Camouflage

Joe Haldeman

Joe Haldeman verfügt über die fast einzigartige Gabe, aus bekannten Versatzstücken dank seiner genauen Beobachtungsgabe, einem subtilen Sinn für Humor und einer ungewöhnlich kompakten Erzählstruktur  lesenswerte Romane zu erschaffen. Ein typisches Beispiel ist „Camouflage“, der in der vorliegenden Struktur einen exzellenten Film abgegeben hätte. Zwei Außerirdische sind auf der Erde gestrandet. Sie wissen nichts voneinander, sie kennen sich nicht, sie haben sich der Menschheit nicht zu erkennen gegeben. Dank der Fremdartigkeit dieser unfreiwilligen Gäste wird aus der bekannten und genretechnisch so oft angewandten Idee ein interessanter Roman.

Der eine Fremde ist eine Art Wechselbalg. Er kann sein Aussehen wechseln und anscheinend Tier und Mensch verkörpern. Der andere Fremde ist ein Chamäleon.  Auch wenn Joe Haldeman die verschiedenen Perspektiven nutzt, um einen Blick in unsere Kultur zu werfen, charakterisiert er die beiden Fremden nicht nur sehr unterschiedlich, sondern teilweise auch frustrierend klischeehaft. Das Chamäleon könnte sogar der interessantere Fremde sein. Seine Struktur durch einen DNA-Aufbau ist menschenähnlicher, seine Fähigkeiten aber auch begrenzter. Er kann im Grunde nur reagieren, nicht von sich aus agieren. Seine Vorgehensweise ist die perfekte Tarnung. Joe Haldeman stellt ihn zu schnell als den klassischen und damit leider auch klischeehaften Schurken heraus. Seine „Fähigkeit“ wird wissenschaftlich nicht weiter erläutert und über seine Geschichte erfährt der Leser in erster Linie, dass er quasi seit der Steinzeit unter den Menschen lebt und sich mit ihnen entwickelt. Er liebt es, nicht nur zu jagen, sondern zu töten. Insbesondere im direkten Vergleich mit dem Wechselbalg agiert der Autor zu wenig überzeugend. Der Leser kann den anfängliche Jagdinstinkt und selbst die Lust am Töten verstehen. Über Jahrtausende findet keine Weiterentwicklung statt. Diese ist nicht unbedingt notwendig, aber Filmserien wie „Predator“ haben den Jägern zumindest eine Kultur gegeben. Da das Chamäleon quasi keinen anderen Platz „einnimmt“, wäre es sinnvoller gewesen, diesem Wesen mehr dreidimensionalen Hintergrund zu geben und ihn nicht gleich zum klassischen, zu jagenden wie gefährlichen Schurken abzustempeln. Dabei überspannt Joe Haldeman den Bogen, in dem er rückblickend erläutert, dass das Wechselbalg als Josef Mengeles Assistent genauso gearbeitet hat wie er später für den Mossad Nazis nach dem Krieg gejagt hat.

Sehr viel intensiver setzt sich Haldeman mit dem außerirdischen „Helden“ der Geschichte auseinander. Er durchläuft nicht nur einen intellektuellen Evolutionsprozess – er tötet einen unschuldigen Menschen fast aus Versehen und lernt schnell, dass es sich um ein antisoziales Verhalten handelt -, sondern der Autor entwickelt seinen Hintergrund sehr viel besser. Sein Körper ist nicht DNA-basiert.  Er stammt von einer Welt mit einem unwirtlichen Klima durch den extrem exzentrischen Planetenumlauf um dessen Sonne. Dadurch kann das Wesen in allen Klimazonen nicht nur überleben, es verwandelt sich jeweils in ein neues Wesen. Dabei reicht das Spektrum vom Hai in den Meeren bis zu den Menschen. Im Gegensatz zum Chamäleon mit seiner ausschließlich menschlichen Form ist der Gestaltwandler flexibler und kann sich bei der „Jagd“ auf den Fremden auch besser seiner Umgebung anpassen. Beide scheinen allerdings relativ unsterblich zu sein und beide sind eher durch „Unfälle“ auf der unvorbereiteten Erde gelandet. Positiv für den Handlungsverlauf präsentiert Joe Haldeman diese wichtigen Angaben nicht zu Beginn des Buches, sondern lässt sie nach und nach in den Plot einfließen, zeigt dem Leser, dass er sich im Gegensatz zum Autoren nicht auf Augenhöhe bewegt und variiert diesen Informationsfluss je nach Szene. Das lässt den vorliegenden Roman deutlich kurzweiliger und interessanter erscheinen als es die erste Handlungszusammenfassung vermuten lässt.

