Mutter – Kritik zu The Expanse 5.03

Es ist nicht unbedingt verwunderlich, dass der große Knall am Ende der ersten drei auf einmal veröffentlichten Episoden kommt und mit einem Cliffhanger Spannung für die nächste Episode eine Woche später erzeugen soll. In der Buchvorlage kam der Angriff auf die Erde jedoch wesentlich überraschender. Die Serie bereitet dieses Ereignis schon seit der 4. Staffel mal mehr oder weniger explizit vor. Insbesondere in den ersten drei Episoden der 5. Staffel ist deutlich geworden, worauf der gesamte Asteroiden-Subplot hinausläuft.

Die entsprechenden Ermittlungen geben Drummer (Cara Gee), Kaes Ashford (David Strathairn) und gewissermaßen auch Bobbie Draper (Frankie Adams) sowie Chrisjen Avasarala (Shohreh Aghdashloo) einiges zu tun. Und die Serie versucht, jeder dieser Figuren gerecht zu werden. Gleichzeitig verspielt sie etwas einen starken und dramatischen Schockmoment. Interessant wäre es zu erfahren, ob Zuschauer, die mit den Büchern nicht vertraut sind, diese Entwicklung vorausgesehen haben.

Machtlose Power-Brokerin

In dieser Episode dreht sich selbstverständlich nicht alles nur um diesen einen großen Moment am Ende, der das Universum erschüttert. Vielmehr beschäftigt sich „Mutter“ mit Helden, die an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und ihrer Macht stoßen oder sich bewusst vom Kampf abwenden. Es ist mittlerweile ziemlich deutlich, dass Avasarala ihr gesamtes politisches Kapital verspielt hat. Zwar kann sie die verschiedenen Puzzleteile dank eines Retro-Uhren-verliebten Dr. Alaoui (Danny Waugh) und der Hilfe des UN-Admirals Felix Delgado (Michael Irby) zusammensetzen, allerdings fehlt ihr der Einfluss, um irgendetwas mit diesen Informationen anstellen zu können und das Schlimmste zu verhindern.

Dieser Abstieg Richtung Macht- und Hilflosigkeit ist ein interessanter Schritt für eine Figur, die bisher immer alle Fäden in der Hand gehalten hat, allen anderen stets zwei bis drei Schachzüge voraus war und viele Feinde ausmanövrieren konnte. Ihre letzter Trost scheint ihre Familie zu sein, die sie bisher vernachlässigt hat. Auch die Serie hat ihrem Mann, ihrer Tochter und ihren Enkelkindern bisher wenig Beachtung geschenkt, sodass diese nicht unbedingt dreidimensional rüberkommen. An dieser Stelle wirken sie eher wie Statisten, die den dramatischen Einsatz für Avasarala erhöhen sollen.

Familie, statt Rache

Drummer (Cara Gee) entscheidet sich sogar sehr bewusst dagegen, in den Kampf zu ziehen und sich an Marco Inaros (Keon Alexander) für die Exekution an Commander Klaes Ashford (David Strathairn) rächen. Trotz einer generell gespannten Beziehung zwischen ihr und Ashford hat er eine der wenigen Vertrauenspersonen und Verbündeten dargestellt, der ihr noch geblieben ist. Zur Erinnerung: Ashford war einst selbst ein Gürtler-Pirat, der später unter Drummer als 2. Offizier auf der Behemoth diente. Er verfolgte den Gürtler-Terroristen Marco Inaros und wurde zur Belohnung aus einer Luftschleuse geworfen.

Drummer plagen offensichtlich Gewissensbisse, einerseits weil sie einen gefangen gesetzten Marco Inaros freigelassen hat, andererseits, weil sie sich Ashford bei seiner Verfolgung nicht angeschlossen hat.

Mittlerweile hat sie nun allerdings eine Art Familie aufgebaut, der gegenüber sie sich emotional verletzlich zeigen kann und die ihr Trost spendet. Im Grunde handelt es sich hierbei um eines der zentralen und vielleicht sogar etwas sentimentalen Themen der Serie und auch der Bücher: Freundschaft und selbstgewählte Familien bestehend aus zusammengewürfelten Menschen, die zusammenarbeiten, und nicht machtgierige korrupte Politiker, die Militär-Maschinerie oder profitgierige Konzerne triumphieren letztendlich in der Kälte des Weltraums. Das ist eventuell nicht unbedingt originell und romantisch-naiv, wirkt bei The Expanse nie so aggressiv ausgesetzt wie zum Beispiel in einem Fast-and-Furious-Film. Als emotionale Stütze der Serie ist es hier und an vielen anderen Stellen stets effektiv und verleiht der Serie Menschlichkeit, die hin und wieder in der Science-Fiction fehlen kann.

