Die Graue Katze

Barry Pain

Mit der Originalsammlung „Stories in the Dark“ im Jahre 1901 erstveröffentlicht präsentiert Detlef Eberwein zum ersten Mal die phantastischen Arbeiten Barry Pains, der 1864 als Barry Odell Pain in Cambridge geboren worden ist. Seit 1889 veröffentlichte der Journalist zahlreiche Kurzgeschichten und Gedichte. Der größte Teil seines Werks besteht aus satirischen Sozialstudien, von denen einer Reihe von Stories im 20. Jahrhundert zweimal sogar verfilmt worden sind. Im Laufe der Jahre erscheinen zwei Kurzgeschichtenbände phantastischen Inhalts. Neben „Die graue Katze“ auch „Stories in the Grey“, deren deutsche Veröffentlichung in Vorbereitung ist.

Auch wenn Barry Pain zu Lebzeiten mit seinen satirischen Texten einen angemessenen Erfolg hatte, ist der 1928 verstorbene Autor inzwischen bis auf die beiden angesprochenen Verfilmungen in Vergessenheit geraten.

 

Die Eröffnungsgeschichte „Das Tagebuch eines Gottes“ setzt sich nicht nur mit dem Wahnsinn und/ oder paranoiden Wahnvorstellungen auseinander, es ist eine der Geschichten, die ohne phantastische Elemente funktionieren. Die Anwohner einer Berglandschaft finden irgendwann die Leiche eines Mannes, der zu ihnen gezogen ist. In seiner Hütte befindet sich ein Tagebuch, in dem der langsame Abstieg im Grunde aus Alltäglichem in die Wahnsinn beschrieben wird. Der Autor fühlt sich finanziell unabhängig, eine Begründung gibt es nicht. Er kündigt, er lebt über seine Verhältnisse und landet schließlich in der beseelten Natur, die ihm zum Verhängnis wird. Wie bei einigen anderen Storys dieser Sammlung ist die Pointe im Vorwege schnell zu erkennen, aber Detlef Eberweins gelungene Übersetzung von Barry Pains Stil erzeugt eine verstörend faszinierende Atmosphäre.

 

Auch „Der Magnet“ besteht in erster Linie aus Tagebuchaufzeichnungen. Der Leser weiß, das der Autor sich umgebracht hat. Die Aufzeichnungen beschreiben die Folgen eines Zugunglücks in der Nähe. Darüber hinaus steht der Tagebuchautor aber auch in einem mittleren Zusammenhang mit einer vergleichbaren Katastrophe. Mehr und mehr glaubt er in seinem dogmatisch kirchlichen Glauben an eine Art Vorbestimmung. Der Titel impliziert, das er wie von einem Magneten wieder an einen bestimmten ort gezogen wird. Ein häufiges Motiv in den zehn hier veröffentlichten Geschichten.

 

„Das grüne Licht“ zeigt das deutlich. Ein Mann auf der Flucht. Auf der Flucht vor dem eigenen Zuhause, wo seine Frau auf ihn wartet. Da er das umgetauscht Gold vergessen hat, muss er noch einmal zurückkehren. Dort erwartet ihn nicht nur das seltsame grüne Licht, sondern eine Menschenmenge. Der Leser weiß, dass der Mann anscheinend seine Frau ermordet hat und fliegen will. On geplant oder im Affekt bleibt offen, spielt auch keine Rolle. Das grüne Licht wird zu einem Fanal seines schlechten Gewissens, dem er nicht mehr entkommen kann. Das Ende wirkt offen, ist aber ein konsequenter Abschluss dieser dunklen Story.

 Bei „Der Fall Vincent Pyrwhit“ ist auch der Tod der eher dominanten Frau Ausgangspunkt der Handlung. Ihr Ehemann hat sogar ein Telefon in das Schlafzimmer der kranken Frau legen lassen, damit sie ihn immer erreichen kann. Auch hier ahnt der Leser einzelne Versatzstücke, aber das Ende bzw. der Mord kommt aus einer gänzlich anderen Ecke, auf die man sich nicht vorbereiten kann, für die es aber auch keine überzeugenden Erklärungen gibt.   

 In „Das ist alles“ hat der Protagonist Angst vor dem Tod. Diese Angst des älteren Mannes steigert sich mehr und mehr. Mit Placebos kann der Arzt ihm wenige Tage der Ruhe schenken. Das Ende der Geschichte ist auf der einen Seite natürlich vorhersehbar, auf der anderen Seite ist die Pointe zynisch doppeldeutig.

 Aus dem Bereich der modernen Märchen scheint die Geschichte der tanzenden Prinzessin und ihrem zukünftigen Mann Hugo zu stammen. „Die Mondsklavin“ fühlt in sich den Drang, immer wieder nächstens zu tanzen. Irgendwann findet sie am Ende eines Labyrinths einen besonderen Tanzsaal. Auch hier ist der Weg interessanter als das Ende. Auch hier belässt es Barry Pain in erster Linie bei Andeutungen, aber wie die Prinzessin kann der Leser nicht widerstehen, die Geschichte bis zum Ende zu lesen.