Es ist erstaunlich, dass Joe Haldeman die menschlichen Charaktere im Grunde zum Stichwortgeber reduziert und damit durchkommt. Hätte er insbesondere das Chamäleon weniger klassisch böse, sondern ambivalenter gezeichnet, dann läge vielleicht ein würdiger Nachfolger einiger Hal Clement Romane vor, die auch an exotischen unserer Erde spielten und in denen auch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen im Vordergrund gestanden hat. Haldeman lässt Täter und Opfer aber quasi zu sich kommen. Die Menschen finden in den Tiefen des Meeres ein außerirdisches Raumschiff, das die beiden Außerirdischen wie magisch anzieht. Um die Spannung möglichst lange aufrecht zu erhalten, müssen sich die Menschen dumm anstellen. Das Schiff erscheint unbeschädigt, die Wandungen nicht zu durchdringen und die Technologie natürlich fremdartig genug. Bedenkt der Leser, dass es vielleicht schon Jahrtausende im Wasser gelegen hat, dann erscheint diese Übertechnik angesichts der beiden Fremden übertrieben. In erster Linie nutzt es der Autor als Köder für die beiden Fremden, die natürlich neugierig wie Motten ans Licht zu diesem wunderschönen wie exotischen Ort getrieben werden, um mit dem Raumschiff möglicherweise die Erde zu verlassen und in die Heimat, an die sie sich nicht erinnern können, zurückzukehren.  Wie Michel Crichton streut Joe Haldeman einige pseudowissenschaftliche Informationen in die Handlung und versucht den Hintergrund eines Wissenschaftsthriller zu simulieren.  Hinzu kommt die Liebesbeziehung des Gestaltwandlers zu einigen Frauen, was ihn im Grunde im Gegensatz zum mordenden Chamäleon akzeptabel macht. Diese Beziehungsszenen werden nicht unbedingt unnötig gestreckt und sollen einen weiteren Einblick in den sich stetig weiterentwickelnden Fremden geben, auf der anderen Seite akzeptiert Haldeman allerdings das Töten eines unschuldigen Menschen zu Beginn des Romans als relevanten Lern- und Entwicklungsprozess, der entschuldigend mit Unwissen erklärt wird. Die Kombination aus Beziehungsgeschichte und Wissenschaftsthriller unterminiert den im Mittelteil trotz aller Stringenz zu unnötig komplizierten Aufbau der Handlung, wobei der kontinuierliche und schnelle Wechsel der Handlungsebenen ein wenig entschädigt. Spätestens mit dem Bergen des Raumschiffs weiß der Leser, wohin die beiden Fremden streben und spannungstechnisch sollten sie sich auch nicht aufhalten lassen, sonst zielt der Showdown ins Leere.

Die finale Konfrontation ist solide geschrieben. Sie wirkt rückblickend ein wenig abrupt und bietet vor allem keine neuen Fakten an, aber Joe Haldeman umschifft zumindest einige Klischees der Pulp Science Fiction und lässt das Chamäleon instinktiv vorsichtiger erscheinen als es die Rückblicke vermuten lassen.  Auf der anderen Seite sind hier zwei Fremde vorhanden, die sich nicht mehr an ihre Heimat erinnern und von denen einer vermutet, dass im Raumschiff nur Platz für einen ist. Wie wäre es, wenn es sich um ein Raumschiff handelt, dass nur von zwei Wesen geflogen werden kann? Warum werden passend die entsprechenden Signale wie in Sagans „Contact“ entschlüsselt, ohne dass dessen Ironie berücksichtigt wird. Vor allem wirkt das Absenden des Signals, das Aufmerksam machen auf die eigene Lage nach Jahrtausenden zu wenig passend. Da beide Wesen unsterblich sind, denken sie wahrscheinlich in anderen Dimensionen, ohne das es wirklich nachhaltig herausgearbeitet worden ist. An einigen Stellen reicht Haldeman seinen Protagonisten zu konstruiert an entscheidenden Stellen die Hand, um sich unnötige Arbeit zu ersparen und die Klippen zu elegant, aufwandslos zu umschiffen.       

Hätte der Autor mehr Sorgfalt bei seinen menschlichen Charakteren aufgewandt, würde das Finale besser funktionieren. Das gleiche gilt wie schon angesprochen beim Chamäleon, dessen Potential an vielen Stellen nicht gehoben worden ist. Wie Alan Dean Foster gelingt es aber Joe Haldeman, auch unsere Erde fremdartig erscheinen zu lassen.  Auf der anderen kritischen Seite hat Joe Haldeman sich auch aus verschiedenen Versatzstücken – von Sagan über Simak, Clarke oder Clement bis zu einigen Sturgeon Geschichten– einen immer noch unterhaltsamen Roman gebaut, ohne viele nachhaltige neue Elemente zu integrieren und auf der hintergrundtechnischen Seite bis auf das Wechselbalg sehr spärlich zu agieren. „Camouflage“ ist ohne Frage ein unterhaltsamer Pulproman, der seine Spannung weniger aus der zu stringent präsentierten Handlung, sondern viel mehr aus dem Wiedererkennen der Vorlagen zieht, die Haldeman zumindest als Hommage in sein Buch intrigiert hat.  

  • Broschiert: 336 Seiten
  • Verlag: Mantikore; Auflage: 1 (19. Dezember 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3939212253
  • ISBN-13: 978-3939212256