Die Clans des Alpha Mondes

Philip K. Dick

Mit „Die Clans des Alpha Mondes“ legt der Fischer Verlag einen der humorvollsten Philip K. Dick Romane der sechziger Jahre wieder neu auf. Die launische Übersetzung des Ullstein Verlag, in welchem das Buch unter dem gleichen Titel in den achtziger Jahre dank Herausgeber und Übersetzer Ronald M. Hahn neu aufgelegt worden ist, ist beibehalten worden. Schon gute fünfzehn Jahre früher hat der Bastei Verlag von Rosemarie Hundertmark übertragen das Werk als „Kleiner Mond für Psychopathen“ publiziert. Der Heyne Verlag plante im Rahmen seiner eigenen Philip K. Dick Edition eine Neuauflage unter dem falschen Titel „Auf dem Neptunmond“ – der Mond befindet sich ja außerhalb des Sonnensystems – ganz mit einem pinken Umschlag. Dieses Buch erschien nicht mehr.

Ursprünglich 1964 in den USA unter dem Titel „Clans oft he Alphane Moon“ veröffentlicht basiert der Plot auf einer sehr frühen Kurzgeschichte Dicks: „Shell Game“ erschien schon 1954 im Magazine „Galaxiy Science Fiction“.

Im Laufe seiner Karriere hat sich der Amerikaner immer wieder mit dem Thema Realität/ Irrealität auseinandergesetzt. Dabei zeigte er seinen „normalen“, so bodenständigen Protagonisten auf, welche Falltüren in ihrer typisch amerikanischen Vorstadtwelt lauern und wie schnell diese angebliche Sicherheit zerfallen kann. Die Ursachen waren mannigfaltig, mehr und mehr spielten auch experimentelle Drogen einer Rolle. „Die Clans des Alpha Mondes“ setzt sich mit einer gänzlich anderen Thematik auf einer überdrehte, sicherlich auch das Science Fiction Genre mit einer Reihe seiner Klischees parodierende Art und Weise auseinander: wer sind die Normalen und wer sind die Irren? Eine abschließende Antwort präsentiert Dick nicht, aber wie in „Einer flog über das Kuckucksnest“ fühlt sich der Leser auf dem Alphamond mit seinen Clans und deren fast liebevoll überdrehten Marotten sehr viel wohler als auf der kalten Erde, die sich im Krieg mit den insektoiden auf Alpha III lebenden Wesen befindet. Der Krieg ist vielleicht zehn Jahre her, aber wurde nie wirklich beendet. Auch in anderen Büchern spielt die Auseinandersetzung nicht selten mit insektoiden Außerirdischen eine wichtige Rolle. In „Warte auf das letzte Jahr“ muss eine Droge die Zeitbarrieren durchbrechen, damit die Protagonisten in der Zukunft erkennen, das die Auseinandersetzung mit den reegs vielleicht nicht gewonnen, sondern einfach nur ausgelaufen ist.

Im Alphasystem – wahrscheinlich steht Alpha für das der Erde nächstgelegene System Alpha Centauri, auch wenn es Philip K. Dick bei Andeutungen lässt – will die Menschheit eine vergessene Kolonie Heim holen. Auf dem Mond leben seit Ende des Krieges die Menschen in einer den ganzen Mond ursprünglich umfassenden Heilanstalt. Dorthin wurden die Menschen gebracht, die mit dem Stress der Kolonisierung fremder Welten nicht klargekommen sind. Sie sind Selbstversorger, treiben Handel mit beiden Seiten und haben sich in unterschiedlichen Gemeinschaften, sogenannten Clans, organisiert. Es gibt Wohlversammlungen, welche nach dem Muster der irdischen Demokratien wichtige Entscheidungen mit der einfachen Mehrheit treffen. Eine derartige Versammlung leitet auch den Roman ein. Bis auf einige spitze Bemerkungen ist nicht zu erkennen, dass es sich möglicherweise um Verrückte, nicht unbedingt gleich alles Psychopathen handelt.

Auf der Erde will sich die Psychiaterin Mary Rittersdorf von ihrem Mann trennen. Als Programmierer von Simulacra, welche mittels kommunistischer Propaganda die Regierungen hinter dem immer noch existierenden eisernen Vorhang unterminieren und destabilisieren sollen, verdient Chuck Rittersdorf für sie zu wenig Geld. Außerdem hat er bislang ein Angebot abgelehnt, für den populären amerikanischen Komiker Bunny Hentman Texte zu schreiben. Das würde angesichts seines Talents mehr Geld bringen. Mary Rittersdorf will ihren Mann ausnehmen.

Dazu nimmt sie eine ehrenamtliche Stellung an und zieht auf den Alpha Mond, um die Rückführung der Einwohner unter die Kontrolle und - angedeutet - auch zur Erde in die Wege zu leiten. Chuck scheitert bei den Versuchen, sich als Textschreiber zu etablieren. Er weiß nicht, das es mit seiner Frau zusammenhängt. Bunny Hentman ist nur auf Mary Rittersdorfs Wunsch eingegangen, um mit der attraktiven, aber emotional unterkühlten Frau ein Verhältnis zu haben. Als diese Absicht scheiterte, hat Hentman ihren Mann entlassen.

Um aus der ihn erdrückenden Umklammerung seiner Frau und deren Anwälte zu entkommen, sieht Chuck Rittersdorf nur eine Chance. Er muss seine Frau mittels eines ferngesteuerten Simulacrums auf dem Alphamond töten. Chuck Rittersdorf war in dieser Form schon einmal auf dem Mond und mittels den schleimigen Fremden vom Ganymed Lord Running Clam will er seinen Plan umsetzen, während Mary Rittersdorf mehr und mehr zu einem indirekten Werkzeug Hentmans wird, der mit dem Mond seine eigenen Pläne hat.