Planlos auf Pallas

Naomi (Dominique Tipper) wirkt auf der Pallas Station nahezu überfordert. Zunächst betreibender  Autor der Episode Dan Nowak und Regisseur sowie ehemaliger Expanse-Darsteller Thomas Jane ansprechendes Worldbuilding: Die erbärmlichen Zustände der Gürtler werden hier noch einmal deutlich gemacht. Alles ist dreckig, schmutzig und rau. Tagelöhner nehmen Naomi direkt bei ihrer Ankunft in Empfang, halten ihr ihre digitalen Lebensläufe unter die Nase und betteln um Arbeit.

Die Welt und das Leben sind weitaus ungemütlicher als auf Tycho Station oder der Rocinante. Einen Bar-Besucher, der sie anrempelt, sieht sie fast entsetzt an, als müsse dieser sich entschuldigen. Zwei anderen aggressiven Gürtlern überweist sie fast eine große Menge Geld, um einen Streit aus dem Weg zu gehen, bevor ihr alter Freund Cyn (Brent Saxton) beherzt eingreifen kann.

Die folgenden Ereignisse zeigen, dass Naomi ihre Chancen, irgendetwas zu bewirken, gnadenlos überschätzt hat. Ihr Plan, ihren Sohn Filip (Jasai Chase Owens) von der Boshaftigkeit seines Vaters und ihrer Liebe zu ihm zu überzeugen, wirkt wenig ausgereift. Hierbei handelt es sich mehr um eine Verzweiflungstat. Es ist ein bisschen schade, dass sowohl Bücher als auch Adaption ihr an dieser Stelle etwas zu wenig Kompetenz zugestehen und etwas zu viel Naivität andichten. Da es um die Rettung ihres eigenen Sohnes geht, lässt sich auf der anderen Seite verstehen, warum sie seit Beginn dieser Staffel hauptsächlich emotional und nicht unbedingt rational agiert.

Auch wenn er keine positive Rolle in dem Geschehen einnimmt, sollte Brent Saxton als Cyn nicht unerwähnt bleiben. Wie Frankie Faison, der in der letzten Episode Charles spielte, handelt es sich um einen dieser Schauspieler, den man aus unzähligen Rollen kennt. The Expanse war immer sehr gut darin, diese mehr als kompetenten Charakterdarsteller zu besetzen, die mit ihren Nebenrollen dem Geschehen noch mehr Bodenhaftung verleihen.

Gescheiterte Undercover-Arbeit

Naomi ist jedoch nicht die einzige, die im Dunkeln tappt: Während Holdens (Steven Strait) Nachforschungen in eine Sackgasse bzw. zu zwei Leichen führen, wirkt Alex bei seinen Ermittlungsversuchen äußerst unbeholfen. Zunächst möchte er einfach nicht glauben, dass etwas faul ist im Staate Mars oder dass Admiral Sauveterre (Tim Dekay) irgendetwas Böses im Schilde führt. Bobbie hat im Gegensatz dazu mittlerweile jeglichen Idealismus bezüglich Mars-Regierung und -Militär abgelegt.

Hinzu kommt, dass Lt. Babbage (Lara Jean Chorostecki) anscheinend wesentlich talentierter ist, Informationen aus Alex herauszubekommen als umgekehrt. Dieser ist wiederum nur zu bereit, wichtige und geheime Fakten über das Protomolekül und die Ereignisse auf New Terra heraus zu plaudern. Als nicht gerade talentierter Undercover-Spion weiß er nicht einmal, in welchem Spiel er sich gerade befindet. Denn das Mars-Militär ist ihm nicht nur einen, sondern mindestens zehn Schritt voraus. Immerhin darf sich Bobbie kurz back-in-action zeigen, was immer Spaß macht, und sich schnell zweier mörderischer Mars-Agenten entledigen.

Fazit:

Helden, denen auf Anhieb alles spielend einfach gelingt, möchte wahrscheinlich niemand so wirklich sehen. Stattdessen müssen sie scheitern können, in Situationen geraten, in denen sie überfordert sind und in denen emotionales Handeln, logische Planung und Verhaltensweisen aussticht, wie es zum Beispiel bei Naomi der Fall ist. Bis auf Amos, der in dieser Episode nicht vorkommt, sich aber wahrscheinlich Off-Screen weiterhin locker-flockig durch das Erden-Baltimore prügelt, kommen in dieser Episode fast alle unsere Helden ins Straucheln. Nicht nur das. Jegliches Handeln scheint zu spät zu erfolgen.

Als zentrales Thema einer Episode kann das vielleicht etwas frustrierend sein, zeigt aber unterstützt umso mehr eine der zentralen Thesen (wenn man dies als solche bezeichnen kann) der Serie: nämlich, dass das Team beziehungsweise die selbstgeschaffene Familie effektiver funktioniert als der Einzelne auf sich allein gestellt. Das mag sich als Analyse etwas kitschig lesen, die Serie kommt aber nie in Versuchung, diese Art von Sentimentalitäten plump zu deklarieren, sondern verpackt das alles organisch, ansprechend und emotional mitreißend in seinen Einzelgeschichten.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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