Der Atem der Sonne

Herbert W. Franke

Als 18. Band der Herbert W. Franke Werksausgabe erscheint mit „Der Atem der Sonne“ eine Sammlung von Kurzgeschichten und Miniaturen, die bislang nur einmal im Rahmen der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlags 1986 publiziert worden ist. Für die Werksausgabe hat Ronald M. Hahn ein ergänzendes Nachwort geschrieben, das auch als Vorwort goutiert werden kann. Ronald M. Hahn fasst die wichtigsten Themen in Herbert W. Frankes Werk – Virtualität/ Simulation; Interaktion Mensch und Maschine und auch die Erkundung des Alls – nicht nur zusammen, exemplarisch finden sich zu jedem dieser Themenkomplexe Beispiele in der Anthologie.

 Die Titelgeschichte „Der Atem der Sonne“ ist mit dem Kurd Lasswitz Preis als beste Kurzgeschichte ausgezeichnet worden. Der Text zeigt nachdrücklich Herbert W. Frankes Stärken, aber auch seine Schwächen auf der zwischenmenschlichen, der emotionalen Charakterebene auf. Der Merkur ist inzwischen zu einem Vergnügungsplaneten für die reichen Menschen geworden. Allerdings ist das Leben in dem exklusiven Hotel auch langweilig, so dass eine Handvoll Urlauber unter der Leitung eines erfahrenen Raumfahrers die Chance nutzt, ein bislang unentdecktes Objekt im direkten Sonnenorbit zu untersuchen. Es handelt sich um eine alte Raumstation. Der Beginn der Geschichte ist  faszinierend. Technik ist bei Franke immer innovativ und gleichzeitig auch antiquiert. Sie ist mindestens pragmatisch. Franke zeichnet keine opulenten technischen Welten, sondern nutzt sie aus der wissenschaftlichen Perspektive perfekt, um die Neugierde der Menschen zu befriedigen. Ab der Mitte der Geschichte entwickelt sich ein kleiner Krimi ohne Leiche. Gegen Ende präsentiert der Autor gemäß seiner literarischen Tradition eine eher pragmatische Lösung. Die zweite Hälfte der Story wirkt zu kompakt, zu gedrängt. Eine Novelle wäre wahrscheinlich die bessere Alternative gewesen, aber die Komplexität von Themen spiegelt sich auch in einer Reihe der hier gesammelten Miniaturen wieder. Die Minimierung vom Umfang steht teilweise in einem zu starken Kontrast zur Maximierung des Gehalts.

 „Planet Epsilon“ beschreibt die Reise eines einzelnen Freiwilligen in das nächste Sonnensystem mit möglicherweise bewohnbaren Planeten. Das Raumschiff verfügt über einen neuartigen Antrieb. Die erste Expedition ist mit einem Freiwilligen verloren gegangen. Franke hat sich in der ersten Hälfte der Geschichte viele Gedanken gemacht, wie ein Einzelgänger mit der Einsamkeit fertig wird. Computerprogramme; Interaktion mit einer Vorstufe einer künstlichen Intelligenz, der Freundin nachgebildet; Forschungen. Über dem Planeten entwickelt sich der Plot in eine gänzlich andere Richtung. Die Notfallprogramme werfen existentielle Fragen auf. Wie fragil ist die menschliche Gesellschaft? Auf der letzten Seite fügt Franke einen weiteren fast klassischen Aspekt der Science Fiction seinem kompakten Plot hinzu und präsentiert vielleicht ein wenig konstruiert sogar ein Happy End. Die sich gegen Ende überschlagenden Ereignisse werfen allerdings nur Fragen auf. Der Antwort weigert sich stellvertretend für seinen überforderten Protagonisten, Antworten anzubieten. Das ist auch nicht zwingend die Pflicht eines Autoren, aber die Verschiebung der Perspektiven und die Notfallkomponente der Mission wirken überstürzt integriert, als wenn Franke seinem grundlegenden Szenario zu misstrauen beginnt.

