Kritik zu The Expanse 1.02: Die große Leere

SPOILER

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The Expanse Folge 2 Thomas Jane

An Bord der Knight betrauert man den Verlust der Canterbury samt vieler Freunde und Kollegen und bastelt an einer Chance auf Rettung. Es dauert jedoch nicht lange, bis Scharmützel zwischen den Überlebenden in den Vordergrund treten. Auf Ceres ist Detectice Miller der vermissten Julie Mao auf den Fersen und auf der Erde versucht sich Chrisjen Avasarala an alternativen Foltermethoden ...

Der Rezensent spricht gleich zwei heiße Eisen an

Früher als gedacht drang mir bei Ansicht der zweiten Episode ein Thema ins Bewusstsein, das sich bereits bei der Pilotfolge angedeutet hatte. Serien, die stark durch visuelle Qualität bestechen, neigen gelegentlich dazu, ihre Story hinten an zu stellen oder im Tempo zu verschleppen. Man denke hier an Sense8 oder Game of Thrones. Bei der ersten Episode trat dieser Umstand in The Expanse noch nicht besonders zutage, da man dort mit sperrangelweit offenem Mund einfach über jegliche rudimentäre Handlung hinweggrinste. Hier nun jedoch ist der erste Zauber abgeklungen und man möchte tiefer eintauchen in die Geschichte dieser futuristischen Welt. Und schau her: Das Tempo ist erneut eher gediegen. Auf Ceres passiert wenig, auf der Erde eigentlich gar nichts und einzig an Bord der Knight entwickelt sich ein spannendes Kammerspiel, das den Status Quo aus der Balance bringt. An diesem Aspekt gilt es in jedem Fall dranzubleiben.
 
Der zweite Aspekt hat eventuell etwas mit dem ersten zu tun und besagt schlicht, dass es sich hier um die Umsetzung einer Romanreihe handelt. Romane, die ich wohlgemerkt nicht gelesen habe. Freunde der Bücher gehen nun grundsätzlich mit gänzlich anderen Erwartungen an die Umsetzung als reine Konsumenten der TV-Serie. Ich würde mich über Kommentare zu den Diskrepanzen oder Übereinstimmungen freuen, werde diese jedoch nicht in meine Bewertung einbeziehen, da ich die beiden Herangehensweisen gerne getrennt bewerten möchte. Für mich muss die Serie auch keine 1:1-Umsetzung sein. Das Gleiche gilt übrigens ebenfalls für Game of Thrones (wo ich die Bücher jedoch kenne) und The Walking Dead (wo ich zumindest einige Comics kenne). Ansatzpunkt für den Gedanken war hier jedoch eine Information, die ich vergangene Woche in den Kommentaren aufgeschnappt habe - nämlich, dass Chrisjen Avasarala erst viel später in den Büchern eingeführt wird. Und somit haben wir auch gleich eine Verbindung zum ersten heißen Eisen und zum nächsten Absatz: Die Story auf der Erde wirkt blutleer. Ran an den Speck.

Auf der Erde tritt man auf der Stelle

Chrisjen ist immer noch an ihrem gefangenen Gürtler dran, hat aber auch mit weiteren Verhörmethoden keinen Erfolg. Auf dem Weg nach Luna bringt sich dieser dann um und entgeht somit weiteren Befragungen. Hier zeigt sich die gute UN-Dame, die man nebenbei als Trägerin des dritthöchsten Amtes der Erdregierung bezeichnet, erneut kühl und skrupellos. Weder ihre wahren Motive noch die Hintergründe der politischen Situation werden jedoch bisher klarer umrissen. Die Szenen wirken somit eher wie eine Streckung des bereits Bekannten. Ein wenig mehr in die Tiefe dürfte dieser Handlungsteil in Zukunft gerne gehen, da die angedeuteten Mechanismen durchaus vielversprechend sind.

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Der einsame Wolf, Kakteen und die Ratte - Leben auf Ceres

Dafür gibt es jedoch von Ceres mehr zu berichten. Die Versuche von Miller, die verschwundene Mao zu finden, sind ebenso interessant anzusehen, wie sein kurzes Intermezzo mit den jugendlichen Wasserdieben, die er am Ende gehen lässt. Dieser Miller ist ein undurchschaubarer Charakter, der offenbar nie den geraden oder korrekten Weg geht, sondern nur seinen eigenen Regeln folgt. Thomas Jane spielt diese Verschrobenheit auch hier gekonnt mit wenigen mimischen Finessen in den Vordergrund.
 
Ein nettes Detail dieser Handlung ist der auf Monitoren laufende Newsfeed, der über die verschollene Canterbury berichtet und die Bewohner zu Spekulationen anstachelt. Hier zeigt sich wieder die innere Verbundenheit der von den Autoren geschaffenen Welt - klasse.
 
Hübsch ist auch das Zwiegespräch von Miller mit der Ratte (“Gib nicht auf!“) und das Geschenk, das sein Partner erhält: Ein Kaktus für die gute Aussicht Zuhause. Zynische Zeiten. Näher kommt Miller Julie Mao zwar noch nicht wirklich, erkennt aber bereits einige familiäre Abgründe und stolpert über eine Narbe in Maos hübschem Gesicht, die sie sich in Zeiten perfekter plastischer Chirugie wohl nur aus gutem Grund nicht entfernen lässt - als Zeichen der Rebellion gegen das Elternhaus und den dominanten Vater? Das Erzähltempo ist hier in Ordnung, der Charakter eines durch Handlung ergänzten Stimmungsbildes jedoch auch diesmal deutlich zu erkennen.

Vollgas mit Knight (leider nicht Industries 2000)

Tiefschürfender geht es da schon auf der Knight zu. Holden plagen Abträume seiner verstorbenen Freundin (und ihres letzten Satzes “Da ist etwas, das du wissen solltest.“) und auch mit der restlichen Crew läuft es nicht gut. Obwohl just zum ersten Offizier befördert, machen seine Kollegen ihr eigenes Ding, ignorieren seine Position und erheben jemand anderen zum Anführer. Holden kann gar nicht so schnell schauen, wie er abgesägt ist.
 
Um die Antenne zu reparieren, wird eine Mission an der Außenhülle anberaumt, die den Rest der Crew dazu zwingt, im Inneren ohne Sauerstoff und in ihren Weltraumanzügen auszukommen. Dass es dabei zu Komplikationen kommt, überrascht zwar nicht, wurde aber effektiv und spannend umgesetzt. Auch hätte man durchaus geglaubt, dass weitere Crewmitglieder dabei sterben könnten - eine klare Auswirkung der überraschenden Canterbury-Zerstörung, die sich somit früh als effektives Instrument erweist.
 
Geprägt werden alle Sequenzen auf der Knight von einem hohen Maß aus Hoffnungslosigkeit und Depression, das sich fortsetzt, als man am Ende Kontakt zu einem Schiff erhält. Die Crew gerät in die Fänge des Mars - Ausgang offen.
 
An dieser Front bietet die Serie aktuell das höchste Spannungspotential und die größten Storyfortschritte, was die Schwächen an den anderen Handlungsorten auffangen kann. Miller und Holden haben sich zudem klar als Fokuscharaktere etabliert. Man wird sehen, wer diesem Duo in Zukunft das (hoffentlich gefilterte) Wasser wird reichen können.

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Augen und Ohren

Die Szenen auf Ceres sind erneut atemberaubend gut umgesetzt, auch die weiteren Ansichten von New York können überzeugen. An Bord der Knight dominiert klaustrophobische Stimmung, die sich auch in den überzeugend umgesetzten Weltraumszenen fortsetzt. Insgesamt liegt The Expanse visuell definitiv näher an Battlestar Galactica als an Star Trek.

Die Frau des Rezensenten

Als viel schlüssiger empfand meine Couchnachbarin die verschiedenen Handlungsstränge bereits in dieser Episode. Das Erzähltempo erschien ihr der Situation angemessen, die Szenen auf der Erde waren für sie jedoch erneut nur von geringem Interesse, da dort “einfach nichts Interessantes passiert“. Im Gegensatz zu mir fiel ihr auf, dass Holden nicht nur ein wenig wie ein kurzhaariger Jon Schnee aussieht und sich so benimmt, sondern gar dessen Synchronstimme erhalten hat.

Kurz gesagt

Das Erzähltempo sinkt merklich, um den Auswirkungen der Zerstörung der Canterbury Rechnung zu tragen. Spannend sind dabei besonders die Befindlichkeiten und Dynamiken innerhalb der Rumpfcrew sowie am Rande noch Miller Nachforschungen. Nette Kleinigkeiten runden eine gute, aber nicht sensationelle zweite Episode ab.
 
Wertung: Diesmal gibt es Kakteen - 3 große und 1 kleiner von 5 (für die gute Aussicht)
 
In "OPA und die Canterbury" treten nächste Woche Tumulte auf Ceres ob der News von der Canterbury auf, während die Knight-Crew in die Gewalt des Mars gerät.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Syfy/ Netflix
The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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