Exodus 41

Rene Moreau & Heinz Wipperfürth

Nach dreizehn zum Teil kürzeren Geschichten finden sich im zweiten Teil des Themenbandes „Mars“ acht längere Texte, eingeteilt nur noch in zwei Kategorien.

Der schon in „Exodus“ 40 vertretene Christian Endres eröffnet den Abschnitt „Psycho- Mars“ mit seiner Story „#BackFromMars“. Der Titel ist im Grunde Programm. Die erste Expedition zum Mars ist zur Erde zurückgekehrt und wird natürlich auf Körper und Geist untersucht. Die Mission ist von der ständigen Nutzung Twitters durch die Besatzung fast in aller Munde. Nur der Protagonist als Mitglied der älteren Generation will seine Seelenlage weniger der Öffentlichkeit, sondern höchstens einem Menschen mitteilen. Was ihn natürlich verdächtig macht. Zumindest aus der Perspektive der Psychologen.

Als Satire auf die Allgegenwart Twitters vielleicht nicht pointiert genug mit einer erkennbaren Pointe ist die Geschichte allerdings deutlich interessanter und charakterlich vielschichtiger angelegt als die Miniatur aus „Exodus“ 40.

 Frank N. Schatz ist das Pseudonym eines deutschen Thriller und Science Fiction Autors. “David and the Spiders” ist eine wundervoll exzentrische Geschichte voller Ideen, eingebettet in das Ende der siebziger Jahre. David Bowie hat - wie der Autor herausstellt - zwischen 1976 und 1978 in Berlin- Schöneberg gelebt. Zeitweise auch bei Edgar Froese von “Tangerine Dream”. 1980 war “Tangerine Dream” die erste westdeutsche Band, die in Ostberlin spielen durfte. Ende 1980 wurde John Lennon in New York ermordet. 

Dazwischen kämpfen David Bowie und Edgar Froese an der Seite der letzten von zwölf guten Spinnen gegen die bösen Wespen, welche die Menschheit auf dem Weg zur atomaren Selbstvernichtung begleiten. Eingewoben finden sich immer wieder Anspielungen auf David Bowies erste Lieder und Erfolge. Edgar Froese stellt anfänglich den Bezug zum Leser dar, in dem ihm von einem überdrehten David Bowie die geheime Geschichte der Wächter der Menschheit erzählt wird. Absurd, faszinierend, verspielt zeichnet der Autor auch ein Portrait Westberlins Ende der siebziger Jahre. Eingeschlossen, ein gigantisches “Gefängnis”, in dem es progressiv und teilweise auch aggressiv ausgesprochen lebendig zugegangen ist. Menschen, die sowohl die Musik David Bowie kennen und lieben, aber auch in dieser Zeit in Westberlin gewesen sind, werden - positiv in Erinnerungen vertieft - vielleicht noch mehr angesprochen als eine neue Lesergeneration. Aber inklusiv des Abstechers zum Mars eine farbenprächtige unterhaltsame Geschichte. 

Deutlich dunkler ist Karsten Lorenz Story “Kleines Mädchen im Skianzug”. Auf dem Mars gibt es eine Kolonie. Die Geschichte wird aus der Perspektive der Stationsärztin erzählt. Einer der Männer ist tot, ein anderer unheilbar an Krebs erkrankt. Mehr und mehr schält sich die Möglichkeit heraus, das die Erde die Menschen auf dem Mars mittels der Implantate sehr viel mehr überwacht als diese es ahnen. Die Grundidee ist nicht unbedingt neu, aber Karsten Lorenz zeichnet ein überzeugendes Bild vom Alltag auf dem Mars. Seine Figuren sind dreidimensional und alles andere als Helden. Die Konflikte innerhalb der Gruppe, aber auch durch die verstärkte kritische Haltung eines kleinen Teils der Kolonisten gegenüber der Erde werden überzeugend beschrieben und sind sorgfältig herausgearbeitet.   

Thorsten Küpers “Dinner mit dem Präsidenten” ist ein ambivalentes Lesevergnügen. Auf der einen Seite herrschen bekannte Stereotype vor. Ein Mann hat die Möglichkeit, sich zu rächen. Ein Politiker, für den Tod seiner Familie verantwortlich, aber auch gleichzeitig durch sein Handeln der Initialzünder seiner eigenen Karriere, ist mittelbar in seiner Gewalt. Er lädt ihn vor seiner endgültigen Deportation auf den Mars zu einem Essen ein, um ihn zu provozieren. Um vielleicht auch sein wahres Gesicht zu entlarven. Auf der anderen Seite ist die Idee interessant, Despoten, Tyrannen oder auch gegen die Gesetze verstoßende ehemalige Mächtige auf den Mars zu deportieren, wo sie innerhalb von drei Monaten bei den unwirtlichen Bedingungen ihr eigenes zukünftiges Leben sichern müssen. Sie erhalten die notwendige Technik und oberflächliche Einführungskurse. Natürlich sind es die Tyrannen wie Wlad, die sich durchsetzen und beginnen, ihre kleinen Reiche zu erweitern.  

Jacqueline Montemurris “Der Gott des Krieges” wäre in einer weniger starken Anthologie ohne Frage eine interessante Geschichte. Hinsichtlich der Strukturierung ihrer Persönlichkeiten wirkt der Text allerdings ein wenig bemüht. Auf der Erde herrschen Konflikte, es wird mit Atomwaffen gedroht. An Bord einer internationalen Mission zum Mars beginnen Spannungen zwischen den Crewmitgliedern der Nationen, die sich zu Hause offen mit Atomwaffen bedrohen. Die Geschichte ist konsequent entwickelt, wirkt aber stark konstruiert. Auch das Ende ist wenig überraschend. Der Leser stellt sich unwillkürlich die Frage, ob die Psychologen auf der Erde bei der Zusammenstellung der Crew die Risiken einer Übertragung geopolitischer Konflikte in den Mikrokosmos an Bord des Raumschiffs ignoriert oder unterschätzt haben. Auf diese Frage geht die Autorin allerdings nicht ein. 

Angela und Karlheinz Steinmüllers “Marslandschaften” ist für den Kurd Laßwitz Preis nominiert worden. Als Ausgangsbasis nimmt das Autorenehepaar ein Buch des Schweizer Psychologen Theodor Flournoy “Von Indien zum Planeten Mars - Studie zu einem Fall von Somnambulismus mit Glossolalie. Die Zeichnungen stammen von der Schweizer Künstlerin Helene Smith, die an die Reinkarnation glaubte und mit einem Marsbewohner in Kontakt stand. Diese Themen fließen in diese als eine Art Tagebuch angelegte Geschichte ein. Beginnend mit der ersten Seance und endend auf dem Mars handelt es sich um eine der Zeit, in welcher die Geschichte spielt, angemessen erzählte bizarre Charakterstudie, die der Leser eher empfinden als durchdenken sollte.  

 “Der späte Mars” ist das Thema zweier Geschichten. Victor Bodens “Relikt” ist zusätzlich die einzige Geschichte, die aus ausschließlich außerirdischer Perspektive erzählt wird. Eine insektoide Rasse untersucht die Relikte im Sonnensystem. Dabei stoßén sie immer wieder auf Spuren der untergegangenen menschlichen Zivilisation, bis sie in einem künstlichen Himmelskörper sogar auf eingefrorene menschliche Zellen, aber auch Pflanzen stoßen. Eine Wissenschaftlerin will die Menschen wiederbeleben, das Vorhaben stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung. Victor Boden spannt aus der subjektiven Perspektive der an Ameisen erinnernden Fremden einen weiten Bogen. Viele ihrer Spekulationen setzen sich im Blickwinkel der menschlichen Leser erst zu Fakten zusammen. Das Ende ist fatalistisch. Auch wenn der Plot ambitioniert erscheint, der Stil interessant und vielschichtig ist, hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn er die Grundidee in verschiedenen Variationen schon öfter gelesen hat. Victor Bodens Story fehlt irgendwie der Knalleffekt.  

