Das Raumschiff, das vom Himmel fiel

Grace Curtis

Der Heyne Verlag legt mit „Frontier“ – der Originaltitel des Romans – das Debüt der auch in der Gsme Industrie beheimateten Engländerin vor. Ein zweiter thematisch gänzlich Roman ist inzwischen in England erschienen. Daneben schreibt Grace Curtis auch für verschiedene Spielmagazine.

 

„Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ ist nicht leicht einzuordnen. Auf den ersten Blick fällt dem Leser „Firefly“ , nur auf einer inzwischen fast gänzlich verlassenen und zivilisatorisch zurückgefallenen Erde ein. Beim Schreiben dieses Buches hat sich Grace Curtis vor allem an dem hektischen, auf Episoden getrimmten Tempo der Fernsehserien orientiert, denn auch wenn sich ein roter Faden – die Suche nach der Liebe ihres Lebens – durch die Handlung zieht, dominieren einzelne Episoden. Die Autorin greift neben dem Antagonisten Sheriff Seawall auf andere Protagonisten wie die fahrende Bibliothekarin mit Rastalocken und „Herr der Ringe“ Anhängerin zurück, aber der Roman besteht vor allem aus einzelnen Episoden, von unterschiedlicher Qualität. Dabei reicht das Spektrum von klassisch dem Western entlehnt über postnukleare Situationskomik mit dem Comicladen buchstäblich am Ende der Zivilisation, aber nicht der Welt  bis zu einem Mordfall in der Tradition Agatha Christies. „Mord im Orientexpress“ statt Pate, wobei die Auflösung erstaunlich simpel ist und die Ausgangsbasis überraschend, aber sehr effektiv auf den Kopf stellt. Ein wenig Steampunk muss auch sein, so findet sich eine Reihe von Kneipen quasi Wand an Wand mit der schwebenden Stadt der Begüterten. Das Ende der Geschichte ist ein wenig kitschig pathetisch, aber humorvoll emotional. Ihre beiden Frauenfiguren haben es sich buchstäblich verdient.

 Alle Szenen spielen sich in einem stetig vorangetriebenen Roman mit einem eher rudimentären Hintergrund, aber vor allem unzähligen Anspielungen auf das Westerngenre ab. Wie es sich für eine ambitionierte Erzählerin gehört, darf nicht alles chronologisch präsentiert werden. Die einzelnen Versatzstücke fallen wie teilweise allerdings auch ein wenig bemühte Puzzlestücke zusammen und ergeben einen guten Überblick über den Ausgangspunkt der Reihe; die Intention einzelner Figuren und schließlich die lebensgefährliche Suche nach der einen Frau, welche der Protagonistin – einem Captain der Armee – die ersten Momente des Glücks in ihrem Leben schenkte.

 In England wird Grace Curtis als Vorreiterin der abenteuerlichen Queer Bewegung gefeiert. Wenn eine lesbische Beziehung dafür ausreichend ist, muss ein Leser dieses Attribut akzeptieren. Es ist aber nicht unbedingt notwendig, vielleicht nur bedingt ein Verkaufselement. Ihre beiden Hauptfiguren sind derartig grob charakterisiert, dass die Geschichte auch mit einem Mann in Person der Suchenden funktioniert hätte. Vielleicht wäre es sogar interessanter gewesen, wenn weiterhin die Frau einen mit dem Raumschiff nach dem Beschuss abgestürzten Mann gesucht hätte. Einzelne Rollenklischee nicht nur auf dem Science Fiction Genre, sondern vor allem auch dem Machowestern hätten pointiert auf den Kopf gestellt werden können.

Ohne zu sehr die Liebeskonstellation zu kritisieren, wirkt eine lesbische Beziehung inzwischen nicht mehr sonderlich überraschend oder gar provozierend. Da haben Männer wie Thomas M. Disch oder Samuel R. Delaney schon viel mehr Vorarbeit geleistet.

 In dieser Hinsicht passt sich „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ einem gegenwärtigen Trend an, der auf Minderheiten unbedingt aufmerksam machen möchte, die es im Grunde nicht nötig haben. Die Argumentation, dass mit dem stetigen Tropfen der Beziehungswiederholung mancher im Grunde hohler Stein ausgehöhlt wird, ist genauso irritierend wie die Tatsache, dass es auch ganz normale Beziehungen zwischen Menschen geben kann, die in den Mittelpunkt eines normalen Buches gestellt werden können. Allerdings lassen sich diese „normalen“ Beziehungen werbetechnisch weniger gut auswerten, so dass hier vor allem für Debütanten wieder das Argument zählt, ein wenig anders zu sein.

 Die Suche nach der wahren Liebe dominiert die Handlung. Nach einem rasanten Auftakt in einer perfekten Hommage an Quentin Tarantino und seinen überdrehten Western „The Hatefull 8“ entwickelt sich die Handlung wie angesprochen episodenartig. Grace Curtis braucht eine gewisse Zeit, bis sie ihren eigenen Rhythmus findet. Um den Leser bei der Stange zu halten, schiebt sie Infoblöcke zwischen die Kapitel. Diese wirken teilweise frustrierend unvollständig, auch wenn sie alle über eine entsprechende Fußnote verfügen und sollen dem Leser suggerieren, dass nicht nur auf der Erde, sondern vor allem im All viele Jahrhunderte vergangen sind.

 Die Menschheit hat nämlich vor vielen Jahren nach der Entwicklung besonderer Antriebe die Erde buchstäblich verlassen. Überall gibt es Kolonien, die Technik hat sich im Imperium weiterentwickelt. Auf der Erde sind im Grunde nur die „Gesetzlosen“ geblieben, wobei diese Argumentation des Klappentextes auch nicht richtig ist. Auf der Erde sind die ewig Gestrigen geblieben, die zumindest in dem klassischen Westerngebiet der Vereinigten Staaten sich auf dem Niveau einer „Mad Max“ Gesellschaft mit den angesprochenen einzelnen Exzessen des Steampunks bewegen. Die Luft ist trocken; der Boden hat kein Wasser mehr. Die einzelnen Siedlungen liegen weit verstreut und die Verkehrsmittel sind die Zielobjekte nicht nur von Banditen, sondern auch wilden Hunden. Die Eisenbahn ist nur bedingt sicherer, da einige Banditen sich als Schaffner verkleiden, um dem allgegenwärtigen Auge des Gesetzes in Form eines psychopathisch sadistischen Sheriff zu entkommen.

 In dieser archaischen, dem modernen Western mit einzelnen technischen Geräten wie Kommunikatoren als Hilfsmittel begibt sich Kei, um ihre Freundin Noelle zu retten. Noelle wollte zur Erde zurück und den Menschen dort helfen. Noelle sah die Zukunft des Reichs in ihren Wurzeln und die sind nun mal auf der Erde. Allerdings wurde Noelles Raumschiff abgeschossen und Kai landete in einer Rettungskapsel weit weg von der eigentlichen Absturzstelle. Im Gegensatz zur Wissenschaftlerin Noelle – blass, zierlich, intelligent und humorvoll – ist Kei eine ehemalige Soldatin, die sich geschworen hat, niemals wieder mit ihrer Waffe zu töten. In diesem postnuklearen Wilden Westen – es gibt eine Zone, in welcher die Radioaktivität so hoch ist, dass sie schnell Menschen tötet- kein leichtes Unterfangen, zumal man sich den angesprochenen Sheriff Seawall sehr schnell zu einem Feind gemacht hat. Seawall ahnt, dass Kei nicht von der Erde stammt. Und diese Ahnung hat mit seinem unmittelbaren Chef zu tun, wie die finalen Kapitel zeigen.

 Es sind die Nebenfiguren, welche dem Leser längerim Gedächtnis bleiben als die eigentlichen Protagonisten. Grace Curtis ist sich auch nicht zu schade, liebevoll gestaltete Protagonisten im letzten Satzes ihres jeweiligen Kapitels zu töten. Schockierend beiläufig. Damit will die Autorin ausdrücken, das ihr Future Wilder Western keine Parodie, keine reine Hommage auf die bestehende Literatur oder die teilweise schon angesprochenen Fernsehserie ist. Ihr Western ist tödlich. Nur für die Nebenfiguren und abschließend auch die Schurken. Ihren Heldin gönnt sie immer wieder ein kleines Schlupfloch, auch wenn sie stellenweise an die Grenze der Glaubwürdigkeit einzelne Sequenzen konstruiert und weniger aus sich selbst heraus entwickelt. Das lässt „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ ein wenig sperriger, distanzierter und vor allem auch umständlicher erscheinen als es die besten Sequenzen – die Zugfahrt und die Suche nach dem elften Band einer Comicserie – implizieren. Als Buch erscheint „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ durch die Episodenstruktur auch ein wenig unrund und angesichts der nur auf das Wesentlich reduzierten Hintergrundinformationen auch eher wie ein Videogame oder eine Fernsehserie konzipiert als einen Roman mit dem entsprechenden Fleisch um das Handlungsknochengerüst. Hier wird sehr viel Potential verschenkt.

 Auf der anderen positiven Seite kann Grace Curtis kurzweilig mittels verschiedener Actionszenen, ihren dreidimensionalen effektivern Charakteren und vor allem den auch in der deutschen Übersetzung pointierten, aber niemals den Humor der „Doctor Who“ Serie erreichenden Dialogen überzeugen. „Das Raumschiff, das vom Himmel fiel“ ist ein typischer Sommerabendroman, schnell und gut lesbar, ohne den Leser zu sehr anzustrengen, aber leider auch schnell wieder in der Masse vergleichbarer Action Science Fiction Romanen mit Protagonist-auf-einer-unmöglichen-Mission Sujet gedanklich verschwunden.    

    

Das Raumschiff, das vom Himmel fiel: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (13. September 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 336 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453322576
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453322578
  • Originaltitel ‏ : ‎ Frontier