 Auch in „Notruf von Io“ geht es um die Erkundung fremder Welten. Franke setzt sich zu Beginn mit der Konkurrenzsituation während des Auswahlverfahrens auseinander. Kaum an Bord mit der Mission im Fokus sollen die ehemaligen Konkurrenten plötzlich ein Team bilden. Zusätzlich sind auch noch zwei Männer in die gleiche Frau, auf der Erde zurückgeblieben, verschossen. Das beschwört Konflikte herauf, welche Franke dann relativ pragmatisch und effektiv löst. „Notruf von Io“ wirkt eher wie ein Expose einer längeren Arbeit, möglicherweise auch eines Hörspiels als eine wirklich abgerundete Geschichte. Viele Fragen bleiben abschließend offen und der Epilog wirkt handlungstechnisch ein wenig gestelzt.

 Höhlenforschung ist immer ein Steckenpferd Herbert W. Frankes gewesen. In einer der besten Geschichten dieser Sammlung „In den Höhlen von Glenn“ beschreibt er di Erforschung eines neu entdeckten Planeten. Die Atmosphäre ist herausfordernd, aber leichter zu ertragen als auf der Erde. Die Expedition findet unter den Bergen eine umfangreiche Höhlenanlage mit den Hinterlassenschaften einer außerirdischen Zivilisation. Das Ende der Geschichte ist zynisch und überrascht. Die Wunder der fremden Landschaft und vor allem die Faszination, vielleicht sogar Obsession mit den endlos wirkenden unterirdischen „Landschaften“ beschreibt Herbert W. Franke eindringlich.  

 Der Konflikt zwischen unberührter Natur und der technisierten Zivilisation ist ein roter Faden in Herbert W. Frankes Werk. In „Garten Eden“ zeigt er die Verbindung zwischen der renaturalisierten Oberfläche und ihrer Bewohner sowie der unterirdischen Stadt. Flüchtlinge werden mit gelöschten Gedanken immer zurückgeschickt. Dieser Kreislauf ist ein Teil eines komplexen Plans, aber der Plot wirkt zu stark konstruiert und Franke lässt zu viele Flanken offen, als das dieses Mal der Funke überspringt.

Sehr viel interessanter ist die futuristische Kriminalgeschichte „Layout für ein Gesicht“. Zwei Leichen werden auf einer Baustelle gefunden. Die beiden Männer sind mindestens fünfzig Jahre schon tot. Ein Ermittler versucht hinter die Tat zu kommen. Dabei stellt er fest, dass einer der Männer eine heute noch genutzte Gesichtserkennungssoftware entwickelt hat. Nicht nur, um der Gesellschaft zu helfen, sondern die eigenen inneren Dämonen auszutreiben. Die Kriminalhandlung ist ab einem bestimmten Punkt erkennbar, aber die fast krankhafte Obsession mit der Künstlichkeit – in „Planet Epsilon“ geht Franke den logischen nächsten Schritt – hält die Leser in ihrem Bann. Franke extrapoliert Ideen, die in den USA Fernsehserien wie „Max Headroom“ oder der Cyberpunk entwickelten, auf eine sehr sachliche, pragmatische Art und Weise. Im Vergleich zu vielen anderen Gesichtern wirkt der tragische Protagonist Elliot deutlich zugänglicher, auch wenn er lange Zeit nur indirekt auftritt und erst am Ende eine vorhersehbare, aber gewichtige Rolle spielt.   

 „Geany Star“ beschreibt die Suche eines Psychologen nach den Ursachen der Störungen bei einem jungen Mädchen. Er beobachtet sie mit ihrer Clique und sucht schließlich auch eine Diskothek auf, wo eine Art bläulicher Stoff allgegenwärtig ist. Das offene Ende lässt sich in mehrfacher Hinsicht interpretieren. Der Anfang mit dem Unverständnis der Erwachsenen gegenüber dem neuen Lebensgefühl – inklusive synthetischer Aufputschmittel – ist dagegen sehr stringent und spannend aufgebaut. 

 Auch „Computerland“ setzt sich mit dem Thema Computerspiele auseinander. Die zugrunde liegende Idee war auch während der Entstehung der Geschichte nicht mehr neu. Filme wie „Wargames“, aber auch Orson Scott Cards „Ender“ Serie setzen sich schon mit diesem Thematik auseinander. Auf eine distanzierte Art und Weise versucht Herbert W. Franke im Kleinen die moralischen Komponenten anzusprechen, wobei die Nutzung von talentierten Spielern zur Lösung von realen Problemen und Szenarien sich nicht auf kriegerische Auseinandersetzungen beschränkt, sondern sich andere Opportunitäten erschließen. Auf diese geht Franke in seiner Kurzgeschichte allerdings nicht ein.

 „Der letzte Programmierer“  wirkt dagegen deutlich konstruierter. Als alter Mann verschließt sich der neuen interaktiven Technik und scheint etwas Sinnloses zu programmieren. Er nutzt die freien Rechnerkapazitäten der Gemeinde; er verschließt sich vor der Außenwelt und schließlich verlässt ihn auch seine Tochter. Das Ende ist offen, der alte Mann weiß nicht einmal, ob er Wissen oder Kunst mit seinen Programmen erschafft. Aber im Vergleich zu einigen anderen, emotionale zu distanziert geschriebenen Geschichten überzeugt der alte Mann in seinem selbst gewählten Gefängnis.  

 „Die Pyramide“ verbindet von Dänikens Präastronautik mit dem Forscherdrang Herbert W. Frankes. Eine Expedition zu einer kürzlich entdeckten Pyramide macht eine besondere Entdeckung. Die Götter stammen doch aus dem All. Die Geschichte unterscheidet sich vor allem von gängigen Texten, weil es in dieser Version schon eine eigene irdische Raumfahrt gibt und Franke aus dem Nichts heraus die politischen Konflikte zwischen den USA und der Sowjetunion angesichts des überraschenden Fundes extrapoliert. Der Plot wirkt verdichtet, fast zu kompakt für die Länge der Geschichte. Aber zwischen diesem fast an ein Expose erinnernden Kapiteln stecken viele interessante Ideen, die mindestens eine Novelle verdient hätten. 

 „Die gläserne Stadt“ ist die erste Miniatur dieser Sammlung. Auf nur vier Seiten entwirft Franke eine virtuelle Simulation einer Stadt, in welcher Ballerspiele stattfinden. Am Ende des Schöpfungsprozesses greift die wirtschaftliche Realität und der Programmierer/ Schöpfer muss für sich eine Entscheidung treffen.      

 „Auflösung“ beschreibt en Evolutionsprozess zweier Menschen in einer Extremsitution. Die Vignette ist eher ein Stimmungsbild als eine vollwertig entwickelte Miniatur.

 Zynisch ist „Vorsicht, Fußgänger“. Herbert W. Franke extrapoliert auf seine eigene Art und Weise einen Aspekt aus Paul Bartels Film „Death Race 2000“, vielleicht auch Peter Weirs „The Cars that Ate Paris“ weiter. Autofahrer machen Jagd auf Fußgänger, die sich wehren. Sobald die Situation umgedreht ist, verändert sich auch die Denkweise der Männer in ihren teilweise gepanzerten Kisten. Überdreht, zynisch und dank der pointierten Monologe sehr unterhaltsam.  

Wie es aussieht, wenn sich Herbert W. Franke an John leCarre versucht, zeigt die Miniatur „A gegen Z gegen A“. Der Titel ist Programm. Es ist auch eine der wenigen Geschichten, in denen der Autor politische Konflikte nicht in fiktiven namenlose Staaten verlegt, sondern die USA und die Sowjetunion direkt anspricht. 

