Mit der Absicht zu Töten

Anthon Horowitz

Es ist eine Momentaufnahme, aber in der Beziehung zwischen dem britischen Agenten mit der Lizenz zum Töten und dem britischen Autoren ist die Zahl drei wichtig. „With a Mind to Kill“ ist der dritte und letzte Roman aus Anthony Horowitzs Feder über James Bond. Die drei Bücher sind auch nicht chronologisch aufgebaut. Der erste Roman „Trigger Mortis“ erschien im Jahre 2015. Es war der dritte Roman, basierend auf Kingsley Amis James Bond Fortsetzung „Colonel Sun“. Zwischen „Colonel Sun“ und Sebastian Faulks „Devil may Care“ sowie “Solo” aus William Boyds Feder lagen an die vierzig Jahre.   

„Trigger Mortis“ spielte  zwei Wochen nach dem Sieg gegen “Goldfinger“. Anthony Horowitz konnte ein Romanfragment Ian Flemings nutzen. Der zweite James Bond Roman aus seiner Feder ist „Forever and a Day“ (2018) gewesen. Horowitz erfand die allererste James Bond Mission inklusive entsprechender weiter in die Vergangenheit zurückgehender Rückblicke, kurze Zeit vor Ian Flemings „Casino Royale“ angelegt. Auch bei diesem Buch nutzte Anthony Horowitz Fragmente, obwohl sich Ian Fleming zu Lebzeiten geweigert hat, sehr viel über seinen Agenten mit der Lizenz zu Töten aus der Zeit vor „Casino Royale“ zu veröffentlichen.  Im dritten Buch stand kein Originalmaterial aus Ian Flemings Feder mehr zur Verfügung, aber Anthony Horowitz zitierte Ian Fleming in einzelnen Kapiteln.

Viel interessanter ist die Zahl drei im Zusammenhang mit der Platzierung dieses Buches in der James Bond Chronologie. Anthony Horowitz vervollständigt zumindest in der Theorie eine „Trilogie“ des Leidens, die Ian Fleming mit „You only live twice“ (1964) begonnen hat. Anschließend verfasste der Brite noch „The Man with the Golden Gun“ (1965).

Im ersten Buch jagt James Bond seinen Gegenspieler Ernst Stavro Blofeld in Japan. In dessen Garten des Todes erlitt James Bond eine Kopfverletzung und lebte ein Jahr unerkannt sowie ohne Gedächtnis in einem japanischen Fischerdorf. Der britische Geheimdienst veröffentlichte seinen Nachruf. Das wissentliche oder unwissentliche Untertauchen machte - ausschließlich cineastisch -  erst Daniel Craig als James Bond zu seinem Markenzeichen.

Im folgenden und letzten  Roman Ian Flemings „The Man with the Golden Gun“ kehrte James Bond nach London zurück. Der KGB hatte ihn gefangen genommen und einer Gehirnwäsche unterzogen. Er sollte seinen Chef „M“ töten. Der Geheimdienst konnte das Attentat verhindern, programmierte Bond quasi zurück zu seinem alten Selbst und schickte ihn nach Jamaica, wo er schließlich Scaramanga, dem Mann mit dem goldenen Colt gegenüber stand.

Anthony Horowitz nimmt auf diese beiden Bücher Bezug und baut die Geschichte weiter aus. Es ist nicht unbedingt notwendig, die Ian Fleming Originale noch einmal zu lesen. Anthony Horrowitz integriert ausreichend Details nicht nur aus diesen Büchern, sondern greift auch auf Protagonisten aus „Diamonds are Forever“ oder „From Russia with Love“ zurück. Trotzdem ist es empfehlenswert, sich die beiden Ian Fleming Bücher noch einmal zu Gemüte zu nehmen, weil erst durch den direkten unmittelbaren Vergleich erkennbar wird, wie intensiv Anthony Horowitz bis auf die verbalen, teilweise rassistischen Entgleisungen Flemings die Stärken des britischen Autoren übernommen und mit einer in den sechziger Jahren spielenden Geschichte stilistisch adäquat ins 21. Jahrhundert übertragen hat.     

Der Roman beginnt mit der Beerdigung von „M“. Der Mörder ist James Bond. Zumindest für die Öffentlichkeit und die russischen Handlanger hinter dem Attentat. Der britische Geheimdienst möchte seinen besten Agenten wieder zurück hinter den eisernen Vorhang schicken und die Feinde ausradieren. Dazu muss James Bond in der Öffentlichkeit als Verräter gelten.

James Bond hat Anfangs Angst, das es den Russen noch einmal mit ihren perfiden, von Ian Fleming sehr ausführlich beschriebenen Foltermethoden gelingt, ihn umzudrehen. Weiterhin müssen die Russen überzeugt werden, das James Bond wirklich nicht nur seinen Chef getötet hat, sondern weiterhin unter ihrer Kontrolle ist.

