Uraltes Holz

Richard Gavin

In der Originalzusammenstellung „Uraltes Holz“ finden sich drei exzentrische Weird Fiction Geschichten des kanadischen Autoren Richard Garvin. Gavin lebt und arbeitet in Ontario. Neben inzwischen vier Büchern mit eigenen Kurzgeschichten, Romanen und Lyrik arbeitet der Kanadier als Literaturkritiker und schreibt über das Thema Okkultismus, das zumindest in den drei hier gesammelten Geschichten eine latente Rolle spielt.

 In seinen sekundärliterarischen Texten geht er auch auf das eigene Werk ein. Allerdings unter einer sehr ungewöhnlichen Prämisse. Mit „The Benighted Path“ entwickelt Richard Gavin ein eigenes magisches Weltbild, das zusätzlich unterstreicht, das er in seinen eigenen phantastischen Arbeiten eine andere, verschobene Realität entwickelt und keine Horror oder besser Weird Fiction Plots entwickelt. Den Beweis kann er nicht unbedingt in den drei nachstehenden Geschichten antreten, denn in phantastischer Hinsicht bilden sie inhaltlich ihren ureigenen Kontext aus und beweisen den Leser in deren jeweiliger „Realität“ gar nichts.  

 Die längste Story ist die Titelgeschichte „Uraltes Holz“. Neil Keller ist gerade von seiner Freundin verlassen worden. Unmittelbar vor dem Urlaub in einem eher einsam gelegenen Haus. Gemeinsam wollten die beiden einige Tage wandern. Neil Keller hat einen belanglosen Alltagsjob, flüchtet sich aber gerne in die Welt der Phantastik. Anfänglich mag er es gar nicht glauben, bricht aber in den Urlaub auf. Beim Wandern in den Wäldern begegnet er nicht nur einem seltsamen „Fetisch“, sondern verliert einige Tage. Kaum zurückgekommen versucht er sich in obskuren Forum über einzelne Kräuter schlau zu machen. Das Ende der Geschichte wirkt eher abrupt, ein wenig zu hektisch und pragmatisch.

 Wie zum Beispiel in T.E.D. Kleins Geschichten ist der Kontrast zwischen der modernen, emotional unterkühlten Welt und den (Alp-) Traumzuständen, in denen sich Neil Keller deutlich interessanter als der sich ruhig und fast phlegmatisch entwickelnde Plot, der abschließend aber Tempo aufnimmt.

 Neil Keller ist kein sympathischer Charakter. Das muss er auch nicht sein. Seine Freundin wirkt überfordert, hat noch Gefühle für ihren Exfreund, versucht sie aber auch gleichzeitig freizuschwimmen und ein neues Leben in alten vertrauten Bahnen aufzunehmen.

 Rick Gavin wechselt zwar mehrmals die Perspektive in dieser Geschichte, aber es ist vor allem Neil Kellers abschließend nicht nur emotionale Veränderung, welche den Text so fremdartig, so weird und dann wieder vertraut erscheinen lässt. In den Wäldern wird er mit unerklärlichen und vom Autoren auch nicht erklärten Phänomenen konfrontiert, die seiner überreizten Phantasie in Kombination mit der implizierten Lektüre der alten Meister genauso entsprungen sein könnten wie das sie eine tatsächlich Begegnung mit dem Ursprünglichen, dem Okkulten darstellen könnten. In allen Geschichten konzentriert sich Richard Garvin auf das Beschreiben, aber niemals das Beurteilen. Mit Michael Siefener hat der Herausgeber im Wandler Verlag den perfekten Übersetzer gefunden, denn in seinem umfangreichen Werk ist Michael Siefener auch eher der große, positiv gesprochen Pretender, der selten Fakten, sondern höchstens Vermutungen präsentiert.

 Die kürzeste Geschichte „Ein bleicher Teufel mit Zypressenblumen“ hätte die beste Geschichte dieser Sammlung sein können. Auch Josef Amsel liebt in dieser Hanns Heinz Ewers gewidmeten Geschichte das Spaziergehen. Allerdings hat er inzwischen einen Nervenkitzel gefunden. Er geht in den Bombennächten mitten im Krieg spazieren. Vieles deutet beginnend mit dem Namen auf den Zweiten Weltkrieg und Deutschland hin. Er befreit ein Mädchen aus einer Ruine. Ihr Bein ist eingeklemmt. Die Rettung des jungen Mädchen und die anschließend sich entwickelnde Liebesgeschichte bilden den realistischen Hintergrund für nicht nur eine, sondern zwei phantastische Begegnungen. Richard Garvin zeigt auf den ersten Seiten auf, wie verführerisch die Gefahr sein kann. Immer mehr wird Josef Amsel zu einem Adrenalinjunkie, der in Friedenszeiten Probleme hat, sich an die Umgebung anzupassen. Er wird zwar nicht zu einem sadistischen Massenmörder, aber emotional fehlt ihm etwas. Auch seine Freundin, spätere Frau kann diese Lücke nicht schließen. Die Pointe beschreibt die andere Seite der Münze. Das Ende ist zynisch, konsequent und teilweise auch überraschend.