Sowohl „Der schwarze Gast“ als auch „Mein Freund Thales“ setzt sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Roboter auseinander. „Der schwarze Gast“ ist dabei die interessantere Geschichte. Manches erinnert fast an Jack Williamsons „Wing 4“ Romanen mit dem Roboter, der sich als stummer Gast im Haus einer Unternehmerfamilie breit macht. Erst stummer Beobachter, anschließend unentbehrliche Persönlichkeit im Hintergrund. In „Mein Freund Tahles“ beschreibt der Erzähler, das er sich in seiner eigenen Einsamkeit mit einem Roboter angefreundet hat. Mit ihm konnte er bessere Gespräche führen oder während der Missionen auf engsten Raum zusammenleben. Das Ende ist ein wenig melodramatisch, aber in sich logisch.

 „Planet des Lichts“ ist eine First Contact Geschichte. Eine Expedition gerät über einem fremden, aber anscheinend von einer hoch stehenden Zivilisation bewohnten Planeten in Nöte. Die Rettung erfolgt auf eine interessante Art und Weise. Franke gibt wenige Einblicke in diese fremde Welt, basierend auf Licht. Der Plot ist rudimentär und der Hintergrund schreit förmlich nach einer Kurzgeschichte.

 „Zeitreisen lohnen sich nicht“ setzt sich mit der Idee des Zinseszinses auseinander. Dabei agiert der Protagonist so auffällig, in dem er vorher seinen Freund als hochrangigen Mitarbeiter einer Bank fragt und in der Vergangenheit etwas deponiert, das diesem anscheinend schon seit langer Zeit „gehört“. Eine Gesellschaften, in welcher Zeitreisen als Tourismus gang und gäbe ist, müsste sich schon lange gegen derartige Manipulationsversuche geschützt haben.

 „Sheva wird kommen“ ist die Geschichte eines sich quasi selbst erfüllenden Prophezeiung. Sheva ist kein Gott, sondern ein Mann, der besonders heranwächst. Am Ende sehen die Dorfbewohner in ihm einen Retter. Wie alle Miniaturen entsprechend kompakt komponiert mit guten Ansätzen, aber manchmal zu stark auf die Pointe hin konstruiert. Herbert W. Franke kann Miniaturen schreiben. Schon ins einer Sammlung „Der grüne Komet“ hat er es bewiesen, aber seine Vignetten sind teilweise zu statisch Ideengetrieben und ignorieren, dass die entsprechende Handlung noch mehr als bei einer klassischen Kurzgeschichte verdichtet werden muss. Eine Miniatur verzeiht keine Schwäche hinsichtlich der Handlung und Pointe. Trotzdem lesen sich viele der kurzen hier gesammelten Texte wie eine Art Leitfaden für längere Geschichte. Die Kurzgeschichten per se setzen sich – wie von Ronald M. Hahn in seinem Nachwort noch einmal extrapoliert – mit vielen klassischen Herbert W. Franke Themen auseinander, wobei das Erscheinungsdatum der Sammlung – 1986 – unterstreicht, das Franke seine visionäre Kraft der sechziger und frühen siebziger Jahre ein wenig durch die Entwicklung des Genres eingebüßt hat. Er ist weiterhin ein innovativer Autor, aber insbesondere der Cyberpunk hat seine Vorstellungen von einem virtuellen Raum auf andere, literarischere Spitzen getrieben. Das macht die Texte nicht weniger lesenswert, sie sind aber nicht mehr so revolutionär. Im Rahmen der Werksausgabe ist „Der Atem der Sonne“ trotz der angesprochenen Einschränkungen aber eine wichtige Neuveröffentlichung, zeigt sie doch nachhaltig, wie die Technik Frankes Visionen einholt und der Autor gleichzeitig nach neuen Wegen suchte, seine Ideen zu präsentieren.   

 

DER ATEM DER SONNE: Science-Fiction-Erzählungen (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland e.V. (SFCD))

  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery; 1. Edition (8. April 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 232 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957652863
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957652867
  • Lesealter ‏ : ‎ Ab 14 Jahren