Des Dunkels wegen

Jack Cady

Der Wandler Verlag legt in den ursprünglichen Übersetzungen drei Novellen des Amerikaners Jack Cady in einem schön gestalteten Taschenbuch neu auf. „Die Nacht, in der wir Pistenhengst begruben“ und „Kilroy war hier“ stammen aus den Sammelbänden des „The Magazine of  Fantasy & Science Fiction“ im Heyne Verlag, während die dritte Story „Des Dunkels wegen“ aus der Anthologie „Horror vom Feinsten“ stammt.

Alle drei Novellen sind Geistergeschichten. Alle drei Texte verfügen aber über mehr als nur Geisterbegegnungen. Nicht selten sind die Geister gleichzeitig Spiegel der Vergangenheit und dunkle Ausblicke in die Zukunft.  Jack Cady beschwört in den Geschichten eine verklärte Vergangenheit herauf, in welcher sich kritisch gesprochen auf der einen Seite Chiffren bewegen, wie man sie aus den Hollywood Filmen kennt, die auf der anderen positiven Seite aber genau die Ära widerspiegeln, in welcher sich der amerikanische Traum den Alptraum der Rassenunruhen und vor allem des Vietnamkriegs wandelte. Die  Zeit,  in welcher „Made in America“ zu verblassen begann.

„Die Nacht, in der wir Pistenhengst begruben“ beginnt im Jahre 1961. Jeff ist in der kleinen Gemeinde in Montana aufgewachsen. Sein Freund Jesse und er lieben wie alle amerikanischen Männer große kraftvolle Wagen, mit denen sie die endlosen Highways entlang fahren. Als Jesses Hudson schließlich seinen technischen Geist aufgibt, beschließt Jesse, den Wagen auf seinem eigenen Grundstück zu vergraben und eine Art Autofriedhof aufzumachen. Auf dem Weg in die nächste größere Stadt, um einen neuen Wagen zu kaufen, begegnen sie überall auf den Toiletten Sprüche vom Pistenhengst. Er scheint vor allem Jesse zu verfolgen, während Jeff schließlich zur Marine geht und das Land niemals wirklich verlässt. Als talentierter Automechaniker soll er an der Heimatfront dienen, während die USA in den Krieg mit Vietnam hingezogen werden. Auch wenn Jeff nur in Kalifornien stationiert ist, scheint es eine Weltreise von Montana entfernt. Briefe halten ihn auf dem Laufenden und während seiner Rückkehr ahnt er, das eine Katastrophe passiert ist.

Jack Cady blickt wehmütig in die Vergangenheit. Nicht umsonst ist es ein erwachsener Jeff, welcher für den Leser erst am Ende erkennbar die Ereignisse zusammenfasst, aber auch einschätzt. Die übernatürlichen Elemente bleiben als Wunder stehen. Sind die Geister der durch Autounfälle gestorbenen Menschen am Straßenrand Einbildung oder real?  Können begrabene Autowracks vor Gefahren warnen, in dem sie die Protagonisten auf ihren nächtlichen Reisen über die endlosen Highways begleiten? Kann ein Mensch seiner eigenen Vergangenheit entkommen oder droht der Tod in dem Augenblick, in dem sie selbst erschaffene brüchige Realität zu kippen beginnt? In dem man nicht mehr zwischen dem Hier und Dort unterscheiden kann? Es ist nicht notwendig, Antworten in dieser melancholischen, zeitlosen, ohne Frage auch stellenweise pathetisch kitschigen Novelle zu suchen. Jack Cady malt mit einem breiten Pinsel das Bild des amerikanischen Underdogs, der abseits vom Reichtum auf dem Land lebt und mit wenig zufrieden ist-  ein Bier, ein Auto und einen neuen Gefährten. Meistens mindestens einen Hund. Der sich nicht um die Politik kümmert oder weit in die Zukunft schaut. Das Jetzt zählt. So ist die Jagd auf den unsichtbaren und doch als Spitze der Ironie allgegenwärtigen Pistenhengst fast schon eine Metapher für grenzenlose Freiheit und Gefängnisse ohne Gitterstäbe gleichzeitig. Jack Cadys Figuren nehmen sich immer auf ihren Reisen mit. Aus Jeff lässt sich schwer Montana herauslösen. Die Sehnsucht ist erdrückend. Und Jesse lebt auf den Straßen und doch immer in der Nähe seiner durch Autounfälle ums Leben  gekommenen Familie. Die Jagd nach dem Pistenhengst wird zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst.

