Im Garten der Ewigkeit

Ellen Norten (Hrsg.)

 Ellen Norten als literarische Nachverwalterin ihres 2003 verstorbenen Mannes hat anlässlich seines zehnten Todestag im Verlag p.machinery zwei heute kaum antiquarisch erhältliche Storysammelbände veröffentlicht. Zum 20.. Todestag hat sie die Geschichten bis auf ganz wenige Ausnahmen – diese bilden unter anderem die Grundlage für zwei Themenanthologien – in fünf Kategorien neu geordnet und um einzelne längere Texte ergänzt. Ellen Norten wollte den Anteil der Fragmente in den ersten beiden Sammlungen nicht ausufern lassen.  

 „Science Fiction“ ist die Auftaktkategorie mit der Titelgeschichte, für die Thomas Hofmann eine sehr passendes Illustration gezeichnet hat, die auch als Titelbild dient.

 Die Arbeit an der Novelle, vielleicht auch dem Romanfragment „Im Garten der Ewigkeit“ hat Hubert Katzmarz Mitte der siebziger Jahre begonnen, der vorliegende Texte wurde 1982/ 1983 fertig gestellt. Ellen Norton stellt der von pointierten Dialogen getragenen Geschichte einige Anmerkungen voran, die darauf hindeuten, dass es sich um das lange Auftaktkapitel handelt. Von Sprachtheoretikern wie dem Kommunikationsforscher Gerold Ungeheuer beeinflusst hat der Autor ein klassisches, vielleicht sogar klischeehaftes Szenario bis zum Punkt der absurden Unmöglichkeit weiterentwickelt. Ein Forschungsraumschiff findet im All einen erdähnlichen Planeten. Die Kommandantin will den Planeten und die auf der Oberfläche gefundenen Phänomene weiter vorsichtig untersuchen, während der Bordpsychologe auf eine Landung und damit auch den Landgang der Besatzung drängt. Die Kommandantin und der Bordpsychologe kennen sich schon aus der Zeit vor der gemeinsamen Expedition. Unterdrückte Begierden genauso wie inzwischen dominierende Ängste aufgrund der Katastrophe einer vorangegangenen Expedition dominieren das Verhalten der beiden Alphatiere in ihren verantwortlichen Positionen. Wie eingangs erwähnt lebt Hubert Katzmarz das niedergeschriebene, aber gesprochene Wort aus. Die Geschichte besteht – neben den inneren Rückblenden – nur aus einer einzigen Szene. Der Bordpsychologie sucht die Kommandantin auf, will eine Entscheidung erzwingen. Die Wortgefecht sind stilistisch brillant, lassen sich gut laut vortragen und doch führt der Plot ins entscheidungstechnische Nirvana. Wie bei einer Zwiebel offenbart jede abgeschälte Schale eine neue Herausforderung, stellt teilweise die bisherigen Erkenntnisse in wissenschaftlicher, aber auch mehr und mehr theologischer Form auf den Kopf. Das Ende ist in der vorliegenden Form ein Patt, die beiden Kontrahenten sind intellektuell ausgelaugt. Jede Art der Zusammenarbeit eher in der Theorie vorhanden, denn in der Praxis noch umsetzbar.

Für den Leser stellt sich die Frage, ob die weitere Reise genauso reizvoll und herausfordernd wäre als die hier vorhandene Szene ? „Im Garten der Ewigkeit“ hätte als Roman Hubert Katzmarzs Durchbruch zu einer Zeit sein können, als die deutschen Verlage verzweifelt auch intellektuelle Science Fiction inländischer Autoren suchten und veröffentlichungstechnisch bereit gewesen sind, Risiken einzugehen. So bleibt ein bekanntes Szenario – könnte die erdähnliche Welt fremdes Leben tragen -, das auf einer intellektuellen Ebene auf eine ungewöhnliche, aber stimulierende Weise „untersucht“ wird.

 „Baumschulung“  stammt aus dem Nachlass des Autors. In einer nicht unbedingt fernen Zukunft leben die Menschen in gigantischen Hochhäusern, da die Natur und die Atmosphäre verseucht worden sind.  Der bizarre Höhepunkt der beschriebenen Party ist ein Aufenthalt auf dem Balkon mit Gasmasken, Sauerstoffflaschen und in Gummianzügen. Auf der Party befindet sich aber auch ein Biologe, der mit der Rekultivierung der Erde beauftragt worden ist. Die zynische, schon anfänglich nihilistische Story steuert auf die Pointe sehr direkt zu, wobei diese auch ein wenig als Paukenschlag konstruiert worden ist und seine Wirkung bei näherer logischer Betrachtung ein wenig verliert. 

 Der Titel seiner intensiv geschriebenen Kurzgeschichte ist unglücklich gewählt. „Die Gedankenfresser“ verrät zu viel über ein wichtiges Plotelement, das der Ich- Erzähler vor dem eher stereotypen Epilog dem Leser verrät. Dabei ahnt man schon sehr viel länger die Zusammenhänge zwischen der „Freundschaft“ zweier Schriftsteller, von denen einer plötzlich eine Schreibblockade hat. Auch wenn der Autor die Ereignisse in die Form eines offenen Rahmens packte, kann er den schlecht ausgewählten Titel seiner Arbeit in dem überzeugend verfassten und von einer sehr lebhaften Sprache profitierenden Text nicht mehr ausgleichen.

 „Die Konferenz der Idioten“ hätte basierend auf einem alten Thema eine überdurchschnittliche Geschichte werden können. Drei sehr unterschiedliche Menschen exklusive eines Wissenschaftlers, der sich zum Arbeiten in eine Waldhütte zurückgezogen hat und nur noch von der Natur lebt, werden auf unterschiedliche Art und Weise mit dem bevorstehenden Weltuntergang durch eine Sonnenova konfrontiert. Konstruiert erscheint, dass die Chefin eines Roboterunternehmens innerhalb von drei Jahre eine Arche für eine kleine Gruppe von Menschen bauen kann. Ebenfalls erstaunlich erscheint, dass außer den beiden Wissenschaftlern der Gruppe niemand erkennt, das die Sonne ungewöhnliche Aktivitäten zeigt. Eine besondere Feldtheorie in allen Ehren, aber das wirkt unglaubwürdig. Der Leser muss aber diese beiden Prämissen akzeptieren, damit Hubert Katzmarz am Ende den moralischen Hammer schwingen und nachweisen kann, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, sondern deren größter Idiot ist. Das Ende wirkt leider bemüht. Zu Beginn nutzt der Autor wie bei einigen anderen Texten klassische, vielleicht sogar klischeehafte Sujets des Genres, um spitzfindig und mit dem Mittel der Ironie seine Protagonisten in imaginären Versuchskäfigen laufen zu lassen.

 „Doppelte Hochzeit“ ist eine dieser exzentrischen Geschichten, in denen die zugrundeliegenden Ideen in der Theorie sehr gut funktionieren, aber in der Masse ein wenig zu sehr überdreht erscheinen. Im direkten Vergleich mit den anderen Geschichten ist „Doppelte Hochzeit“ nicht unbedingt heiter, aber der Grundton ist ein wenig belustigender.

 "Der Anarchronist seiner Zeiten" von Hubert Katzmarz ist ein Nachdruck aus der zum 60. Geburtstag von Jörg Weigand veröffentlichten Ehrenschrift. Ein eher am Hungertuch nagender Kleinverleger erhält ungewöhnlichen Besuch. Hubert Katzmarz versucht das Genre ein wenig zu parodieren, erreicht aber nicht die absurden Höhen, die David Gerrold in seinem Buch "Zeitmaschinen gehen anders" scheinbar mühelos erklommen hat. Auch wenn der Humor der Geschichte deutlich natürlich erscheint, enttäuscht das Ende mit der entsprechend dem Charakter der Anthologie Würdigung des Geburtstagskindes. Der Plot wirkt eher beendet als konsequent zu Ende gedacht.  Kleinverleger werden in einigen weiteren Geschichten dieser Anthologie eine relevante Rolle spielen.

 Zwölf Jahre von 1968 bis 1980 arbeitete Hubert Katzmarz an der letzten, dieses Segment abschließenden Geschichte „Die letzte Begegnung“. Der letzte Mensch wird nach dem Zusammenbruch der Zivilisation von Außerirdischen auf eine Reise eingeladen. Die Fremden haben den Zerfall ihrer Kultur schon „hinter“ sich. Die Menschheit wird dieses Tal der Tränen wahrscheinlich eher schwerlich durchschreiten. Kompakt, kurzweilig, melancholisch, aber irgendwie auch plottechnisch ein wenig zu bemüht, zu sehr fokussiert als ironisch/ satirisch überspitzend erzählt schließt die Geschichte den Bereich der Science Fiction in Hubert Katzmarzs Werk zufrieden stellend, aber nicht die literarische Qualität der Titelgeschichte „Im Garten der Ewigkeit“ erreichend ab.

 Hubert Katzmarz ist den Lesern vor allem als dunkler Phantastikautor in Erinnerung geblieben. Dieser Abschnitt präsentiert die größte Bandbreite in seinem Werk. Eröffnet wird das zweite Kapitel mit der Geschichte „Nachwanderung“

 Hubert Katzmarzs „Nachtwanderung“ lebt von den sprachlichen Bildern ausgehend von der Führung durch die Nacht in Begleitung einer ambivalent beschriebenen und doch immer fremd bleibenden Gestalt. Der Autor legt mehr Wert auf Stimmungen als einen durchgehenden Plot und betont mit dieser Vorgehensweise das Alptraumhafte, auch wenn ein wenig mehr Stringenz der ganzen Geschichten gut getan hätte.

 „Thuban“ ist das erste Kapitel einer längeren Arbeit. Ellen Norten macht in ihren einleitenden Bemerkungen deutlich, dass der Text auch alleine stehen kann. Die Fragmente des angefangenen zweiten Kapitels hat die Herausgeberin nicht hinzugefügt. Wie einige andere der in diesem Bereich versammelten Phantastikgeschichten spielt sich das Grauen meistens im Kopf der Protagonisten ab. Ob sie inzwischen die Schwelle zum Wahnsinn erreicht oder gar überschritten haben, überließ Hubert Katzmarz seinen Lesern. Der Autor agiert auf Augenhöhe nicht nur mit einer Reihe von bekannten Weird Fiction Autoren, sondern zum Beispiel auch Michael Siefener, einem der Mitherausgeber und Mitarbeiter des „Daedalos“ Magazins. Die Apokalypse schleicht sich in „Thuban“ ist ein Wohnheim für ältere Mitbürger, die sowieso fast alltäglich mit dem Tod konfrontiert werden. Der Protagonist ist der Ansicht, das er wahrscheinlich der unwahrscheinlichste Kandidat ist, um die Nachricht vom bevorstehenden, aber nicht angedeuteten Weltuntergang zu empfangen. Aber die Zeichnung der Figuren ist detailliert, minutiös und vor allem auch derartig überzeugend, das der alltägliche „Schrecken“ greifbarer ist als die phantastische Bedrohung, die Hubert Katzmarz im weiteren Verlauf der Geschichte entwickeln wollte.

Der Titel „Heim Suchende“ ist wahrscheinlich ironisch gemeint. Ein Wissenschaftler kauft aus dem Nachlass eines alten Mannes dessen Haus und mit dem Einzug beginnt er sich zu verändern. Oder verändert die Umgebung ihn? Mehr und mehr scheint der lange Schatten des im Sessel verstorbenen Mannes – seine Leiche wurde erst zwei Wochen später gefunden – den jetzigen Bewohner zu dominieren, ohne das der Einfluss sich in Manifestationen oder gar bedrohlichen Situationen äußert. Es ist eine subtile Übernahme, die vielleicht auch zum Besseren des isoliert lebenden Mannes sein könnte. Das Ende ist konsequent wie pragmatisch, allerdings auch teilweise vorhersehbar.

 „Der Aufenthalt“ endet auf einer süffisanten Note. Der abschließende „Pakt“ ist wahrscheinlich eher Beiwerk. Der Protagonist ist einer der Schubladenautoren, die mit dem eigenen Leben nicht zurecht kommt und immer den anderen Menschen die Schuld geben. Also seine (einseitige) Schulliebe und Freundin ihm die Möglichkeit gibt, einen Verlagslektor in ihrem Büro zu treffen und vielleicht einen Verlag für seine Geschichte zu finden, bricht die bisherige Welt aufgrund einer Abfolge von kleinen, im Grunde alltäglichen Katastrophen zusammen. Mit bissiger Ironie demaskiert Hubert Katzmarz die unsicheren, aber auch ein wenig egoistisch selbst verliebten Autoren, die von literarischen Ruhm träumen – und der entsprechenden Frau an ihrer Seite -, aber mit den einfachsten Dingen nicht zurechtkommen. Die Geschichte ist 1974 entstanden und würde in der heutigen Zeit mit Smartphones sowie Internet nicht mehr so funktionieren. Aber hinsichtlich des Endes greift Hubert Katzmarz fast absichtlich auf ein Klischee zurück und dreht es bitterböse auf den Kopf. Alleine diese Szene macht den Reiz der Geschichte aus, wobei die Identifikation nicht nur mit dieser unscheinbaren Figur in Katzmarzs Gesamtwerk immer ein wenig schwierig für die Leser ist. Zu distanziert und selbst verliebt erscheinen sie. Man verfolgt ihr Schicksal, aber es berührt den Leser nicht immer wirklich emotional.

 „alptraumhaft“ ist eine bitterböse Geschichte, um einen Mann, der nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus aufwacht und hofft, das es sich als Alptraum herausstellt. Natürlich ist die Wahrheit viel bitterer. „Babylon“ setzt sich mit den Schwierigkeiten der Menschen auseinander, wirklich miteinander zu komminizieren. „Das Zungenreden“ dient da eher als Metapher. Das Ende ist ein wenig zu sehr verspielt, verklausuliert. Bei einigen Geschichten Hubert Katzmarz ist der Weg zur dunklen Pointe interessanter als das Ziel, in „Babylon“ hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn er als Leser nicht mittendrin, ja nicht einmal dabei ist.

 „Die letzte Nacht am Blauen See“ ist eine seiner sprachlich versierten, verspielten, im Grunde auch teilweise selbst verliebten Geschichten, deren Plot auf wenige Momente reduziert werden kann. Der Protagonist hat die Aufgabe, einen älteren Mann auf seiner letzten Fahrt an und später auf dem blauen See zu begleiten. Der See wird mehr und mehr zu einer Metapher, der Ende ist pragmatisch.

 „Herkulus oder die Stufen des Aufstiegs“ ist eine weitere Geschichte aus dem kleinbürgerlichen Milieu. Kleinbürgerlich bezieht sich nicht einmal auf die soziale Stellung der Protagonisten, sondern eher auf deren Geisteshaltung. Ein Professor hat das Problem, das er erstens seinen Frust in der Kneipe mit Alkohol ertränkt und dann zweitens am Scheideweg steht. Soll er die Nuttenstraße nehmen oder durch den Park gehen, wo vor kurzem eine Dreizehnjährige vergewaltigt und von einem Unbekannten  ermordet worden ist. Leider wirkt Hubert Katzmarzs Figur zu wehleidig, zu sehr mit sich selbst beschäftig in seiner „Trauer“, als das der Funke wirklich überspringt. Sein Verhalten ist unter Alkohol sicherlich absonderlich bis bizarr, die Schuldgefühle in den nächsten Tagen sogar verständlich, aber auch in dieser Geschichte fehlt die Interaktion zwischen den Lesern und den Protagonisten bzw. dem ohne Frage sprachlich brillanten, verspielten Autoren. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, das diese intimen psychologischen Betrachtungen der Protagonisten langweilig oder verstörend sind. Das Gegenteil ist der Fall. Aber die Geschichten wirken in der vorliegenden Form auch ein wenig zu stark konstruiert, zu sehr auf den Punkt hin konstruiert. Michael Siefener schafft es bei ähnlichen Prämissen eine bessere Balance aus seinen verstörenden, im Alltagsleben unauffälligen Charakteren und den plötzlich in ihren langweiligen Alltag eindringenden „Ereignissen“ – es sind nicht immer Katastrophen – zu bringen.  

 „Ein Abend im Leben des Großstadtbürgers D.“ (1971) entstanden ist eher in Ehren gealtert. Ein durchschnittlicher, absichtlich als Chiffre gestalteter Mann, Begegnungen in der Nacht und ein offenes Ende. Expressiv, aber inhaltlich nicht unbedingt progressiv schließt den Bereich der Phantastik ab, wobei  nicht alle Storys wirklich phantastische Elemente enthalten haben.

 Die „Sarkastischen Texte“ eröffnet „Geliebtes Tagebuch“.  Der Text hätte genauso gut unter Horror eingeordnet werden können. Ein Mann fängt an, ein Tagebuch zu führen. Dabei ist sein Leben im Grunde geordnet und langweilig; er ist selbstständig mit einem Antiquariat, das moderat läuft. Er ist ein Single, alleine, einsam. Das Tagebuch wird in seiner Form und weniger seines Inhalts mehr und mehr zu einer Obsession, an deren Ende ein ironisch geschrieben neuer Anfang steht. Auch „Pilz im Glück“ hat einen durchschnittlichen Charakter als Protagonisten. Aus Langeweile meldet er sich zu einer Quizshow im Fernsehen an und gewinnt eine Millionen. Er spendet das ganze Geld und ahnt nicht, das ab diesem Moment aufgrund der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und seines Umfelds sich alles verändert. Da er das Geld nicht mehr hat, gerät sein Leben aufgrund der anderen Menschen – beginnend mit der Ehefrau über den Chef bis zu den neuen Freunden auf der Straße – komplett aus den Fugen. Es ist eine tragische, melancholische Geschichte. Der Leser muss akzeptieren, dass dieser emotionslos, beherrschte, vielleicht auf Dritte arrogant wirkende Mensch alles auf den Kopf stellt, nachdem er die Millionen gewonnen und verschenkt hat. Unter dieser Prämisse funktioniert die Geschichte ausgesprochen gut und die Spende ist inhaltlich vernachlässigbar. Es gibt ausreichend Menschen, die mit dem neu gewonnen Reichtum nicht klar gekommen sind und sich ins Elend gestürzt haben. Nicht selten mit dem Geld und weniger ohne. 

 Zwei Fragmente bilden den Kern dieses Buchabschnitts. Ellen Norten hat zu beiden Texten einige einleitende und damit auch einordnende Worte geschrieben. Publiziert worden sind die ihr bekannten Fassungen der letzten Hand. „Hinter verschlossenen Türen“ hat als Protagonisten einen einsamen Bücherwurm, der im Jugendamt arbeitet. Er interessiert sich für eine Kollegin, hat aber sonst wenig Kontakt zu seiner Umwelt. Ein Schwerpunkt seiner Lektüre scheint das phantastische Genre zu sein. In einer anderen Miniatur dieses Kapitels verweist Hubert Katzmarz sogar expliziert auf Arthur Machen. Als ehemaliger Sozialwissenschaftler und Gitarrenspieler soll er sich in die Jugendszene eines Clubs einschleichen. „Der Mann, der die Wespen hasste“ basiert auf Hubert Katzmarz eigener Angst (aufgrund seiner Erkrankungen), aber auch Faszination hinsichtlich von Wespen. Eine Leiche wird gefunden, anscheinend an einem Wespenstich gestorben. Die Ermittlungen der Polizei bestehen in diesem Fragment vor allem aus der Aufnahme von Augenzeugenbeobachtungen. Beide Fragmente überlassen viel der Phantasie der Leser, zeigen den Autoren aber auch als Fantasiebegabten Realisten, dessen genaue Beobachtungen des eigenen Umfelds und verschiedener anderer Protagonisten gut in die hinsichtlich ihrer Ausgangsbasis interessanten Plots eingeflossen ist.

 Eine Reihe von kürzeren Texten rundet diesen Abschnitt ab. Dabei reicht das Spektrum von „Rendevouz“ -  ein perfekt vorbereiteter Abend für einen ganzen besonderen Gast – über „Dytychon – zwei Zeitungsartikel beschreiben sehr unterschiedlich die gleiche Veranstaltung – zum „größten anzunehmenden Arschloch“ und seinem sehr kleinen Reich.

 „Die Abenteuer des Kleinverlgers H.K. im Dschungel der Literaturszene“ und „Radio“ setzen sich mit der Literatur per se auseinander. Wie einige andere Texte sind die Abenteuer des Kleinverlegers als Märchen aufgebaut. Die Idee, gute Bücher zu machen und das Handwerk von der Buchhaltung bis zur Gestaltung zu Erlernen, wird von der Öffentlichkeit nicht  honoriert. Es geht um die Publikation von gut lesbaren Büchern. „Radio“ mit der Sucht nach der künstlich intellektuellen, aber im Grunde hohlen Bedeutung – in diesem Fall weniger die Autoren, sondern der Medien – ist gleichzeitig eine Satire auf den ganzen Literaturzirkus, der sich in erster Linie selbst feiern möchte und dabei den Autoren wie auch den Leser von guter Unterhaltungsliteratur komplett  ignoriert.

 „Reflexionen“ ist im Vergleich zu den anderen Abschnitten des Romans deutlich intellektueller. „Der Kreis“ und „Schattenspiel“ zeigen zwar die Perspektive des Träumers auf. Aber ohne diese Träume gibt es kein normales Leben. In den folgenden Texten erweitert der Autor sogar die Perspektive, in dem er wie H.G. Wells bei „Experiment“ einen weiten Bogen von den Urahnen/ Neandertalern und deren Ausbruch aus dem alltäglichen Leben/ Überleben in die kreative erfindungsreiche Phase den Bogen bis in die Zukunft spannt, wo alles Licht nur bedingt die Schatten verdrängt, die immer noch tief im ängstlichen Unterbewusstsein der Menschen lauern.

 Auch „Der Physiker und die magischen Steine“ setzt sich als Märchen mit dem Zwiespalt zwischen der griffigen Wissenschaft und der Phantasie, vielleicht auch der Magie auseinander. Ein Physiker schickt seine besten Schüler in die Welt hinaus. Nur werden ihm die Antworten nicht unbedingt gefallen, während die Schüler auch keine echten Antworten auf die Fragen ihres Lehrmeisters zurückbringen können. Diese Widersprüche löst der Autor auch nicht abschließend auf, fasziniert aber mit seiner Gedankenführung.

 Neben einigen Miniaturen ragen noch „Eine kleine Übung in Sachen gläserner Schreibfeder“ und die bitterböse „Geschichte vom fliegenden Fisch“ aus diesem Abschnitt heraus. Im ersten Beitrag geht es um die wahre Kunst. Dazu liefert Hubert Katzmarz auch kaligraphisch einen entsprechenden Beitrag, während in der Tierfabel die Vögel die Einsamkeit eines Fisches ausnutzen, ihn zum Narren machen und schließlich zurücklassen, um sich neue Opfer zu suchen. Der verzweifelte Versuch des einsamen Fisches, sich anderen Lebewesen anzupassen, kann ohne Probleme auf die Gegenwart und unsere Zivilisation übertragen werden.   

 Die „Gesellschaftskritischen Texte“ lassen sich gut in Gruppe einteilen. “Eine kleine menschliche Geste“ und „Sind so kleine Hände...“ setzen sich mit den Verantwortlichkeiten von Medizin und Gesellschaft auseinander. Während die erste Story sich um ein Experiment in Sachen Leihmutterschaft dreht, geht es in der zweiten Geschichte bis zum bitteren Ende um Ärzte, Musik und ihre Kunst.

 Andere Texte sind politischer Natur. „Die Gedanken sind frei“ wirken wie ein Nachtgebet der Arbeiterfront, während in der abschließenden Miniatur „Eine proletarische Weltrevolution“ dem Kommunismus der Abgesang erteilt wird. Auch „Das Nachtgebet des aufrechten Bürgers“ fällt in diese Kategorie. Aber wie viele politische Texte ist die Ausrichtung einseitig und die Kürze der Miniaturen ermöglicht keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Präsentierten.

 „Der  Steckbrief“ hat zwar einen politischen Inhalt, aber die mögliche Begegnung mit einem ehemaligen Schulkameraden mittels eines Steckbriefes und die Polizeiaktion in der Nähe sind eher mit Mühe verbunden. „Plädoyer für einen Mörder“ ist ein zweischneidiges Schwert. Ein Priester besucht einen Todeskandidaten in seiner Zelle. Dieser zeigt sich nicht unbedingt einsichtig hinsichtlich der Strafe, aber nicht seiner Tat. Am Ende ist der Priester schockiert, während der Verurteile nicht nur seiner Strafe, sondern wahrscheinlich auch in seine eigene Welt geführt wird.

 Ellen Norton hat im Anhang die einzelnen Veröffentlichungen der hier gesammelten Geschichten sorgfältig zusammengestellt. Wie die beiden Einzelbände geben sie einen guten Überblick über die literarische Bandbreite, welche Hubert Katzmarz nicht nur in den fertig gestellten Geschichten, sondern auch den entsprechenden Fragmenten abdeckte. Stilistisch teilweise bis ins extrem kunstfertig gestellt mit sehr gut geschriebenen Dialogen zeigen sich Hubert Katzmarz Stärken in den Bereichen der Weird Fiction, aber erstaunlicherweise auch der Science Fiction, in dem er gängige Themen auf eine exzentrische, teilweise absurde Art und Weise extrapolierte.   

Im Garten der Ewigkeit
Das Werk des Hubert Katzmarz: Texte und Fragmente
herausgegeben von Ellen Norten
Außer der Reihe 75
p.machinery, Winnert, November 2022, 344 Seiten, Hardcover (mit Fadenbindung und Schutzumschlag – nur beim Verlag, sonst ohne)
ISBN 978 3 95765 308 6 – EUR 33,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 797 8 – EUR 10,99 (DE)

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