In for a Penny

James P. Blaylock, In for a penny, Rezension
James P Blaylock

In dem Vorwort beschreibt der Autor, dass viele der hier gesammelten Geschichten autobiographische Züge tragen, aber nicht unbedingt autobiographisch sein müssen. Von der Bowlingkugel bis zur Rückkehr in die eigene, in diesen Fällen örtliche Vergangenheit finden sich immer wieder in den nicht immer grundsätzlich phantastischen, aber zutiefst humanistischen Geschichten persönliche Aspekte des Menschen und nicht unbedingt des Schriftstellers Blaylocks. Manche dienen als Inspiration, manche sind Füllmaterial, umgeben von den bizarren Ideen, welche diesen Schüler Philip K. Dicks – zusammen mit Tim Powers befreundeten sie sich in San Francisco mit Dick, der ihnen einige hilfreiche Tips gegeben hat – mit seinem überwiegend magischen Realismus auszeichnen. 

 Die Auftaktgeschichte „In The Other Side“ ist inhaltlich eine der schwächsten Arbeiten dieser Sammlung. Der Erzähler Art ist davon überzeugt, dass er übernatürliche Kräfte hat. Er kann vorhersagen, wer gleich anruft oder was vielleicht passieren kann. Blaylock arbeitet ausschließlich mit Suggestion und verweigert dem Leser im zu offenen Ende eine abschließende Antwort, aber wenn Art schließlich eine Versammlung gleichfalls „übernatürlich begabter“ oder aus anderer Perspektive exzentrisch bizarrer Personen besucht, erschlägt die Satire den schwachen Handlungsbogen und lässt nicht nur Art innerlich lächelnd zurück.  Es ist eine von vielen Geschichten dieser Sammlung, in denen Blaylocks Protagonisten auf der Suche sind. Wie in Terry Gilliams „König der Fischer“ handelt es sich um verlorene Seelen. Was sie suchen, werden sie aus unterschiedlichen Gründen heraus nicht mehr in der ursprünglichen Form finden und da sind sie am Ende zufrieden.

In „In His Own Back Yard“ sucht Alan seine eigene Vergangenheit auf. Er schaut durch den Gartenzaun auf sein ehemaliges Elternhaus, das vor langer Zeit verkauft worden ist. Jetzt soll es abgerissen werden. Durch die Erinnerungen kann Alan in die eigene Vergangenheit eintauchen, wird zum Einbrecher in das Haus seiner Eltern. Die Begegnung mit seinem Vater hinterlässt in ihm einen süßsauren Nachgeschmack. Auch wenn er keine Situation zweimal gleichartig durchstehen oder durchleben kann, flieht er in die Vergangenheit, um aus den flüchtigen Momenten Kraft für die Zukunft zu schöpfen. Ohne Kitsch, ohne Pathos mit einem überzeugenden Protagonisten lässt Blaylock seine Leser selbst entscheiden, was sie in ihrem Herzen mit sich tragen wollen und was nicht.

Die Titelgeschichte "In For a Penny" (oder "The Man Who Believed in Himself") fügt dieser kontinuierlichen Suche noch einen weiteren Aspekt hinzu. Die Erschaffung einer gänzlich überzeugenden, aber rückblickend absolut subjektiven und vor allem auch verzerrten Wirklichkeit.  George Mason findet auf einem Garagenflohmarkt einen kleinen Ledergeldbeutel mit einem Penny drin, der es ihm ermöglicht, den Beutel zu bezahlen. Angestachelt sieht er den Beutel als eine Art Heiligen Gral, der ihm weitere Schätze zuschanzt, während er gesundheitlich immer mehr verfällt. Blaylock bewegt sich mit dieser am Ende amüsanten Fabel um die Jagd nach unentdeckten Schätzen und einer brutalen Selbstabrechnung mit seinem klassischen, aber auch typischen Mittelständler auf einem sehr schmalen Grad zwischen zurückhaltender Gruselgeschichte und Märchen.   Der Leser kann die einzelnen Fakten nicht zuordnen, so dass ihn am Ende die vorhersehbare Pointe inklusiv der Kraft der Liebe anspricht und im Vergleich zu den sehr offenen Epilogen anderer Texte insbesondere dieser Sammlung von der ersten pointierten Zeile bis zum Happy End auf einem sehr hohen Niveau unterhält. 

 „The War of the Worlds” ist eine bittersüße Abrechnung mit dem Leben. Die Hommage auf H.G. Wells ist dabei passend eingebaut. Blaylock beschreibt eine sich im Grunde auflösende Ehe. Obwohl ein Kind erwartet wird, haben sich die Ehepartner wenig zu sagen und ihre unterschiedlichen Interessen führen zu einem bizarren Kleinkrieg, als ihre Waldsiedlung aufgrund eines unbekannten Flugobjektes von den örtlichen Behörden evakuiert wird. Am Ende geht es nicht mehr um das Mitnehmen lebenswichtiger Utensilien, sondern um eine Art Verteidigungskrieg hinsichtlich der eigenen Erinnerungen bzw. der eigenen Sachen. Ohne in Sarkasmus zu verfallen beschreibt Blaylock das Auseinanderdriften von Menschen, die sich mal geliebt haben und die selbst in Extremsituationen nicht mehr als Gemeinschaft agieren.  Es ist eine Abrechnung mit der modernen Ehe, wobei der Romantiker Blaylock zumindest am Ende noch ein wenig Hoffnung hat.