Die Geister geben der Geschichte eine pointierte Note, aber sie treiben den Plot nicht an. Jack Cady beschreibt sie als selbstlos. Nicht selten bis auf den indianischen Tänzer erstaunlich passiv verharren sie in der Nähe der Orte, an denen sie auf den endlos erscheinenden Straßen gestorben sind. Manchmal einfach nur sinnlos. Jeff und Jesse sind klassische Blue Collar Männer, in Liebe zu  ihren Autos und gegenseitiger bedingungsloser Freundschaft vereint. Treue bis über den Tod hinaus. Aber diese Bindungen wirken wie alle hier beschriebenen Protagonisten erstaunlich lebendig. Selbst die Tiere erhalten Persönlichkeiten, ihre Abschiede gehen direkt ans Herz.  Auch wenn die Geschichte vor allem aus Erinnerungen besteht, die vielleicht durch die Jahre sanfter geworden sind, ist es auch eine erstaunlich originelle Selbstfindungsstory, deren Ende vielleicht ein wenig überraschend kommt, aber von Jack Cady erstaunlich gut vorbereitet worden ist. Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, wirken die einzelnen Puzzleteile glaubwürdig und zusammengelegt ergeben sie das Portrait eines Mannes, der innerlich leer und doch irgendwie auch liebenswert ist.

Jack Cady hat vier Jahre für die Küstenwache gearbeitet. Anschließend hat er sich mit Gelegenheitsjob durchs Leben geschlagen und seine ersten, unveröffentlichten Romane auf der Sitzbank seines Trucks als LKW Fahrer geschrieben. Diese Sehnsucht nach den endlosen Weiten der Straße, aber auch die Furcht vor den wirklich dunklen und einsamen Nächten spiegelt sich genauso in dieser herausragenden Novelle wieder wie das Portrait des amerikanischen Cowboys, nachdem der Wilde Westen, die Frontier selbst zu einer sich selbstfütternden Legende geworden ist.  

Alle drei Novellen beschäftigen sich mit dem Verhältnis der Lebenden zu den Geistern. Auf jeweils zwei Novellen sind noch auf eine andere Art miteinander verbunden. „Die Nacht, als wir Pistenhengst begruben“ und „Kilroy war hier“ werden von alten Männern erzählt. In der ersten Geschichte erinnert sich Jess an die Ereignisse, in der zweiten Novelle diktiert der Ich- Erzähler in ein Tonband seine Geschichte. „Killroy war hier“ und „Des Dunkel wegen“ setzen sich mit den Geistern aus nicht namentlich genannten, aber erkennbaren Kriegen auseinander, welche die ehemaligen Soldaten nicht mehr loswerden.

 „Kilroy war hier“ spielt in einem Veteranenaltersheim und Hospital. Die Männer und Frauen wissen, dass es hier letzte Station ist. Vielleicht noch das örtliche Krankenhaus. Aber vom Doppelzimmer geht es meistens zum Sterben in ein Einzelzimmer. Die Männer – Frauen werden bis auf die Krankenschwestern erwähnt, spielen aber keine wichtige Rolle – erzählen sich gegenseitig von ihren Kriegen. Seit einiger Zeit sehen sie Geister, die sie stumm und teilweise anklagend beobachten. Eine Flucht vor den eigenen Erinnerungen, aber auch der übernatürlichen Gegenwart ist nicht möglich.

 Jack Cady gelingt es ausgesprochen gut, die morbide Atmosphäre des Veteranenaltersheims einzufangen. Auch wenn die Menschen nur noch auf den Tod warten und angesichts ihrer körperlichen Gebrechen sich ihrer Einschränkungen mehr als bewusst sind, behandeln sie sich untereinander nicht nur mit Respekt, sie bilden ihre eigene persönliche Lebens- statt Kampfeinheit.

 Die Geschichte endet auf der einen Seite tragisch, auf der anderen Seite auch optimistisch. Der Begriff des letzten Gefechts bekommt eine neue Bedeutung. Dabei entwürdigt der Autor seine körperlich gebrechlichen oder gebrochenen Protagonisten nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Sie wachsen noch einmal über sich hinaus und versuchen auf der anderen Seite – dieses Bild prägt sich dem Leser in doppelter Hinsicht ein – einen Brückenkopf zu errichten. Das könnte pathetisch erscheinen, aber selten ist es mit mehr Emotionen und einer kühlen inneren Logik erzählt worden als in dieser kompakten, aber auch nachdenklich stimmenden Novelle.

 Wie bei „Die Nacht, als wir Pistenhengst begruben“ sind die übernatürlichen Elemente eher Begleiterscheinungen einer wirklich sehr schönen, melancholischen und doch auch hinsichtlich seiner Figuren erstaunlich optimistischen Geschichte.

