Professor Zamorra 43- Boulevard der Finsternis

Simon Borner
In Simon Borners „Boulevard der Finsternis“ trifft Professor Zamorra im übertragenen Sinne auf den Dämon Hollywood. Ramsey Campbell, Theodore Roszak oder Clive Barker haben große Romane über dieses Thema geschrieben. Wie die drei aufgeführten Autoren versucht Borner die langen Schatten der nur Außenseitern als ruhmreich erscheinenden Vergangenheit Hollywoods mit der Gegenwart zu verbinden. 
 
Simon Borner ist allerdings ein eher ambivalenter Roman gelungen. Solange er das Geheimnis der Ritualmorde und den grauen Mannes vor seinen Lesern verstecken kann, unterhält er mittels einer Reihe von Klischees. Die attraktive Kellnerin mit der bemerkenswerten Oberweite, die tagsüber sich als Schauspielern versucht. Sie hat Mitleid mit dem überforderten Zamorra, der sich wegen eines Kongresses in Los Angeles aufhält, und von einem nervigen jungen Nerd gequält wird, der ihm unbedingt sein erstes Drehbuch über Ritualmorde aufschwatzen möchte. Das sich in diesem Script nur bislang dem Leser bekannte Taten mit den geistigen Exzessen des nervigen Sheldon verbinden, lässt dieses bekannte Szenario nur bedingt überzeugender erscheinen. Der arrogante und eitle Late Night Moderator, der – wenn er von den weiblichen Stars seiner Show Körbe erhält – auf willige, meistens im Duo agierende Zuschauer zurückgreift und sie in seine Räumlichkeiten im Studio für ein erotisches Techtelmechtel bestellt. Sein dunkles Geheimnis ahnt der Leser schon weit im voraus, auch wenn Simon Borner den Faust´schen Pakt dem unsympathischen „Star“ nicht in die Schuhe schiebt. Selbst das intelligente, sein Praktikum ernsthaft betreibende Scriptgirl, das als Zeuge hinter die Bedrohung durch den grauen Mann kommt, droht zu einem Klischee zu verkommen. Aber Simon Borner kann auch anders. Das geht los bei der alternden Diva, die in den dreißiger Jahre beginnend ihre größten Erfolge bei den Horrorfilmen der vierziger Jahre verzeichnen konnte, bevor sie im Fernsehuntergrund verschwunden ist. Niemand anders als Quentin Tarantino konnte sie für seinen neuen Film aus der Versenkung retten. Anfänglich zeichnet sie Simon Borner als klassische Diva, bevor er den Charakter deutlich aufweicht und ihre Lebenserfahrung „nutzt“. Ähnliches gilt für den heruntergekommenen Detektiv mit Spitznamen Wiz, der Geister sehen kann. Handlungstechnisch greift Simon Borner nur teilweise auf die Handlungsmuster des modernen Hardboiled Romans zurück. Wiz ist für den Autoren die Personifikation der Tragik nicht nur Hollywoods, sondern vor allem im Umgang mit Geistern. Ein ironisch gezeichneter Gegenentwurf zu Professor Zamorra. Wiz ist abgebrannt und schafft es nicht, mit Frauen Beziehung aufzubauen. Zu Beginn des Romans wird sein One- Night Stand von Creighton unterbrochen. Creighton ist der Geist eines Hausmeisters, der von Wiz durch eine Berührung zum untoten „Leben“ verdammt worden ist. Jetzt arrangieren sich die Beiden, in dem Creighton Wiz Fälle zuschanzt oder Hinweise gibt. Wiz hat die Gabe, durch Berühren der Toten an Informationen zu kommen. Dieses Mal führt ihn der Geist in eine abgeschiedene Gasse, wo sie den Leichnam eines Mannes finden, der anscheinend durch einen Ritualmord ums Leben gekommen ist. Wo Simon Borner Wiz als dreidimensionale und überzeugende Gestalt aufbaut, reduziert er die Polizei Los Angeles zu einem fluchenden Klischee, die von jeder Art von Verbrechen angewidert und durch ihre Ermittlungen überfordert erscheint. Die Idee eines Detektivs mit einem Geist als Begleiter erinnert an die Fernsehserie Randal und Hopkirk, wobei fairerweise Simon Borner Wiz und seinen „Hausmeister“ mehr dem Zamorra Serienkosmos angepasst hat. Das Wiz bislang nichts von dem weltberühmten Professor oder anderen übernatürlichen Phänomen gehört hat, erscheint aber unrealistisch.   
 
