Sirius Transit

Herbert W. Franke

Im Rahmen der Herbert W. Franke Werkausgabe legt p. machinery mit „Sirius Transit“ einen  interessanten Roman neu auf. Das Buch erschien 1979 nur in der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlages und später als E Book bei Heyne.

Herbert W. Franke hat den Plot auf zwei Handlungsebenen entwickelt.  Hintergrundtechnisch erzählt er das Heranwachsen von Barry Griffin im Schatten seines älteren Bruders Gus. Barry vergöttert seinen Bruder Gus, schleicht ihm hinterher und wird schließlich mehr zu einem Verbündeten als einem Verwandten. Neben verbotenen Spielen die erste Liebe, natürlich zum gleichen Mädchen. Frankes Welt könnte aus Filmen wie „The Blade Runner“ stammen. Die Erde ist ökologisch   abgewirtschaftet, überbevölkert und in den großen Städten,  die sich wie ein Moloch kilometerweit entlang ziehen, hausen vor allem die mittleren und unteren Gesellschaftsschichten in unmenschlichen Verhältnissen. Franke bemüht eine Reihe von Klischees und in einigen Passagen ist der Leser sowohl den Protagonisten wie auch dem Autoren mehr als einen Schritt voraus. Bei den Rückblicken  sind die Zwischentöne wichtig.

Gegenwart.  Barry hat einige Jahre als Pilot gearbeitet. Allerdings hat er im Gegensatz zu seinem großen Bruder keinen Flugschein für interstellare Raumfahrt gemacht, sondern konnte nur auf der Erde arbeiten. Er hat seine Arbeit gekündigt und ist nach Santa Monica gereist. Dort ist sein Bruder Chef der Firma „Sirius Transit“. Die Menschheit hat im Sirius System – hier agiert Franke ein wenig schlampig, denn anfänglich spricht er vom System, später nur noch vom Sirius als Planet – eine neue sehr erdähnliche Welt entdeckt.  Naturbelassen und reif für die Besiedelung. Zynisch gesprochen auch für die Entjungferung durch die nach Lebensraum darbende Menschheit. “Sirius Transit“  ist die einzige Firma, welche die Kolonialisierung des Planeten organisiert.

Barry möchte gerne auf der Welt eine neue Chance haben und will deswegen persönlich mit seinem Bruder sprechen. Jeder kennt Gus Griffin, aber laut dessen Lebenslauf ist er als Waise und ohne Geschwister aufgewachsen. Seinen Namen hat er leicht verändert. Für Barry Griffin wird es zu einer Art Spießrutenlauf, bis zu seinem Bruder, aber damit auch die Wahrheit durchdringt.

Herbert W. Frankes Roman sollte  man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Barry Griffin ist ein naiver junger Mann, der den Tempel der Sucht, des Vergnügens und des  Mammons betritt. Nur wer Geld hat, kann in der Stadt bleiben. Anfänglich beschreibt Franke einige fast absurde Szenen, die stark an Dicks überzogenen sarkastischen Humor erinnern. Fürs Duschen muss bezahlt werden. Die Tür zu und damit auch aus dem Hotelzimmer geht nur gegen die entsprechende Bezahlung auf.  Musik kostet Geld. Das Abstellen des nervigen Radios im Hotelzimmer. Es sind teilweise absurd kleine Summen, welche zusätzlich gefordert werden, aber der Leser versteht schnell Frankes Idee hinter seinen Bemerkungen. Kapitalismus pur. Das zieht sich durch den ganzen Roman. 

Die Frau, mit welcher Barry einen Abend und dann die Nacht verbringt, erweist sich als Prostituierte. Im Vergnügungspark wie auch den Kneipen fliegt das Geld nur raus. Höhepunkt ist eine dreidimensionale Vergnügungskapsel, in welcher Barry zum ersten Mal über den Sirius fliegen kann. Den Start zum neuen Planeten inbegriffen. Mehrmals scheint Barry seinem Bruder zu begegnen. Aber es handelt sich immer wieder  entweder um sehr aktive Träume oder Illusionen aus den Kapseln. Ab diesem Moment ahnt der aufmerksame Leser, das „Sirius Transit“ in der vorliegenden Form im Grunde gar nicht funktionieren kann. Die Faszination des Buches ist schwer in Worte zu  fassen. Aber weder im Kommunismus noch Kapitalismus ist es wirklich möglich, bei den vorher staatlich finanzierten Expeditionen die Besiedelung der Welt in kapitalistische und damit freie Hände zu legen. Aber wie Barry glaubt der Leser an das Gute, was zu den meisten antiutopischen Romanen Frankes ein genereller Widerspruch ist. 

 Frankes Erklärungen sind doppeldeutig. Immer wieder hat er sich mit virtuellen Welten und technischen Illusionen beschäftigt.  In „Sirius Transit“ spielt er dreimal mit der Erwartungshaltung der  Leser.  Das erste Mal ist nicht nur für Barry  eine Überraschung, auch wenn eine distanzierte und objektive Betrachtung der Sequenz nur den Schluss zulässt, den Franke schließlich auch offenbart.  Beim zweiten Mal nutzt er die Abfolge zu mechanisch, zu wenig in sich originell, um wirklich überzeugen zu können, während die finale Sequenz in dieser Hinsicht interpretierbar ist, aber auch die Möglichkeit impliziert, dass Barry auf der einen Seite in einem Alptraum gefangen ist, der auf der anderen Seite aber auch sein größter, unausgesprochener Wunsch ist. Diese Aussagen wirken schizophren, aber Franke hat vor allen den Leser mehrfach auf verschiedene Realitäten a  la  Philip K.  Dick hingewiesen.

Der zweite Ansatz ist die kritische Auseinandersetzung mit einem reinen Kapitalismus. Noch schärfer als in seinen in den sechziger Jahren publizierten antiutopischen Werken setzt sich Franke mit einem grenzenlosen, vom Konsum und dem eigenen Vergnügen getriebenen und sich von den Realprodukten lösenden Kapitalismus auseinander.  Sein Santa Monica ist das Las Vegas der Gegenwart.  Angeblich ein Hort der Erholung für die auf dem Sirius arbeitenden und die Transportflüge organisierenden Stab und gleichzeitig eine Stadt der Sünde, in welcher jedes Laster zu entsprechenden Preis gekauft werden kann. Ab der Sekunde, als Barry kein Geld mehr hat, interessiert sich auch  niemand mehr für ihn. Das ändert sich nur bedingt und zu wenig nachhaltig herausgearbeitet mit der „goldenen Kreditkarte“.  Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind schwer bestimmbar. „Totasl Recall“ von Dick lässt zwar grüßen, aber Frankes virtueller Lebensraum für die Massen könnte sogar vielschichtiger sein als ihn Dick sich erträumt hat. Im Anhang der Werksausgabe findet sich ein ausführlicher Artikel, der sich basierend auf einer Abschlussarbeit mit verschiedenen utopischen Gedankenmodellen Frankes im Allgemeinen und der Heterotopie des hier vorliegenden Buches im Besonderen auseinandersetzt. 

Herbert W. Franke war in seiner langen Karriere kein guter Charakterautor.  Immer wieder reduzierte er seine Sujets auf das Wesentliche. Konzentrierte selbst die Dialoge bis an den Rand der Statik. Seine Protagonisten wirken manchmal zu eindimensional, zu wenig emotional und vor allem auch zu konstruiert pragmatisch. Alles Schwächen, welche Franke bei einer großen Geschichte um zwei Brüder, die sich (von einem Bruder vielleicht auch absichtlich?) aus den Augen verloren haben, eigentlich nicht zeigen darf.  Und doch funktioniert der Roman. Ungewöhnlich ist der Aufbau. Die Dialoge wirken wie in einem Drehbuch oder dem Text für ein Hörspiel niedergeschrieben. Franke gibt immer vor, wer spricht. Dadurch wirken die Texte sperrig. Die jeweiligen Hintergründe werden ausführlich für Frankes Werke beschrieben. Dazwischen finden sich Regieanweisungen. „Sirius Transit“ ist technisch vielleicht nicht abschließend der Versuch, einen Hörspielplot als Roman zu präsentieren, aber alle Ansätze sind vorhanden und von der Struktur her könnte „Sirius Transit“ wirklich auch ein Hörspiel sein. Es muss aber nicht.

Das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern wird fast ausschließlich aus der Perspektive Barrys beschrieben. Mit fast kindlicher Naivität übersieht er die menschlichen Schwächen in seinem Bruder, die schließlich auch in der Führung der „Sirius Transit“ gipfeln. Gus ist ein großer Pretender, wobei der Leser nicht weiß, was real ist und was nicht. Franke lässt Erläuterungen von einem der Unzufriedenen in die Handlung einfließen, aber sie lassen das aus den siebziger Jahren stammende Werk plötzlich stark altern. Ein seit ungezählter Zeit geführter heimlicher Krieg gegen die Kommunisten ? Ein Krieg, der neue Fronten und damit auch neue Herausforderungen braucht? Das wirkt antiquiert und wenig überzeugend. Vor allem angesichts der verschiedenen Möglichkeiten, die Menschen zu unterhalten und zu verführen.  Weniger wäre bei diesem Buch mehr gewesen. Plötzlich findet sich der Leser in der Zeit des “Zone Null” Frankes wieder. Ob das notwendig ist, muss jeder Einzelne für sich entscheiden. Vereinfacht wird die Lektüre mit dieser Vorgehensweise allerdings nicht. 

“Sirius Transit” ist über weite Strecken ein interessanter Zwitter aus einer “Coming of Age” Geschichte sowie der Verführung der ganzen Welt durch mindestens eine Illusion, deren Ziel auf der einen Seite vielleicht auch aus machtpolitischer Sicht plausibel erscheint, aber real gesprochen zynisch und egoistisch, statt optimistisch und vor allem progressiv ist. Nicht nur Barry steht am Ende des Romans im übertragenen Sinne mit leeren Händen, aber um eine Illusion reicher da.   

 

Herbert W. Franke
SIRIUS TRANSIT
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 12
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 74
p.machinery, Winnert, April 2019, 208 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 156 3 – EUR 12,90 (DE)
Hardcover (limitierte Auflage): ISBN 978 3 95765 157 0 – EUR 18,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 918 7 – EUR 6,49 (DE)