Das Imperium der Prinzen

Garth Nix

Bücher, die auf Spielen basieren, sind nicht selten. Ein Buch, das schließlich zu einem Spiel erweitert worden ist und vor allem als alleinstehender Roman gelesen werden kann, erscheint in doppelter Hinsicht wie eine aussterbende Art. Garth Nixs „Das Imperium der Prinzen“  ist weniger eine Komödie – „10 Millionen Prinzen, ein Thron“-, sondern zunehmend eine erste Reflektion der Frage, was es wirklich bedeutet, ein potentiell vorbestimmtes wie auch kurzes Leben führen zu dürfen oder besser zu können. Auch wenn die Idee, den Protagonisten als Ich- Erzähler zu beschreiben, dem grundlegenden Konflikt des Buches zu widersprechen scheint – es kann nur einen zukünftigen Regenten geben – und dadurch auf den ersten Blick der Spannungsbogen minimiert werden könnte, hält Garth Nix in doppelter Hinsicht einen interessanten Ausweg aus dem Dilemma bereit, den er im Vergleich zu vielen anderen Autoren auch über den ganzen Spannungsbogen hinweg ausreichend vorbereitet.  Trotzdem – vielleicht weil es ein alleinstehender Roman ist – befriedigt der rasante Plot nicht gänzlich. Zu viele Aspekte werden im Verlaufe der kompakten Handlung nur gestreift und an einigen Stellen wünscht sich der Leser mehr als nur einen abenteuerlichen, aber auch rudimentären Handlungsverlauf, um an der Seite des teilweise humoristisch überforderten Protagonisten auch in die Tiefe gehen zu können.     

Khemri ist von früher Jugend an - da wurde er seinen Eltern gegen Gedächtnislöschung abgeluchs - dazu ausersehen, zum Regenten des Imperiums aufzusteigen. Er wächst in einem abgeschiedenen Tempel auf und wird neben dem Überlebenstraining in verschiedenen, teilweise fernöstlich wirkenden Lehren unterrichtet. Beim Verlassen des Tempels wird ihm allerdings die ganze Wahrheit offenbart: alle zwanzig Jahre dankt der amtierende Regent ab. Es gibt ungefähr zehn Millionen mögliche Nachfolger, die sich teilweise noch vor der näheren Berufung bis aufs Blut bekämpfen und töten. Der Tod ist in dieser Zukunft nicht das Ende des Lebens, denn dreimal können die Prinzen mit allen Erinnerungen wieder geboren werden. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb dieser Reifeperiode den Thron zu besteigen ist relativ gering, während die Chance, an einem unnatürlichen Tod sehr zeitnah zu sterben, natürlich entsprechend hoch ist. Khemri ist eine sehr interessante, sehr laute Stimme, die wie es sich für Ich- Erzähler gehört, aus einer älteren Position auf seine Flegeljahre zurückblickt und seine "Karriere" zusammenfasst. Im Gegensatz allerdings zu vielen selbstironischen Memoiren ist Khemri als Stärke und Schwäche des Romans zugleich auf Augenhöhe des Geschehens. Die ersten Zeilen des Romans suggerieren, dass er aus einer Position der machtvollen Stärke heraus schreibt, während der Epilog offenbart, dass er einen ganz anderen Prozess erfolgreich durchlaufen hat. Khemri ist in vielfacher Hinsicht die dominierende, aber nicht unbedingt die gänzlich dominante Figur des Romans. Teilweise anfänglich ein wenig arrogant verändert sich seine "Stimmlage". Er wird sarkastischer und einhergehend realistischer. Er beginnt, Verantwortung über seinen potentiellen Regenten Standpunkt hinaus zu übernehmen. Als Teil einer Elite sieht er sich als vollkommen an. Das erste Mal fällt er von diesem selbstgebauten, fiktiven Thron, als sein zukünftiger Leibwächter - dieser Begriff ist ambivalent, da er Kämpfer, Lehrer und schließlich auch Vorreiter in einem ist - Khemris Leben das erste Mal schützen muss, um ihm gleichzeitig seiner Schwächen aufzuzeigen. In seiner Naivität glaubt er alle Lehren. Vielleicht wirkt die Figur anfänglich ein wenig zu passend charakterisiert, aber für ein Jugendbuch ist dieser innere Reifeprozess elementar und so folgt Nix auch den Leitplanken dieses Subgenres insbesondere im Mittelteil fast sklavisch. Je weniger sich Khemri nach einem kurzen Ausflug mit anderen Prinzen ins Militär mit seiner Zukunft nachhaltig anfreunden kann, desto mehr wird er im Umkehrschluss von einem genetisch überlegenen Wesen zu einem Menschen. Diese Wandlung verläuft allerdings nicht kontinuierlich, sondern teilweise zum Leidwesen des Buches auch in Schüben. Für einen potentiellen Regenten beginnt er zu schnell zu viel zu hinterfragen. Dieses Auseinanderbrechen seiner bisherigen Welt wird an keiner Stelle von den entsprechenden Selbstzweifeln begleitet, sondern dient teilweise auffällig als eher theoretischer Übergang in eine gänzlich andere Welt. Das diese Veränderung einhergeht mit der ersten wahren Liebe sollte keine Überraschung darstellen. In diesem Punkt grenzt sich Nix mit seiner Ich- Perspektive zu stark ein, denn dem Leser wird diese Wandlung ausschließlich erzählt, ohne das er sie aus einer vielleicht neutralen Position auch erleben kann. Wenn dann die Liebesgeschichte zu spontan, zu herrlich naiv und vor allem mit einem normalen Menschen wie Raine beschrieben wird, dann fehlt der emotionale Impuls, der Augenblick der Erkenntnis. Wenn Khemri seine Prinzenidentität vor Raine versteckt, kann man das vielleicht noch glauben, aber wenn Raine dem jungen Emporkömmling wieder in entsprechender Kürze den Wert des einzelnen Lebens sowie die Liebe oder das Leid dieses Teils der Galaxis nahe bringt, dann greift Nix unnötig und eindimensional in die Klischeekiste. Schade ist, dass der Autor auf dieser Prämisse nicht nur so wenig macht, sondern das er sie handlungstechnisch auch zu wenig in den Roman einbindet, denn am Ende trifft Khemri seine Entscheidungen während des finalen Showdowns, in dessen Verlauf er auch brutal und gegen die bisherige selbstironische Struktur des Buches auch eigenhändig tötet, wieder alleine, bevor im Epilog der rote Handlungsfaden plötzlich wieder glatt gezogen wird.        