Die Originalität der Auftaktkapitel, diese Mischung aus Klischee, Desillusion und Verführung kann Simon Borner in der zweiten Hälfte des Buches nicht mehr aufrechterhalten. Während Ramsey Campbell oder Theodore Roszak die Suche nach dem Geheimnis zweier obskurer Filmemacher oder eines dämonischen Clowns sehr viel stringenter und fokussierter auf die Hintergründe strukturiert haben, offenbart Simon Borner zu früh den geheimnisvollen Pakt, den zwei von drei von Hollywood in besten Jahren geschmähte Schauspieler während des Zweiten Weltkriegs geschmiedet haben. Das die Leistungen eines Dämon – der graue Mann -  immer eine blutige Rechnung nach sich ziehen, ist bekannt. Das manchmal Jahrzehnte zwischen dem Beginn ihres Ruhms und der Begleichung der Rechnung vergehen können, ist auch keine Überraschung. Das ein eher mittelprächtiger, aber mit einer Gabe ausgestatteter Detektiv, eine über Hintergrundinformationen aus der Zeit des Pakts verfügende Diva, ein aufgewecktes Scriptgirl und schließlich natürlich Professor Zamorra sich dem Dämon stellen, ist der Serienstruktur geschuldet und folgt den bekannten, etablierten Mustern.  
 