Die letzte Mars Geschichte dieser Doppelausgabe - Wolf Wellings “Leaving Mars” - ist nur bedingt Programm. Eine Intelligenz wacht auf, durchschreitet die leeren Räume der Marsstation, hat keine wirkliche Erinnerung an die Ereignisse und wird zum Mittelpunkt einer neuen Mission, auf den Weg in ein neues Shangri- La geschickt, wie der Autor ausdrückt. Nicht alle Marsmissionen scheitern. Aber betrachtet der Leser die insgesamt einundzwanzig Geschichten, so spiegelt sich das realistische und nicht romantische Bild der Bradbury Zeit in den Texten wider. Wolf Wellings kompaktes Stillleben, stilistisch expressiv bis an den Rand des künstlerischen Overkills symbolisiert gleichzeitig Ende und Anfang. Zwischen den Zeilen impliziert der Autor, das es weniger um Pioniertaten geht, sondern um die Möglichkeit, auch Geld zu verdienen und künstliche Paradiese zu erschaffen. Scheitert diese nur vordergründig edle Mission, wird ein neues Ziel erkoren. Andere Autoren wie Andreas Eschbach oder Karsten Lorenz argumentieren ähnlich. Andere Schriftsteller setzen sich mit der Rückkehr auf die Erde oder den ersten Flug überhaupt in einem Steampunk Universum auseinander. Eines haben alle Texte gemeinsam: der Mars lässt auf die eine oder andere Art und Weise die Protagonisten niemals wieder los.     

In beiden Ausgaben finden sich einige kurze Gedichte. Dabei greifen die Herausgeber auf gegenwärtige Texte wie auch Vergangenes zurück. Im Vorwort sprechen Rene Moreau und Heinz Wipperfürth noch einmal über die Entstehung und Weiterentwicklung der oft übersehenen Lyriksparte, aber auch der inzwischen optisch dominierenden Galerie, die mit vier Seiten Thomas Franke gewidmet einmal gestartet ist. 

In der Galerie des zweiten Mars Themenbandes wird Rainer Schorms Werk auch mit einigen Graphiken vom roten Planeten präsentiert. Jörg Weigand schreibt eine ausführliche Einleitung, in welcher der langjährige Herausgeber nicht nur auf die verschiedenen technischen Stilarten Schorms eingeht, sondern der Graphiker und Autoren auch ausführlich zitiert. Die Bilder sprechen für sich. Schon in der von Michael Haitel herausgegebenen Anthologien mit Rainer Schorms Graphiken und entsprechenden Geschichten konnte der Betrachter dessen technische Vielfalt bewundern. Eine überzeugende Auswahl seines neueren Schaffens.    

Alle Geschichten sind in verschiedenen Stilrichtungen überzeugend und positiv die Texte begleitend illustriert. Victor Boden, Jan Hoffmann, Jörg Neidhardt und das sixty- nine design ragen hier auch wegen der Vielzahl ihrer Arbeiten hervor.  

Der zweite sekundärliterarische Beitrag stammt von Dirk Alt. Wie in Exodus 37 unternimmt der Autor einen Streifzug durch die Science Fiction in Literaturmagazinen und bespricht die Ausgaben, die zwischen dem ersten Teil des Artikels und der hier vorliegenden Fortführung erschienen sind. Der Titel “Jenseits der Betondecke” bezieht sich auf Stanislaw Lem, wobei die entsprechenden Zitate tief in das Seelenleben des Polen blicken lassen. Literarischen Ruhm ernten wollen, aber mit dem Genre Geld verdienen. Dirk Alt nimmt förmlich das Haller Magazin und seinen literarischen Anspruch auseinander, bis er über “metamorphosen” schließlich “Am Strand” landet. Der Artikel ist auch eher als Überblick zu werten denn als eine kritische Auseinandersetzung. Der Leser kann die Beurteilungskriterien Dirk Alts nicht wirklich nachvollziehen und am Ende driftet der Autor in die hochgestochene intellektuell nur vordergründig gehaltvolle Stilart ab, welche die angeblich so hohe ernsthafte Literatur von der simplen Unterhaltung unterscheidet. 

Sowohl Exodus 4o wie auch der zweite Teil des Themenbandes “Mars” überzeugen durch die Qualität der einzelnen Geschichten. Vielleicht wirkt die Überschrift “Psycho- Mars” ein wenig unglücklich gewählt, denn schon in der ersten Ausgabe hatte der rote Planet nicht immer einen gesunden Einfluss auf die Astronauten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie vom Mars zurückgekommen sind, auf dem Weg zum roten Planeten sind oder schon eine gewisse Zeit auf dessen karger Oberfläche leben. Alle Geschichten sind unabhängig von kleinen Vertrautheiten lesenswert und auch stilistisch gut erzählt. Zusammen mit den beiden im Hirnkost Verlag herausgegebenen Themenanthologien beweist das “Exodus” Thema auch in ihrer Stammpublikation, dass die (unbezahlte) Kurzgeschichte lebt. 

EXODUS 41

Erschienen: 31. August 2020

108 Seiten

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ISSN 1860-675X