 In zwei Geschichten spielt der Tod, das Verlassen der bisherigen Existenz eine wichtige Rolle. Der Protagonist in „Home before Dark“ muss damit fertig werden, dass er gestorben ist. Wie in klassischen Geistergeschichten muss er erst etwas abschließen, bevor er auf die nächste, nicht näher beschriebene Ebene wechseln kann. Es ist vielleicht die am meisten melancholische Geschichte dieser Sammlung. Der Leser verfolgt die Gedanken des Protagonisten und sieht zu, wie er den Mut für den obligatorischen nächsten „Schritt“ sammelt. Gleichzeitig denkt er an sein langes, zufriedenes und doch auf der anderen Seite auch kurzes Leben zurück. Blaylock selbst geht in seinem Vorwort hinsichtlich der Inspiration zu „Small Houses“ auf die bizarre Idee ein, nicht nur zu Lebzeiten seinen eigenen Sarg zu zimmern, sondern ihn auch entsprechend auszustatten. „Small Houses“ folgt den letzten Stunden eines alten Mannes, der mit dem Tod seiner Frau seinen Lebensmut verloren hat. Vor Jahren hat er sich seinen Sarg erbaut und überlegt, was er „mitnehmen“ kann. Eine kurze, schwermütige Geschichte, die ein langen, relativ glückliches Leben dem unvermeidlichen Tod gegenüber stellt. Wie einige anderen Texten dieser Sammlung zeigt Blaylock indirekt auf, dass es wichtig ist, sein Leben zu genießen und zufrieden zurück zu schauen, da man nachträglich erstens nichts mehr ändern kann und zweitens selbst bei einem langen Leben niemand weiß, wie viel Zeit einem wirklich noch bleibt. Mit einer dunklen, aber nicht nihilistischen Atmosphäre und vor allem keinen Depressionen versucht sich der Autor in den Lebenszustand älterer, aber nicht gebrechlicher oder schwerkranker Menschen hineinzuversetzen. Auch wenn diese Texte nicht phantastisch sind, leben sie durch die dreidimensionalen, vom Autoren so inspiriert erschaffenen Figuren, an welche der Leser lange Zeit noch zurückdenken kann und vielleicht auch sollte.  

Die einzige neue, extra für diese Sammlung verfasste Geschichte ist „The Trismegitus Club“. Als einziger Text spielt sie in England statt in den USA und als einzige Story wird eine klassische Geistergeschichte in der Tradition Charles Dickens voller Stimmung/ Stimmungen sowie einer so gotisch viktorianischen Atmosphäre erzählt. Ein älterer Gentlemen betreibt eher aus einem Hobby heraus ein Antiquariat. Mit dem frühen Tod seiner Frau nach zehn Jahren einer schönen und liebevollen Ehe hat er seinen Lebensmut verloren. Vor einiger Zeit ist es ihm ein Hund zugelaufen. Ohne das er es bemerkt manifestieren sich seine alten Freunde und langjährigen Kunden seines Ladens nachts zwischen den Bücherregalen, sortieren die alten Schinken, schnüffeln am exquisiten Brandy oder „rauchen“ seine Zigarren. Jeder neue Geist, der diese Gemeinschaft unbewusst aufsucht, muss sich erst akklimatisieren. Am Ende ist es auch Zeit, dass der Protagonist auf die andere Ebene überwechselt. Ohne viele Erklärungen, mit einer Liebe für Bücher beschreibt Blaylock diese neuen Lebensumstände, zeigt auf, dass Freundschaften über den Tod hinaus reichen können und beendet die Story auf einer positiven, aber nicht kitschig verklärten Note.

Blaylocks umfangreiches Werk reicht von den humorigen Abenteuern der ersten Phase über die Exkurse in den Steampunk bis zu den nachdenklich stimmigen, Urban Fantasy Geschichten dieser Sammlung, die nicht zuletzt dank ihrer guten Extrapolation vorhandener Ideen, der Mischung aus magischen Realismus und Träumen, sowie den dreidimensional gezeichneten sympathischen, lebenserfahrenen und doch irgendwie kindlich, nicht kindisch gebliebenen Protagonisten insbesondere ältere Leser vielleicht mehr ansprechen werden als die jungen Wilden, die glauben, dass der Tod noch lange keine Verabredung mit ihnen hat. Stilistisch sorgfältig geschrieben mit liebevollen, teilweise autobiographischen Details ist die vorliegende Kurzgeschichtensammlung ein idealer Einstieg in das trotz zahlreicher Veröffentlichungen in Deutschland unterschätzte Werk des Amerikaners. 

 

  • Hardcover: 175 pages
  • Publisher: Subterranean Press; First Edition edition (July 2003)
  • Language: English
  • ISBN-10: 1931081824
  • ISBN-13: 978-1931081825
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