Trotz dieser bekannten Handlungsmuster ist Simon Borner ist gut zu lesender Roman gelungen. Vielleicht liegt es an der Affinität des Autoren in Richtung (Alp-) traumwelt Hollywood, aber insbesondere die Dialoge wirken im Vergleich zu seinen bisherigen Arbeiten deutlich realistischer, nuancierter und an wichtigen Stellen sehr viel pointierter. Zusätzlich bemüht sich Simon Borner, Hollywood eine eigene Identität zu geben. Die Hintergrundbeschreibungen gehörten immer schon zu den Stärken der „Zaubermond“ Geschichten Borners, während er in den Heftromanen der „Zamorra“ Serie nicht selten Probleme hat, Länge des Heftromans und die entsprechende Handlung zufrieden stellend und gleichmäßig zu strukturieren. Den Platz, den ihm die früheren Hardcover und jetzigen Taschenbücher einräumen, nutzt er sehr gut. Dabei verbindet er die Widersprüche Hollywoods sehr gut miteinander. Auf der einen Seite das mondäne, schicke und doch so abgrundtief schlechte Beverly Hills, dann wieder die Abgeschiedenheit und Isolation in den Tälern rund um den Hexenkessel der Stars, Sternchen und Filmstudios. In Hinblick auf die Abläufe insbesondere die Night Talker versucht Borner eine Reihe von relevanten Informationen unauffällig in die Handlung zu integrieren, ohne belehrend zu erscheinen. Das gelingt ihm nur teilweise, weil er immer wieder der Versuchung erliegt, die potentielle Erwartungshaltung seiner Leserschaft mit einem Hang zum Klischee zu bedienen. „Normale“ Abläufe bei den Produktionen hätten auf den ersten Blick langweilig gewirkt. Auf den zweiten Blick hätten sie einen Kontrast zu dem immer stärker werdenden übernatürlichen Geschehen darstellen können, wobei die Grundidee einer lange anhaltenden und sehr erfolgreichen wie politisch/ sozial einflussreichen Late Night Show, auf einem erzwungenen magischen Pakt basierend, viel stärker und bedrohlicher extrapoliert werden könnte, als es Simon Borner in seinem Roman versucht. Dagegen wirken die Wünsche des zweiten am Pakt beteiligten ehemaligen Stars sehr viel bodenständiger. 
Während Dialoge und Hintergründe überzeugen, zeigen sich Schwächen bei der Handlungskonstruktion. Wie schon angesprochen wird der erste Teil des Buches von den interessanten, manchmal ein wenig zu stark an Klischees erinnernden Protagonisten getragen. Beigemischt werden reale Hollywoodgrößen wie J.J. Abrams, der selbst Professor Zamorra bekannt ist oder Hinweise auf die Historie der Traumstadt. Für den ganzen Roman gilt, dass  Professor Zamorra im Kern austauschbar ist. Das Buch hätte ohne ihn oder einen seiner Position vergleichbaren Seriencharakter noch spannender und unvorhersehbarer gewirkt.
Den bekannten Mittelteil mit dem Pakt erzählt Simon Borner handlungstechnisch eher konstruiert und deswegen seine Intention ein wenig unterminierend parallel auf zwei unterschiedlichen Perspektiven, die aber aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit das bekannte Szenario trotzdem unterhaltsam und flüssig zu lesen erzählen. . Die alternde Hollywooddiva mit übersinnlichen Gaben erzählt vom Schicksal ihres damaligen Freundes, während der aufgrund seiner Gestik an einen Quentin Tarantino für Arme erinnernde Drehbuchautor Zamorra in dessen Hotelzimmer den gleichen Plot vorspielt. Er hat die Geschichte in Drehbuchform erzählt. Das Simon Borner sich hinsichtlich der Recherche sehr viel Mühe gegeben hat, steht außer Frage. Er beschreibt, wie viele Schauspieler ihre Karrieren durch den Zweiten Weltkrieg unterbrechen und als Gebrandmarkte nach Hollywood zurückkehrten. Dagegen haben andere wie John Wayne von der Abwesenheit vieler „Stars“ profitiert. Selbst James Stewart brauchte ungewöhnlich lange, bis er wieder Tritt fassen konnte. Das gibt dem Roman eine hervorzuhebende Authentizität und integriert die übernatürlichen Komponenten nachhaltiger und überzeugender.     
Der Showdown wirkt angesichts der Plotentwicklung überlang und zu kitschig. Ob der Autor hier eine Hommage an die alten Horrorschinken der vierziger Jahre schreiben wollte, ist nicht bekannt. Der Versuch ist misslungen. Zu überambitioniert und angesichts der guten ersten Hälfte auch unnötig versucht Simon Borner zu viel in den schon atmosphärisch dichten, aber auf keiner wirklich originellen Idee basierenden Plot zu stecken. Der Autor nutzt das Potential der Taschenbücher zu wenig aus, über die Grenzen der Heftromanserie nicht nur umfangtechnisch hinauszugehen, sondern vor allem die Grundkonstellation provokanter und innovativer zu gestalten. Die Rahmenbedingungen stimmen trotz der Klischees, aber in der zweiten Hälfte will der Funke nicht überspringen und Simon Borner unterwirft sich unnötig den Mechanismen des Horrorgenres, anstatt die innovativen Kräfte der „Zamorra“ Serie mit dem Mythos Hollywood zu verknüpfen. Weiterhin ist es schade, dass Simon Borner auf die wieder in Frankreich einkaufende Nicole verzichtet, die mit der geballten Kraft der Klischee in den Stadt der Engel und Alpträume für eine Handvoll interessanter und lustig pointierter Szenen gut gewesen wäre. Mit ihrem trockenen Humor und ihren bodenständigen Ansätzen hätte sie sich an mehr als einer Stelle gerieben. Zusammengefasst handelt es sich trotz der angesprochenen Schwächen angesichts vieler kleiner, sehr gut funktionierender Ideen und einer überzeugenden Handlungsstruktur um Simon Borners bislang als Ganzes betrachtet besten „Professor Zamorra“ Roman.
 
Simon Borner, "Professor Zamorra 43- Boulevard der Finsternis",
Hardcover, Anthologie, 207 Seiten
Zaubermond-Verlag
Kategorie: