Professor Zamorra 46- Die Furcht der Baskervilles

simon Borner

Simon Borner ist inzwischen der Mann für besondere Fälle bei den "Zaubermond" Professor Zamorra Romanen geworden. Dabei liebt er es, bekannte Genres zu kombinieren. In "Die Furcht der Baskervilles" trifft Sherlock Holmes auf Professor Zamorra mit Anspielungen an Lovecrafts "Alte". Borner bemüht sich, dieses auf den ersten Blick absurde Konstrukt in eine unterhaltsame wie stringente Handlung zu packen, wobei er anfänglich auf manches Klischees wie Sam Gedächtnisverlust zurückgreifen muss und gegen Ende auf die inzwischen fast obligatorischen Showdowns zwischen den Helden und der unaussprechlich mächtigen, bedrohlichen, dunklen, gefährlichen Macht zurückgreift.
Zusätzlich verzichtet Simon Borner auf die klassische Ich- Erzählerperspektive, aus welcher John Watson die Abenteuer seines Freundes erzählt. Es ist kein Bericht, sondern möglicherweise eine "wahre" wie spekulative Begegnung. Am Ende des Buches wird Holmes seinen Freund bitten, den zu schreibenden Bericht nicht zu veröffentlichen, sondern entsprechend umzuarbeiten. Das Ergebnis ist weltberühmt: "Der Hund der Baskervilles". Obwohl Borner in der Endphase auf einige Mechanismen der Doyle´schen Vorlage zurückgreift, ist der vorliegende Roman eigenständig genug.
Lamponelli ist kein talentierter oder inspirierter Varietekünstler. Bei einer seiner Shows lässt er die Adlige Lady Chadwick als Angehörige des britischen Könighauses verschwinden. An ihrer Stelle verlässt ein modern gekleideter, sichtlich verwirrter Mann den Kasten mit dem doppelten Boden. Zamorra kann sich an nichts erinnern und nennt sich Sam. Der Leser erkennt ihn aber sofort. Da Lady Chadwick nicht wieder auftaucht, wird Sam als Mitverschwörer an der potentiellen Entführung von Inspektor Reid festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Parallel beschreibt Borner, wie Holmes durch eine intelligente Verschiebung der Prämissen einen lange gesuchten Verbrecher zur "Mitarbeit" an seiner Verhaftung überredet. Borner siedelt seine Holmesgeschichte eher um Umfeld der Downey Verfilmungen an. Wenige Tage später langweilt sich Holmes und tyrannisiert übel gelaunt seine Umgebung, bis ihn Inspektor Reid um Hilfe hinsichtlich der Entführung bittet. Dabei lernt Holmes auch Sam kennen, der sich weiterhin an nichts erinnern kann. Auf der anderen Seite glaubt Holmes in dem gut gekleideten Fremden eine "artverwandte" Ermittlerseele zu erkennen.
Der anfängliche Aufbau des Romans ist von Simon Borner geschickt angelegt worden. Der Leser ist zumindest teilweise allen Protagonisten überlegen. Im Falle von Sam weiß er, dass es sich um den Professor Zamorra der Zukunft handelt. Im Vergleich zu Sherlock Holmes und Doktor Watson ahnt er, dass die im Prolog angesprochenen Vorfälle in Dartmoor dämonische bzw. übernatürliche Ursachen haben. Es schließt sich eher klassische Ermittlungsarbeit an. Im Vergleich zu vielen anderen modernen Kanongeschichten ist Borners Holmes ein exzentrischer Mann der Tat, der allerdings von den Ereignissen im Kern angetrieben wird. Seine Bakerjungs finden schließlich Lady Chadwick in einer Opiumhöhle. Wie die Lady muss einer der Jungen einen furchtbaren Preis dafür bezahlen. Sie verwandeln sich in bemitleidenswerte Mutationen, die Watson, Holmes, Reid und Zamorra nur von ihrem Leid erlösen können.

Es folgt die Suche nach der Herkunft der "Seuche" und nicht nur die Entdeckung einer Geheimsekte, welche die Dämonen aus Lovecrafts Geschichten in die britische Realität holen wollen, sondern auch die Aufdeckung von Lizzy Lowdens Geheimnis, die als ehemalige Assistentin des glücklosen Magiers subjektiv in die Zukunft sehen kann. Positiv für den ganzen Roman reizt Simon Borner diese übertrieben erscheinende Idee als "Deus Ex Machina" Lösung nicht zu sehr aus. In der zweiten Hälfte des Buches fallen die einzelnen Plotkomponenten zu simpel zusammen. Zwar ist es insbesondere für Holmes/ Watson Anhänger aufregend, unter gänzlich anderen Voraussetzungen Dartmoor und den Baskervilles zu begegnen, Borner kann aber den Schwung der ersten Hälfte nicht mehr mitnehmen. Er enthüllt souverän, aber bekannten Mustern folgend die Absichten der Schurken und in letzter Sekunde wird deren Plan verhindert, Zamorra natürlich wieder in die Gegenwart zurück- und die Figuren Doyles und Lovecrafts in ihren "literarischen Welt" hinübergeschickt. Es fehlt dem Ende aber ein weitergehender Hauch von verblüffender Originalität, den die erste Hälfte des Buches auszeichnete.
In Bezug auf die einzelnen Charaktere überzeugt der Roman allerdings. Borner gibt sich Mühe, eine überzeugende Balance zwischen Neuinterpretation der markanten und bekannten Figuren sowie einer respektvollen Hommage an die Originale zu finden. Dabei tritt Professor Zamorra - nicht zum ersten Mal insbesondere in den "Zaubermond" Romanen - gänzlich in den Hintergrund. Diese anfängliche Passivität und die Fokussierung auf Holmes/ Watsons Welt wirkt vielleicht für Serienfans ein wenig befremdlich, aber am Ende wird dank dessen Eingreifen und Merlins Sterns dieses Ungleichgewicht relativiert. Vielleicht drückt Borner ein wenig zu oberflächlich Zamorras innere Zerrissenheit und Verzweifelung aus, ohne Gedächtnis im Grunde in einer Zeit gestrandet zu sein, die es für ihn nicht geben dürfte. Es ist ja keine Vergangenheit, sondern die literarischen Schöpfungen zweier weltbekannter Autoren, zwischen denen er sich bewegt. Dieser Gedanke ist Zamorra anfänglich nicht bewusst. Wäre Borner diesen Schritt weitergegangen und hätte er Zamorra zumindest ein in dieser Hinsicht subjektives Gedächtnis gegeben, würde "Die Furcht der Baskervilles" noch besser, noch emotionaler funktionieren.
Wie schon angesprochen entspricht Borners Sherlock Holmes eher der Downey Interpretation. Aufbrausend, exzentrisch, schroff, voll berstender Energie. Watson wirkt dagegen als Helfer und Chronist unterentwickelt. Zumindest verzichtet der Autor auf die abfälligen Bemerkungen, die manche Holmes Inkarnation für den treuen Freund übrig hat. Wenn Watson am Ende des Plots wie in "Der Hund der Baskervilles" im Moor eigenständig ermittelt, gewinnt er ein wenig an Tiefe.
Die interessanteste Figur ist ohne Frage Lizzy Lowden, die mit einer seltenen Gabe gesegnet sich eher als gesellschaftliche Provokateurin und Außenseiterin zu fühlen scheint. Borner hat sich Mühe gegeben, die junge Frau dreidimensional und vielschichtig zu gestalten. Wie schon angesprochen relativiert der Autor in wichtigen Abschnitten des Buches ihre Gabe, um die sich kontinuierlich aufbauende, aber plottechnisch auch teilweise vorhersehbare Spannung nicht zu unterminieren. Dagegen wirken die Schurken bis auf einen Kurzauftritt des aus der Heftromanserie bekannten chinesischen Besitzers einer Opiumhöhle seltsam eindimensional und teilweise klischeehaft gezeichnet. Wie Mycroft Holmes mit seinem eindrucksvollen Auftritt im Diogenes Club scheinen sie sich ausschließlich im dominanten Schatten der „Pulp“ Helden bewegen zu wollen.
Es gibt aber noch eine dritte Perspektive, aus welcher „Die Furcht der Baskervilles“ betrachtet werden kann und sollte. Neben einer stringenten Sherlock Holmes Geschichte mit zufriedenstellenden Anspielungen auf verschiedene Doyle und Kanongeschichten anderer Autoren sowie als Teil des umfangreichen „Professor Zamorra“ Universums siedelt Borner seinen Plot auch in Lovecrafts „Cthulhu Universum an. Wie Lovecraft schwört Borner eine schreckliche Bedrohung mit kräftigen Beschreibungen und Andeutungen hervor. Die grotesken Verwandlungen Unschuldiger sind emotional gut ohne Kitsch oder Pathos beschrieben. Am Ende, wenn das Böse seine Fratze zeigen muss, leidet der Roman allerdings auch unter dem ungeschriebenen Gesetz, dass die Phantasie des Lesers durch nichts zu ersetzen ist.
Die Kombination dreier Genres ist keine leichte Aufgabe. Sie gelingt Simon Borner aber in diesem überwiegend unterhaltsamen Roman mit kleineren Schwächen sehr gut. Auch wenn es in zweiter Linie ein „Zamorra“ Roman ist, überzeugt „Die Furcht der Baskervilles“ vor dem selbst herauf geschworenen Grauen bis auf das etwas überstürzte und konstruierte „Finale“ nach dem Finale.

Zaubermond Verlag

Taschenbuch, 212 Seiten

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