist eingegrenzter.

Die Welterweiterung findet vor allem auf der Essen/ Alabaster Handlungsebene statt. Auf der einen Seite müssen die Menschen allerdings absichtlich im Dunkeln gehalten werden, auf der anderen Seite geht es um einen für die Leser noch nicht nachvollziehbaren Langzeitplan, der so viel geistige Energie benötigt, das die Grenze zwischen magischen Realismus und Wunschdenken in die zweite Richtung überschritten worden ist.

Diese Tradition setzt die Autorin im Kleinen hinsichtlich der seltsamen Siedlung Castrima fort, in welche sich Essun geflüchtet hat, aber auch im Großen mit Blickrichtung nicht nur auf die Bedeutung des Mondes, der in einem Zusammenhang mit der Full Moon Siedlung steht und trotzdem ein anderes Schicksal symbolisiert.  In den beiden Büchern gibt es bislang nur Pyrrhussiege für alle Charaktere.

Die großen abschließenden Prüfungen bis zur zukünftigen sozialen Entwicklung der beiden wichtigen Bevölkerungsschichten und einer ökologischen Überwindung der fünften Jahreszeit stehen im abschließenden dritten Band der Trilogie „Steinerner Himmel“   im Mittelpunkt der Handlung.

Auch wenn sich einige Spuren des klassischen Mittelbandsyndroms im vorliegenden Buch finden und das Handlungstempo deutlich verlangsamter ist als bei „Die zerrissene Erde“, überzeugt vor allem die Essun Handlungsebene durch neue Aspekte.  Während „Die zerrissene Erde“ allerdings kontinuierlich nach außen in die fremde Welt eilte,  hat sie bei „Brennender Fels“ die Tendenz, irgendwie alles vorläufig abschließen zu wollen, was teilweise zu Lasten der Glaubwürdigkeit der wirklich detailliert entwickelten Welt und der zwischenmenschlichen Konstellationen geht.  

Brennender Fels: Roman | Packende Endzeit-Fantasy der preisgekrönten Bestseller-Autorin (Die große Stille, Band 2)

  • Publisher ‏ : ‎ Knaur TB; 1. edition (3 Feb. 2020)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Perfect Paperback ‏ : ‎ 432 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 342652516X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426525166
  • Original title ‏ : ‎ The Obelisk Gate
Kategorie: