Scherben der Erde

Adrian Tchaikovsky

„Die Scherben der Erde“ ist der Auftaktband der „Architekten“ Trilogie des britischen Science Fiction Autoren Adrian Tchaikovsky. Das im Jahre 2021 veröffentlichte Buch ist als bester Roman mit dem BSFA Award ausgezeichnet worden. Die beiden Fortsetzungen befinden sich im Heyne Verlag in Vorbereitung.

In der Prämisse entwickelt der Brite ein Szenario, für das andere Autoren schon ganze Trilogien füllen. Die Architekten sind gigantische Kreaturen von der Größe kleiner Monde. Sie erscheinen aus dem Nichts. Eine Kommunikation ist nicht möglich. Sie zerstören ihre Zielplaneten und verschwinden wieder. Eine der zerstörten Welten ist die Erde. Die Architekten greifen aber bestimmten Planeten nicht an. Auf diesen Welten befinden sich Hinterlassenschaften der Originator Zivilisation. Die außerirdischen Essiels sind in der Lage, die Artefakte der Originators von einer Welt zu anderen zu transportieren, ohne den nicht greifbaren Schutzeffekt dieser Gegenstände hinsichtlich der Architekten zu zerstören. Wenn Menschen diesen Transport unternehmen, verlieren die Artefakte an Wirkung.  Viele menschlichen Kolonien haben sich den Essiels angeschlossen, um Schutz vor den Architekten zu haben.

Die Menschen haben aber Intermediäre erschaffen, welche als eine Art Kamikaze Kämpfer den Architekten wirklich schaden. Idris konnte einen solchen Angriff erfolgreich im Kolonialsystem Berlenhof ausführen. Ihm gelang sogar die  Kontaktaufnahme. Anschließend sind die Architekten spurlos verschwunden.

Die Handlung von „Die Scherben der Erde“ setzt einige Jahrzehnte nach dem Verschwinden der Architekten ein.  Bis dahin hat Adrian Tchaikovsky eine erstaunlich sachlich geschriebene Zusammenfassung der Ereignisse. Die Stunde Null ist der Ausbruch des Kriegs gegen die Architekten. Alle anderen Zeitangaben richten sich anschließend nach diesem Ausgangspunkt. So taucht als Finale des Krieges am 78. Tag der Architekt über Berlenhof auf. Der Auftakt Satz ist derart sachlich und fordert gleichzeitig die Phantasie der Leser. Neununddreißig Jahre später setzt die Haupthandlung ein und im Grunde beginnt ein neuer Roman, der den Mittelteil dieser Geschichte bildet. Am Ende fließen das Finale des Buches und der lange Prolog mit einigen dazwischen vergangenen Jahren erstaunlich harmonisch wieder ineinander.   

Auch wenn die große Gefahr der Architekten gebannt worden ist, kehrt natürlich kein Frieden zwischen den Resten der Menschheit auf diversen Kolonien und verschiedenen Fremdwesen ein. Wie beim Autorenkollektiv James Corey konzentriert sich Adrian Tchaikovsky auf eine Handvoll wichtiger Charakter vor allem mit einem „Blue Collar“ Hintergrund, die eher zufällig in Ereignisse von kosmischer Bedeutung hineingerissen werden. 

Kritisch gesprochen lässt sich „Die Scherben der Erde“ in eine Abfolge  von Actionszenen und dynamisch sich entwickelnden Bedrohungen zerlegen, deren Basis im Science Fiction Genre bis in die Pulps zu verfolgen ist. Adrian Tchaikovsky streut aber nicht nur mit der Flüchtlingspolitik, sondern vor allem auch der sozialen Auseinandersetzung mit den Außenseitern in Zeiten des Friedens im Gegensatz zu ihrer Notwendigkeit in Zeiten des Krieges aktuelle Themen in seine Handlung ein. Diese Aspekte sind allgegenwärtig und doch nur rudimentär präsent. Diese Aussage wirkt wie ein Widerspruch, aber Adrian Tchaikovsky entwickelt nur in der Theorie ein hohes Tempo. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren beschränkt er sich umfangtechnisch hinsichtlich seiner Romane und präsentiert selten ein Buch, das mehr als fünfhundert Seiten im deutlich enger gesetzten Original hat.  Fokussierung und Kompression wären zwei Begriffe, die zu weit gehen, aber Adrian Tchaikovsky ist ein unterhaltsamer „Schwätzer“ im positiven Sinne, der niemals den roten Faden der Grundhandlung aus den Augen lässt und viele relevante Informationen mehr in den die Dialoge begleitenden Beschreibungen präsentiert.

So  lässt sich  vor allem der Anfang der Trilogie sehr gut zusammenfassen. Das Panthenon – ausschließlich weibliche Klone – und die Reste der Menschheit stehen am Rande eines neues Krieges. Das Panthenon möchte Idris – einen der Intermediäre, die mit den Architekten einen eher einseitigen Kontakt hatten -  für die eigene Sache einspannen. Idris arbeitet auf einem „Bergungsschiff“ namens VULTURE GOD. In Wirklichkeit  handelt es sich um moderne Strandräuber, die in den Tiefen des Alls nach verwertbaren Dingen suchen oder nicht immer legale Transportaufträge annehmen.  An Bord des Schiffes befinden sich neben Idris den behinderte Olli, der sich nur mittels eines Hilfswerkzeugs  Scorpion bewegen kann; die Geschäftsführerin der Gruppe Kittering und ein Mitglied der Hannilambra Rasse, die während des Krieges gegen die Architekten den Menschen buchstäblich in der vordersten Front den Rücken freigehalten haben. Solace als Abgesandte des Pantheon kann einen Entführungsversuch Idris verhindern und schließt sich der Crew an. Auf der Suche nach dem verschwundenen Schiff OUMARU – es wurde anscheinend von Architekten angegriffen – werden sowohl die VULTURE GOD als auch die aufgefundene OUMARU von einem kriminellen Syndikat entführt. Die inzwischen gestrandete Crew möchte sich aber das eigene Schiff nicht streitig machen und geht auf die Verfolgungsjagd.

Auch wenn der Hintergrund der Geschichte – wie schon angesprochen – Ähnlichkeiten zu James Corey überdimensionierter Space  Opera The Expanse aufweist, geht Adrian Tchaikovsky einen anderen Weg.

Gleich zu Beginn während des Prologs findet der Leser so viele Informationen – viele der angesprochenen Ereignisse werden sowohl auf einer historischen wie auch zwischenmenschlichen bzw. emotionalen Ebene noch einmal angerissen bzw. angesprochen -  über Tchaikovsky neuen Kosmos, das buchstäblich der Kopf reicht. Die chronologische Raffung wichtiger Ereignisse distanziert den Leser anfänglich und macht einen Einstieg in diese Trilogie erstaunlich schwer, wenn man wirklich einen Bezug zum Kosmos herstellen möchte und die Bücher nicht unbedingt als schnelles, oberflächliches Lesefutter missbraucht.

Mit dem Einsetzen der Haupthandlung – Solace sucht Idris und will ihn überzeugen, in sein altes Leben zurückzukehren – fokussiert sich Adrian Tchaikovsky auf seine sehr unterschiedlichen Protagonisten.  Wie bei James Corey haben sie alle ein Leben vor dem Einsetzen der Handlung. Ohne das Tempo der Geschichte zu unterbrechen, versucht der Autor so viele persönliche Emotionen wie möglich in den Plot zu integrieren. Es ist aber die Feststellung eines Status Quo, da sich die Figuren positiv wie negativ natürlich in den weiteren zwei Romanen weiterentwickeln. Neben der Etablierung einer Zweckgemeinschaft unter dem wohlwollenden Kommando des Kapitäns der VULTURE GOD geht es auf einer zweiten, im Hintergrund sich abspielenden Ebene um das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Menschen/ Wesen untereinander, aber auch ihre Interaktion mit der teilweise zu pragmatisch beschriebenen von kriminellen Syndikaten und grenzenlosem Kapitalismus angetriebenen Welt.  Teilweise bewegt sich Adrian Tchaikovsky bei der Zeichnung seiner Figuren am Rande des Klischees und einige Vorlagen könnten tatsächlich wieder aus James Corey „The Expanse“ Serie stammen. Bevor aber von einem an Plagiat erinnernden Einfluss gesprochen werden kann, beginnt Adrian Tchaikovsky andere Wege zu gehen und sich absichtlich mehr auf die Haupthandlung wieder zu konzentrieren. Frustrierend ist dabei, dass ein interessantes Zwiegespräch zwischen dem Außerirdischen an Bord und quasi Idris als Stellvertreter der einen Pyrrhussieg errungenen Menschheit an einer sozialkritischen Stelle durch den Verlust eines Crewmitglieds wieder abgebrochen wird. 

Die Stärke des Romans sind die außerirdischen Kreaturen. Allen voran die geheimnisvollen Architekten, diese gigantischen Wesen mit einem unendlich überlegenen Intellekt und wie die Wale auf der Erde durchs All treibend, immer auf der Suche nach im übertragenen Sinne Nahrung. Anscheinend ist den Architekten nicht mal bewusst, dass sie  aus ihrer Sicht unbedeutendes, aber intelligentes Leben vernichten, wobei auf der anderen Seite Adrian Tchaikovsky ja mit der Rückkehr dieser Wesen gedanklich spielen muss. Ansonsten macht der Titel der Trilogie wenig Sinn. 

Im Schatten der Architekten scheinen die anderen Außerirdischen zu verblassen, aber der Autor gibt den verschiedenen Völkern markante Züge. Damit der Plot  aber ausgesprochen gut und vor allem auch stringent funktioniert, dürfen die Unterschiede nicht zu gigantisch sein.  Ein Sense of Wonder muss erst einmal reichen. 

Die grundlegende Handlung mit einem zufriedenstellenden, aber auch offenen Ende ist bodenständig klassisch mit Actionszenen, Entführungen und schließlich einer doppelten Konfrontation mit den Antagonisten angelegt. Tchaikovsky liebt anscheinend Dreier, denn wir im klassischen Italo Western Sergio Leones, aber auch Quentin Tarantinos Filmen kommt es mehrmals zu einer Dreierkonstellation hinsichtlich der Bedrohungen. Die Auflösung der finalen Konfrontation ist wenig überraschend, am Ende des Klischees und öffnet gleichzeitig verschiedene Handlungsbogen Richtung zweiter Band. 

“Die Scherben der Erde” ist ein spannender, teilweise ein wenig in den Grundzügen schematischer angelegter Trilogie Auftakt voll exotischer Aliens und mit gut gezeichneten, solide agierenden Blue Collar Protagonisten, von denen Idris durch seine Begegnung  mit einem Architekten und den verbliebenen Erinnerungen Vergangenheit und Zukunft in sich vereint.

Die Scherben der Erde: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (14. September 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 640 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453321820
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453321823
  • Originaltitel ‏ : ‎ Shards of Earth Trilogy Book 1