Der Versuch, aus dem Plot eine Art Screwball Komödie mit dunklen Untertönen zu machen, gelingt Dick nur mäßig. Das Tempo des Buches ist für diese Vorgehensweise zu langsam, die Szenen werden ausführlich „ausgespielt“ und die Klischees wie die sich für jede kleine Rolle opportunistisch prostituierende Schauspielerin oder der Lustgreis/ Comedian Hentman mit seinen eigenen Interessen zu wenig bizarr, zu distanziert und mechanisch bedient. Damit soll auf keinen Fall gesagt werden, dass „Die Clans des Alpha Mondes“ ein schlechtes Buch ist. Das Gegenteil ist der Fall. Selten hat Philip K. Dick so ausführlich in seinen Science Fiction Büchern mit diversen Neurosen gespielt und vor allem die Psychiater und ihre Methoden karikiert.

Alle Protagonisten inklusive der wenigen Außerirdischen haben ihre Macken. Chuck ist vom Mord an seiner Frau besessen, seine Frau von dessen existenzieller „Vernichtung“, damit sie ihr schlechtes Gewissen beruhigen und argumentieren kann, das sie alles für den eigenen und den der gemeinsamen Kinder aufrechtzuerhaltenden Lebensstandard versucht hat.

Der Mond wird von den Paras regiert. Sie leiden alle an Paranoia. An der Spitze steht mit Gabriel Baines kein Hitler, auch wenn nach dem Naziführer die Siedlung Adolfville benannt worden ist. Die Manses leiden an verschiedenen Zwangsstörungen. Obwohl sie die theoretische Kriegerkaste sind, weißt ihr Verhalten mit einer ständigen Planung von Revolutionen auch Züge von klassischer Paranoia auf. Die Skitzes leiden natürlich unter Schizophrenie, während die Heebs und die Polys Variationen dieser Erkrankung aufweisen. Die Übergänge sind fließend.  Alleine die Ob- Coms mit ihrem Ordnungswahn, angeführt von Ingred Hibbler, und natürlich die depressiven Deps grenzen sich noch weiter von der Masse ab. Angesichts der Kürze des Buches überfliegt Dick an einigen Stellen die verschiedenen Clans und zeigt nur vereinzelt ihre Obsessionen auf.      

Von den Handlungen her sind die “normalen” Menschen natürlich mit ihren Obsessionen sehr viel verrückter, exzentrischer und gefährlicher als die friedlich auf dem Mond lebenden Irren, die sich in ihren von Dick allerdings teilweise sehr rudimentär beschriebenen Nischen positiv gesprochen eingenistet haben. Der Leser kann verstehen, das sie nicht mehr auf die Erde zurückkehren wollen. Und das einzige Interesse der Erdregierung an den Verrückten ist Politik und die Besiedelung des Mondes. Dabei stellt Dick die einzelnen Parteien auch vor ein interessantes, aber klassisch klischeehaftes Dilemma. Die Verrückten müssen freiwillig die Kolonie aufgeben und damit den Weg frei machen. Sie dürfen nicht gegen ihren Willen abtransportiert werden, sonst würde der Mond komplett wieder an den Feind fallen. Das ist nur eine Klausel, die für die Siedlungen gilt. Aber sie hält wahrscheinlich auch ein wenig konstruiert den Plot am Laufen. 

Deswegen hat Philip K. Dich auch ein erstaunlich pragmatisches Ende gewählt. Im Gegensatz zu einigen anderen Büchern dieser Dick Ära will er seinen dreidimensionalen, liebevoll gezeichneten Verrückten nicht weiter schaden und entwickelt einen Kompromiss, der den Interessen der Erde natürlich nicht entspricht, aber den Status Quo erhält. Selbst für die beiden zerstrittenen Ritterdorfs findet der Autor keine finale, aber zumindest eine Lösung.  Das Verhalten der beiden Eheleute ist von Beginn an sachlich gesprochen ideotisch. Als Protagonisten sind sie nicht genug vorbereitet worden, als das der Leser ihre Konflikte wirklich nachvollziehen kann. Anschließend bedient der Autor einige Klischees wie die unterkühlt wirkende frigide, aber sehr attraktive Ärztin und den pubertär handelnden Spezialisten für Simulacrum Propaganda. Auf dem Mond selbst begegnen sich die beiden Eheleute, wobei Rittersdorf an keiner Stelle seinen Plan aktiv umsetzt, die eigene Ehefrau zu töten, um die potentiell erdrückenden Unterhaltszahlungen zu umgehen. Die beiden Rittersdorf wirken eher wie eine Art roter Faden, um auf zwei Ebenen die einzelnen Clans auf dem Alpha Mond stellvertretend für den Leser kennenzulernen. 

Wie “Joe von der Milchstraße” ist “Die Clans des Alpha Mondes” keine von Dicks besten Arbeiten, aber ein guter Einstiegspunkt in dessen schräge Weltsicht. Im Gegensatz zu seinen immer verstörender werdenden Romanen aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren setzt sich -  wie eingangs erwähnt -  der Autor nicht mit einer weiteren Zertrümmerung der Realität auseinander. Selbst die Einnahme von Drogen beschränkt sich auf Frühformen von Viagra. Viel mehr hinterfragt er, wieviel Wahnsinn noch akzeptabel ist und kommt zu einer überraschenden Erkenntnis: erstaunlich viel.

Die Clans des Alpha-Mondes: Roman (Fischer Klassik)

  • Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Taschenbuch; 2. Auflage, Neuausgabe (29. Juli 2020)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 256 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3596906962
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3596906963
  • Originaltitel ‏ : ‎ Clans of the Alphane Moon