 Die Titelgeschichte „Des Dunkels wegen“ ist gleichzeitig der längste und wahrscheinlich am meisten verstörende Text dieser Sammlung. Wie in „Die Nacht, als wir Pistenhengst begruben“ handelt er von drei Freunden, die sich wahrscheinlich während des Koreakrieges kennen gelernt haben. Jack Cady macht den Wahnsinn, aber auch das Chaos des Krieges deutlich. Die in der Vergangenheit spielenden Szenen erinnern an eine militärische Version des Käfigs voller Narren, angereichert um einen Schuss Joseph Conrads „Herz der Dunkelheit“ mit Anspielungen auf die Truckerballade „Lohn der Angst“. Anlass zu diesen Erinnerungen gibt eine Nachricht des dritten Mannes, North, der angeblich im Sterben liegt und seine Kameraden noch einmal sehen möchte. Der Ich- Erzähler ist inzwischen ein gesetzter Anwalt, der absichtlich eine längere Route nach Norden fährt, um die Vergangenheit zu rekapitulieren und sich für das zu wappnen, was ihn erwartet. Er könnte nicht hilfloser in diesen Kampf ziehen. Blackbird gilt als verrückt. Er reist zusammen mit einem kaum zu zähmenden Pferd  an. Sie finden North betrunken und mit einem Revolver in der Hand in seiner Hütte vor. In unmittelbarer Nähe liegen mit einem chinesischen, aber auch einem indianischen Friedhof zwei Orte, die mittelbar mit ihrer Vergangenheit in Verbindung stehen und deren Geister zumindest North rufen. Angeblich für seine Sünden während des Krieges.

 Schon die Dschungelszenen zeigen die Absurdität wie die Grausamkeit des Krieges. Jack Cady malt unangenehme Bilder an die imaginäre Wand. Dabei übertreibt er nicht, sondern folgt den zahllosen Geschichten vor allem aus dem Vietnamkrieg, welche er einige Jahre weiter in die amerikanische Vergangenheit transportiert. Keiner der Männer ist ohne Schuld. Aber im Vergleich zu ihren Vorgesetzten sind sie arme Schweine, nicht willenlose Befehlsempfänger, sondern die kleinen Schurken, die normalerweise aufgehängt werden, während man die „Großen“ laufen lässt.

 In der Gegenwart entwickelt sich ein brutaler Kampf zwischen den anscheinend ehemaligen Freunden. Dabei geht es nicht nur um das Überleben – obwohl es vor allem für Blackbird wenig Sinn macht -, sondern den Kampf um den eigenen Verstand. Sprachlich intensiv, herausfordernd, provozierend und dann wieder verstörend melodramatisch und emotional ist der finale Kampf nachts auf dem Friedhof als Ersatz für den Dschungel eine erzähltechnische Meisterleitung, deren einzelne Szenen sich dem Leser genauso ins Hirn brennen wie die exzentrischen, nicht einmal sympathischen und doch so verstörend realen Charaktere. Es ist ein Kammerspiel mit drei Personen, deren Wege sich mehrmals gekreuzt haben. Die Zuschauer sind tausende von durchaus gefährlichen Geistern, die durch ihre Anwesenheit, aber nicht ihre Handlungen insbesondere North schließlich in den Wahnsinn treiben, während ausgerechnet der verrückte und als tickende Zeitbombe durch das Land reisende Blackbird die Lösung in seinen Händen hält.

 Alle drei Novellen handeln von Geistern, überwiegend der Vergangenheit. Nicht immer der eigenen Vergangenheit. Die Geister sind passiv, ihre Anwesenheit lässt er die Realität der handelnden Personen bröckeln und zeigt ihnen auf, dass es am Ende jedes Weges, jeder Straße oder auch jedes Highways nur ein Ziel gibt: der Tod. Und der ist bei Jack Cady nicht final. Der Amerikaner umschifft in diesen modernen Geistergeschichten in einer engen Kombination entweder mit den amerikanischen Mythen wie den seit den fünfziger Jahren nicht mehr gebauten Wagen oder den historischen Alpträumen von den Kämpfen im Pazifik gegen Japan über Korea bis zu Vietnam die Klischees des Genres und präsentiert drei zeitlose, ohne Frage verstörende und gleichzeitig faszinierende moderne Alptraummythen, die durch diese empfehlenswerte Neuauflage der Vergangenheit entrissen und einer neuen Lesegeneration in einer schön gestalteten Paperbackausgabe präsentiert werden.  

Des Dunkels wegen und andere Novellen

  • Herausgeber ‏ : ‎ Wandler Verlag (7. Dezember 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 270 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3948825106
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3948825102
  • Originaltitel ‏ : ‎ By Reason of Darkness
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