Inagehi

Jack Cady

Der Wandler Verlag legt den ursprünglich 1994 veröffentlichten Roman „Inagehi“ aus der Feder des Amerikaner Jack Cady in der Übersetzung von Annette Carpentier als handlichen Paperback mit einem schönen Titelbild, aber auch zwei Inlet Zeichnungen als Deutschlandpremiere vor.

Wie Joe Lansdale in einigen sehr weniger exzentrischen Krimis zeichnet Jack Cady ein lebendiges Portrait des dunklen amerikanischen Herzens, diesen Landschaften abseits der Öffentlichkeit mit ihrer Mischung aus Legenden, aus Mythen, aus der herausfordernden Unwirtlichkeit des Landes und schließlich seinen Geheimnissen, die weiter als ein Leben zurückgreifen.  Es gibt bei beiden Autoren keine Aktion, die nicht irgendwann eine Reaktion nach sich zieht. Die in diesen Landstrichen lebenden Menschen- dabei spielt es keine Rolle, ob die Geschichte in Texas spielt oder wie bei Jack Cady in North Carolina – werden von ihrer Umgebung geprägt. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Nicht selten spielen Lansdale und Cadys Geschichten in den fünfziger Jahren mit dem Schatten des Zweiten Weltkriegs oder des Korakrieges allgegenwärtig und noch einige wenige Jahre vor dem Verlust der Unschuld Amerikas in Vietnam. Die Geschichten spielen in einem Land, das seinen Rassismus nicht überwunden hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Farbige oder Indianer handelt.  Ob die Männer gemeinsam für Amerika, in Europa oder in Asien gekämpft haben und deren Verwandte dort gefallen sind. 

Im Gegensatz zum 1951 geborenen Joe Lansdale ist Jack Cady – Jahrgang 1932- in den fünfziger Jahren schon ein junger Mann, der seine Bestimmung im Leben sucht. In den fünfziger Jahren arbeitete er für die Küstenwache in Maine. Diese Zeit kann er aus erster Hand beschreiben und von diesen dreidimensionalen Erinnerungen, ein wenig sperrig wiedergegeben, lebt die Geschichte auch. Im Gegensatz zu Joe Lansdale ist Jack Cady aber kein melancholischer Verklärer dieser Zeit, sondern fast schon eine Art Märchenerzähler, der in „Inagehi“ neben der Hauptfigur einen zweiten Erzähler einführt. Allwissend, zurückblickend, vage zukünftige Geschehnisse andeuten. Mit dieser Figur distanziert sich Jack Cady auch ein wenig von den Geschehnissen, die auf Ereignissen aufbaut, die sieben Jahre vor Einsetzen der Handlung und damit der Rückkehr Hariette Johnsons in ihre Heimat geschehen sind.

Im August 1957 muss Hariette Johnson den Nachlass ihrer verstorbenen Mutter in der alten Heimat in North Carolina ordnen.  Neben ihrem Elternhaus und ein wenig Bargeld erbt die junge Halb Cherokee siebenhundert Morgen Land inklusive eines kleinen Walds an den Hängen des Gebirges.   

Vor sieben Jahren ist ihr Vater – ein reinrassiger Cherokee – in den Wäldern ermordet worden. Die genauen Hintergründe seines Todes sind ihr bislang verheimlicht worden. In Winston- Salem erfährt sie unter anderem vom Familienanwalt nicht nur von den Details seines Todes, sondern woher das Geld für den Kauf des Landes stammt. Jack Cady beurteilt bei diesen Beschreibungen nicht Hariette Johnson muss sich klar werden, dass die Welt eben in erster Linie grau ist und das die immer präsente Vergangenheit vor allem auch des Zweiten Weltkriegs viele Grenzen in Hinblick auf Anstand und Moral durchlässig gemacht  hat. Es geht auch in der Gegenwart nicht mehr um Schuld und Sühne, Anklage und Verurteilung. Viele Dinge sind viele Jahre vorher in Bewegung gesetzt worden und selbst kleine Gesten – zur Grenzbereinigung verkauft Hariette Johnson mehrere Morgan zum symbolischen Kaufpreis eines Dollars – überdecken die kaum verheilten Wunden ausreichend.

Auch wenn Jack Cady einen „allwissenden“ und subjektiven zweiten Erzähler in die Handlung platziert hat, bewegt sich das Geschehen überwiegend auf Augenhöhe und vor allem aus der Perspektive der ausgebildeten Musiklehrerin, die am liebsten sich intensiv mit ihren Schülern beschäftigt als nach den dunklen, in ihrer Kultur begründeten Geheimnissen des Waldes und damit auch ihres Vaters zu suchen.     

Die Krimihandlung ist relativ simpel gestrickt. Es gibt zwei Tathergänge. Der Eine wird mit einer langen Rache erklärt und macht für Thrillerfreunde mit ein wenig Abstand auch Sinn. Er ist kompliziert, aber nicht unbedingt komplex. Glaubt der Leser an eine Stammesrache  aus dem Jenseits, eine Art Abbitte für die nicht nur im Krieg begangenen Sünden in einer Zeit der generellen Unmoral, dann bekommt der Plot eine übernatürliche Komponente. Sie ist nicht notwendig, aber sie rückt “Inagehi” mehr gentechnisch in den Bereich der Weird Fiction, aber nicht des Horrors.

Jack Cady hat vor allem eine Charakterstudie erschaffen. Seine Protagonisten mit ihren Ecken und Kanten, ihren Stärken und Schwächen sowie ihren moralischen Ansichten sind abgerundete Figuren. Sie sind nicht durchgehend sympathisch. Das sollen sie auch nicht sein. Sie träumen von der Welt weit ab des amerikanischen Hinterlands oder sie erkennen bei ihrer Rückkehr wie Henriette, dass es ihnen fehlt. Sie haben ihre Leben unabhängig von  ihrem jeweiligen Alter gelebt. Diese Lebenserfahrung - im übertragenen Sinne vom Autoren selbst - fließt in die laufende Handlung ein.  Jack Cady ist ein Meister, kantige Figuren lebendig zu machen. Dabei konzentriert er sich auf die Blue Collar Elite. Er träumt nicht von dem amerikanischen Traum; Jack Cady ist aber kein ewig Gestriger, der die alte Zeit verklärt. So blickt sein zweite Erzähler aus den frühen siebziger Jahren auf die Fünfziger zurück. Im Epilog schreibt diese Figur das Schicksal der meisten Protagonisten kurz und prägnant fort. Max Allan Collins hat in seiner fortlaufenden Nathan Heller Serie mit ihrer Mischung aus historischen und fiktiven Figuren hier ein Beispiel gesetzt. Durch diese Konzentration auf die wesentlichen Protagonisten und ihre Interaktion über Jahrzehnte werden sie dem Leser noch einmal vor Augen geführt und das “Verbrechen” relativiert. 

“Inagehi” lebt vor allem durch seine überzeugende Atmosphäre. Dabei verzichtet Jack Cady auf billige Effekte. Der Hintergrund der Geschichte wird inklusive einiger seltsamer Exkursionen wie dem geologisch nicht erklärbaren Goldrausch sowie der Vertreibung der Indianer aus ihren ursprünglichen Gebieten ausführlich beschrieben, dominiert aber niemals die Handlung. Geschichte schreibt Jack Cady aus der Perspektive von Menschen und so ist der Schriftsteller/ Historiker Warwick als sympathischer alter Mann ein Ankerpunkt der Handlung.  Er motiviert Hariette, zielgerichtet  zu suchen.  Er gibt die notwendigen Informationen und fügt schließlich auch die einzelnen roten Fäden der Krimihandlung zusammen, ohne Tat und Motiv abschließend miteinander zu verbinden. Der Ablauf kann in der beschriebenen Form auch eine Illusion gewesen sein.  

Auf eine besondere Art findet Hariette schließlich ihren Frieden. Genügsamkeit und Bescheidenheit sind in dieser Hinsicht bestimmende Komponenten. Es ist für den Leser schwer greifbar, das teilweise während des Epilogs Jahrzehnte zu einem einzigen Satz werden, aber Jack Cady zeigt auf diese Art und Weise einmal die Vergänglichkeit des menschlichen Glücks und damit auch des Lebens per se, auf der anderen Seite scheint die Zeit in der kleinen Gemeinde stillzustehen und einzig die harte Arbeit sowie die simplen Vergnügen wie das Musizieren bleiben wichtig  und beständig. 

“Inagehi” ist weder ein Horrorroman noch ein echter Krimi. Es ist vielleicht eine weitere mystisch angehauchte Geschichte über die Vergangenheit und damit auch die Kultur der aus ihren Lebensräumen vertriebenen Indianer. Vor allem aber ist es eine Geschichte um einen Menschen, der ohne es bewusst zu wissen, nach Hause zurückkehrt und erkennen muss, dass sich alles ändert, damit es bleibt, wie es ist. Und das ist wahrscheinlich die Botschaft dieses ruhigen, lesenswerten, allerdings auch teilweise die Geduld der Leser provozierenden Romans. 

 

Inagehi

  • Herausgeber ‏ : ‎ Wandler Verlag (31. Juli 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 330 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3948825076
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3948825072
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