 „Unten in der Kluft“ ist eine der interessanten Geschichten dieser Sammlung. Eine Kluft erscheint im Boden. Rom schickt einen sehr besten jungen Krieger, der diesen Spalt in der Erde erkunden soll. Am Ende wird es zu einer besonderen Herausforderung für den jungen Mann, den das Monster hat kein Interesse an einem fairen Kampf. Der Leser weiß nicht, ob der tapfere Krieger noch bei vollem Verstand ist oder ob die Stimme aus dem Nichts real ist. Sie demaskiert die Furchtlosigkeit der Krieger und macht sie menschlich.

 Auch in „Das Ende einer Shownummer“ geht es um Mitleid. Ein alter Mann befreit ein „Monster“ aus einem Kuriositätenkabinett des durch die Stadt ziehenden Zirkus. Beide Geschichte – „Unten in der Kluft“ und „Das Ende einer Shownummer“ – zeichnen sich durch pointierte, reifere Dialoge aus. Dazu kommen aber auch originelle Ausgangsideen, die aber nicht bis zum Ende extrapoliert werden. Der Leser muss sich selbst die einzelnen Bruchstücke in seiner vielleicht nicht zu morbiden Phantasie zusammensetzen.

 Zwei längere Arbeiten schließen diese Kurzgeschichtensammlung ab. Neben der Titelgeschichte „Die graue Katze“ überzeugt „Das unsterbliche Ding“ vor allem durch die perfekte Mischung aus viktorianischen Grusel, Familiengeschichten und schließlich auch einem unaussprechlichen „Monster“, das aus dem Leib der im Kindbett verstorbenen Ehefrau geboren worden ist und sein Jahren, vielleicht Jahrzehnten unter den Mauern des Gewölbes lebt. Das Tempo der Geschichte ist deutlich gesetzter als bei den kürzeren Texten. Barry Pain legt mehr Wert auf Atmosphäre. Die Charaktere wirken allerdings auch oberflächlicher skizziert. Da die Geschichte über mehrere Generationen und trotz auf nur wenigen Seiten erzählt wird, leiden die Handlungen der einzelnen Protagonisten unter dem inhaltlich ein wenig gedrängten Text. Aber wie in fast allen Storys dieser Anthologie gibt es keine befriedigende, keine abschließende Antwort auf die Frage, ob es sich wirklich um übernatürliche Vorgänge handelt oder der Wahnsinn schon nach den Protagonisten gegriffen hat.

 Bei „Die graue Katze“ ist es wieder eine Erzählung quasi von Jenseits des Grabes. Nur werden dieses Mal keine Aufzeichnungen gefunden, sondern ein Freund des Verstorbenen erzählt die Geschichte. In London trifft er nach einem Besuch eines Theaterstücks auf einen alten Freund und wird aufgenommen. Der Freund hat eine riesige graue Katze von seiner letzten Reise mitgebracht. Er hegt eine Antipathie gegenüber dem Tier, er kann sie aber auch nicht mehr loswerden. Zu den seltsamen Ereignissen gehört, dass er einen Tag vor der ersten Begegnung mit dem Tier eine kleine Statue von einem Juden verkauft bekommen hat, die in Miniatur der Katze verblüffend gleicht.

 Barry Pain lässt viele Tatsachen offen. Neben der Rahmenhandlung – die Geschichte hat sich vor drei Jahren abgespielt und der Zeuge erzählt sie quasi zweimal dem eigentlichen Verfasser – gibt es keine Augenzeugen für die eigentliche Tat. Alleine die Beobachtungen eines angegriffenen Polizisten könnten weitere Informationen beinhalten. Aber ob sie verlässlich sind, weiß niemand.

 Durch die Distanz mit einer Art doppelten Erzähler ist es schwer, eine wirklich überzeugende gruselige Atmosphäre aufzubauen. Die Handlung besteht aus einer Reihe von Versatzstücken wie den geheimnisvollen Neger, welche unbedingt die Statue wieder haben möchte; dem geladenen Revolver immer in der Nähe des späteren Opfers und der Tatsache, das manche Menschen nicht gerne mit Katzen in einem Raum sind. Da Barry Pain keine Antworten anbietet, hebt sich die Geschichte positiv oder negativ aus der Masse vergleichbarer Storys ab.

 Generell zeigen sie zehn hier gesammelten Geschichten, das sich Barry Pain in seinen Arbeiten eher mit der labilen Psyche seiner Protagonisten auseinandergesetzt hat denn das er auf klassische Gruselversatzstücke setzte. Die Rahmenhandlungen – mehrmals Tagebuchaufzeichnungen – lassen den Aufbau der überwiegend sehr kurzen Texte sperriger erscheinen als es die Absicht des Autoren gewesen ist. Barry Pain gehört aufgrund dieser Sammlung nicht zu den wieder zu entdeckenden Perlen der viktorianischen Gruselliteratur, er ist aber dank der Übersetzung von Detlef Eberwein ein kurzweilig zu lesender Autor, der in zwei oder drei Kurzgeschichten überraschende Auflösungen der von ihm entwickelnden herausfordernden Aufgaben präsentiert.   

Die graue Katze: und andere unheilvolle Geschichten

  • ASIN ‏ : ‎ B09WHSH5NG
  • Publisher ‏ : ‎ Independently published (25 Mar. 2022)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Paperback ‏ : ‎ 129 pages
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 979-8438168850
  • Dimensions ‏ : ‎ 12.7 x 0.76 x 20.32 cm
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