 Die größte Schwäche dieser Geschichte ist eher ihre Kürze. Als Novelle mit einer feineren Charakterisierung der drei Hauptfiguren über den potentiellen Pakt hinaus wäre der Plot dramaturgisch interessanter und vor auch sehr viel intensiver. Der Leser lernt Josef Amsel aus einer erstaunlichen Distanz kennen. Die verstörende Faszination der Bombennächte, diese Balance zwischen Euphorie und Todesangst hat Connie Willis beginnend mit ihrer Novelle „Brandwache“ mehrfach zu beschreiben versucht. Es ist ihr besser gelungen. Der mittlere Abschnitt mit der Zypressenfaszination ist deutlich seltsamer, interessanter und gleichzeitig auch emotional überzeugender. Das Ende ist klassisch,. Neutral gesprochen nicht einmal eine Überraschung, aber im Gegensatz zu „Uraltes Holz“ kommt es weniger hektisch daher. Das liegt sicherlich an dem deutlich kompakteren Text, aber auch der charakterlichen Entwicklung der einzelnen Figuren.           

 Der letzten Geschichte stellt Gavin ein Zitat von C. G. Jung voran. Weiterhin könnte es um seelische Zustände gehen, die in einem engen Zusammenhang mit sexuellen Visionen stehen. Aber damit würde ein Leser „Die Kapelle im Ried“ in eine Ecke drängen, welcher der Text nicht verdient hat. Die Ausgangsbasis ist wie bei allen Geschichten emotional und simpel. In der ersten Story ist es die Trennung der Freundin, in der zweiten Geschichte ein Abendspaziergang und hier geht es um einen Ausflug, den der Rentner Colin Best mit seinen beiden Enkelinnen in den nahen Wald macht. Er soll eigentlich immer auf dem Hauptpfad bleiben. Er verwirrt sich und findet eine versteckte aus dem Nichts entstandene Kapelle voller erotische Bilder und Zeichnungen. Kaum ist er mit seinen beiden Enkelinnen aus dem Wald „entkommen“, wartet seine Tochter auf ihn. Anscheinend hat sie Angst, das Colin Best langsam senil wird und den Bezug zur Realität verliert.

 Im direkten Vergleich mit den beiden anderen Storys verfügt „Die Kapelle im Ried“ über das am meisten offen und damit auch in unterschiedliche Richtungen interpretierbare Ende. Der Leser weiß genau wie die Protagonisten nicht, ob Best inzwischen unter Demenz leidet oder sich die seltsamen Gestalten in „seinem“ Wald einbildet. Der Tod seiner Frau, seines Schutzschildes gegen die Welt, ist gerade zwei Jahre her. Seine Tochter betrachtet ihn eher skeptisch und warum er bei dem Ausflug den Weg verlassen hat, kann er nicht beantworten.

 Die übernatürlichen Erscheinungen könnten in dieser Geschichte Einbildung sein. In „Uraltes Holz“ und auch „Ein bleicher Teufel mit Zypressenblumen“ manifestiert sich der Schrecken viel konkreter und fordert Opfer. Richard Gavin ist sich auch nicht zu schade, dem Leser eher sympathische Figuren zu opfern, um seine Geschichten konsequent zu Ende zu erzählen. Bei „Die Kapelle im Ried“ greift er auf ein fast alltägliches, dadurch auch weiterhin tragisches Ereignis zurück. 

 „Uraltes Holz“ ist beginnend mit dem schönen Titelbild – Goyas „Hexensabbat“ ein interessanter Einblick in Richard Gavins Werk gelungen. Es gibt kein Interview, der Lebenslauf am Ende des Buches ist auch eher dürftig. Die Geschichten sollen und müssen für sich sprechen. Das gelingt ihnen auch sehr gut. Es empfiehlt sich, die drei Storys nicht unbedingt hintereinanderweg zu lesen. Es gibt Motive, welche sich überdecken und implizieren könnten, das der Autor nur einzelne Themen variiert. Damit würde man Gavin allerdings auch Unrecht tun, denn basierend auf verschiedenen Volksmärchen oder Legenden hat er immer aus dem Alltag ausgehend drei phantastische, seltsame Szenarien entwickelt, die zweimal vielleicht zu pragmatisch und einmal zu abrupt enden, aber den Leser auf der Reise in den Abgrund des Wahnsinns verstörend gut unterhalten.      

Uraltes Holz und andere Geschichten

  • Herausgeber ‏ : ‎ Wandler Verlag (31. Mai 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 170 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3948825092
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3948825096
  • Lesealter ‏ : ‎ Ab 16 Jahren

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