Allerdings sind die Nebenfiguren teilweise zu wenig effektiv platziert. Seine erste Freundin Raine dient zu sehr im Gegensatz zu seinen eher mechanischen Kurtisanen als Lebenserfahrungshilfe und wirkt als Figur zu wenig dreidimensional beschrieben. Ihre Handlungen sind allerdings konsequent und logisch, wobei Khemri natürlich die Fassade der Diktatur des Regenten genauso vor Augen geführt wird wie der Kampf gegen die fast obligatorischen Piraten mit ihren entsprechenden Klischees oder die fiesen Aliens, die natürlich böser als die imperialen Truppen sind. Beide Gruppen werden so gut wie gar nicht vorgestellt und dienen im Mittelteil ausschließlich dazu, Khemri auf seinem zeitlich auch begrenzten Weg zum Thron Steine in den Weg zu legen. Sein erster Lehrmeister Haddad mit seinem Harem an Schülern als Mischung aus weltoffenen Priester und Martial Arts Kämpfer sowie Philosoph mit Lebenserfahrung ist dagegen eine vielschichtige und gut angelegte Figur. Er traut sich, dem verwöhnten Bengel- nicht sein erster Prinz - die Meinung zu sagen und ihn auch durch Passivität in Gefahr zu bringen. Khemri fragt sich, wie er während der militärischen Ausbildung ohne Haddad auskommen wird und der Leser, wie sich das Buch ohne diese Figur entwickeln kann. Er fehlt nicht nur dem Prinzen. Wenn er am Ende wieder auftritt, dann erfolgt die Begegnung zu schnell quasi auf Augenhöhe Khemris, der sich rasant entwickelt hat. Mit Abstrichen lässt sich auch Khemris Schwester im Kampf um den Thron als abgerundete Figur bezeichnen, während ansonsten die Schurken und Vorgesetzten, die ihn ärgernden Mitstreiter an der Akademie wie auch im Rennen um den Thron seltsam gesichtslos zeigen.

Der nicht immer zufriedenstellende entwickelte Hintergrund des Romans ist dagegen die farbenprächtige Mischung aus alten irdischen Imperien - Rom und Sparta fallen dem Leser spontan ein - und einer unendlich weit reichenden Galaxis mit entsprechend großen Raumschiffen und Waffen. Positiv für den ganzen Roman ist die ambivalente Verwendung des Begriffs "Prinzen". Sie können als Nachfolger weiblich und männlich sein. Ihre Abstammung innerhalb des Reiches sowie ihre sexuelle Orientierung - es gibt homosexuelle Anspielungen, wobei Khemri natürlich ein vollblütiger Jüngling und späterer Mann ohne Kompromisse ist - spielt keine Rolle. Auch das Übernehmen der Verantwortung für das Reich ist originell beschrieben und könnte einen eigenständigen Roman bereichern. Immer, wenn Nix von der vordergründig sehr stringenten Handlung abweicht und den Mut hat, seine exzentrischen, aber interessanten Ideen aus dem Hintergrund in Khemris Gesichtskreis zu schieben, dann lebt "A Confusion of Princes" - der Titel ist im Original ein herrliches, pointiertes Wortspielt - förmlich auf. Auf der anderen Seite wirkt der Plot teilweise zu sprunghaft - so muss Khemri auf seinen künstlich veränderten Körper verzichten und als normaler Mensch vordergründig als Teil seines Reifeprozesses, hintergründig als sehr elegante Möglichkeit, ihn als Konkurrenten um den Thron los zu werden, leben, ohne das der Leser die ersten wichtigen Schritte mit bekommt - und an wichtigen Stellen zu oberflächlich. Selbst für ein Jugendbuch hätte Nix angesichts des Potentials seines Universums noch mehr in die Tiefe gehen können und müssen. Ein paar hundert Seiten mehr hätte das Buch ohne Probleme vertragen.

Nix größte Schwäche ist, das der Leser an vielen Stellen trotz oder vielleicht auch gerade wegen der emotional eingeschränkten Ich- Erzählerperspektive förmlich außen vor bleibt und die wichtigen Veränderungen während des Reifeprozesses fast neutral nicht emotional genug ablaufen, ohne das Khemri inzwischen aus der zeitlichen Distanz und der Leser durch eine den Roman durchziehende Barriere ihre Positionen verändern oder gar verändern können. "Das Imperium der Prinzen" ist trotz dieser Schwächen aber ein kurzweilig zu lesender, wenig anspruchsvoller, teilweise humorvoller "Comic of Age" Roman, der in erster Linie ein eher jugendliches Publikum positiv ansprechen wird, das von Military Science Fiction die Nase voll hat.

 

 

Bastei Lübbe
Taschenbuch, 383 Seiten
Ersterscheinung: 14.02.2014
ISBN: 978-3-404-20745-9