Steinerner Himmel

N.K. Jemisin

In den USA erschien der Abschlussband N. K. Jemisins „The Broken Earth“ Trilogie 2017. Die deutsche Übersetzung als “Steinerner Himmel” publizierte der Knaur Verlag 2020. Mit dem vorliegenden letzten Band ihrer Trilogie gelang N.K. Jemisin ein bislang nicht wieder erreichter Hattrick: auch für den dritten Band wurde sie mit dem HUGO als bester Roman des Jahres ausgezeichnet. Zusätzlich wurde der Roman mit dem NEBULA Award wie auch dem Locus Award in der Kategorie Bester Fantasy Roman ausgezeichnet.

Auch für „Steinerner Himmel“ gilt, dass es sinnvoll ist, die ersten beiden Bücher vorher gelesen zu haben. Auch wenn die Autorin immer wieder Bezug auf Ereignisse aus „Zerrissene Erde“ und „Brennender Fels“ nimmt,  bleiben viele Nuancen im Abschlussroman unausgesprochen und vor allem die charakterliche Entwicklung der verschiedenen Protagonisten auf ihren inneren wie äußerlichen Reisen findet im vorliegenden Roman ihren jeweiligen Höhepunkt.

Der größte Teil der Handlung spielt weiterhin auf dem einzigen Superkontinent des fremden Planeten. Die geologischen Katastrophen weisen mehr und mehr auf die bevorstehende fünfte Jahreszeit hin, welche in der Vergangenheit der menschlichen Zivilisationen meistens zum Untergang der bestehenden Hochzivilisation führte und mit Hilfe der begabten Orogenen zu einer Art primitiven Neustart.

Schon in den ersten beiden Büchern hat die Autorin nicht nur auf wechselnde Personenperspektiven zurückgegriffen, sondern sprang zwischen einem Ich- Erzähler, dessen Identität abschließend erst in „Steinerner Himmel“ geklärt wird, und der distanzierteren dritten Person hin und her. Auf der einen Seite kann der Leser dadurch sehr viel besser zwischen den einzelnen, teilweise sehr komplexen und nicht immer chronologisch erzählten Spannungsbögen unterscheiden; auf der anderen Seite hat der Betrachter allerdings vor allem gegen Ende des ersten Buches „Zerrissene Erde“ und im mittleren Abschnitt von „Brennender Fels“ das unbestimmte Gefühl, als wenn ihm weitere hintergründige Informationen absichtlich von der Autorin vorenthalten werden.

Im letzten Band ihrer Science Fantasy Serie vermeidet die Autorin die klassischen, vielleicht auch klischeehaften Sujet des High Fantasy Genres mit einer absoluten Rettung in letzter Sekunde, nicht selten durch einen heroischen Einsatz der überdimensionalen Protagonisten oder ein magisches Wunder aus einer für den Leser nicht erkennbaren Ecke. Konsequent führt sie die dunkle Handlung inklusiv der Zerstörung des Kontinents (siehe den ersten Band), aber auch die zwischenmenschlichen Konflikte (der Höhepunkt des zweiten Romans) an Hand ihrer wenigen Protagonisten und deren nicht selten eher persönlichen Schicksalen fort.

Essun befindet sich dabei anfänglich eher in einer passiven Rolle.  Sie wacht aus einem Koma auf, einer ihrer Arme ist inzwischen versteinert und der Mond  als Auslöser der fünften Jahreszeit nähert sich weiterhin der zerissenen Erde. Ihre Tochter Nassun dagegen kämpft gegen ihre Schuldgefühle an und will das Gegenteil erreichen: der Mond soll mit dem Planeten kollidieren und die menschliche Zivilisation hinwegfegen.  Ihr Wächter Schaffa unterstützt sie dabei, obwohl ein Ende seiner kleinen, die Menschen seit Jahrhunderten leitenden Gruppe, auch nicht in seinem Sinn ist.

„Steinerner Himmel“ beschreibt auf der einen Seite den Höhepunkt der Serie mit dem Mutter- Tochterkonflikt, der sich so zu Beginn des ersten Buches nicht abzeichnete. Essun wollte Rache wegen der Ermordung ihre Sohns und die Tochter wieder in die Arme schließen. Diese Ausgangsbasis geht auch durch die verschiedenen Ereignisse auf den Zwischenspannungsbögen schließlich verloren. Durch ein semitragisches Schicksal fügt N.K. Jemisin die zerbrochene Familie teilweise wieder zusammen. Damit geht die Autorin auch einen Kompromiss ein, Bislang bedeutete in den drei Romanen „Sterben“ auch einen endgültigen Abschied. Auferstehung oder Reinkarnation ist nicht wirklich vorgesehen. Das Ende des Buches enthüllt, das es tatsächlich zumindest für eine Figur diese Möglichkeit nach einem langen von Opfern geprägten Weg gibt. Die „Broken Earth“ Trilogie ist im Grunde nicht nur ihre Geschichte, sie wird ihr wieder vermittelt, damit sie weiß, wofür sie zukünftig lebt, aber welchen Weg sie auch gehen musste. Andere Autoren könnten einen solchen Abschluss zuckersüß bis kitschig beschreiben. Bei N.K Jemisin bleibt zumindest die Frage offen, ob sich die Opfer auch im Kleinen gelohnt haben. Die Welt wird über Jahrhunderte eine andere Perspektive haben. Das steht außer Frage, aber das Schicksal vieler wurde mit dem Leid Einzelner bezahlt.

Bevor der Leser mit dieser relativ offenen Position literarisch quasi entlassen wird, spannt N. K. Jemisin noch einen weiteren Bogen weit in die Vergangenheit der Welt. Während der erste Band „Zerrissene Erde“ eine Art Postdoomsday Geschichte mit einem bevorstehenden weiteren Ende der Zivilisation gewesen ist, wirkt der mittlere Band „Brennender Fels“ eher wie klassische Fantasy, angereichert durch einen Schuss genetische Manipulation.  „Steinerner Himmel“ ist der Science Fiction Teil dieser Trilogie. Dabei folgt N.K. Jemisin wieder dem schon angesprochenen Octavia Butler Weg. Beide Autorinnen verzichten auf ausführliche technische Beschreibungen. Nicht selten erscheinen die genetischen Manipulationen wie auch die tief im Erdinneren befindlichen Anlagen eher wie mittels Magie erschaffen als auf dem Reißbrett eines  Wissenschaftlers konstruiert. Dank genetischer Züchtung – beide Autorinnen stehen diesen Prozessen zwar moralisch kritisch gegenüber, verdammen sie aber nicht von Beginn an als Erschaffung einer neuen Herrenrasse, sondern vor allem in Jemisin Trilogie als notwendiges Übel, um die Masse der “unfähigen“ Menschen zu schützen – wird ein lebendiger Schutzschirm erschaffen. Erste Auswirkungen konnten Essun und die Leser am Ende von „Zerrissene Erde“ erleben. Im vorliegenden letzten Band der Trilogie schiebt die Autorin auch wieder aus der Perspektive des Ich- Erzählers die Hintergründe nach.

Interessant ist dabei eine zweite Ebene. Es ist nicht nur der fast klassisch ökologische Konflikt zwischen Mensch und Natur, sondern im Umkehrschluss auch die Auseinandersetzung zwischen der Natur sprich Erde und den Menschen. In einer letzten dramatischen, aber auch interessanten Wendung zeigt die Autorin auf, das es einen finalen Konflikt gibt und die fünfte Jahreszeit nicht nur auf einer Abfolge von Naturereignissen basiert. Damit greift die Autorin auch einen gegenwärtige Idee auf, das der Mensch die Erde braucht, aber die Erde nicht unbedingt den Menschen und extrapoliert sie in Kombination mit den Obelisken, menschlichen Batterien und schließlich einem sehr fragilen Gleichgewicht auf eine geschickte Art und Weise. Dabei ist der Mond eher Mittel zum Zweck.

Auch ihre Auflösung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ob hier wirklich der nächste Schritt der Evolution beschrieben oder abschließend eine Art vorläufiger Kompromiss präsentiert wird, bleibt offen. Aber konsequent zeigt die Autorin auf, dass die Natur nicht nur einen längeren Atem hat, sondern basierend auf ihren allerdings auch magischen Wurzeln, ihrem globalen Bewusstsein und schließlich ihren lange von den Menschen despektierlich behandelten Vertretern tatsächlich eine Art zukünftigen Weg darstellt. In ihrem ersten Roman der „The Great Cities Trilogy“ „Die Wächterinnen von New York“   wird die Autorin diesen Gedanken wieder aufgreifen. In dieser Serie sind die Städte lebendig, beseelt und müssen mit den ihnen Schmerzen zu fügenden Menschen fertigwerden. Das wirkt aufregender und moderner als der klassische Konflikt zwischen Mensch und Natur vor dem Hintergrund einer primitiven, kaum lebensfähigen Gesellschaft auf dem einzigen Kontinent der zerrissenen Erde.  

Aber mit „Steinerner Himmel“ schließt die Autorin auch dank einer Reihe auf den ersten Blick absurder, aber mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und vor allem erzählerischer Souveränität  präsentierter Ideen  diese ungewöhnliche Science Fantasy Trilogie zufriedenstellend ab. Wie Octavia Butler hat die Autorin eine Vielzahl von gebrochenen Charakteren erschaffen, die über sich hinauswachsen müssen; deren bisherige allerdings auch fragile Hintergründe zerstört werden und in deren Händen eher indirekt die Rettung der Welt allerdings mit der Maßgabe eines kompletten wie komplizierten Neuanfangs liegt.

Auch in der deutschen Übersetzung sind die drei Romane stilistisch wie inhaltlich herausfordernd. N.K. Jemisin erfordert von ihren Lesern eine gedankliche Mitarbeit auf Augenhöhe und verzichtet auf klassische chronologische Handlungsstränge. Die verschiedenen Spannungsbögen aus sehr unterschiedlichen, teilweise auch sehr subjektiven und manipulierenden Perspektiven erzählt,  werden erst spät, sehr spät durch den nur auf den zweiten Blick allgegenwärtigen Ich- Erzähler in einer bestimmten Absicht zusammengefügt. Alle ihre dreidimensionalen Figuren weisen Stärken und Schwächen auf. Das macht vor allem auf der emotionalen Ebene begleitet von den Rassenvorurteilen und den sozialen Ungerechtigkeiten den zusätzlichen Reiz dieser ohne Frage sehr ambitionierten und vor allem auch abschließend intellektuell stimulierenden Endzeit Science Fantasy Trilogie einer provokanten, aber nicht um eine Art Selbstzweck in alle Richtungen provozierenden neuen Stimme der afroamerikanischen Science Fiction/ Fantasy aus.         

 

Steinerner Himmel: Roman | »Die High Fantasy erreicht die Epoche des Klimawandels.« Die Welt (Die große Stille, Band 3)

  • Publisher ‏ : ‎ Knaur TB; 1. edition (1 July 2020)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Perfect Paperback ‏ : ‎ 432 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3426525178
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426525173
  • Original title ‏ : ‎ The Stone Sky
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