1984

Originaltitel: 
1984
Land: 
GB
Laufzeit: 
110 min
Regie: 
Michael Radford
Drehbuch: 
Michael Radford
Darsteller: 
John Hurt, Richard Burton, Suzanna Hamilton
Kinostart: 
09.11.84

Big Brother is watching you! Der unscheinbare Parteifunktionär Smith lebt im Überwachungsstaat Ozeanien. Nur im Geist ist er frei geblieben.
Nach George Orwell.


Filmkritik:
von Dirk Wilkens-Hagenkötter (für SF-Radio.net)

George Orwell ist das Pseudonym von Eric Arthur Blair, geboren 1903 in Indien, und gestorben 1950 an Tuberkulose in England. Er hatte ein sehr bewegtes Leben, mit vielen Höhen und Tiefen. Politisch stand er sehr weit links. 1948 schrieb er sein erfolgreichstes Buch, 1984, und versuchte darin, sein pessimistisches Zukunfts- und Menschbild zu verarbeiten. Die Welt, die Orwell beschreibt ist eine Art Mischung aus Faschismus und Stalinismus.

Bereits 1956 wurde das Buch erstmalig verfilmt, allerdings mit einem Happy End. Im Jahre 1984, dem „Orwell Jahr“ kam dann eine Neuverfilmung in die Kinos, die sich sehr eng an das Buch hielt. Tatsächlich ist der Film sogar nur dann wirklich verständlich, wenn man das Buch zuvor gelesen hat. Das ist vielleicht auch die größte Schwäche des Films – und zugleich seine Stärke.

Seine Schwäche und seine Stärke gleichzeitig? Das klingt ja schon fast wie Doppeldenk, der alles entscheidenden Philosophie aus dem Buch!

Doppeldenk bedeutet, an zwei sich gegenseitig widersprechende Ansichten zu glauben. Darauf fußt die gesamte Propagandamaschine der Inneren Partei. Wenn Ozeanien heute Krieg mit Ostasien führt, dann hat es schon immer Krieg gegen Ostasien geführt. Wenn sich jemand zu erinnern glaubt, das noch gestern Ostasien der Verbündete in einem Krieg gegen Eurasien war, dann ist das falsch und jedes Nachdenken über diesen Widerspruch wäre ein Gedankenverbrechen. Winston Smith hat von Berufswegen mit solchen Widersprüchen zu tun. Er muss die Geschichte korrigieren. Daher fällt es ihm auch immer schwerer, Doppeldenk zu betreiben. Die Schokoladenration wird auf 25 Gramm heraufgesetzt. Aber Winston weiß, das die Schokoladenration vorher 30 Gramm betragen hat. Doppeldenk verlangt von ihm, überzeugt zu sein, das die Schokolade heraufgesetzt wird.

All diese Darstellungen von Doppeldenk kommen im Film vor, aber es wird nicht erklärt. Um bei dem Beispiel mit der Schokolade zu bleiben: Man erfährt auch nicht direkt , das die Schokoladenration eigentlich herabgesetzt wird. Man erkennt es nur am Mienenspiel von John Hurt, wenn dieser als Winston Smith die Nachricht hört. Und man weiß es, wenn man das Buch gelesen hat.

Es ist also eine Schwäche des Film, von der Sichtweise jener, die das Buch nicht gelesen haben. Aus ihrer Sicht wirkt der Film somit sehr schwer. Für jene aber, die das Buch kennen ist der Film eine unglaubliche Visualisierung der Worte, eine hervorragende Ergänzung zu dem Buch.

Tatsächlich lebt der Film vor allem durch die Bilder. Es wurde eine Welt geschaffen, die wie eine Zukunft vom Standpunkt aus dem Jahre 1948 aussieht. Das Design von Fernsehgeräten sieht so aus, wie man sich 1948 zukünftige Fernseher vorgestellt hat. Die Bilder zeigen auch schonungslos die Abartigkeit der Welt von 1984. Sexualität ist in der Welt von 1984 etwas anstößiges, das ist den Menschen dort so im Kopf, das sie ihre eigene Sexualität als anstößig empfinden. „Verdorben“ sagen sie zu sich selbst. Und die Bilder unterstreichen das. Die Nacktheit, die die Kamera zuweilen einfängt ist hässlich, fast ekelhaft. Eine Prostituierte, mit der sich Winston einlässt ist überstark geschminkt, und die Kamera schaut ihr gerade ins Gesicht. Wenn sie sich hinlegt, und ihren Rock hochschiebt sieht man den ungeschminkten Teil ihres Körpers.

Heute verbindet man mit „1984“ in erster Linie den perfekten Überwachungsstaat. „Big Brother is watching you“. Oft wird der Grad der Überwachung unserer Realität mit der Überwachung in 1984 gemessen und verglichen. Beruhigt stellen wir dann immer fest, das es soweit noch nicht gekommen ist.

Leider wird bei solchen Vergleichen der gesamte Rest des Buches übersehen. Ist Doppeldenk nicht schon viel gegenwärtiger, als die Überwachung? Sehen wir nicht nach jeder Wahl, das all die schönen Worte aus den Wahlkämpfen niemand mehr gesagt haben will? Und wie viel Doppeldenk muss man schon anwenden, um all das, was Präsident Busch zum Irak-Krieg gesagt hat, unter einen Hut zu bringen?
Die Ideologie vom Großen Bruder ist uns viel Näher, als die Überwachung durch den Großen Bruder.

John Hurt, der Darsteller des Winston Smith ist in 1984 in seiner besten Rolle zu sehen. Der Charakterschauspieler aus England ist einer der vielseitigsten Schauspieler der Filmgeschichte. Science Fiction Fans wurde er bekannt, als er in „Alien“ den Kane spielte, jenes unglückliche Besatzungsmitglied, durch dessen Brust das Alien geboren wird. Sein Repertoire reicht von Komödien mit flachsten Schenkelklopfer-Charakteren, bis zu anspruchsvollsten Shakespeare Darstellungen in allen Varianten. Mal hört man nur seine Stimme, mal hat er nur minutenkurze Auftritte, dann sieht man ihn wieder in einer Hauptrolle in gänzlich unbekannten Filmen. Ganz offensichtlich hat John Hurt sein Hobby zum Beruf gemacht, er hat Spaß daran in andere Charaktere zu schlüpfen.
Für Richard Burton war 1984 der letzte Film. Er starb kurz nach der Fertigstellung.

Die nun erschienene DVD wird dem Film leider kaum gerecht. Es gibt nichts außer einem Kinotrailer als Bonusmaterial. Dabei hätte der Film auf jeden Fall einen Audiokommentar verdient. Ton und Bild bieten auch nicht das, was machbar gewesen wäre. Der Ton ist gar nur Mono.
Fans von John Hurt oder des Buches 1984 sollten sich den Film auf jeden Fall anschaffen, aber ansonsten wartet man besser auf die nächste TV Ausstrahlung.

Filmkategorie: