Kritik zu Wolfenstein 2: The New Colossus - Nazis In Amerika

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Weiße Kapuzenträger laufen in der amerikanischen Stadt Roswell der 60er Jahre etwas zwielichtig umher, wohl auf dem Weg zum Klan-Treffen. Sie werden von einem Polizisten angehalten, natürlich nur um sie daran zu erinnern, ihre Deutschstunden zu nehmen. Selbstverständlich ist das Wettern gegen Afroamerikaner vollkommen in Ordnung, schließlich regieren die Nationalsozialisten seit dem Krieg jeden Teil der Welt.

In Wolfenstein 2: The New Colossus setzt sich das düstere Szenario aus dem ersten Teil fort. Deutschland gewann mit Atombomben und fortschrittlicher Technologie den Zweiten Weltkrieg und hat seitdem den gesamten Globus unterjocht. Mit riesigen Kampfmaschinen, Laserwaffen und einer unschlagbaren Armee wurde der Widerstand im Keim erstickt und jeder, der nicht ins Weltbild passt, getötet.

Diese Personengruppe stehen in der deutschen Version nur für Spione und Verräter, denn Juden gibt es im Spiel nicht. Hakenkreuze sind weit und breit nicht zu erblicken, Deutschland ist nur “Das Regime”: Wolfenstein 2 zeigt unverwechselbar Nationalsozialisten, aber gerade hierzulande werden diese nicht beim Namen genannt. Videospiele sind eben keine Kunst und deswegen haben sie auch nicht das Recht, verfassungsfeindliche Symbolik zu benutzen.

Das Verbot von Nationalsozialistischer Propaganda hat eine offensichtliche Daseinsberechtigung, jedoch sorgt es in diesem Fall für eine beinahe gegenteilige Wirkung. In Deutschland, so scheint es, dürfen sich kreative Entwickler im Medium Videospiel nicht mit diesem historisch relevanten Thema auf dem Bildschirm beschäftigen. Wird in der Originalversion noch von den Folgen des Holocausts berichtet, ist dieser Begriff in der zensierten Version einfach entfernt worden. Fatal, denn so kann durch diese Änderung keine Auseinandersetzung mit den brutalen Verbrechen stattfinden, wie zum Beispiel in Tarantinos Inglorious Basterds. Wie sinnvoll diese im spezifischen Fall ist, sei mal dahingestellt.

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Hier wohnen keine Monster, nur Menschen

Trotz allem erzählt Wolfenstein 2: The New Colossus eine herausragende Geschichte, die aktueller nicht sein könnte und dazu noch unterhalten kann. Im ersten Teil hat der überlebende amerikanische Soldat B.J. Blazkowicz viele Jahre nach dem verlorenen Krieg im Herzen von Berlin den sogenannten Kreisau-Zirkel gefunden. Die winzige Widerstandszelle hat auch nach unglaublichen Torturen durch das Regime standgehalten. Sie erfahren, dass die Nazis ihre fortschrittliche Technologie geklaut haben. Der Chef-Wissenschaftler des Reiches, General Totenkopf, ist durch Zufall über ein Versteck der sogenannten Da’at Yichud gestolpert und hat deren überlegene Baupläne für seine Waffen verwendet, mit denen der Krieg im Handumdrehen gewonnen werden konnte.

Die Da’at Yichud sind im Spiel eine alte jüdische Bruderschaft, die ihre Verbindung zu Gott durch den Akt des Erfindens erfahren. Fortgeschrittene Technik zu kreieren ist für sie eine Art Ersatz für das tägliche Gebet. Eingesetzt werden sollte die, teils gefährliche,Technik eigentlich nie. Durch den Missbrauch einer solchen Technologie sei etwa die Atombombe entstanden, berichtet der letzte Überlebende Seth, knapp aus einem Konzentrationslager entkommen. Mit seiner Hilfe und einem Ausflug auf die obligatorische Nazi-Mondbasis, konnte der Kreisau-Zirkel General Totenkopf endlich töten, Blazkowicz erliegt jedoch scheinbar seinen Verletzungen. Der Vorhang fällt.

Der zweite Teil setzt nur wenige Minuten nach dem Sieg an. B.J. ist nach einer Operation nicht tot, erleidet aber schwere Verletzungen und ist dauerhaft an einen Rollstuhl gefesselt. Nachdem er später aufwacht, ist seine Frau Anya hochschwanger, die Nazis mächtig wie eh und je. Die grausame Frau Engel ist inzwischen oberste Kommandantin des Reiches, der Führer - in der deutschen Version Kanzler - schon lange zu senil, um wichtige Entscheidungen zu treffen.

Der Kreisau-Zirkel ist inzwischen zu einer echten Widerstandszelle angewachsen und hat sich von Europa mit einem U-Boot auf dem Weg in das besetzte Amerika gemacht. Dort soll es noch Rebellen geben, die man zu einem letzten Gefecht aufrütteln könnte.

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Ist es richtig einen Nazi ins Gesicht zu schla- schießen?

Wer sich die älteren Spiele der Reihe ins Gedächtnis ruft, mag es kaum glauben, aber neben dem gnadenlosen Töten von Nazis bietet The New Colossus eine sehr starke Erzählung. Die Entwickler lassen das brutale Schnetzeln nicht für sich stehen, Gewalt ist ständig übertrieben - und wird dennoch von Nazi-Verbrechen überboten. Wenn sich der Spieler die Mühe macht, kann er im Spiel ein Gespräch zwischen zwei Wachen überhören, die Gegner des Reiches aufgrund ihrer Aggression kritisieren. Gewalt sei schließlich nie in Ordnung. Während des kleinen Plauschs verladen die hochgerüsteten, rechten Pazifisten Waffen. Natürlich wollen auch sie nicht reden und schießen, ohne zu zögern.

Durchbrochen wird die kriegerische Atmosphäre durch starke Charaktermomente. Der Widerstand ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Ausgestoßenen, die nicht in das Konzept des herrschenden Regimes passen. Von der schwarzen Kämpferin Grace über den geistig behinderten Max bis hin zur Offizierstochter Sigrun, die ihre Leibesübungen nicht eingehalten hat, hat jeder Charakter etwas zu sagen. Sind patriotische Amerikaner noch besser als Nazis? Kann man Töten mit dem Glauben vereinbaren? Wie viel Mitschuld hat die deutsche Bevölkerung?

Bitterernst wird es aber nie zu lange, denn zwischendurch gibt es sowohl während des Ballerns als auch in ruhigeren Momenten einige bizarr-alberne Überraschungen. Bei diesem Spiel hat sich niemand in der Planungsphase gefragt, ob eine Wendung vielleicht ein wenig zu verrückt ist. Ohne zu viel verraten zu wollen, passieren in Wolfenstein 2 Dinge, für die andere Drehbuchschreiber auf der Stelle gefeuert würden. Den Spagat zwischen absurd und ernsthaft vollführt das Spiel dafür sehr souverän. Alles passt gerade so in die Handlung, aber wir reden hier schließlich von einem Spiel, das Hitler - pardon, Heiler muss es in der deutschen Version natürlich heißen - auf der Venus unterbringt.

Die Schießerei ist eine logische Fortführung des ersten Teils. Mit Laser- und Maschinengewehren in je einer Hand metzelt sich B.J. Blazkowicz durch Horden von rechten Rabauken. Wer will, kann schleichen und versuchen Kommandanten auszuschalten, damit die Verstärkung von riesigen Kampfrobotern und Maschinensoldaten nicht gerufen werden kann. Das funktioniert leider etwas hakeliger als noch in The New Order, die offensive Herausforderung ist jedoch sowieso spaßiger.

Fazit

Wolfenstein 2: The New Colossus kann trotz herausragendem Vorgängers nochmal überraschen und überbieten. In Deutschland mag man gewalttätigen Videospielen leider bereits von Anfang an jegliche Tiefe absprechen und stellt sich damit in diesem Fall selbst ein Bein. Wolfenstein beschönigt den Faschismus in keinem Fall und stellt Opfer durch das Dritte Reich auf beiden Seiten in den Mittelpunkt. Wer sich überwinden kann und die Gewalt als überzeichnetes Stilmittel sieht, erlebt eine einzigartig erzählte Geschichte, die aktuell ist und gleichzeitig einen ausführlichen Blick zurück wirft.

Wolfenstein 2: The New Colossus ist für Xbox One, Playstation 4 und den PC erhältlich.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Bethesda

Wolfenstein II: The New Colossus – Launch-Trailer

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