Die Befreiung des britischen Agenten aus der Hand seine Kollegen ist eine der drei besten Szenen des Buches. James Bond muss verhindern, das Unschuldige sterben, aber gleichzeitig auch den paranoiden russischen Geheimdienstchefs beweisen, das er wirklich ein Verräter ist. Allerdings setzt Horowitz vielleicht auch übertrieben eine cineastische Duftmarke und sucht sich seinen der markantesten Plätze in London aus, wo der Überfall bzw. die Befreiung stattfindet. 

In einer weiteren Sequenz droht seine Enttarnung. Es gibt einen Augenzeugen, der ihn auf Jamaica in der Gegenwart von Scaramanga gesehen hat. Den russischen „Vorgesetzten“ hat James Bond erklärt, dass er nach seiner Rückkehr nach London vier Wochen auf eine Gelegenheit warten musste, um „M“ direkt zu begegnen und ihn zu „töten“. Hier inszeniert Anthony Horowitz fast schon eine literarische Hommage an Alfred Hitchcock und seinen Suspence. Herausragend geschrieben und den Leser manipulierend.  

Die letzte Szene ist der fast obligatorische Loyalitätstest, bevor die neu gebildete aus verschiedenen russischen Geheimdiensten bestehende Gruppe James Bond wieder nach Ostberlin schickt, um eine Tat zu begehen, welche die bestehende Ordnung aus den Angeln hebt und damit in bester James Bond Tradition steht.

Das Finale des Romans ist fast schon im direkten Vergleich zu den drei angesprochenen Szenen pragmatisch gehalten und reflektiert einen anderen Grundton des ganzen Romans. Ian Fleming hatte zwar „The Man with the Golden Gun“ nicht als letzten James Bond Roman geplant. Der frühe Tod des Briten machte einer Fortführung unmöglich, aber der körperlich an die Grenzen stoßende James Bond begann über sein bisheriges Leben, die immer schwieriger und gefährlicher werdenden Missionen, aber auch eine mögliche friedliche Zukunft mit einer liebevollen Frau an seiner Seite nachzudenken. Diese Gedanken nimmt Anthony Horowitz im vorliegenden James Bond Abenteuer auf. Der Brite ist weit von Daniel Craigs im Laufe der Filme seltsamer werdenden Einstellung entfernt. Es ist viel mehr das Portrait eines Mannes, der aus Überzeugung alles für sein Land gegeben hat; der gerne auch das Abenteuer liebt, der aber auch erkennt, das er sich von seiner Umgebung entfremdet. James Bond hat ja laut Ian Fleming auch im Zweiten Weltkrieg gedient und der Erhalt der britischen Nachkriegsordnung mit den wirtschaftlichen Erfolgen sowie dem kontinuierlichen Kampf gegen überdrehte Superbösewichte, aber vor allem auch die Russen, tritt im Gesicht der Öffentlichkeit mehr und mehr in den Hintergrund. Zu Gunsten eher oberflächlicher Vergnügen.

Dabei bewegt sich Anthony Horowitz allerdings auf einem sehr schmalen Grad. Auf der einen Seite ist es eine klassische Infiltrationsstory in der Tradition weniger von James Bond, sondern dem in seinem eigenen Nachwort erwähnten John le Carre und seinem Meisterwerk „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Auf der anderen Seite zieht Horowitz an passenden wie unpassenden Stellen immer wieder indirekt Vergleiche zu Ian Fleming, in dem er nicht nur seine Protagonisten erwähnt, sondern sie fast erdrückend real in James Bond Alpträumen erscheinen lässt. Das wirkt teilweise übertrieben, als wenn Anthony Horowitz die Leser immer wieder daran erinnern muss, das es sich nicht nur um einen James Bond Roman, sondern zumindest den letzten Horowitz James Bond Roman handelt.  

Neben dem nachdenklichen, aber noch nicht melancholischen Bond verfügt die Geschichte mit der Psychologin Katya Leonova über eine abgerundete Frauenfigur. Sie war maßgeblich an der Indoktrinierung des gefangenen James Bond beteiligt. Jetzt soll sie nicht nur aus nächster Nähe prüfen, ob James Bond weiterhin ein williges Werkzeug ist, sondern Moskau treu ergeben ist. Vieles folgt den Mechanismen des James Bond Genres. Anfänglich zugeknöpft bis frigide löst Champagner nicht nur ihre emotionalen Verklemmungen, sie eröffnet dem britischen Agenten ihre Vergangenheit und zumindest mit erstaunlich pragmatischen Einschränkungen öffnet sie auch ihr Herz. Aber die Figur ist dreidimensional angelegt, ihre Motive für den Sinneswandel sehr gut vorbereitet. Auch wenn die Geschichte in den sechziger Jahren spielt, hat der Leser nicht das Gefühl, das sich unter dem ehemaligen KGB Agenten Putin viel in Russland hinsichtlich Abweichlern verändert hat. Das macht die Geschichte so erschreckend modern. Anthony Horowitz offenbart während des letzten Viertels noch einige von Katya Leonovas Hintergründen und baut einen sich zuspitzenden Konflikt hinsichtlich Loyalität und Vertrauen zwischen ihr und Bond in den deutlich an Tempo  gewinnenden Handlungsbogen ein . Dabei  bewegt sich der Autor bis zu einer weiteren ultimativen Homage an Ian Flemings Romane immer am Rande des Klischees. Trotzdem gipfelt die seltsame Beziehung zwischen dem eher analytisch kühl agierenden Bond und der einsamen Russin in einem emotionalen Finale.   

Die eigentlichen Hintermänner wirken ein wenig eindimensional dagegen. Sie agieren dem Plan folgend, den der Leser natürlich (noch) nicht kennen darf. Nur soll etwas Großes auf die Welt zukommen, was auch “M” zu dieser Verzweiflungsmission mit höchstem Risiko zwingt. Ian Fleming erschuf charismatischere James Bond Gegner, aber hinsichtlich ihrer Hintermänner blieb selbst James Bond Schöpfer manchmal seltsam blass. 

Plottechnisch überzeugend hat Anthony Horowitz aber noch ein weiteres Faustpfand in der Hand. Der Autor greift nicht nur auf Ian Flemings “Thrilling Cities” zurück - das Sachbuch enthält auch eine James Bond Story - oder John le Carre in den sechziger Jahren spielenden und ebenfalls in dieser Zeit entstandenen “Der Spion, der aus der Kälte kam” zurück, sondern erschafft aus dem ihm zur Verfügung stehenden Sekundärmaterial ein überzeugendes Portrait weniger des kommunistischen, aber auch dekadenten, die Touristen blendenden Moskaus, sondern der frisch geteilten Stadt Berlin. Daher ist der letzte Abschnitt des Buches vielleicht auch die am meisten faszinierende Passage, die Anthony Horowitz im James Bond Universum geschrieben hat.           

In Berlin muss James Bond noch einmal leiden. Sich im Grunde selbst Kasteien, um für einen Moment wieder zu dem Agenten zu werden, den Ian Flemings Bücher so auszeichnete.  Auch hier hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn immer die höflich gesprochen konservativen Kräfte in Russland den Stalinismus sich zurückwünschen, um im Schatten einer Führerpersönlichkeit ihre eigene Suppe zu kochen. Eher zufällig zeigt Anthony Horowitz auf, dass sich im Grunde in Russland nichts verändert hat. Lenin, Stalin oder Putin…Ideologie ist nur das in der Öffentlichkeit verzerrte Bild von Unterdrückung, Terror, Kontrolle und vor allem dem Sendungsbewusstsein, in die Geschichtsbücher eingehen zu wollen. Ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung. 

Die Dynamik des Finals gipfelt schließlich in einer Szene, welche John le Carre in einigen seiner Bücher mehrmals so authentisch wie eindrücklich beschrieben hat. Auf dieser Note mit einem Blick nach vorne, aber vielen Rückblicken endet sein dritter und bester James Bond Roman. Er hat den Kalten Krieg zurück in die Serie gebracht, den ewigen Gegner Sowjetunion mit seinen an Kranken erinnernden Geheimdiensten. Anthony Horowitz hat sich auf das Wesentliche der ursprünglichen Agentenserie konzentriert. Ein Mann alleine auf einer im Grunde unmöglichen Mission; bereit Schmerzen zu ertragen oder sich wie in diesem Fall vorsätzlich zuzufügen, um nicht nur für sein Vaterland England, sondern die westlichen Welt nicht selten kurzfristige Pyrrhussiege zu erringen, bevor sich ein  weiterer Kopf der antikapitalistischen Hydra  irgendwo auf der Welt erhebt. Nicht mehr, aber vor allem nicht weniger ist der kompakte, sehr kurzweilig zu lesende und atmosphärisch überdurchschnittlich entwickelte James Bond Thriller, der das Jahr 2022 mit den sechziger Jahren untrennbar verbindet.    

  

James Bond: Mit der Absicht zu töten

  • Herausgeber ‏ : ‎ Cross Cult (7. November 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 336 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3966589648
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3966589642
  • Originaltitel ‏ : ‎ Ein James Bond Roman
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